Am 12. Dezember wurde in Litauen das neue Kabinett unter der Leitung des Sozialdemokraten, Gintautas Paluckas, vereidigt. 85 Abgeordnete sprachen sich bei 28 Enthaltungen und 14 Gegenstimmen für das Regierungsprogramm aus.
Die Oppositionsfraktionen im litauischen Parlament „Seimas“ unterstützten das Programm der Mitte-Links-Regierung nicht. Ihrer Meinung nach gibt es keine Garantie, dass die neue Regierung die in ihrem Programm gemachten Versprechen und Verpflichtungen einhalten wird. Das Programm sei schwer umsetzbar im Hinblick auf große Haushaltsausgaben, die ohne fundierte Finanzierungsgrundlage sind. Ebenso wird die Zusammenarbeit des vom Verfassungsgericht verurteilten Parteivorsitzenden der Morgenröte von Nemunas, als Abwertung des Anstands in der Politik und im öffentlichen Leben gewertet.
Prioritäten der neuen Regierung
In der Außen- und Sicherheitspolitik stehen die Zeichen auf Kontinuität. Die Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur mit einem starken transatlantischen Verhältnis sind gesellschaftlicher Konsens. Ebenso wie die Unterstützung der Ukraine mit 0,25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Mit einem Beitrag von aktuell 3,2 Prozent des BIPs für Verteidigung, der laut Regierungsprogramm auf 3,5 Prozent und laut einigen Wünschen sogar auf vier Prozent ansteigen soll, muss sich Litauen auch keine Sorgen vor möglichen Triaden aus dem Weißen Haus machen. Ebenso wird ein Fokus auf die Erreichung einer resilienten Gesamtverteidigung gelegt. Die Unterstützung für die vollständige Aufnahme und Integrierung der deutschen Kampfbrigade ist ebenso inherent.
In der Wirtschaftspolitik möchte man die Progressivität des Steuersystems erhöhen. Es gibt zudem Pläne zur Förderung in- und ausländischer Investitionen in Litauen (bspw. mit der Ansiedelung von Hochtechnologien und Innovationen). Litauen plant bis 2030, fünf Prozent seines Bruttoinlandsproduktes über Bio-Technologie zu erwirtschaften. In Litauen existiert seit diesem Jahr der größte Bio-Tech-Campus Europas mit Investitionen von über 50 Millionen Euro und angestrebten zweitausend Arbeitsplätzen. Ebenso verspricht die neue Regierung die Bürokratie zu bekämpfen.
Koalitionsbildung
Nach den Parlamentswahlen im Oktober gestaltete sich die Bildung einer tragfähigen Regierungskoalition äußerst schwierig. Die sozialdemokratische Partei Litauens (LSDP) hat gleich nach den Wahlen zwei ihrer Versprechen gebrochen: die populäre Wahlgewinnerin der Sozialdemokraten, Vilija Blinkevičiūtė, ist nicht als Premierministerin angetreten. Ebenso wurde die Partei „Morgenröte von Nemunas“ als Koalitionspartner akzeptiert, obwohl dies vor der Wahl klar ausgeschlossen wurde. Letzteres hat für erhebliches politisches und gesellschaftliches Aufsehen gesorgt. Der Vorsitzende der Partei Morgenröte von Nemunas, Remigijus Žemaitaitis, wurde in der letzten Legislaturperiode vom Verfassungsgericht wegen grober Verstöße gegen die Verfassung durch antisemitische Aussagen verurteilt. Ihm wurde zudem kürzlich erneut die Immunität entzogen. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, könnte dies ein Zusammenbrechen der Partei Morgenröte von Nemunas zur Folge haben. Diese ist keine gefestigte Kraft, wie beispielsweise die AfD in Deutschland. Es handelt sich um ein populistisches Projekt eines demagogischen Einzelkämpfers. Allerdings wurden vorherige Prognosen, dass dies lediglich eine Eintagsfliege sei, mit der Koalitionsbeteiligung ins Gegenteil verkehrt.
Die Entscheidung der Einbindung der Morgenröte ist umso überraschender, da eine deutlich stabilere Koalition mit der Litauischen Bauern- und Grünenunion (LVZS) oder der Liberalen Bewegung (LRLS) möglich gewesen wäre. Dies hätte jedoch eine kleinere Mehrheit für die Sozialdemokraten bedeutet. Das war für deren Vorsitzenden, Gintautas Paluckas, anscheinend eine schwerere zu schluckende Kröte, als sein Versprechen zu brechen. Damit verfügt die Regierung nunmehr über 86 von 141 Mandaten, also über eine verfassungsmäßige Mehrheit.
Die Reaktionen auf diesen Schritt sind sowohl international als auch national mehr als kritisch eingeordnet und kommentiert worden. Führende Politiker und Institutionen, darunter die deutschen Abgeordneten verschiedener Fraktionen des Europäischen Parlaments – insbesondere der Europäischen Volkspartei (EVP) und Renew Europe – haben dies scharf kritisiert.
Auf der Suche nach Ministern
Parallel dazu regte sich Widerstand innerhalb der litauischen Zivilgesellschaft. Nach der Verkündigung der Koalitionsbildung fanden zwei Demonstrationen vor dem Parlament statt. Staatspräsident, Gitanas Nausėda, reagierte zunächst zögerlich. Erst nach den heftigen internationalen Reaktionen verschärfte der Präsident seine Position und erklärte, dass keine Mitglieder der Morgenröte von Nemunas selbst Ministerposten innehaben dürfen. Stattdessen dürfe die Partei nur unabhängige oder neutrale Kandidaten vorschlagen.
Die Auswahl des Ministerkabinetts gestaltete sich von Anfang an als schwierig. Daher hat der Staatspräsident hier die Führung übernommen: „Ich übernehme die Gesamtverantwortung für die erfolgreiche Arbeit der Regierung.“ (Nauseda). Dies führte zu einer stärkeren Einflussnahme des Präsidenten auf die Regierungsbildung. So wurden zwei Ministerposten erst auf den letzten Drücker besetzt: das Ressort Justiz mit Rimantas Mockus sowie das Ressort Umwelt mit Povilas Poderskis. Mockus ist in der politischen Landschaft Litauens ein völlig unbeschriebenes Blatt. Es wird davon berichtet, dass die Partei Morgenröte große Schwierigkeiten hatte, (geeignete) Kandidaten zu finden. Besonders auffällig ist dies bei Poderskis. Er war lange Jahre Verwaltungsdirektor der Stadt Vilnius und Mitglied der liberalen Freiheitspartei. Eine besondere Nähe zu Žemaitaitis oder dessen Partei ist nicht bekannt.
Regierungszusammenstellung
Das neue Kabinett hat unter dem Ministerpräsidenten 14 Minister davon neun auf dem Ticket der LSDP, zwei auf dem Ticket der DSVL und drei auf jenem der Morgenröte von Nemunas. Die Minister sind nicht zwangsläufig Parteimitglieder.
Sozialdemokraten, LSDP:
-Ministerpräsident: Gintautas Paluckas
-Außenminister: Kęstutis Budrys (ehemalig oberster Sicherheitsberater des Präsidenten)
-Verteidigungsministerin: Dovilė Šakalienė (seit 2016 Abgeordnete)
-Innenminister: Vladislavas Kondratovičius (Verwaltungsdirektor im Bezirk Vilnius)
-Finanzminister: Rimantas Šadžius (war bereits 2012–2016 in dieser Position)
-Verkehrsminister: Eugenijus Sabutis (seit 2020 Abgeordneter)
-Arbeits- und Sozialministerin: Inga Ruginienė (ehem. Vorsitzende des lit. Gewerkschaftsbundes)
-Bildungsministerin: Raminta Popovienė (aktuelle Vizebürgermeisterin von Kaunas)
-Kulturminister: Šarūnas Birutis (bereits 2012–2016 in dieser Position)
-Gesundheitsministerin: Marija Jakubauskienė (Leiterin eines Forschungsinstituts der Medizinischen Fakultät der Universität Vilnius)
Für Litauen, DSVL:
-Wirtschafts- und Forschungsminister: Lukas Savickas (seit 2020 Abgeordneter)
-Energieminister: Žygimantas Vaičiūnas (bereits 2012–2016 in dieser Position)
Morgenröte von Nemunas – unabhängige Kandidaten
-Justizminister: Rimantas Mockus (Anwalt)
-Landwirtschaftsminister: Ignas Hofmanas (Vorsitzender des litauischen Landwirtschaftsrats)
-Umweltminister: Povilas Poderskis (ehemaliger Verwaltungsdirektor der Stadt Vilnius)
Fazit
Sowohl die Koalitionsbildung als auch die Kabinettszusammensetzung sind Wagnisse des neuen Premierministers. Sie stellen die ohnehin stets nicht auf lange Zeit angelegten litauischen Koalitionspartnerschaften (in der Regel lediglich eine Legislaturperiode) auf noch wackeligere Beine.
Die teils als Zögerlichkeit empfundene Reaktion von Staatspräsident Nausėda, die sehr kritisch beäugte Morgenröte von Nemunas nicht entschiedener auf die Einhaltung der Verfassung und ihrer Werte zu drängen, kann auch als Zeichen der Entspannung zwischen Regierung und höchstem Staatsamt interpretiert werden. Waren in der vergangenen Legislatur die gegenseitigen kritischen Äußerungen – obwohl sachlich teils angebracht – in der Form und Wahrnehmung in der Gesellschaft nicht unbedingt zielführend. Das könnte sich nun ändern. Ein Indiz könnte hierfür die Berufung des ehemaligen Sicherheitsberaters Nausėdas, Kęstutis Budrys, sein. Er gilt als Mann des klaren Wortes und könnte im Hinblick auf die Außenwahrnehmung Litauens die Rolle seines Vorgängers, Gabrielius Landsbergis, einnehmen.
Es bleibt abzuwarten, wie das Kabinett von Paluckas mit seinen Herausforderungen umgehen wird. Sowohl die zunehmenden geopolitischen Spannungen in Europa als auch mögliche koalitionsinterne Reibungen werden die neue Regierung auf die Probe stellen. Bei Letzterem könnte sich die als unberechenbar geltende Morgenröte von Nemunas als gefährlicher Partner darstellen. Dies basiert auf der Befürchtung, dass eine Verurteilung ihres Vorsitzenden das Auseinanderbrechen der Partei zur Folge haben könnte. Die neue Regierung geht mit einem Verlust an Vertrauen in die neue Legislatur. Dies basiert maßgeblich auf zwei Verfehlungen, die zu einem Schock in der Gesellschaft geführt haben: Der Rücktritt der Spitzen- bzw. Premierministerkandidatin der Sozialdemokraten sowie die Koalitionsbildung mit der Morgenröte von Nemunas. Somit liegt auf der neuen Regierung ein moralischer Ballast.
Anhang I
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