Was würde Wilfried Hasselmann, wenn er noch lebte, als Ratschlag an die heutige Politikergeneration übermitteln? Diese Frage stellte Isabel Link, Moderatorin einer Gedenkveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im Vorfeld des Treffens dem früheren Landtagspräsidenten Jürgen Gansäuer. Gansäuer war ein enger Weggefährte von Hasselmann, in den letzten Jahren vor Hasselmanns Tod 2003 war er zum guten Freund geworden. „Hasselmann würde den Politikern dringend empfehlen, mit den Leuten zu reden und ihnen gut zuzuhören. Er würde raten, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen – selbst dann, wenn diese Sorgen unbegründet sind.“
Im Celler Schlosstheater, einem festlich geschmückten Saal im Zentrum von Celle, der Heimat von Hasselmann, kamen am 30. August mehr als 200 Gäste zusammen, um dem langjährigen CDU-Landesvorsitzenden, Ehrenvorsitzenden, Minister und Landtagsabgeordneten zu gedenken. Darunter waren viele einstige Weggefährten, ehemalige Referenten und Getreue, Mitglieder seiner Familie und viele aktive niedersächsische CDU-Politiker. Zum Abschluss wurde – ganz so, wie es Hasselmann gefallen hätte – das Niedersachsen-Lied gesungen.
Der CDU-Landesvorsitzende Sebastian Lechner sagte, er erinnere sich noch gut an Hasselmanns Beerdigung im Januar 2003, an der er als damals 22-jähriger Wahlkampf-Helfer der CDU teilgenommen hatte. Mehr als 1000 Menschen seien in Celle auf der Straße gewesen – Kanzlerin, Ministerpräsident und viele hohe Gäste waren dabei. „Da habe ich gemerkt, wie sehr die Menschen von seinem Tod bewegt waren“, sagt Lechner. Ganz viele frühere Mitstreiter, die er nach Hasselmann fragte, hätten nicht nur wenige, sondern viele Geschichten über ihn zu erzählen gehabt. Er war nah bei den Leuten, konnte auf Menschen zugehen und interessierte sich für deren Sorgen. Mit seiner Wahl zum CDU-Landesvorsitzenden 1968, damals war er 44, sei die Modernisierung der Partei eingeläutet worden – die engere Verzahnung der Bezirksverbände und der Landesverbände zur Niedersachsen-CDU, die Professionalisierung der politischen Strategie und der Programmatik. Die Mitgliederzahl ging steil nach oben. Lechner sagte, Hasselmann stehe zwar im Ruf, ein Nationalkonservativer gewesen zu sein. Doch beispielsweise gegenüber den Grünen sei er sehr aufgeschlossen und pragmatisch eingestellt gewesen. „Die Grünen vertreten doch nur die Gedanken unserer Kinder“ soll er einmal gesagt haben. Ein „Meisterstück“ sei Hasselmanns Entscheidung gewesen, in den siebziger Jahren den Brüsseler EU-Beamten Ernst Albrecht in die Landespolitik zu holen und ihm dann für die Ministerpräsidentenwahl 1976 im Landtag die Kandidatur zu ebnen. „Für Hasselmann galt: Erst das Land, dann die Partei und erst dann die Person.“ Seine eigene Person und die Karrierewünsche habe er zugunsten der Teamarbeit und der besseren Chancen der Partei zurückgestellt.
Festredner der Veranstaltung war der ehemalige Ministerpräsident David McAllister, der Hasselmann als junger Landtagsabgeordneter und im Wahlkampf 2003 als CDU-Generalsekretär kennengelernt hatte. Hasselmann sei über mehr als 20 Jahre lang die Integrationsfigur der CDU in Niedersachsen gewesen, sein politischer Weg sei von vielen großen Erfolgen, aber auch schweren Enttäuschungen geprägt gewesen. So habe er zweimal, bei der Landtagswahl 1970 und der Landtagswahl 1974, mit einem schwungvollen und leidenschaftlichen Wahlkampf glänzende CDU-Ergebnisse erzielt – doch die Machtperspektive blieb beide Male der Partei verwehrt. Er konnte, obwohl Spitzenkandidat, nicht Ministerpräsident werden. 1974 sei der Landtagswahlkampf kurz vor dem Wahltermin durch den Kanzlerwechsel von Willy Brandt zu Helmut Schmidt überschattet worden – plötzlich habe Landespolitik keine Rolle mehr gespielt. „Ein Mandat fehlte der CDU zur Mehrheit – und ich selbst kann sehr gut nachvollziehen, wie bitter dieser Moment für ihn gewesen sein muss“, sagte McAllister. McAllister selbst hatte bei der Landtagswahl 2013 mit einem hauchdünnen Ergebnis gegen Rot-Grün verloren – auch damals lag die Mehrheit für die neue Koalition bei nur einem Mandat im Landtag.
McAllister sprach aber auch von einem „schelmischen Schicksal, das für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen kann“ – und er meinte damit die geheime Ministerpräsidentenwahl im Landtag 1976, bei der die CDU dann doch, verursacht durch Überläufer von SPD oder FDP oder beiden, ihren Kandidaten Ernst Albrecht zum Erfolg bringen konnte. Die „perfekte Arbeitsteilung“ habe damals begonnen: Albrecht als Ministerpräsident, der „im Schaufenster stand“, wie Hasselmann es einmal formulierte, und Hasselmann selbst „hinten an der Theke“. McAllister zitierte Albrecht, der selbst einmal das Erfolgsrezept der Aufteilung zwischen den Ämtern des Regierungschefs und des Parteivorsitzenden so beschrieben hat: „Es funktioniert, wenn der eine nicht nach dem Amt des anderen trachtet.“
Der Politikstil Hasselmanns, die Menschen für die Sache und die Partei zu begeistern, das Gefühl von Wärme und Zusammengehörigkeit zu vermitteln, ist nach den Worten von McAllister (Jahrgang 1971) für ganz viele in seiner Politiker-Generation wichtig gewesen. „Er hat etwas vermittelt, das uns bewegt hat – bis heute“, sagte McAllister. In der Endphase der Regierung Albrecht, die nach der Landtagswahl 1986 begann, habe die SPD dann versucht, „unseren Sympathieträger Hasselmann dauerhaft zu beschädigen“. Es seien teilweise abstruse Vorwürfe geäußert worden – und im Untersuchungsausschuss zur Spielbank-Lizenzvergabe habe Hasselmann dann einräumen müssen, nicht korrekt auf die Frage der Annahme von Spenden geantwortet zu haben. Natürlich hatte die CDU, wie die anderen Parteien auch, Spenden erhalten. Aber Hasselmann habe ungefragt etwas geäußert, was nicht belastbar war. Der Grund sei wohl gewesen, dass er sich wirklich nicht habe erinnern können. Diese bitteren Stunden, die in seinen Rücktritt als Innenminister 1988 mündeten, hätten Hasselmann tief verletzt – vor allem die Unterstellung, er habe gelogen. Aber auch als nicht mehr aktiver Politiker habe Hasselmann Verbindungen zu den Leuten gehalten – „selbst dann noch, als diese für ihn keinen politischen Wert mehr hatten“. Dieses Zitat von Helmut Rieger, einem engen Wegbegleiter und Journalisten, treffe es gut.
In einer Podiumsdiskussion befragte Moderatorin Isabel Link drei Zeitzeugen, die Hasselmann aus unterschiedlichen Zusammenhängen erlebt und ihn begleitet hatten. Der damalige Student Jochen-Konrad Fromme, später Bundestagsabgeordneter, lernte Hasselmann eher zufällig kennen – und geriet plötzlich als junger Mann in eine Zusammenkunft hochrangiger CDU-Funktionsträger. „Wenn er mit einem sprach, hatte man immer das Gefühl, dass er einen sehr ernst nahm und dass man ganz normal mit ihm reden konnte. Er strahlte Vertrauen und Warmherzigkeit aus“, erinnert sich Fromme. Hartwig Fischer, der 1986 CDU-Generalsekretär wurde, berichtet von einer „schwierigen Aufgabe“, die der CDU-Landeschef Hasselmann ihm damals gab: Fischer sollte einige Landtagsabgeordnete der CDU begleiten, ihnen Hinweise geben und schauen, ob sie ihren Aufgaben gewachsen sind. „Das hat er aber umsichtig und taktvoll getan – und später hat er selbst mit den Betroffenen gesprochen“, erläuterte Fischer. Wenn es um unangenehme Personalentscheidungen ging, habe für ihn die menschliche Seite immer eine große Rolle gespielt. Der Journalist und Historiker Klaus Wallbaum sagte, Hasselmann sei sicher auch – wie alle Spitzenpolitiker – zu Intrigen in der Lage gewesen. Aber das habe er immer so verstanden, dass niemand dabei persönlich verletzt oder herabgewürdigt werden durfte. Er habe nie aus Boshaftigkeit Menschen gegeneinander ausgespielt – und das sei der Grund, warum er bis heute so beliebt sei. Die Verlogenheit und Illoyalität des Politikbetriebs habe Hasselmann verletzt, er sei mit der Unaufrichtigkeit nicht gut zurechtgekommen. Auch das Gespann Albrecht-Hasselmann sei für Hasselmann nicht immer leicht gewesen. Denn es sei ja Albrecht gewesen, der den Takt bestimmte.
Fromme meinte, die preußischen Tugenden wie Pflichterfüllung, Verantwortungsbewusstsein, Disziplin und Loyalität seien maßgeblich für Hasselmanns Verhalten gewesen. Fischer erinnert sich daran, dass Hasselmann nach 1990 ein klärendes Gespräch mit Gerhard Schröder gehabt habe, der damals Ministerpräsident war. Es sei um den Spielbank-Untersuchungsausschuss gegangen. „Hasselmann sagte mir, dass Schröder nun ,seine Ehre wieder hergestellt‘ habe.“ Schröder habe nämlich zugegeben, dass die SPD-Kampagne gegen Hasselmann übertrieben gewesen sei und nur dem Zweck gedient habe, einen Keil in die CDU zu treiben.
Zum Abschluss der mehrstündigen Festveranstaltung wurde die Frage diskutiert, was von Hasselmann bleibe. Fischer erwähnte das „klare Wertegerüst“ von Hasselmann, seine Verwurzelung in klaren Vorstellungen. Fromme erwähnte seine Verbindlichkeit und Neigung, Menschen zusammenzuführen. Ideologie und Verblendung seien ihm fremd gewesen, er habe Politik mit Geselligkeit und Humor betrieben. Wallbaum nannte drei Faktoren für Hasselmanns Erfolg: eine klare, schnörkellose Sprache, die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen und die Freude am Kontakt mit Menschen, die Zugewandtheit. Erwähnt wurden noch die Ereignisse 1969 und 1970, als der CDU-Landtagsfraktionsvorsitzende Bruno Brandes versucht habe, mit Hilfe von Überläufern – auch aus der NPD - in einem konstruktiven Misstrauensvotum im Landtag den Ministerpräsidenten Georg Diederichs (SPD) zu stürzen. Diesem Versuch, der einen Pakt mit NPD-Leuten gleichgekommen wäre, hatte sich Hasselmann widersetzt – und eine vorzeitige Auflösung des Landtags in die Wege geleitet. Eine Kooperation mit Rechtsextremisten sei für ihn nicht in Frage gekommen.
In der Veranstaltung erwähnt wurden drei enge Weggefährten, die nicht dabei sein konnten: Jürgen Gansäuer, der wegen der Erkrankung seiner Frau kurzfristig absagen musste, der frühere CDU-Generalsekretär Dieter Haaßengier, der 2023 verstorben ist, und der langjährige enge Mitarbeiter Martin Biermann, der an diesem Tag verhindert war. Sie zählten – neben anderen – zu den engsten Vertrauten und Begleitern.
Die Niedersachsen-CDU hat ihre Landesgeschäftsstelle in Hannover nach dem Tod des Ehrenvorsitzenden in „Wilfried-Hasselmann-Haus“ umbenannt. Keinem anderen hätte die Partei wohl diese Ehre zuteil werden lassen.
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