Mit dem fortschreitenden Verlust der Zeitzeugen verlieren wir authentische Berichterstatter. „Die Gegenwart ist im Wesentlichen ein Produkt der Vergangenheit; und die Zukunft ist nur schwer zu bewältigen, ohne Bewusstsein von dem, was früher war. Deshalb ist der Geschichtsunterricht in der Schule so wichtig – nicht nur, aber insbesondere auch mit Blick auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte“, betonte Professor Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, in seiner Einführung. Denn das NS-Unrecht und der Widerstand dagegen dürfen auf keinen Fall in Vergessenheit geraten, forderte Professor Robert von Steinau-Steinrück, Vorstandsvorsitzender der Stiftung 20. Juli 1944 in seiner Begrüßung: „Lasst uns überlegen, wie wir einen Beitrag leisten können, dass junge Menschen anhand dieser Lehren aus der Vergangenheit den Extremisten von heute und von morgen entgegentreten können.“
„Junge Menschen wollen selbst entdecken“
Aus diesem Grund werden im Schulunterricht die Zeit des Nationalsozialismus und der Widerstand gegen die Gewaltherrschaft behandelt. Denn einerseits könne die „Befassung mit Opfern und Tätern“ helfen, „die Funktionsweise einer Diktatur zu erschließen“, andererseits geben die Lehrer ihren Schülern dadurch „Raum für Diskussionen über Handlungsmöglichkeiten und Risiken“, wie man sich – auch in vermeintlich aussichtlosen Situationen – ethisch richtig verhalten könne, erläuterte Karin Prien. Die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswig-Holstein sprach über die Behandlung des Widerstands im Schulunterricht und berichtete dabei, wie vielfältige schulische Aktionen oder Ansätze Kompetenzen vermitteln mit dem Ziel: Die Schülerinnen und Schüler sollten sich „selbständig und nicht nur angeleitet mit der NS-Geschichte auseinandersetzen“. Die Aufgabe der Schule sei es deswegen, „den Jugendlichen (…) das richtige Werkzeug mitzugeben, denn junge Menschen wollen selbst entdecken“. Sie warb dafür, in der Geschichtsvermittlung neue Zugänge zu schaffen und dabei auch biografische Zugänge zu wählen. Denn diese erlauben es, „individuelle handlungsleitende Einstellungen zu untersuchen“.
„Motivation schaffen, sich intensiver damit auseinanderzusetzen“
In der anschließenden, von Sven Felix Kellerhoff (Leitender Redakteur Zeit- und Kulturgeschichte, Die WELT) moderierten, Diskussionsrunde sprachen Bildungsexperten mit Schülern des Berliner Willi-Graf-Gymnasiums über ihre Erfahrungen mit dem Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Zwar hatten sowohl Janina Kagermann als auch Yazan Omran (beide Klassenstufe 11) den Widerstand im „Dritten Reich“ noch nicht im Unterricht behandelt, aber er ihnen präsent: Omran zum Beispiel „hat es interessiert, wie es in einer Diktatur dazu kommen kann, dass Menschen ihr Leben riskieren“. Deshalb informierte er sich selbst im Internet und über Videodokumentationen, beispielsweise über Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Und Kagermann berichtete von der täglichen Konfrontation mit dem Namensgeber ihrer Schule auf den Fluren des Gymnasiums: „Auf allen Gängen finden wir Tafeln über Willi Graf, sein Leben, seine Biografie. Wir wurden auch immer angeregt, uns damit auseinanderzusetzen.“ Beide Beispiele zeigen: Über die Beschäftigung mit den Menschen, die tatsächlich Widerstand geleistet haben, kann Vermittlung erfolgreich funktionieren. Denn es ist „einfacher, wenn man einen Bezug hat“, bestätigte der Jesuitenpater und ehemalige Gymnasialrektor Klaus Mertes. Schüler sollten beispielsweise verstehen, dass die „Personen im Widerstand (…) auch Erkenntnisse durchlaufen“ mussten, „die dazu führten, dass sie in den Widerstand gegangen sind“, so Mertes. Er empfahl über Projekte hinaus auch Rituale an den Schulen einzuführen und beispielsweise jährlich zum Todestag des Namensgebers zusammenzukommen. Das schaffe eine Öffentlichkeit und „würde Motivation schaffen, sich intensiver damit auseinanderzusetzen“.
„Widerstand ist gesetzt und das ist auch gut so“
Karin Prien hatte in ihren Ausführungen darauf hingewiesen, dass jede Generation ihre Fragen an den Widerstand neu definiere. Umso wichtiger sei die feste Verankerung des Themas im Lehrplan: „Widerstand ist gesetzt und das ist auch gut so“, sagte Alfons Kenkmann, Professor für die Didaktik der Geschichte an der Universität Leipzig. Während früher der militärische Widerstand und die Geschwister Scholl im Fokus gestanden hätten, sieht er heute ein „breites Spektrum abgebildet“, jetzt sei beispielsweise auch der Rettungswiderstand im Blickpunkt. Wie genau Inhalte vermittelt werden, das hänge von den Lehrern ab, ergänzte Professor Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Er sieht anhand der Besucherzahlen seiner Einrichtungen einerseits ein starkes Interesse am Thema und warnte andererseits davor, bei den vielen Widerstandsbegriffen keine Ebenen zu vermischen: „Widerstand ist etwas, das wir gegen eine Diktatur leisten.“ In den letzten Jahren sei es zu einem „Missbrauch des Widerstandsbegriffs für politische Bewegungen“ und einer „Vereinnahmung gerade des militärischen Widerstands, aber auch von Hans und Sophie Scholl“ gekommen, kritisierte Tuchel.
„In der Schule legen wir einen wichtigen Grundstein für Freiheit und Demokratie“
Für Norbert Lammert stand fest: Auch um solchem Missbrauch entgegenzutreten, erinnern die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Stiftung 20. Juli 1944 jedes Jahr „an die mutigen Männer und Frauen, die Widerstand geleistet haben gegen das nationalsozialistische Terror-Regime. Ihr Vermächtnis gilt es den nachkommenden Generationen zu vermitteln, sodass sie den extremistischen Gefahren unserer Zeit begegnen können.“ Und das muss bereits in der Schule beginnen, fasste Karin Prien zusammen. Ihr Fazit: „Sich eine eigene Meinung zu bilden, das geht nicht von heute auf morgen, aber in der Schule legen wir einen wichtigen Grundstein für Freiheit und Demokratie.“
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