Starmer-Regierung: Ein schwieriger Start
Der Regierungsantritt von Sir Keir Starmer war nicht der Aufbruch, den sich viele erhofft hatten. Es war ein schlechter Start, so schlecht, dass, wenn Starmer die Dinge nicht in den Griff bekommt, sich bald die Frage stellen könnte, ob er die Partei in die nächsten Wahlen führen kann. Seine Popularitätswerte sind überraschend niedrig. Laut einer Ipsos-Umfrage ist Starmer der unbeliebteste Premierminister nach so kurzer Amtszeit. Und das liegt nicht nur an seiner Person. Starmers Agenda findet in der Bevölkerung weit weniger Unterstützung, als seine parlamentarische Mehrheit vermuten lässt. Die zahlreichen Umfragen, die die Wahlabsichten der Wähler für die einzelnen Sitze analysieren, deuten darauf hin, dass die Labour-Partei zwischen 150 und 200 Sitze verlieren könnte. Und das nur wenige Monate nach der Regierungsübernahme.
Die ersten sechs Monate der Labour-Regierung waren geprägt von Korruptionsskandalen, politischen Fehlentscheidungen wie die Kürzung der Winterhilfe für die Rentner, schlechter öffentlicher Kommunikation und einer rezessiven Wirtschaft. Sie erweckte den Eindruck eines unprofessionellen und unvorbereiteten Umgangs mit den drängenden Problemen des Landes, die alles andere als neu sind. Die drei drängendsten Anliegen der Bevölkerung - Migration, Gesundheitspolitik und Lebenshaltungskosten - sind nicht nur ungelöst, sondern die Bemühungen der Regierung in diesen Bereichen wirken unkoordiniert und schwach.
Im Juli 2023 fand Focaldata heraus, dass 45 Prozent der Öffentlichkeit glaubten, Labour sei die beste Partei, um das Gesundheitssystem NHS zu reformieren. Heute sind es nur noch 31 %. Ebenso waren im Juli letzten Jahres 38 Prozent der Meinung, dass die Labour-Partei am besten in der Lage sei, die steigenden Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen. Heute sind es nur noch 24%. Das drittwichtigste Thema für die britische Öffentlichkeit ist die Migration. Jüngste YouGov-Daten aus dem monatlichen Immigration Tracker zeigen, dass 70 Prozent der Briten der Meinung sind, dass die Einwanderung in den letzten zehn Jahren zu hoch war. Auch in anderen Fragen der inneren Sicherheit sieht es für Labour nicht besser aus. Sie liegt sowohl hinter den Konservativen als auch hinter Reform UK als der Partei, die laut Umfragen am besten in der Lage ist, Kriminalität zu bekämpfen.
Unbeholfen wirken Starmer und sein Team auch bei den selbst gesteckten politischen Zielen, die die Regierung unter seiner Führung erreichen will. Unter anderem verkündete er das Ziel, Großbritannien zur “nachhaltig höchsten Wachstumsrate unter den G7” zu verhelfen und versprach, keine Steuern zu erhöhen. Nur wenige Monate nach Amtsantritt verabschiedete die Regierung einen Haushalt, der Steuererhöhungen in Höhe von 40 Milliarden Pfund vorsah. Während Vertreter der Labour Party dies auf das unerwartet schlechte finanzielle Erbe der Tories zurückführten, entstand in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Regierung Starmer habe keinen wirklichen Plan. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als der Premierminister im Dezember einen als “Reset” geplanten Auftritt nutzte, um zwei “Prioritäten”, drei “Säulen des Wachstums”, sechs “erste Schritte” und sechs “Meilensteine” anzukündigen. Starmers Neuformulierung der Regierungsvision wirkte nicht nur verschachtelt und intransparent, sondern distanzierte sich auch vom Wachstumsziel. Zunächst muss es darum gehen, Investitionen zu erhöhen. Nicht nur, dass kurz vor der Ankündigung die Kosten für britische Staatsanleihen auf den höchsten Stand seit 16 Jahren gestiegen waren. Presse und Meinungsforschungsinstitute stellten der neuen Regierung ein miserables Zeugnis aus. Die Umfragewerte für die Labour-Partei fielen von einem Spitzenwert von 45 Prozent im Wahlkampf auf 34 Prozent und auf nur noch 28 Prozent im Januar 2025.
Damit nicht genug, wird Starmer auch noch von Elon Musk getrieben, der auf seinem Kurznachrichtendienst X offen und ständig gegen den britischen Premierminister und seine Labour-Regierung hetzt und die britische politische Tagesordnung zu dominieren sucht. Die Mitte-Links-Regierung des verbündeten Königreichs ist dem Milliardär offenbar ein Dorn im Auge und würde gerne Neuwahlen sehen oder gar das Land „von seiner tyrannischen Regierung befreien“.
Die Badenoch-Conservatives: Orientierungslos
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Schwäche der Regierung hätte man erwarten können, dass die Conservatives von der Misere der Labour-Regierung profitieren würden. Doch “His Majesty’s Most Loyal Opposition” macht derzeit einen fast ebenso getriebenen Eindruck wie ihre traditionellen Rivalen von Labour. Tatsächlich stehen die Tories vor massiven internen und externen Herausforderungen. Nach der historischen Wahlniederlage im vergangenen Jahr, der schlimmsten in der Geschichte der Partei, müssen sie nun darum kämpfen, ihre Rolle als wichtigste Oppositionspartei zu verteidigen.
Nach ihrer Wahl zum Leader der Opposition, hatte Kemi Badenoch klargemacht, dass sie die Partei strategisch neu ausrichten, ideologisch zu den Wurzeln Margaret Thatchers zurückführen und strukturell erneuern wolle. Diese ehrgeizigen Ziele scheinen jedoch schwieriger umzusetzen zu sein als ursprünglich angenommen. Zum einen, weil der Glaubwürdigkeitsverlust der letzten Regierungsjahre noch immer nachwirkt. Hinzu kommt aber auch, dass die aktuelle Führung statt einer auf eigenen Prinzipien beruhenden Politik einen reaktiven, wenig zielstrebigen und eher orientierungslosen Eindruck macht, gerade wenn es um sozialkonservative Themen wie Wachstum, Migration und Kriminalität geht.
Die Conservatives fallen derzeit kaum durch eigene Akzente in der öffentlichen Debatte auf, sondern agieren eher als „Trittbrettfahrer“, indem sie auf populistische und radikale Narrative zurückgreifen, was ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und Kompetenz schadet. Besonders deutlich wurde dies in der von Elon Musk Ende Dezember 2024 befeuerten Diskussion um “Grooming Gangs”. Als Musk am Neujahrsabend einen entsprechenden Beitrag auf X teilte, trat er in Großbritannien eine politische Lawine los, die den alten Missbrauchsskandal um mehrere Pädophilenringe meist pakistanischstämmiger Männer auf einen Schlag ins Zentrum der öffentlichen Debatte rückte. Insbesondere die Reform-UK griff das Thema prominent auf, forderte eine Aufarbeitung und setzte Keir Starmer, den damaligen Leiter der britischen Staatsanwaltschaft, unter Druck. Badenoch schien ihrerseits getrieben und gehetzt. Sie schloss sich Elon Musks Forderung nach einer nationalen Untersuchungskommission an, obwohl sie in den Jahren zuvor als Familienministerin selbst hätte aktiv werden können.
Badenoch selbst bleibt für viele ein Rätsel. Seit ihrer Wahl zur Parteichefin hat sie nur wenige öffentliche Auftritte gehabt. Ihre Positionen — ein kleiner Staat, niedrigere Steuern, Skepsis gegenüber „Netto-Null“-Zielen und Ablehnung „woker“ Politik — sprechen die konservative Parteibasis an, doch bislang konnte sie keine klare Strategie präsentieren, wie sie die Partei zwischen der Labour-Regierung und der rechtspopulistischen Reform Party positionieren soll. Der offensichtliche Rechtsruck verstärkt die Vertrauenskrise in die Tory-Partei, da der Versuch, Reform UK in Rhetorik und Ausrichtung zu imitieren, nicht nur die eigene Glaubwürdigkeit untergräbt, sondern auch moderate Wähler und Teile der Parteibasis verprellt, ohne im rechten Spektrum tatsächlich auch punkten zu können. Kritiker innerhalb und außerhalb der Partei warnen jedoch, dass die Zeit drängt. Die konservative Partei ist bekannt für ihre Neigung, Parteiführer schnell zu ersetzen; seit 2016 hatten die Tories bereits fünf Parteichefs. Badenoch muss daher bald Erfolge vorweisen, um ihre Position zu festigen. Ihre Unterstützer hoffen, dass sie in den kommenden Monaten kämpferischer auftreten wird. Doch die Partei befindet sich an einem Scheideweg, und ihre Zukunft hängt stark davon ab, ob Badenoch es schafft, sowohl die internen Zweifel zu überwinden als auch den wachsenden Druck von Reform UK abzuwehren. Die bevorstehenden Lokalwahlen im Mai 2025 werden für Badenoch entscheidend sein.
Farage und die Reform UK: Im Aufwind
Die Krise der Tories steht in engem Zusammenhang mit dem Erstarken der Reform Partei unter Nigel Farage. Er wirbt den Tories Themen, Mitglieder und Spender ab. Beobachter halten ihn für den wahrscheinlicheren Nachfolger von Premierministerin Starmer als Oppositionsführerin Badenoch. Farage, der durch seine Präsenz in den sozialen Medien, insbesondere auf TikTok, ein breites Publikum erreicht, will die Kommunalwahlen im Mai 2025 nutzen, um seine Partei weiter als ernstzunehmende politische Kraft zu etablieren. Reform UK hat die Conservatives inzwischen bei den Mitgliederzahlen überholt. Mit einem beeindruckenden Mitgliederzuwachs auf über 130.000 und einem Umfragewert von 24 Prozent, der die Partei vor den Tories und nur knapp hinter Labour sieht, untermauert sie ihre wachsende Bedeutung. Allein im Dezember gewann Reform UK 50.000 neue Mitglieder, darunter mehrere ehemalige Tory-Politiker. Darüber hinaus zeigen Umfragedaten, dass 22 Prozent derjenigen, die bei den letzten Wahlen für die Konservativen gestimmt haben, bereits zu Reform gewechselt sind.
Nigel Farage, Architekt des Brexits und enger Vertrauter von Donald Trump, gilt auch in den Umfragen als Favorit für das Amt des Premierministers. Laut einer YouGov-Umfrage vom 16. Januar liegt er mit 20 Prozent Zustimmung nicht nur deutlich vor Kemi Badenoch (9 Prozent), sondern auch knapp vor Premierminister Starmer (19 Prozent). Nur 50% der Labour-Wähler würden Starmer weiter unterstützen. Und 24% der Tory-Wähler würden eher für Farage als für die neue Parteivorsitzende der Conservatives stimmen.
Mit nur fünf Abgeordneten im Parlament konnte sich die Partei als dominanter politischer Akteur etablieren. Sie haben alle einen Tory-Hintergrund, sind männlich und gehören zu den Reichen des Königreichs. Unter den fünf MPs ist Richard Tice der wohl bekannteste Reform-Abgeordnete nach Nigel Farage. Tice war 2024 als Parteivorsitender in den Wahlkampf gezogen, hatte die Führung von Reform UK jedoch vor den Wahlen an Farage übergeben, als dieser überraschend ankündigte, doch als Abgeordneter kandidieren zu wollen. Gemeinsam mit Farage hatte Tice eine führende Rolle in der pro-Brexit Kampagne gespielt, und war bis 2019 Parteimitglied und Großspender der Tories gewesen. Rupert Lowe, der ehemalige Vorsitzende von Southampton FC, konnte ebenfalls einen Wahlkreis für Reform UK gewinnen. Während er nach einer erfolgreichen Karriere in der Londoner City bereits 2019 kurzzeitig Abgeordneter der Brexit Partei war, rückte ihn erst die Unterstützung Elon Musks als möglichen Ersatz von Farage im Januar 2025 ins Rampenlicht. Lee Anderson, der dritte Reform MP, war nicht nur wie Tice ein lebenslanger Tory, sondern sogar bis Januar 2024 stellvertretender Parteivorsitzender der Conservatives. Nur einen Monat nachdem von diesem Amt zurückgetreten war, um in einer Abstimmung über den Rwanda Plan der Regierung gegen die Parteilinie zu stimmen, wurde er von der Tory Fraktion ausgeschlossen. Neben diesen vier relativ prominenten Persönlichkeiten ist James McMurdock, ein politischer Neuling und ehemaliger Goldman Sachs Banker, ebenfalls für Reform ins Unterhaus eingezogen.
Der Erfolg der Partei gründet aber vielmehr in der Fähigkeit von Nigel Farage, sich abzeichnende Trends und konservative Anliegen in der öffentlichen Meinung aufzugreifen und das eigene Profil zu schärfen: Eine harte Haltung gegen Kriminalität und Migration und ein klares Bekenntnis zur britischen Identität. Gleichzeitig achtet Farage darauf, sich nicht zu weit rechts zu positionieren und nicht mit der kontinentaleuropäischen Rechten in einen Topf geworfen zu werden. Damit macht er seinen Anspruch deutlich, auch die konservative Mitte anzusprechen und die Tories möglicherweise abzulösen. Beispielhaft dafür ist seine klare Distanzierung vom Rechtsextremisten Tommy Robinson. Farage hat dafür sogar den Bruch seiner Freundschaft mit Elon Musk in Kauf genommen und betont immer wieder, dass für Rassisten und Kriminelle wie Tommy Robinson kein Platz in seiner Partei sei. Musk hatte über X die Freilassung von Tommy Robinson gefordert, den er als «politischen Gefangenen» bezeichnet. Robinson verbüßt seit Ende 2024 eine Haftstrafe, allerdings nicht wegen politischer Äußerungen, sondern weil er sich vorsätzlich gerichtlichen Anordnungen widersetzt hatte.
Mit der Ernennung des britischen Immobilienmilliardärs Nick Candy zum Schatzmeister von Reform UK zielte Nigel Farage darauf ab, die wirtschaftspolitische Kompetenz seiner Partei zu stärken. Interessanterweise vertritt Farage in wirtschaftspolitischen Fragen jedoch Positionen, die eher dem linken als dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. So befürwortet er die Renationalisierung der Wasserindustrie und verfolgt einen protektionistischen Ansatz in der Stahlindustrie. Diese Positionen könnten insbesondere in den postindustriellen Regionen der Midlands und des Nordens wahlentscheidend sein. Gleichzeitig stehen sie jedoch im Widerspruch zur konservativen Doktrin eines schlanken Staates.
Die Parteienlandschaft im Umbruch
In der politischen Landschaft des Vereinigten Königreichs verschieben sich die Kräfteverhältnisse. Die Labour-Regierung steht unter erheblichem Druck, Ergebnisse zu liefern und ihre Position zu stärken. Wenn Keir Starmer nicht bald aus seinen Fehlern lernt, eine klare Wachstumsstrategie und überzeugende Ergebnisse vorlegt, könnten die Kommunalwahlen im Mai 2025 zu einem Weckruf für seine Partei werden. Sie muss nun alles daransetzen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Die Conservatives befinden sich in einer existenziellen Krise und müssen sich strategisch neu ausrichten, um sich als glaubwürdige und starke Opposition etablieren zu können. Andernfalls laufen sie Gefahr, von Reform UK weiter verdrängt oder gar übernommen zu werden. Vor allem darf die Partei einer offenen Auseinandersetzung über den Umgang mit Reform UK nicht länger ausweichen. Sonst könnte aus der Niederlage der Tories ein Niedergang werden.
Farages Partei Reform UK ist der „lachende Dritte“ in diesem politischen Gefüge. Sie füllt das durch die Schwäche der beiden großen Parteien entstandene Vakuum und könnte sich langfristig als relevante politische Kraft etablieren. Ob dies eine dauerhafte Veränderung der britischen Politik darstellt, bleibt abzuwarten. Vor dem Hintergrund eines globalen Trends hin zu rechtspopulistischen Bewegungen scheint jedoch eine neue Ära angebrochen zu sein, die die politische Landschaft Großbritanniens grundlegend verändern könnte.
In der britischen Politik war der Aufstieg einer neuen Partei stets ein Zeichen für den Beginn einer neuen Epoche. Während der Erfolg der Labour Party im frühen 20. Jahrhundert die politische Mobilisierung der Arbeiterklasse verkörperte, läuteten die Conservatives unter Thatcher die Ära der libertären Marktwirtschaft ein. Der Aufstieg von Reform UK könnte, wenn nicht das Ende des Liberalismus, so doch das Ende des liberalen Konsenses im Vereinigten Königreich bedeuten.
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