So ein Steinschlag auf Helmvisier oder Windschutzscheibe kann schon recht ärgerlich sein. Aber: Was passiert, wenn ein Stück Weltraumschrott auf eine Raumfähre oder einen Satelliten trifft? Vor zwei Monitoren stehen wir am Mitwochmorgen in einem Labor des Fraunhofer Ernst-Mach-Institutes in Freiburg. Rechts im Bild die Entwicklung von Himmelskörpern im Orbit der Erde. Jahr für Jahr mehr. Ab 2010 wimmelt es förmlich. Um die Erde fliegt ein ganzer Haufen Schrott.
Links davon ein Projektil, das in drei Stadien eines Durchschlags durch eine Stahlplatte fotografiert wurde. „So ein geostationärer Satellit ist mit gut drei Kilometern pro Sekunde unterwegs, erklärt uns Raumfahrtexperte Robin Putzar. Gar nicht so einfach, solche Bedingungen nachzustellen. Beim EMI in Freiburg kann man das aber. Im langen Raum mit den Monitoren steht eine eigenartige Konstruktion: Ein langes Rohr mit vielen Apparaturen drumherum, das in einen kesselförmigen Behälter führt. "Das ist eine Leichtgaskanone", erklärt Putzar. "Unsere space gun", die Weltraumkanone. Auf über 10.000 Bar komprimierter Wasserstoff, der duch sein geringes Molekülgewicht schneller expandieren kann als eine pyrotechnische Treibladung, beschleunigt ein Projektil auf bis zu elf Kilometer pro Sekunde. Und gleich die Nachfrage eines Teilnehmers: „Mach wieviel ist das?“. Mach 1 ist Schallgeschwindigkeit, also 333 Meter pro Sekunde. So ungefähr Mach 33 also. Was das mit den beschossenen Objekten macht, sehen wir in der Vitrine daneben: zerborstene Metallplatten, Kevlareinlagen, Aluminiumzylinder. Welche Windschutzscheibe hält das aus? Und wie schützt man einen Satelliten?
Nicht nur für die Raumfahrt ist Sicherheit vor schnellen Objekten wichtig. Auch für den Verteidigungsbereich. Oder beides. Im Ernst-Mach-Institut für Kurzzeitdynamik geht es um beides. Wir stehen mit Dr. Martin Schimmerohn im Satelite Lab, einem weiteren Labor des EMI, vor einem hübschen kleinen Kasten mit Solarpanels. Zusammengeklappt, so denken hier wohl einige, würde das Ding in einen Motorradkoffer passen. „Ernst“ heißt der Mini-Satellit. Das klingt lustig. Ist es aber nicht. „Ernst“, dessen Prototyp wir sehen (aber natürlich nicht fotografieren dürfen) soll Infrarotstrahlung im Orbit messen, um Raketenflugbahnen zu erkennen. Im Verbund mit seinen Brüdern. Zur Steuerung der Abwehr.
Ganz schön viel Input! Der Schwerpunkt unserer Tour liegt auf Sicherheit und Innovation. Insgesamt 18 Motorradfahrerinnen und Fahrer (Männer sind – noch? – deutlich überrepräsentiert) haben sich aufgemacht. Manche bis aus Hamburg, Wilhelmshaven, Oldenburg. Rheinland-Pfalz, Ulm, Ludwigsburg, zwei Schweizer Kennzeichen sind auch dabei. Eines davon gehört Hans-Peter Willi, ehemaliger Schweizer Konsul mit Stationen u.a. in Vancouver, Stuttgart und Frankfurt! Er hat nicht nur maßgeblich unsere „Tour de Suisse“ 2018 vorbereitet. Auch diesmal nutzen wir seine Kontakte in die Schweiz, seine französischen Sprachkenntnisse und seine organisatorische Kompetenz. „Der Konsul“ ist zum lebendigen Inventar der Motorradtouren geworden. Mit dabei: Ein Oberst der FüAk, ein Oberstleutnant a.D., eine Unternehmerin, eine Expertin aus der Pharmaindustrie, ein Hochschuldozent und IT-Experte... Die Truppe ist bunt, neugierig und nimmt Erstlinge in der Runde mit herzenswarmer Offenheit auf.
"Ernst" erkennt Raketenstarts
Das Fraunhofer-Institut ist der zeitliche Scheitelpunkt unserer Tour. Es ist verbindendes Mosaiksteinchen in einem Bild, das unsere Besuche aus den ersten Tagen in unseren Köpfen hat entstehen lassen.
Am ersten Junisamstag haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Kloster Maria Hilf in Bühl bei Rastatt eingefunden. Eine Führung durch Schwester Anna-Miriam führt zu Beginn durch die Geschichte des Ordens, der Kongregation der Schwestern vom Göttlichen Erlöser. Es sind die Niederbronner Schwestern, denn der Stammsitz liegt in Niederbronn-les-Bains im Elsass. Die Barockdecke der Kapelle, in der wir uns versammelt haben, ist jung – das Kloster entstand ab 1919. Die Schwestern sind es nur noch selten. Nachwuchs ist rar. Schwester Anna-Miriam ist trotzdem stolz auf ihren Orden, der hinaus in die Welt zieht, um Menschen in Not und Armut zu helfen.
Der Kapitelsaal des Klosters ist Ort unserer Vorstellungsrunde. Dann Ziele, Strecken, Orte, Themen. Auch Erste Hilfe im Schnelldurchgang. Man weiß ja nie… Wir genießen Trockenheit und Wärme des Saales. Auf der Herfahrt goss es zeitweise in Strömen. Aber dann wurde es besser...
Bollwerk gegen Deutschland
„Die Decke ist viereinhalb Meter dick,“ berichtet Sonia, unsere Führerin, am Sonntagmorgen im Werk Simserhof der Maginot-Linie. Ein wenig Regen gab es noch bei der Fahrt über den Rhein in die Vogesen an dieses Werk der Festungslinie. Nach dem ersten „industriellen“ Krieg, dem Ersten Weltkrieg, wollte Frankreich nie wieder von deutschen Truppen überrannt werden. In einem gigantischen Kraftakt errichtete Frankreich die nach dem damaligen Kriegsminister André Maginot benannte, größtenteils unterirdische Festungskette entlang der Grenze von den Alpen bis vor das damals neutrale Belgien. „Und das hier ist das Begrüßungskomitee!“ Sonia zeigt auf ein Maschinengewehr, das von innen in den Bunkereingang ragt. „… falls es doch mal jemand hereinschafft!“
Die Maginot-Linie zeigt eindrücklich, wie der Krieg technologische Innovationsspiralen in Gang setzt. „Schweineschwänzle“, Stahlspitzen mit einer Schlaufe für Stachel- und Stolperdrähte, ragen noch heute aus dem Boden rund um das Fort. Einst lagen dazwischen noch Minen. „Da dürfen Sie keinesfalls entlanggehen“, warnt sie. Im Inneren der Anlage High-Tech aus den 30er Jahren: Schiffsdiesel für die Stromgeneratoren, Luftfilter gegen Gasangriffe. Ein OP-Raum, der einem beim Gedanken, man müsse darin behandelt werden, Schauer über den Rücken jagt. Nasskalt ist es obendrein. Jahrein, jahraus um die 10 Grad. Zum Glück sind wir gut eingepackt.
Innovation braucht Bildung und Integration
Gestärkt durch Elsässer Küche geht es weiter ins Wehrhistorische Museum in Rastatt, wo uns ein Herr mit Dreispitz und „Krabbenstecher“, einem Paradesäbel, erwartet. Wir sind so perplex, dass wir fast salutieren. In der Stabsarztuniform der napoleonischen Grande Armée (so um 1800) steckt Michael Wemhöhner, der uns durch die technologische Entwicklung der Kriegstechnik führt. Der Dreißigjährige Krieg – wieder ein Innovationstreiber. „Mit dieser Hellebarde können Sie zuschlagen, zustechen – und wenn sie etwas spät dran sind, geht es mit diesen Spitzen an die Fesseln des Pferdes.“ Ein paar tausend Miniaturfiguren stellen Napoleonische Schlachten nach. Rüstungen, Schwerter, Kanonen. So schön die Ausstellung im Museum des Rastatter Schlosses auch ist – keiner möchte je den Effekt der Ausstellungsstücke spüren. Und doch üben sie Faszination aus. Auch auf Michael Wemhöhner, der zu nachgestellten Schlachten reist und die Geschichte militärischer Operationen und von Militärmedizin zu seinem Lebensthema erkoren hat. „Wir kommen wieder!“ rufen wir zum Abschied. Schnell wieder ins Kloster. Denn dort wartet der Landtagsabgeordnete aus dem Kreis Rastatt Alexander Becker auf uns.
Ohne Bildung keine Innovation: Schon beim Abendessen am Sonntagabend im Kloster geht es ans Eingemachte: Schulstruktur, Integration, Spracherwerb, Grundschulempfehlung. Alexander Becker muss sich am Abend viel Frust auch von Eltern aus anderen Bundesländern anhören. Der Christdemokrat, von Hause aus Musiker und Musikwissenschaftler, weicht keiner Frage aus, flüchtet sich in kein Blame-Game mit dem grünen Koalitionspartner. „Mit der Dreistufigkeit von Schulempfehlung, Elternwille und einem objektiven Test haben wir einen guten Weg eingeschlagen, der die Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern achtet, die Eltern respektiert und etwas Subjektivität aus dem Verfahren nimmt“, erklärt Becker. Lösen kann er nicht alles. „Da sind dicke Bretter zu bohren!“ Vor allem eines gewinnt Becker durch Kompetenz und Offenheit:: Vertrauen. Davon lebt repräsentative Demokratie.
HK: Sicherheit aus dem Schwarzwald
Montagmorgen. Wir lassen das Kloster Maria Hilf hinter uns. Rein in den nebelnassen Schwarzwald. Regenkombi? Die einen sagen ja, die anderen sagen nein. Immerhin: Von oben kommt nur noch wenig. Nach der Geschichtsstunde in Rastatt wirkt unsere Fahrt nach Oberndorf wie ein technologisches Katapult: Maschinengewehr und Pistole statt Hellebarde und Armbrust. Wir sind zu Gast bei Heckler und Koch.
„So richtig ist die Zeitenwende bei uns noch nicht angekommen“, erklärt uns Vorstand Marco Geißinger, der selbst auch Motorrad fährt. Vorher haben wir etwas über die Geschichte von Heckler und Koch erfahren. Die Ursprünge. Gründer und Eigentümer heute. Firmenstruktur. Und: die „Produktpalette“. Jahreszahlen markieren die Innovationssprünge. 1959 kam das G3. Der Klassiker. Modern sah schon das G36 von 1995 aus. Ein Problem: Schwarzer Kunststoff ist zwar leicht. „Aber wenn es in der Sonne liegt und nur auf einer Seite warm wird, verändert das die Symmetrie. Wie bei einem Bimetall“, klärt uns Produktstratege Marc Roth auf. Die neuen Abkürzungen wie HK416 G95A1 sind dann nur noch was auf Insider. Immerhin vertrauen auch US-Spezialkräfte auf Sturmgewehre aus Oberndorf. Der Schmerz des missglückten Ausschreibungsverfahrens für die Bundeswehr ist noch spürbar. Aber jetzt haben sich Erfahrung und Präzision aus Oberndorf durchgesetzt.
Ab jetzt wird es wieder geheim. Front- und Rückkamera unserer Handys haben an der Pforte Klebesiegel bekommen. Absolutes Fotografierverbot. In der Produktionshalle stehen aufgereiht die neuesten, futuristisch wirkenden Sturmgewehre. In dicke Stahlzylinder werden Läufe gebohrt. Unter tonnenschweren Stahlhämmern werden sie lang, dünner und werden innen mit Zügen (spiralförmigen Nuten) versehen, die das Projektil rotieren lassen und so erst seinen präzisen Flug ermöglichen. Es riecht nach Metall und Öl. Hinter Plexiglas spritzen Wasserdüsen auf Fräsen, um die Eigenschaften des Spezialstahls zu erhalten. Der Schutz um den Lauf ist nun aus Alu. Mit höchster Präzision lassen sich Laser, Nachtsichtgeräte und Optiken anbringen. Qualität ist alles. So bitter es ist: Je besser die Waffen in den Händen unserer Soldaten, desto größer ihre Kampfkraft und damit ihr Schutz. „Si vis pacem para bellum“ – Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor, so die lateinische Weisheit. „Wir sind froh, dass sich das Image unserer Firma jetzt geändert hat“, sagt Geißinger. Ein angenehmer, nachdenklicher Manager mit Familie.
Später tauschen wir uns im "Showroom" über sicherheitspolitische Themen aus. Einige Teilnehmer (diesmal nur männliche) haben militärischen Hintergrund, berichten aus eigener Erfahrung mit dem Gerät. Um uns herum Vitrinen, die nicht nur die Modernität präsentieren, sondern auch die Entwicklungsgeschichte der Waffen. Die "Profis" unserer Tour tauschen kurz wissende Blicke aus.
Heckler und Koch lädt uns noch zum Mittagessen ein. Ein netter Austausch auch mit Vorstand Marco Geißinger über Politik, Sicherheit und – Motorradfahren. Dann geht es weiter nach Rottweil.
Rasender Paternoster in Star-Wars-Optik
Von 232 Metern schauen wir herab auf den braunen Neckar. Die Regengüsse der vergangenen Wochen haben Schlamm und Erde mitgenommen. Von Oberndorf sind wir zum TK-Testturm nach Rottweil gefahren. Wieder Technik. Wieder Innovation. Sicherheit nur im technischen, nicht im politischen Sinne.
In Windeseile und rund 30 km/h sind wir in einem Aufzug auf die Plattform gerauscht. „Wir haben den Transrapid und den Paternoster zusammengebracht!“ Zufrieden zeigt uns Beate Höhnle den futuristischen Aufzugschacht. Kabel, Spulen, Kühlrippen - eine drehbare Schiene erinnert an einen XS-Rangierbahnhof. “Damit können unsere seillosen Aufzüge auch quer fahren”, erläutert die Managerin des Test-Turms von TK Elevators, der heute nicht mehr zu Thyssen gehört. “Und wenn der Strom ausfällt?”, fragt besorgt ein Teilnehmer. “Wie alle Aufzüge ist auch dieser mit einem doppelten Sicherungssystem ausgestattet”, beruhigt Höhnle. Als wir kurz darauf mit fast 20 Personen mit über 30 Sachen auf die Aufsichtsplattform zischen, bin ich froh, dass wir nur in der “klassischen”, von Seilen beförderten Variante stehen. Meine Ohren spüren sehr deutlich den Druckunterschied auf 232 Meter. Belohnt werden wir dafür mit einer grandiosen Aussicht. Rottweil, die Alb, der randvolle, von den Regengüssen braun aufgewühlte Neckar. Kein Geländer. Dafür dicke Glasplatten für ungehinderte Sicht. Vorher haben wir die Gegengewichte im Turm gesehen, die Erdbeben in diesem tektonisch nicht ganz ruhigen Gebiet ausgleichen sollen. Auch zu kräftige Winde. Der Turm kann aber auch ins Schwingen gebracht werden, um das Verhalten der Aufzüge “unter Stress” zu erforschen. Am Tag unseres Besuches steht der mit einer Spezialplane bespannte Turm – sie soll Witterung und Windlasten kompensieren – felsenfest. Gottseidank!
Barock: Ganz schön politisch
Trocken kommen wir ins Kloster Sankt Peter, unserer nächsten Etappe für die kommenden beiden Nächte. Die Benediktiner-Mönche sind hier längst verschwunden. Der originale Barock ist aber geblieben, den uns Prof. Hans-Otto Mühleisen erklärt, der seit über 50 Jahren durch das Kloster führt.
Wir erfahren etwas vom Machtgefüge von Kirche und weltlicher Herrschaft ab dem Mittelalter. “Die Stimme des Abts von Sankt Peter hatte in der Freiburger Gesellschaft Gewicht,” erläutert der Professor für Politikwissenschaft, der an der Uni Augsburg vor allem Ideengeschichte lehrte. Auch die weltberühmte Bibliothek hatte etwas mit Machtanspruch zu tun. Sie sollte demonstrieren, dass das Kloster nicht wissenschaftsfeindlich sondern geradezu fortschrittsorientiert sein sollte. Die Bibliothek war aber nicht unumstritten. Auch Badener können offenbar knauserig sein. Ein Abt fand das Projekt zu kostspielig. Erst sein Nachfolger griff die Idee wieder auf und vollendete den Prachtbau. Im Festsaal spiegeln die Deckengemälde ebenfalls die Spannungen zwischen Klerus und weltlicher Herrschaft. Der Uhrenbau im Schwarzwald findet seinen künstlerischen Widerhall. Auch nach über 50 Jahren nimmt uns Prof. Mühlacker auf eine unterhaltsame und zugleich lehrreiche Reise durch die Epochen mit. “Da muss ich unbedingt nochmal hin,” schießt vielen durch den Kopf.
Beunruhigendes aus dem 3D-Drucker
Ganz schön viele Eindrücke begleiten uns bei den Gängen durch das Ernst-Mach-Institut. Unseren eigens für uns ausgeschilderten Parkplatz im Freiburger EMI haben verlassen, sind durch das Idyll des Markgräfler Landes (über eine sehr volle Bundesstraße) "gecruised". Nun sind wir am Standort bei Kandern angelangt, der aus unscheinbaren Hallen vor der Kulisse eines stillgelegten Steinbruchs besteht. “Wir sind zwar der kleinste Fraunhofer-Standort – aber der lauteste”, führt stolz einer der Forscher in den Standort ein, bei dem Sprengsätze, Waffen und Panzerungen unter realistischen Bedingungen getestet werden. Eine rund hundert Meter lange Halle für Tests mit Schusswaffen. Ein mit schweren Eisenbahnschwellen ausgekleideter Raum für explosivere Experimente. Im Nebenraum stehen acht Generatoren für Röntgenblitze. “Wir wollen ja nicht den Staub und den Rauch sehen, sondern das, was die Projektile und Testmaterialien machen”, erklärt uns der Experte.
Ein NATO-Sturmgewehr liegt auf einem Prüfstand. Der Abzug wird per Seilzug betätigt. Projektile treffen auf eine selbstheilende Polymer-Wand. Auch die Halterung ist NATO-Standard. “Bei besonderen Waffen entwerfen wir diese selbst”, so der stolze Kommentar eines Mitarbeiters. Arbeiten und forschen zwischen Computer und Schraubstock. Und alles im Dienst unserer Sicherheit. "Das ist auch ein Traumjob," findet der Fraunhofer-Mitarbeiter.
Die Aufgabe auch hier: Das Undenkbare denken, es antizipieren, schneller sein, als die Gegner der Freiheit. Mit mulmigen Gefühlen schauen wir auf Waffen, die im 3D-Drucker aus Kunststoff entstanden sind. “Die einfachen Dinger können nur einen Schuss abgeben. Nicht stabil. Mitunter eine Gefahr auch für den Schützen,” so Schaffner. Aber: Im Röntgengerät auf dem Flughafen bleiben die Kunststoffdinger verborgen. Puh!
Selbst panzerbrechende Munition ließe sich – mit überschaubarem Aufwand - im heimischen Hobbykeller herstellen. “Explosively formed penetrators” (EFP) bilden ihre Form erst durch die Explosion und durchdringen auch dicke Panzerungen. In Kandern und Freiburg testet man Aktivpanzerungen. Auch mehrschichtige Systeme, die Projektile erst zerlegen, um ihre Wucht auf mehr Fläche zu verteilen. Und Keramikplatten, die gepanzerte Glasscheiben mit deutlich weniger Gewicht ermöglichen. Spannend und zugleich schaurig ist der Besuch beim EMI. “Hoffentlich brauchen wir nie solchen Schutz,” denken wir auf dem Weg zum Mittagessen, bei dem wir den Kolleginnen und Kollegen des EMI noch ein paar (harmlose) Löcher in den Bauch fragen dürfen.
Müllheim im Markgräflerland: Eine Brigade für die Verständigung
Genau diesen so wertvollen Frieden zu erhalten, ist Aufgabe der Deutsch-Französischen Brigade in Müllheim im Markgräfler Land mit ihren 5500 Soldatinnen und Soldaten. Oberstleutnant Harald Franke begrüßt uns auf dem zentralen Antreteplatz in der Robert-Schuman-Kaserne. In der Hitze des Nachmittags suchen wir den Schatten unter den hohen Bäumen, die das Geviert umgeben. Eine Gruppe französischer Soldaten hatte uns freundlich eingewunken, um uns die Parkplätze zuzuweisen. Neugierige Augen mustern wohlwollend die Technik der durch und durch unmilitärischen Motorräder.
Freundlich war bereits die Vorbereitung des Besuchs durch die Brigade. Und es ist die gar nicht so selbstverständliche europäische Freundschaft, deren Wesen die Ausstellung durchdringt, die uns Oberstleutnant Franke jetzt näherbringt. Man merkt seinen Stolz. Franke hat die Ausstellung konzipiert und dafür gesorgt, dass sie ein Schmuckstück der Kaserne wird. Die Freundschaft zwischen Adenauer und de Gaulle: ein mutiger Schritt so kurz nach dem Krieg. Die Montanunion: Mitbestimmung und gemeinsame Kontrolle der Schwerindustrie – ein Novum auf der Welt. Mitterand und Kohl reichen sich vor den Gräbern Verduns die Hand. Bewegend, wenn man bedenkt, was für ein Gemetzel die beiden Weltkriege waren. Für die Anfertigung der Bronze-Büste von Robert Schuman, nach dem berühmten Brüsseler Original von Nat Neujean, konnte Franke den Freundeskreis der Brigade, den gemeinnützigen Verein "Amicale" gewinnen. Ein lustiges Detail: Wer die Nasenspitze Schumans berührt, soll vom europäischen Gedanken durchdrungen werden. Sie ist blitzblank. Am Ende der Ausstellung auch die harte Realität: das Gedenken an zwei Kameraden, die beim Dienst in der Brigade den Tod fanden. Europa lebt vom Geist der Menschen, die darin leben. Und von ihrem Mut, diese Idee von Europa zu verteidigen. Oberstleutnant Franke, die deutschen und französischen Kameraden der Brigade – sie machen Mut in einer Zeit, in der Europa unter Druck steht.
High-tech ganz neutral
Am Mittwoch öffnen wir die Blende, tauschen Binnen- gegen Außenperspektive. Früh am Morgen, noch vor sieben, sind wir Richtung Schweiz aufgebrochen. Unser Ziel ist die Villa La Collina in Cadenabbia, der italienischen Ferienresidenz Konrad Adenauers. Unsere erste Etappe des Tages ist jedoch die RUAG AG, die in Emmen beinahe unscheinbar neben einem kleinen Flugplatz liegt. Zwei der vier Gruppen, in die wir uns aufgeteilt haben, schaffen es nicht pünktlich. Straßensperrungen, ein abgestürztes Navi, ein störrischer Wegpunkt, der auf die falsche Fährte lockte... Bei der RUAG, dem "Servicepartner der Schweizer Armee", bleibt man freundlich und geduldig, obwohl hier schweizerische Präzision an erster Stelle steht.
“An manchen Tagen ist hier ganz schön viel Betrieb,” sagt uns Herr Grolimund, der uns das Unternehmen erklärt. Hier starten und landen allerlei Hubschrauber und Kampfflugzeuge. Die ganz dem schweizerischen Staat gehörende RUAG ist der Technologiepartner der Schweizer Armee an über 15 Standorten. Firmenstruktur und –geschichte sind der obligate Einstieg in einem Teamraum. Dann geht es durch verschiedene Werkhallen, die uns den 300jährigen Kontrast zwischen Sankt Peters Barock und der Neutralität der Moderne brüsk vor Augen führen.
“Bitte nichts anfassen, sonst müssen wir die Flächen wieder chemisch aufbereiten”, warnt uns unser Guide. Rotorblätter, Hubschrauber, Radaranlagen in der einen Halle. Vier oder fünf F/A18 - fast der Flugzeugtyp, den demnächst die Ukraine erhalten soll - in der anderen. Konzentriert arbeiten Techniker an Apparaturen, deren Sinn wir kaum verstehen. Feuerleitsysteme, electronic warfare, passive Radare, Antennen, rasende Frequenzwechsel für sichere Verbindungen, Luftbetankung, Stealth-Technologie, um selbst möglichst keine Signatur auf gegnerischem Radar zu hinterlassen. Wir lernen etwas über die Vorteile des V-Leitwerks bei der F/A18 und der F35.
“Bitte heben Sie auf, wenn Ihnen etwas aus der Tasche fällt,” so die Bitte an uns. “Wenn hier zwischen den Hallen ein Hubschrauber landet, soll nichts herumfliegen!” Vielleicht schwingt neben der technischen Anforderung auch ein wenig landestypische Ordnungliebe mit?
Eine kleine Abordnung der RUAG begleitet uns noch zum Mittagessen. Zeit für noch mehr Fragen. Und für einen Gedankenaustausch über Europa. Wir alle hoffen, dass militärische Hochtechnologie des Westens vor allem für eines da ist: vor ihrem Einsatz abzuschrecken.
Unsere Fahrt ist wie ein time tunnel vor und zurück. Nur dass uns die nächste Etappe nicht durch den Tunnel, sondern auf den Pass führt: den Gotthard-Pass. Fahrerisch ist er nicht so spektakulär. Beeindruckend sind eher die meterhohen Schneewände, die die Straße auf dem Gipfel säumen. Erst seit ein paar Tagen ist der Pass wieder frei – und damit der Weg zur einstmals streng geheimen Gotthard-Festung.
Heißer Espresso in der kalten Festung
Das unscheinbare Metalltor mit den Fahnen der angrenzenden Kantone und der Schweiz wirkt bei weitem nicht so martialisch wie der Eingang zum Simserhof. Kein sichtbares Geschütz. Nur eine schmale Einfahrt. Drinnen ist es kühl, trocken, aufgeräumt, eher wie ein modernes Bergwerk. Tiefer im Berg, unterwegs wurden die glitzernden Lichteffekte einer Wasserkaverne kunstvoll in Szene gesetzt, hängt in einer Kammer das Modell des kilometerlangen Tunnelsystems. “Mit den Geschützen in den Gipfelkammern konnten die umliegenden Pässe kontrolliert werden,” erklärt unser Guide. Das war wichtig, denn als neutrales Land muss die Schweiz auch wirkungsvoll verhindern, zum Aufmarschgebiet anderer Armeen zu werden. “Heute ist das System obsolet.” Moderne Waffen ersetzen die Festung, bei der es heute im Museumsshop auch einen ausgezeichneten Espresso gibt. Man spürt das Glück der Schweiz. Hier wurde nie gekämpft und kein einiger Kanonenschuss abgefeuert. Heißen Krieg gab es hier nicht. Heute dafür heißen Espresso, mit dem sich hier manche wieder aufwärmen.
Für heute ist es mit den Inhalten aber genug. Etwas verspätet, müde, aber voll zufrieden nehmen wir zwei, drei Stunden später die verschlungene Auffahrt zur Villa La Collina. Mit Blick über den nächtlichen See lassen wir das Gesehene Revue passieren, bis uns ein Gast daran erinnert, dass es vielleicht Zeit für die Nachtruhe wäre...
Empathie, Begegnung, Differenzierung
Am Donnerstag, unserem letzten Programmtag, sind die Strecken kurz: Dr. Christiane Liermann, Leiterin der Villa Vigoni, lädt uns zunächst noch in der KAS-eigenen Villa ein zu einem empathischen Blick auf Italien und seine Menschen. Die Wirren von Mussolini und des Zweiten Weltkrieges. Italien als Auswandererland. Die wechselhafte Beziehung zu Deutschland. Das Institutionensystem. “Italien hat als Lehre aus der Diktatur Mussolinis ein System errichtet, das einseitige Machtentfaltung durch viele, viele checks and balances verhindert.” “Ja aber die vielen Regierungen...,” wendet ein Teilnehmer ein. “Stimmt, aber regiert haben am Ende immer die gleichen,” so Liermann. “Wieviel AfD steckt in Meloni?” Keine leichte Fragen. Dafür differenzierte Antworten über Personen, Parteien und Strukturen. Und der Hinweis, dass die erstaunlich europa- und ukrainefreundliche Melloni versucht, das Amt der Ministerpräsidentin mit etwas mehr Kraft zum “Durchregieren” auszustatten. In welche Richtung muss sich zeigen.
Begegnung ist der beste Weg, Vorurteilen zu begegnen. Auf dem idyllischen Gelände der Villa Vigoni erfahren wir mehr über den Stifter, die Idee und die Aufgaben der deutsch-italienischen Exzellenzstätte. “In Italien liegt die Kompetenz beim Außenministerium, im föderalen Deutschland bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das ist eine schwierige Kombination,” erklärt uns Dr. Francesca Zilio, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Villa. Ein deutsch-italienischer Magnat hat der Bundesrepublik das Haus vermacht. Heute ein Ort für viele Begegnungen, Denkanstöße, intellektuelle Mahlzeiten unter historischen Statuen. Der Luxus von Natur und Prachtvillen erlaubt auch den Luxus, in Freiheit und Begegnung die Gedanken über den umliegenden Alpengipfeln schweben zu lassen.
Luxus ist auch das Thema unseres Besuchs in Bellagio, dem schmucken Städtchen an der Spitze der Halbinsel, die den Comer See in zwei Arme teilt. Schon zur Römerzeit suchte man hier elegante Sommerfrische. Seidenmalerei aber auch die Motorräder von Moto Guzzi brachten Innovation und Wohlstand an den See.
Zum Abschluss erklärt uns Heiner Enterich, wie Adenauer den See kennen lernte. Wie er den Menschen begegnete und sie schätzen lernte. Wie schlicht die Villa damals war, deren Möbel einst aus den umliegenden Hotels herbeigeschafft wurden. Wem sie einst gehörte. Und warum sie bis heute ihren schlichten Charme behalten soll. Beim Boccia-Spiel spüren wir dem “Alten” nach. Er hatte den Frieden in Europa als seine Lebensaufgabe gewählt. Leichter gesagt als getan.
Text: Hans-Peter Willi und Stefan Hofmann mit Dank für Ergänzungen und Korrekturen an unsere Gastgeber
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