Kehlmann hatte eine Dissertation über das Kunsterhabene begonnen und abgebrochen. 2024, im Gedenkjahr Kants, publizierte er mit dem jüdisch-amerikanischen Philosophen Omri Böhm ein langes Gespräch über den Königsberger Philosophen, über seine Revolution im Denken, das moralische Gesetz im Menschen und die Freiheit der Kunst im Staat. Wie es hätte zugehen können, wenn Gauß, der das mathematische Werkzeug für die Relativitätstheorie bereitstellte, den greisen Vordenker der Moderne in Königsberg besucht hätte, erzählt Kehlmann in einer Szene seines Erfolgsromans „Die Vermessung der Welt“, die er online vorlas.
Anschließend las der Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2006 eine zweite Besuchsszene aus seinem jüngsten Roman „Lichtspiel“ (2024). Greta Garbo, aufsteigender Stern in Hollywood, empfängt den Regisseur Georg Wilhelm Pabst, der dort gerade mit einem Film geflopt ist, aber die junge Garbo zehn Jahre zuvor für den deutschen expressionistischen Stummfilm entdeckt hat. Mit dem Literaturreferenten der Stiftung sprach Kehlmann über seinen „Schlüssel“ zu diesem Stoff. Es war Pabsts ungewöhnliche Remigrationsgeschichte, seine Rückkehr in das NS-besetzte Österreich nach seiner Flucht nach Amerika, sein Versuch, gute Filme in bösen Zeiten zu machen, sein ambivalentes Kunstschaffen in der Diktatur.
Genau das ist Kehlmann zufolge ein „Paradox im Herzen der Kunst“. Und dieses Problem der Kunst hat Kant mit der Idee der mündigen Urteilskraft und dem „Abenteuer der Vernunft“ gelöst. Über Kunst gibt es viele Meinungen unterschiedlicher Art. Aber keine eindeutige Wahrheit. Fast wie in der Politik.
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