Die Bedingungen, unter denen wir politische Kommunikation denken, haben sich über die vergangenen Jahre deutlich gewandelt: Klassische Medien verlieren an Reichweite, neue Akteure und Plattformen übernehmen die Gate-Keeper-Funktion des Journalismus. Digitale Technologien schaffen neue Kommunikationsformen und -räume und bieten Chancen für den Austausch mit den Wählerinnen und Wählern. Gleichzeitig stellen sie jedoch neue Ansprüche an erfolgreiche politische Kommunikation und bergen Risiken für die Profession und unsere Gesellschaft. Was bedeutet all das für den Alltag von Kommunikationsexpertinnen und -experten? Wie gehen wir mit den derzeitigen Veränderungen um und gestalten diese, anstatt uns von ihnen treiben zu lassen?
Auf der 21. Internationalen Konferenz für politische Kommunikation diskutierten etwa 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese und weitere Fragen mit unseren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis. Was nehmen wir aus zwei Tagen angeregter Diskussion und professionsübergreifendem Austausch mit?
Künstliche Intelligenz: Mehr als Zukunftsmusik
Künstliche Intelligenz ist längst keine Utopie mehr. Auch wenn bisher keine starke KI, deren Verhalten und Entscheidungen nicht von denen eines Menschen zu unterscheiden sind, existiert, die Möglichkeiten der Technologie wachsen stetig. Die Einsatzbereiche sind dabei vielfältig. Besonders viele Beispiele für den Einsatz von KI finden sich im bevölkerungsreichsten Land der Welt, in Indien. Charu Pragya, eine nationale Sprecherin der BJP, erläuterte in ihrem Impuls, dass die Technologie u.a. genutzt wird, um Reden zugänglicher und für die Menschen leichter verständlich zu machen. So erweist sich die Technologie als besonders hilfreich, um Reden in die Sub-Sprachen des Indischen zu übersetzen und so landesweit zu verbreiten.
Doch die neuen Technologien lassen sich auch innovativer einsetzen. Stellen Sie sich vor, Sie sind in der Fußgängerzone oder in einem Waldstück unterwegs und sehen ein 3D-Hologramm des Kanzlers. Was in Deutschland utopisch anmuten mag, wurde in Indien getestet. Charu Pragya berichtete davon, dass an 1.400 Orten in ganz Indien ein Hologramm von Premierminister Modi gezeigt wurde, das im Ergebnis sehr positiv von den Menschen aufgenommen wurde und sich ebenso auf die Verbindung zum Premierminister auswirkt.
Ob nun als 3D-Hologramm, als Chatbot oder für die Erfolgsmessung: Neue digitale Technologien, allen voran KI, werden unser Leben und die politische Kommunikation künftig massiv beeinflussen. Eine Umfrage unter dem Publikum zeigte, dass 72 Prozent der Anwesenden eine positive Sicht auf KI haben. Wie Professor Andreas Jungherr von der Universität Bamberg in seiner Eröffnungsrede zu bedenken gab, kann die neue Technologie im besten Fall eine Chance für unser demokratisches System darstellen. Doch der Umgang erfordert auch Wachsamkeit und kontinuierliches Abwägen. „Wir müssen die Anwendung aktiv gestalten“, gab Professor Jungherr zu bedenken. Dabei sei es für Kommunikationsexpertinnen und -experten unabdingbar, sich nicht nur auf die Expertise externer Akteure zu verlassen, sondern die Technik selbst zu verstehen. Hier besteht derzeit ein großer Handlungsbedarf, wie sich im Ideenraum zum Thema KI bestätigte: Die Angst vor Abhängigkeiten und das Gefühl des Kompetenzverlusts scheinen noch deutlich ausgeprägt und ergaben sich im Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern als einer der größten wahrgenommenen Herausforderungen.
Digitalisierung als Daueraufgabe von Parteien
Viele alltägliche Handlungen sind heute digital möglich: Egal ob einkaufen, Banking oder der Austausch mit Freunden. Gerade die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung nochmals vorangetrieben. Doch wie gehen die politischen Parteien damit um? Auch sie mussten ihre Arbeitsweise in den vergangenen Jahren umbauen, um Mitglieder und Unterstützer weiterhin zu erreichen. Doch Digitalisierung umfasst dabei mehr als digitale Parteitage und die Nutzung von Messengerdiensten in der internen Kommunikation. Die derzeit zu beobachtenden Veränderungen des politischen und gesellschaftlichen Umfelds erhöhen den Handlungsdruck auf Parteien. Wie Dr. Jasmin Fitzpatrick von der Universität Mainz anhand einer im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellten Studie aufzeigte, ist ein neues Rollenverständnis als Grundlage dieses Wandlungsprozesses essentiell. Für Parteien ist Digitalisierung dabei keineswegs ein Selbstzweck, sondern notwendig, um ihre wichtigen, gesellschaftspolitischen Funktionen wie die Artikulation von Interessen bis hin zur Rekrutierung politischen Nachwuchses auch weiterhin zu erfüllen. Mit sich wandelnden Ansprüchen, gilt es auch, bisherige Strukturen und Prozesse kritisch zu hinterfragen, anzupassen und wo möglich und für notwendig erachtet, in die digitale Sphäre zu übertragen.
Ohne eine klare Zielgruppenanalyse geht es nicht
Politische Parteien, Institutionen und Politikerinnen bzw. Politiker erleben immer häufiger, dass gesendete Botschaften nicht bei den entsprechenden Personengruppen ankommen. Zwar existieren heute zahlreiche Möglichkeiten der direkten Kommunikation, beispielsweise aufgrund der sozialen Netzwerke. Eine individuellere Mediennutzung führt in Kombination mit einer wachsenden Zahl an kommunizierenden Stimmen jedoch dazu, dass Inhalte und Themen nicht immer dort ankommen oder gehört werden, wo es gewollt ist. Das verdeutlichten die erfolgreichen Wahlkampagnen der Nea Demokratie in Griechenland sowie der CDU Hessen und der Berliner CDU. Nur wer seine Zielgruppen samt ihren Interessen und Erwartungen kennt, kann diese gewinnbringend für die Konzeption von Kampagnen nutzen.
Gerade die Nutzung von Daten ist in diesem Kontext immer bedeutender geworden. Sie erlauben Rückschlüsse auf politische Einstellungen, das Wahlverhalten und helfen, Trends und Muster zu identifizieren. Gleichzeitig zeigte sich im Austausch auf der #IKPK23, dass für viele Anwesende die Nutzung datenbasierter Modelle noch immer mit diversen Herausforderungen behaftet ist. Sie reichen von restriktiven Regulierungen bis hin zu fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen.
In Zeiten rückläufiger Parteibindungen und volatilerem Wahlverhalten braucht es jedoch neue Ansätze, um Botschaften erfolgreich zu vermitteln. Eine solche Möglichkeit bietet das aus dem Marketing stammende Konzept der Customer Journey. Wie sie erfolgreich in die politische Kommunikation übertragen werden kann, erörterte Michael Windisch, Leiter Politische Kommunikation und Digitalisierung der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag. Ziel einer jeden Journey sei es „Fremde zu Freunden“ zu machen. Jede potentielle Wählerin bzw. jeder potentielle Wähler durchläuft dabei unterschiedliche Phasen, bis eine Wahlentscheidung gefällt wird. Die Aufgabe besteht nun darin, die entsprechenden Touch Points – also Kontaktpunkte – zu identifizieren und an den entsprechenden Stellen die richtigen Informationen bereitzustellen. Im konkreten Fall der Kampagne gegen des Gebäudeenergiegesetz bildete eine Themen-Landing-Page den ersten Kontaktpunkt und wurde im weiteren Verlauf durch den Ausbau der Kommunikation, beispielsweise über die Zusendung weiterer Informationen, verstärkt. Im Verlauf des Prozesses entsteht so eine Bindung, die im besten Fall bei der Wahlentscheidung ihren Ausdruck findet.
Abstrakte politische Entscheidungen greifbar gestalten
Anhand der Kampagne lässt sich jedoch auch gut verdeutlichen, dass Politik für Bürgerinnen und Bürger wieder greifbarer werden muss. Viele politische Entscheidungen wirken im ersten Moment abstrakt und undurchsichtig. Wie sie miteinander zusammenhängen und das Leben einer Einzelperson beeinflussen, wird in der Kommunikation oftmals zu wenig betont. Die politische Selbstwirksamkeit schätzen viele Bürgerinnen und Bürger immer häufiger als gering ein, ein wachsender Teil der Bevölkerung wendet sich ab oder gibt seine Stimme Parteien an den politischen Rändern. Politische Akteure und Parteien sollten sich daher fragen, was eine Entscheidung für die Menschen bedeutet und diese persönliche Ebene politischer Entscheidungen klarer benennen und erläutern.
Eine Möglichkeit hierfür stellt die Zusammenarbeit mit Influencerinnen und Influencern dar, wie die Diskussion mit Theresa Hein und Dr. Bendix Hügelmann verdeutlichte. Influencer-Relations schaffen nicht nur den Zugang zu Personengruppen, die den Parteien zunächst verschlossen bleiben, sondern helfen auch, inhaltsschwere Themen verständlich, glaubwürdig und nahbar zu thematisieren. Wie sowohl Theresa Hein als auch Dr. Hügelmann betonten, sollten Kooperationen allerdings auf bestimmte Themen begrenzt bleiben, um Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Eine generelle Zusammenarbeit kann nicht forciert werden.
Be aware of Fake News
Egal ob im Kontext von kriegerischen Auseinandersetzungen wie in der Ukraine und Israel oder in politischen Kampagnen: Desinformationen stellen eine wachsende Bedrohung für unsere demokratischen Systeme dar. Auch wenn es sich bei Desinformationen grundsätzlich um kein neues Phänomen handelt, haben die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke und technische Fortschritte ihren Einsatz auf eine neue Stufe gehoben. Das Ziel derartiger Kampagnen ist dabei meist eindeutig: Gezielt verbreitete Falschinformationen sollen das Vertrauen in politische Institutionen und die, die sie repräsentieren, schwächen. Für die Politik und politische Kommunikation sind Fake-Internetseiten, Bots und Trolle dabei eine der größten Herausforderungen, denn sie können der Reputation einer Partei, einer Kandidatin bzw. Kandidaten massiv schaden. Initiativen wie Korrektiv oder Facts for Friends leisten im Umgang mit Fake News einen wichtigen Beitrag, indem sie den Ursprung einer Nachricht, eines Bildes oder eines Videos recherchieren und falsche Inhalte richtigstellen. Da diese Arbeit aufwändig und mühsam ist, braucht es jedoch weitere Ansatzpunkte. Im Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde beispielsweise die Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns betont, um mehr Transparenz in den sozialen Netzwerken zu schaffen.
Dennoch muss weitaus mehr getan werden: Philipp Sälhoff, Geschäftsführer von polisphere, und Valerie Scholz, Co-Gründerin von Facts for Friends, betonten als weiteren Aspekt die Relevanz von individueller Medienkompetenz. Dies kann schulisch geschehen, muss aber deutlich umfassender, beispielsweise auch in Form von Fortbildungen für Journalistinnen und Journalisten gedacht werden.
Eine wissensreiche und unterhaltsame #IKPK23 liegt hinter uns. Wir sind schon voller Vorfreude auf die #IKPK24.
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