Souveränität ist oberstes Gebot
Nahezu jede Analyse der mongolischen Außenpolitik beginnt mit dem Hinweis auf ihre tragenden Säulen: Gute und harmonische Beziehungen zu den einzigen direkten Nachbarn des Binnenlandes, China und Russland; Gleichwertigkeit dieser Beziehungen ohne Bevorzugung oder Vereinnahmung; gute Beziehungen zum „Dritten Nachbarn“. Als „Dritter Nachbar“ werden alle zentralen Akteure der Geopolitik, insbesondere die westlichen Staaten und die internationalen Organisationen, bezeichnet. Die feministische Außenpolitik tauchte bislang nicht als integraler Bestandteil der mongolischen außenpolitischen Strategie auf. Eine Suche nach dem Begriff „feminism“ auf der englischsprachigen Homepage des mongolischen Außenministeriums2 ergibt genau null Resultate. Der Begriff „feminist“ findet sich in drei Pressemitteilungen zu multi- oder bilateralen Treffen.
Vielmehr steht die Bewahrung der eigenstaatlichen Souveränität der Mongolei im Zentrum der mongolischen Außen-, aber auch Innenpolitik. Nachdem das Land zunächst über 300 Jahre ein Teil Chinas und anschließen über 65 Jahre de facto Teil der Sowjetunion gewesen war, ist die Mongolei stets darauf bedacht, ihre Unabhängigkeit zu wahren. Daraus ergeben sich zwingend die ersten beiden Punkte der mongolischen außenpolitischen Strategie: Die junge demokratische Republik kann sich schlechte Beziehungen zu den beiden autokratischen Nachbarn schlichtweg nicht erlauben. Die Mongolei verfügt über keinen eigenen Zugang zum Meer, über 98 Prozent der Erdölerzeugnisse kommen aus Russland, ca. 90 Prozent aller Exporte gehen nach China. Verstimmungen mit den Nachbarn haben das Potenzial die mongolische Wirtschaft innerhalb weniger Tage zum Stillstand zu bringen: Schließen diese die Grenzen, kollabiert der Warenverkehr in und aus der Mongolei. Militärisch spielt das Drei-Millionen-Einwohner-Land mehrere Ligen unter den beiden aufgerüsteten Atommächten.
So ist es durchaus nachvollziehbar, dass der „Dritte Nachbar“ üblicherweise erst an letzter Stelle genannt wird. Gleichwohl bleibt das Konzept zentral für die mongolische Souveränität. Die Beziehungen zum „Dritten Nachbarn“ dienen als metaphorische Balancierstange bei dem Drahtseilakt zwischen den beiden autoritären Anrainern. Die aktive Beteiligung der Mongolei an der Arbeit internationaler Organisationen und das verbale Pochen auf der Einhaltung des Völkerrechts verschafft der Mongolei die notwenige Aufmerksamkeit in der westlichen Staatengemeinschaft. Der erwähnte Balanceakt gelingt jedoch nur solange die russischen und chinesischen Interessen die Beziehungen zum Westen nicht überwiegen. Dennoch ermöglicht die breite westliche Unterstützung dem Land eine weitgehende Eigenständigkeit und die bislang erfolgreich verteidigte außenpolitische Neutralität. Trotz dem ständigen Drängen der beiden autoritären Nachbarn ist die Mongolei bis dato kein ordentliches Mitglied der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.
Der Anspruch der feministischen Außenpolitik
Das theoretische Konzept der deutschen feministischen Außenpolitik unterscheidet sich grundlegend von klassischer interessengeleiteter Politik. Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik wird als eine menschenrechtsbasierte Friedenspolitik definiert, die Geschlechtergerechtigkeit und die Überwindung internationaler Herrschafts- und Gewaltverhältnisse als eine Voraussetzung für Frieden versteht. Sie verfolgt einen positiven Friedensansatz und hat eine gewaltfreie und versöhnte Gesellschaft zum Ziel. Die einfache Beendigung direkter physischer Gewalt und Kriegshandlungen ist dafür nicht ausreichend. Das heißt, die feministische Außenpolitik hat nicht nur die Gleichstellung der Geschlechter oder gar nur die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen im Sinne eines Reformansatzes zum Ziel. Sie strebt nach einer grundlegenden Transformation von existierenden gewaltvollen Strukturen und ungerechten Machtverhältnissen im internationalen System.
Insgesamt hat Deutschland sechs außenpolitische Bereiche definiert, die von der feministischen Außenpolitik verfolgt werden: Friedens- und Sicherheitspolitik; Humanitäre Hilfe und Krisenmanagement; Menschenrechtspolitik; Klima- und Energieaußenpolitik; Außenwirtschaftspolitik; Auswärtige Kultur und Bildungspolitik. Die Mongolei legt in diesen Bereichen teilweise eine außerordentliche Aktivität zutage. Ein Bezug zur feministischen Außenpolitik nach dem Verständnis der deutschen Außenministerin ist hier dennoch nicht zu erkennen.
Realpolitik ist Realpolitik
Vielmehr betreibt die Mongolei aufgrund ihrer geopolitischen Lage und der immensen Abhängigkeit von den beiden Nachbarn eine klassische Realpolitik. Bereits die Reaktion der Mongolei auf den Krieg in der Ukraine zeigte, dass keine Zeitenwende die Säulen der mongolischen Außenpolitik zu erschüttern vermag.3 Vielmehr sieht sich das Land durch das Beispiel der Ukraine in seiner Strategie bestätigt. Nicht zu Unrecht vermuten mongolische Politikerinnen und Politiker, dass die westliche Unterstützung im Falle eines russischen oder chinesischen Einmarschs in der Mongolei nicht über das Niveau von Protestnoten hinausgehen könne und würde.
Bei dem Besuch des mongolischen Parlamentsvorsitzenden G. Zandanshatar in Russland standen in diesem Monat daher nicht die Vergewaltigungen der Ukrainerinnen durch russische Soldaten im Vordergrund der Gespräche. Vielmehr fand ein Meinungsaustausch darüber statt, wie die Beziehungen in den Bereichen Handel, Wirtschaft, Bildung und Kultur weiter vertieft werden können. Darüber hinaus wurde die Schaffung einer gemeinsamen Kommission zur Institutionalisierung der Zusammenarbeit der beiden Parlamente beschlossen.4 Es ist wohl auch davon auszugehen, dass auch bei dem Besuch des mongolischen Premierministers Oyun-Erdene am 26. Juni 2023 in China5 die Zwangssterilisation von Uigurinnen6 nicht auf der Agenda stehen wird.
Beide Politiker gehören der regierenden Mongolischen Volkspartei an. Allein die Tatsache, dass die ehemalige sozialistische Staatspartei gleichzeitig Absichtserklärungen für eine engere Kooperation mit der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“7 und der deutschen Regierungspartei SPD8 unterzeichnet, zeigt deutlich: Mongolische Interessen haben Vorrang vor allem anderen, Ideologie oder eine vermeintliche Moral spielen keine Rolle. Dass die SPD hierin keine Problematik für die eigene Parteienzusammenarbeit zu erkennen vermag, steht auf einem anderen Blatt.
Das geopolitische Umfeld und die daraus erwachsenden Zwänge lassen der Mongolei nicht viel Spielraum, vor allem nicht in der Außenpolitik. Für einen feministischen Ansatz, zumindest nach deutscher Leseart, bleibt kein Platz. Das heißt jedoch nicht, dass die Rolle von Frauen in der Politik und Gesellschaft im Allgemeinen und in der Außenpolitik im Speziellen in der Mongolei nicht erkannt bzw. anerkannt wird.
Die Zukunft der Mongolei ist weiblich
Die Bestrebungen der mongolischen Politik die Sichtbarkeit von Frauen in der Politik und Gesellschaft zu erhöhen und sie in die Entscheidungsprozesse auf höchster Ebene einzubinden, können als beispielhaft bezeichnet werden. Bereits seit einiger Zeit stellen die Frauen die absolute Mehrheit bei allen Seminaren der KAS zur Förderung der Zivilgesellschaft. Erst kürzlich beschloss das mongolische Parlament eine verbindliche Geschlechterquote von 30 Prozent für Kandidaten auf allen Ebenen. Die Höhe der staatlichen Parteifinanzierung soll von der Anzahl der tatsächlich gewählten Frauen abhängig gemacht werden. Es existieren Programme zur Förderung von Frauen in allen Bereichen: Die Mongolei hat prozentuell den höchsten Frauenanteil unter außenpolitischen Repräsentanten weltweit. Das mongolische Militär verfügt über eine Brigadegeneralin, Bolor Ganbold, und hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in seinen UN-Friedenstruppen bis 2027 auf 15 Prozent zu erhöhen.9 Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Die Tatsache, dass über 60 Prozent aller Uniabschlüsse von Frauen gemacht werden10, deutet darauf hin, dass Frauen künftig eine wesentlich größere Rolle in der mongolischen Gesellschaft und Politik spielen werden.
Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass Frauen in Führungspositionen nicht zwangsläufig eine feministische Außenpolitik verfolgen und mehr Frauen in der Politik die Welt nicht automatisch friedfertiger oder gerechter machen.11 Die Mongolei bildet hierbei keine Ausnahme. Eine Frau an der Spitze des Außenministeriums macht noch lange keine „feministische Außenpolitik“. Die mongolische Außenministerin verschaffte dem dünnbesiedelten asiatischen Flächenland mit ihrer Aussage mehr Aufmerksamkeit. Ob die Reduzierung der komplexen mongolischen auswärtigen Politik auf das politische Modewort „Feminist Foreign Policy“ sich am Ende als zielführend erweist, wird sich noch herausstellen. Einer genaueren Überprüfung hält dieses Label der eigentlich klassisch interessengeleiteten Außenpolitik sicher nicht stand. Dass Annalena Baerbock der Einladung ohne diesen „feministischen Bezug“ gefolgt wäre, ist zweifelhaft.
1 Rede der Außenministerin Annalena Baerbock am 01-03-2023: Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Vorstellung der Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik. https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/baerbock-leitlinien-ffp/2585138?view=
2 Ministry of Foreign Affairs of Mongolia. https://mfa.gov.mn/. Stand 21-06-2023.
3 Viktor Frank, Adiyasuren Jamiyandagva: Realpolitik nach Lehrbuch: Reaktion der Mongolei auf den russischen Überfall der Ukraine. 24-03-2022. https://www.kas.de/de/web/mongolei/laenderberichte/detail/-/content/realpolitik-nach-lehrbuch-reaktion-der-mongolei-auf-den-russischen-ueberfall-der-ukraine
4 Monstame State News Agency, B. Ganchimeg: Speaker G. Zandanshatar Departs for Russia on an Official Visit. https://www.montsame.mn/en/read/321470. Stand 21-06-2023.
5 Government of Mongolia. Prime Minister L. Oyun-Erdene of Mongolia is scheduled to make an official visit to the People's Republic of China https://mongolia.gov.mn/news/view/26714?fbclid=IwAR2qY8QKHDDyZuQUMFZAfxFmW7Q9lv0igjA39sG-Y9QjwSzniIa9T20vYYo Stand 21-06-2023.
6 Thomas Gutschker, Michaela Wiegler. Niederländisches Parlament verurteilt China wegen Völkermods. Frankfurter Allgemeine. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/frauen-sterilisation-in-peking-china-wegen-genozid-verurteilt-17217683.html. Stand 21-06-2023.
7 Einiges Russland Partei. „Einiges Russland“ und die Mongolische Volkspartei diskutierten die Perspektiven der zwischenparteilichen Zusammenarbeit. https://er.ru/activity/news/edinaya-rossiya-i-mongolskaya-narodnaya-partiya-obsudili-perspektivy-mezhpartijnogo-sotrudnichestva. Stand 21-06-2023; Ria-Nachrichten State News Agency, „Einiges Russland“ wird eine Zusammenarbeit mit der Mongolischen Volkspartei aufbauen. https://ria.ru/20161213/1483497605.html. Stand 21-06-2023.
8 Georg Ismar. Warum der SPD-Chef ein Pferd geschenkt bekommt. Süddeutsche Zeitung. https://www.sueddeutsche.de/politik/lars-klingbeil-pferd-mongolei-geschenk-1.5917664. Stand 21-06-2023.
9 Bolor Lkhaajav. Mongolia’s Military Diplomacw Highlights Female Peacekeepers. The Diplomat. https://thediplomat.com/2022/07/mongolias-military-diplomacy-highlights-female-peacekeepers/. Stand 21-06-2023.
10 Ministry of Education and Science. Statistics of the higher education sector 2020-2021 academic year http://en.meds.gov.mn/post/65490 Stand 21-06-2023.
11 Oeindrila Dube, S.P. Harish. Working Paper. NBER Working Paper Series. April 2017. https://www.nber.org/system/files/working_papers/w23337/w23337.pdf. Stand 21-06-2023.