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Bolivarianische Revolution in neuer revolutionärer Phase

от Michael Lingenthal
Präsident Chávez leitet die neue Phase der bolivarianischen Revolution ein und droht seinen Gegnern mit Gefängnis und dem privaten Banksektor mit Verstaatlichung. Derweil verringert sich seine Popularität weiter und provoziert umfassende öffentliche Diskussionen über das Ende seiner Amtszeit und mögliche Übergangsszenarien. Das nationale und internationale Ansehen Venezuelas nimmt weiter ab.

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Mit dem 17. Dezember 2001 tritt Venezuela in eine neue Phase der "Bolivarianischen Revolution" von Präsident Hugo Chávez ein. Der Präsident selbst nahm die öffentliche Eidesleistung der "Circulos Bolivarianos" (revolutionäre Zellen) vor. Zehntausende schworen "die Revolution zu verteidigen, auch wenn es mein Leben kostet".

Am 25. April d.J. hatte Präsident Chávez die landesweite Gründung der revolutionären Zellen verkündet. Sie dienen der gesellschaftlichen Durchdringung Venezuelas mit den Ideen der bolivarianischen Revolution. Sie sind das politische Instrument, das der Präsident direkt einsetzen kann ohne Umweg über Parteien und Parlament. Gleichzeitig markiert der 17. Dezember die Wiedergeburt des Revolutionsbündnisses "MBR-200". In diesem Bündnis sollen unterschiedliche Parteien und Gruppen vereinigt werden.

Über die Zusammensetzung der bolivarianischen Zirkel gibt es eine breite öffentliche Diskussion. Laut "Tal Qual", der wichtigsten unabhängigen Nachmittagszeitung, stellen Mitglieder der Regierungspartei MVR, der öffentlichen Verwaltungen, Gruppen, auf die die Regierung Einfluss ausüben kann, mehrheitlich die Demonstrationsmenge. In aller Offenheit betont Präsident Chávez die Rolle seines Präsidialministers, der für die Organisation der Revolutionszirkel zuständig ist.

Vom Regierungspalast aus wurden die Zirkel und der 17. Dezember organisiert. Die Streitkräfte übernahmen zum ersten Mal eine aktive Rolle in der Revolution, indem sie logistische Unterstützung gaben. Mehr als 350 Busse, aus ganz Venezuela angereist, parkten in den Hauptstadtkasernen und Präsidialminister General Diosdado Cabello antwortete auf die Frage nach den Waffen (der Revolution), von denen der Präsident sprach, "dies ist Teil der Waffen. Weil zum ersten Mal die Streitkraft einen Prozess unterstützt".

Und auch Präsident Chávez selbst ließ in seiner dreistündigen Ansprache keinen Zweifel daran, denn "dank der Streitkraft ist diese Revolution nicht wehrlos. Sie ist friedlich, aber hat Waffen, um sich gegen jedwede Bedrohung zu wehren".

Androhung von Verstaatlichung und Gefängnis für Kräfte, die dem neuen Recht der Revolution widerstehen

Was diejenigen zu erwarten haben, die gegen die Regierung und die Revolution arbeiten, hat er ebenfalls klar gemacht. Für diese Gruppen wird das Erdgeschoss im Gefängnis von Yare vorbereitet, denn der Präsident selbst hat angeordnet, dass dafür die Zellen im Erdgeschoss repariert werden. Eingesperrt werden sollen die, die Proteste organisieren und öffentliche Akte stören sowie die Verfassung nicht respektieren.

Die Verfassung ist "das Buch der Revolution". Sie und alle Ausführungsgesetze dienen der Verwirklichung und Vertiefung der präsidialen Revolution. Mit Verfassung und Gesetzen wird das neue revolutionäre Recht begründet, "Verfassung und neue Gesetze sind revolutionäre Gesetze, um Revolution zu sein", so der Präsident. Wer diesem neuen Recht nicht folgt, wird aktiv bedroht. So z.B. die Privatbanken, in Venezuela mit erheblicher spanischer Beteiligung, die nationalisiert werden sollen, wenn sie nicht den Auflagen folgen und Kleinkredite für Landbevölkerung und Kleinunternehmer zur Verfügung stellen. "Es wäre nicht das erste Mal, dass im Zuge einer Revolution die Banken nationalisiert werden" so Präsident Chávez.

Zu den präsidialen Drohgebärden gehört auch die Ankündigung, dass geprüft wird, ob die Firmen, die am Generalstreik des 10. Dezember teilnahmen, weiter öffentliche Aufträge erhalten. Die Medienschelte und Medienbedrohung waren wieder - fast schon selbstverständlicher - Teil der wütenden Angriffe des Präsidenten auf seine Gegner.

Amtsanspruch bis 2021

Bis 2021 will Präsident Chávez im Amt bleiben, was seine eigene Verfassung (derzeit) nicht zulässt. Die Revolution wird mehr als 500 Jahre Unrecht und Unterdrückung aufheben und Bolívar wird mit seinen Ideen mehr als 5.000 Jahre fortbestehen. An ihn wird auch erinnert, wenn dramatisch die Befreiungsformel "Freiheit oder Tod" wiederholt wird.

Präsident Chávez hat noch einmal seine "2-Säulen-Formel" seiner Revolution ausführlich erläutert. Volk und Streitkraft bilden die beiden Säulen, auf denen die Revolution fußt. Nach seiner Einschätzung haben die Streitkräfte nicht nur viel in der Vergangenheit für den revolutionären Prozess getan, sondern sind aktuell auch der bolivarianischen Revolution verpflichtet.

Sein 2-Säulen-Modell soll ihm die direkte Verbindung "Volk-Armee-Präsident" ermöglichen. Die revolutionären Zellen sind seine persönlichen "Transmissionsriemen" der Revolution.

Zukünftige Schritte im Revolutionsprozess

Für das neue Jahr werden die nächsten Schritte angekündigt, mit denen die Revolution vertieft und verbreitet werden soll. Am 10. Januar 2002 wird das politische Revolutionskommando installiert. Es wird aus den Parteien gebildet, die die Revolution tatsächlich stützen und hat Ähnlichkeiten mit Volksfrontbündnissen.

Zuvor aber müssen die Parteien, einschließlich der MVR (in der Chávez selbst den Vorsitz führt) von denen gereinigt werden, die die Revolution verraten, denn "Verräter und Zweifler gibt es bis in unsere Reihen". Die Differenzen innerhalb der Regierungspartei und des Koalitionspartners "MAS" (Movimiento al Socialismo) treten immer wieder offen zu Tage. MAS ist praktisch gespalten. Chávez-Flügel und Chávez-Gegner haben sich jeweils selbst zum Sieger der parteiinternen Vorstandswahlen ausgerufen und zwei getrennte Vorstände installiert.

Putschgedenken und Popularitätsverlust

Am 4. Februar 2002 werden dann 10 Jahre des Putsches gefeiert, bei dem Chávez selbst zwar kapitulieren musste, der ihm aber trotzdem unglaubliche Popularität bescherte, weil er besonders der marginalisierten Bevölkerung und dem Mittelstand das Gefühl vermittelte, für ihre Rechte einzutreten.

Die letzten Umfragen zeigen zwar den dramatischen Ansehensverlust des Präsidenten, dennoch hat er noch genügend Mittel, um die Demokratie zu beenden und die Revolution zu installieren. Der Popularitätsverlust wird zwar seitens Chávez selbst und seines Präsidialministers als "Manipulation" bezeichnet. Er ist aber dramatisch und real, wie auch eine unabhängige, repräsentative, landesweite Studie der KAS vom November des Jahres zur Einstellung Venezuelas zur Politik beweist.

Entscheidend wird die Rolle der Streitkräfte in diesem Prozess sein. Die Armee genießt ungeachtet ihrer immensen Regierungsbeteiligung (ca. 300 Generale und Offiziere in öffentlichen Spitzenämtern) hohe Popularität und nach Medien und katholischer Kirche das größte Vertrauen. Ein relativer Ansehensverlust ist aber in Korruption und Regierungsbeteiligung begründet.

Da die überwiegende Mehrheit der Streitkräfte keinesfalls korrupt ist und ihr "Ehre" und "Treue" wichtige Werte sind, ist fraglich, wie sehr und wie lange diese Kräfte einen politischen Kurs und eine Revolution stützen, bei der die Korruption von Armeeangehörigen zunimmt und Gegenstand breiter öffentlicher Diskussion ist.

Die Rolle des Militärs in der venezolanischen Krise

Der ranghöchste General Venezuelas, hat in einer Rede in Washington einen Putsch ausgeschlossen und Stabilität in Venezuela garantiert. Er hat aber auch ein eindeutiges Bekenntnis abgegeben, dass Venezuela gegen den Terrorismus steht und in anderen Ländern verurteilte Terroristen auch als solche behandeln werden.

Damit hat er den Präsidenten korrigiert (seine zweideutige Haltung nach dem 11. September und sein Eintreten für den in Frankreich verurteilten Top-Terroristen "Carlos" alias "Schakal"). Wie sein Bekenntnis zu den Institutionen gewertet werden kann, wird sich zeigen, wenn die Institutionen immer mehr für die Revolution instrumentalisiert werden oder aber für ein gewisses Maß an Unabhängigkeit kämpfen werden.

Das Wort von General Rincón hat deshalb so großes Gewicht, weil er nicht nur rechte Hand von Chávez als Präsidialminister war, sondern weil die Streitkräfte derzeit als einzige tatsächlich funktionsfähige "politische Partei" oder "politische Kraft" von vielen gesehen werden. Eins ist sicher: ohne die Zustimmung der Streitkräfte wird es letztendlich weder die Vertiefung der bolivarianischen Revolution, noch eine Transición, noch eine Amtszeit von Präsident Chávez bis 2021 geben. Der Verteidigungsminister hat administrative Aufgaben und nimmt zu allen politischen Tagesfragen Stellung, am wenigsten aber zu militärischen Entscheidungen, weil diese in Verantwortung der Militärs selbst bleiben.

Öffentliche Diskussion der Szenarien über das Ende der Regierung Chávez

Spekulationen über das Ende der Regierung Chávez sind deshalb an der Tagesordnung. Es wird aber notwendig sein, dass die Revolution selbst scheitert und praktisch den Offenbarungseid leisten muss. Wenn die Revolution, maßgeblich von der an den Universitäten "überlebenden" Linken gefördert, zu früh abgelöst wird, wird erneut eine Legende von der verhinderten Revolution mit einem "Martyrer Chávez" gefördert.

Damit würde ausbleiben, was für einen Gesundungsprozess in Venezuela dringend notwendig erachtet wird: dass das Land sich mit seiner realen Situation konfrontiert und dann in einem Transformationsprozess realistische und pragmatische Optionen für die Zukunft eröffnet.

Profunde Vorschläge dazu gibt es sowohl für den Ölsektor, als auch z.B. für die Stärkung lokaler Verantwortung. Anzuschließen wäre auch an erfolgreiche Privatisierungsprozesse und die Strafprozess- sowie die Verfassungsreform. Die öffentliche Diskussion entbrennt weniger über das politische Ende des Präsidenten - es wird allgemein früher oder später erwartet -, sondern eher um die Frage, ob Venezuela das Abwarten des totalen Scheiterns der bolivarianischen Revolution wegen der hohen sozialen Preise zuzumuten ist.

Präsident Chávez folgt derweilen weiter seiner bekannten Doppelstrategie. Dialog über das Parlament, um Gesprächsbereitschaft zu bekunden und Gegner innerhalb der eigenen Reihen und in der Gesellschaft einzubinden, "einzulullen". Auf der anderen Seite lässt Chávez öffentlich keinen Zweifel daran, dass es politisch-inhaltlich keinen Schritt zurück geben wird und keine Abstriche an seiner Revolution zugelassen werden, was die Dialogbereitschaft als Farce erscheinen lässt.

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Henning Suhr

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Leiter der Abteilung Inlandsprogramme

henning.suhr@kas.de +49 30 26996-1013
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