Im Schatten der Ukraine-Invasion Russlands wütet in Myanmar, Indiens direktem Nachbar in Südostasien, ein grausamer Bürgerkrieg. Die Vereinten Nationen veröffentlichten am 1. Februar 2022, dem blutigen „Jahrestag“ des Staatsstreichs in Myanmar, erschreckende Zahlen. Sie zeigen, dass die Militärjunta allein bei friedlichen Protesten mindestens 1.500 Menschen getötet und mehr als 11.000 illegal inhaftiert hat.[i]
Neben diesen düsteren Statistiken hat der Staatsstreich die Uhren auf Myanmars Weg zur Demokratie schlagartig zurückgedreht. Hunderttausende Menschen jeden Alters und jedweder ethnischer Herkunft sind landesweit auf die Straße gegangen. Die Mehrzahl von ihnen sind jünger als dreißig Jahre und haben im letzten Jahrzehnt von dem zaghaften demokratischen Wandel in ihrem Land profitiert. Sie wissen, dass die Rückkehr des Militärs an die Macht die mühsam erarbeiteten Grundfreiheiten und Errungenschaften der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zunichtemachen wird.
Während der „Westen“ mit massiven Sanktionen und Verurteilungen gegen die Junta[ii] auf dessen Putsch reagierte,[1] fiel die Reaktion Indiens deutlich zurückhaltender aus. Indien verfolgt hierbei grundsätzlich eine Politik der Nichteinmischung. Prominente Regierungsvertreter rufen zwar zum Frieden auf, ergreifen jedoch keine konkreten Schritte zur Verurteilung oder Schwächung des Militärs von Myanmar. Das Gegenteil ist der Fall. Die Modi-Regierung verkaufte sogar Kriegswaffen an die Junta. Ferner schickte Indien seinen Militärattaché zur Teilnahme an einer Jubiläumsfeier der sogenannten Tatmadaw im März des Jahres 2021. Indien war dabei nur eine von acht Nationen – in Gesellschaft mit China und Russland.[iii] Währenddessen soll die Armee Myanmars Berichten zufolge allein am Tag der Parade über 90 Demonstranten erschossen haben. [iv]
Vor dem Hintergrund einer solchen Politik versucht dieser Länderbericht die Gründe für die scheinbar vertrauten Beziehungen Indiens zur Tatmadaw zu verstehen. Er geht auch der Frage nach, was von diesen Beziehungen zu halten ist. Also ob sie zur Legitimierung des Militärregimes beitragen oder lediglich wichtige Kommunikationskanäle offenhalten. Schließlich betrachtet der Länderbericht die entscheidende Frage, was es tatsächlich bedeutet, sich für Demokratie stark zu machen und gleichzeitig mit Diktatoren zu verhandeln.
Ein Land in den Fängen der Militärdiktaturen
Myanmar erlangte 1948 seine Unabhängigkeit von der britischen Kolonialherrschaft. Seitdem hat das Land einen weiten und beschwerlichen Weg hin zur Demokratie zurückgelegt. Dieser wurde von Staatsstreichen, landesweiten Protestbewegungen, sagenumwobenen Revolutionären und repressiven Militärdiktaturen gekennzeichnet. Die Bevölkerung Myanmars stand dabei immer wieder im Konflikt mit der mächtigen Tatmadaw. Diese versucht bis zum heutigen Tag jegliche Bestrebungen hin zu einer zivil geführten Regierung zu unterdrücken.
General Aung San gilt als Gründervater Myanmars. Er ist zugleich auch leiblicher Vater des letzten demokratisch gewählten Staatsoberhaupts Myanmars, der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Er hatte einst auch die Tatmadaw gegründet.[v] Diese sollte stets für Sicherheit sorgen, während und nach der Schaffung eines geeinten und demokratischen Birmas.[2] In diesem sollten alle der über hundert anerkannten einheimischen ethnischen Gruppen gleichberechtigt vertreten sein. Es ist nun dasselbe Militär, welches nun erneut[3] seine eigene Tochter zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt hat. Angesichts mehrerer anderer gegen sie eingeleiteter Verfahren drohen ihr bei einer Verurteilung in allen Anklagepunkten sogar mehr als 100 Jahre Haft.[vi]
Die birmesische Demokratie zwischen Traum und Albtraum
General Aung San sollte die Umsetzung seines Demokratisierungstraums von einem unabhängigen Birma allerdings nie persönlich erleben. Im Jahr 1947 wurde er von Getreuen des britischen Empires ermordet.[vii] Das nun unabhängige Birma war von Anfang an von kommunalen Spannungen geprägt. Auch eine Vielzahl anderer Missstände boten den idealen Nährboden für die stetig wachsende politische Macht der Tatmadaw. Höhepunkt einer solchen Entwicklung war der erfolgreiche Staatsstreich eines ehemaligen Kameraden General Aung Sans. Es handelte sich um U Ne Win. Er bildete eine Regierung, die sich fast ausschließlich aus Beamten der Tatmadaw zusammensetzte und damit den Beginn der Einparteienherrschaft der Kommunistischen Partei Birmas (KPB) in Birma einläutete.[viii]
Die Folgekosten der Militärdiktatur lassen sich gut an ökonomischen Eckdaten ablesen. In den 1950er Jahren war das Pro-Kopf-Einkommen Myanmars höher als das von Nachbarstaaten wie Malaysia oder Thailand.[ix] Doch die darauffolgenden Jahrzehnte isolationistischer Politik des Militärs führten zu einem gravierenden Investitionsdefizit in der Wirtschaft und im Bereich öffentlicher Güter und Dienstleistungen. Dies hatte tiefgreifende und schädliche Auswirkungen auf Birmas Humankapital. Die Militärherrschaft verwandelte Myanmar von einer der vielversprechendsten Volkswirtschaften Asiens in eine der leistungsschwächsten.[x]
Aung San Suu Kyi: Vom Aushängeschild der Demokratie zur Leugnerin eines Völkermordes
Im Jahr 2015 errang die Partei von Aung San Suu Kyi, die „National League for Democracy“ (NLD) in größtenteils freien und transparenten Wahlen 79 Prozent der Parlamentssitze.[xi] Nach über 25 Jahren des Einsatzes für ein demokratisches Myanmar stieg die „Lady“, wie sie oft genannt wird, erstmals in die Rolle der de-facto Regierungschefin des Landes auf. Ihre Wahl wurde weltweit in der Presse und in den Medien als Triumph der Demokratie bejubelt. Der zuvor unbesiegbar erscheinende militärische Autoritarismus Myanmars schien überwunden. Ihr Image als Leuchtturm der Demokratie sollte jedoch schon bald ins Schwanken geraten. Hiermit beginnt ein weiteres unrühmliches Kapitel in der jüngsten Geschichte Myanmars – der Genozid der Rohingya.
Die Rohingya leben im rohstoffreichen Bundesstaat Rakhine. Seit 2012 wurden die Angehörigen der muslimischen Volksgruppe von Myanmars Militär und buddhistischen Fundamentalisten immer stärker gezielt verfolgt. Dies führte zu ihrem Massenexodus in Nachbarländer Myanmars.[xii] 1982 erließ U Ne Wins Militärdiktatur ein Staatsbürgerschaftsgesetz, welches die Rohingya von einer Zählung der 135 einheimischen ethnischen Gruppen ausschloss.[xiii] Stattdessen sind sie bis heute als Migranten aus dem benachbarten Bangladesch gebrandmarkt.
Als Konsequenz ihrer Verfolgung haben sich seit den 1970er Jahren Rohingya-Milizen formiert. Im Jahr 2017 erreichte die Gewalt ihren Höhepunkt. Mitglieder der sogenannten „Arkhan Rohingya Salvation Army“ (ARSA) verübten tödliche Angriffe auf fast 30 Sicherheitsposten. Nach Angaben von Amnesty International waren sie auch für das Massaker an 99 hinduistischen Dorfbewohnern in der Region verantwortlich.[xiv] Die Tatmadaw reagierte daraufhin. Sie nahmen die Rohingya-Bevölkerung als Ganzes ins Visier und machten sie für die Gräueltaten der Rohingya-Milizen verantwortlich. Sie verübten Massentötungen, systematische Vergewaltigungen von Frauen und Kindern und zerstörten Dörfer.[xv] Allein im ersten Monat ihrer Kampagne wurden mehr als 6700 Rohingya getötet.[xvi] Mehr als 600.000 Rohingyas sind seither nach Bangladesch geflohen.[xvii] Die Vereinigten Nationen bezeichnete das brutale Vorgehen des Tatmadaws als ethnische Säuberung, die einem Völkermord gleichkomme.[xviii]
Seitdem richteten sich die Argusaugen der Weltöffentlichkeit auf Aung San Suu Kyi. Sie wies solche Anschuldigungen jedoch in zahlreichen Gelegenheiten zurück.[4] Bei einer Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag im Dezember 2019 verteidigte Aung San Suu Kyi das Vorgehen des Militärs im Bundesstaat Rakhine. Sie wies den Vorwurf des Völkermordes zurück.[xix] Ihr wiederholtes Leugnen des Völkermords machte einen Großteil des Wohlwollens, den sie sich im Ausland im Kampf für die Demokratie Myanmars erworben hatte, wieder zunichte.
Ihre Popularität im eigenen Land blieb davon allerdings ungetrübt. In Myanmar, wird sie sowohl als Verkörperung des demokratischen Widerstands als auch als Tochter des Gründungsvaters der Nation, General Aung San, hoch angesehen. Dies belegt nicht zuletzt der haushohe Sieg der NLD bei den Wahlen im Jahr 2020: Dieser fiel sogar noch deutlicher aus als jener im Jahr 2015.[xx]
Das „NUG“ - Hoffnungsschimmer im Kugelhagel
Der Wahlsieg wurde jedoch von einem Militär abgelehnt, das den Verlust der eigenen Macht fürchtet. Im vergangenen Februar übernahm der Militärführer Min Aung Hlaing in einem Staatsstreich die Kontrolle über Myanmar. Somit wurde jegliche Grundlage für eine funktionierende Demokratie in dem 55 Millionen Einwohner zählenden Land zerstört. Außerdem wurden Aung San Suu-Kyi sowie zahlreiche ihrer demokratisch gewählten Partei-Mitglieder inhaftiert. Es folgten landesweite Proteste, eine brutale Unterdrückung jeglicher Form von Dissidenz und die Bildung einer Parallelregierung, dem sogenannten „National Unity Government“ (NUG).[xxi]
Die Gründung des NUGs kann als Zäsur in der Geschichte Myanmars angesehen werden. Es wurden erstmals verschiedene ethnische Gruppen in Form einer Koalition zusammengeführt. Diese haben zudem den Willen bekundet, sich auch der misslichen Lage der Rohingya anzunehmen.[xxii] Sie kämpfen sowohl gewaltfrei als auch mit ihrem jüngst gegründeten bewaffneten Flügel den „People‘s Defense Forces“ (PDF) sowie in Zusammenarbeit mit diversen bewaffneten ethnischen Fraktionen gegen die Militärjunta.[xxiii]
Das NUG ist ein Zusammenschluss von Buddhisten, Muslimen und Christen. Diese haben sich trotz einer Geschichte der wechselseitigen Antipathie nun zusammengeschlossen, um das Militär zu entmachten. Ihre Geschlossenheit lässt das demokratische Potenzial erahnen, das in dem Land schlummert. Dafür müsste es jedoch erstmal gelingen, ein inklusiveres Nationalverständnis zu etablieren.
Neu-Delhi – Pragmatismus sticht am höchsten
Es stellt sich nun die grundsätzliche Frage, warum eine demokratische Nachbarschaftsgroßmacht wie Indien die Militärjunta nicht offen verurteilt, sondern stillschweigend mit ihr kooperiert. Hierfür lassen sich eine Reihe von Gründen anführen. Zu ihnen gehören strategische Überlegungen, wirtschaftliche Interessen, Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Grenzregionen und der Wunsch, den wachsenden Einfluss und die wirtschaftliche Vorherrschaft Chinas in Myanmar zu stoppen. Auf den Punkt gebracht lautet das Credo der indischen Regierung Pragmatismus.
In der Tat ließe sich aus einer realpolitischen Perspektive sogar argumentieren, dass eine Kooperation mit der Junta aus geografischen, ökonomischen, historischen und geopolitischen Gründen unverzichtbar sei. Indien teilt sich eine fast 1700 Kilometer lange, durchlässige Grenze mit Myanmar. Ihr entlang unterhalten mehrere indische Separatistengruppen ihre Stützpunkte.[xxiv] In der Vergangenheit griffen zahlreiche dieser Gruppierungen indische Sicherheitskräfte von Myanmar aus an. Daher weist die Beziehung zwischen den beiden Nachbarstaaten eine ausgeprägte Sicherheitsdimension auf. Die Regierung in Delhi will vermeiden, sich einen indienfeindlichen Nachbarn zu schaffen, welcher solchen extremistischen Gruppierungen einen sicheren Hafen gewährt.
Die Befürchtung besteht, dass ein Zerwürfnis mit der Tatmadaw zu genau diesem Schreckensszenario führen könnte. Sie wird durch einen Blick in die Vergangenheit weiter genährt. So ließ die Tatmadaw im Jahr 1995 rund 200 bewaffnete indische Separatisten aus der Haft entkommen.[xxv] Dies war offenbar eine Reaktion auf Indiens Entscheidung, Aung San Suu Kyi zwei Jahre zuvor den Jawaharlal Nehru Friedenspreis zu verleihen. Auch heutzutage können solche Rebellengruppen nur auf bilateraler Basis wirksam in Schach gehalten werden.
Erschwerend hinzu kommt der zwischen Peking und Delhi tobende geopolitische Kampf um Einfluss in der Region. Ein Verzicht auf Zusammenarbeit mit der Tatmadaw birgt die Gefahr, dass Myanmar vollständig unter den Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gerät. Dies könnte wiederum zu Sicherheitsrisiken zu Lasten Indiens beitragen. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit hilft erneut, derartige Besorgnisse zu rationalisieren. So stieg Chinas Einfluss auf Myanmar wieder massiv an, nachdem westliche Staaten ihre Wirtschaftshilfe im Zuge der blutigen Kampagne der Tatmadaw gegen die Rohingya stoppten. Zuvor ging er mehrere Jahre zurück[xxvi]. Indiens Zusammenarbeit mit der Tatmadaw kann daher vor dem Hintergrund des Konkurrenzkampfes mit China als Maßnahme zur Eindämmung des roten Drachens verstanden werden.
Die Tatmadaw - Pförtner für Indiens Eintritt nach Südostasien
Zu guter Letzt scheint Indien auch ökonomische Gründe für die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zu Myanmars Tatmadaw zu hegen. Premierminister Modis „Act East Policy“ dient als Hauptinstrument zur Beendigung der Binnenisolation der sogenannten sieben Schwesterstaaten der nordöstlichen Region Indiens.[5][xxvii] Angesichts der Stellung Myanmars als Tor zu Südostasien könnte ein erfolgreiches Umfeld für wirtschaftlichen Handel und Konnektivität zwischen den sieben Schwestern und anderen südostasiatischen Nationen geschaffen werden.[xxviii] Dies würde jedoch nur mit dem Segen der Regierung Myanmars erfolgen, welche gegenwärtig von der Tatmadaw gestellt wird.
Bereits heute hat Indien Investitionen im Wert von knapp 780 Millionen Dollar in Myanmar gebunden.[xxix] Zahlreiche millionenschwere Infrastrukturprojekte befinden sich zudem noch in der Realisierungsphase. Eines davon ist das „India-Myanmar-Thailand-Trilateral Highway-Project“.[6] Es zielt darauf ab, Indien über Myanmar mit Thailand verbinden. Die Tatmadaw scheint bereit zu sein, die indische Regierung bei der Fertigstellung dieser Megaprojekte zu unterstützen. Dafür erwartet sie als Gegenleistung weiterhin mit Waffen und politischer Rückendeckung unterstützt zu werden.
Im Falle einer scharfen Kritik Delhis an der Junta könnte sich diese wohlwollende Haltung der Tatmadaw jedoch schnell ändern. Indien könnte seine Wirtschaftshilfe zurückziehen. Daraufhin würde sich General Min Aung Hliang wahrscheinlich auf verstärkte Wirtschaftsinvestitionen aus China verlassen, um seinen Bürgerkrieg zu finanzieren. Wirtschaftliche Drohungen Neu-Delhis in Richtung der Junta stellen daher keine wirkliche Trumpfkarte dar. Hierin liegt ein weiterer Grund für die Bereitschaft Neu-Delhis, in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit allen Regierungen Myanmars zusammenzuarbeiten. Dabei hat es keine Rolle gespielt, ob sie nun demokratisch, quasi-militärisch oder diktatorisch waren.
Befriedungspolitik im Zeichen geopolitischer Kurzsichtigkeit
Viele Gründe scheinen also aus indischer Sicht dafür zu sprechen, den Gesprächsfaden mit der Junta nicht abreißen zu lassen. Ganz so simpel ist die Sachlage jedoch nicht, denn es gibt durchaus Argumente, die gegen eine solche Zusammenarbeit sprächen.
Zunächst geht es um die Zusammenarbeit Indiens mit einem Militär, das für einen Völkermord an der Rohingya-Minderheit sowie für Massentötungen von Zivilisten aller ethnischen Gruppen verantwortlich ist. Diese versetzt Indiens Glaubwürdigkeit als demokratisches Land einen herben Dämpfer. Es steht sonst für eine regelbasierte internationale Ordnung ein. Der gute Ruf, die weltweit größte Demokratie zu sein, steht damit auf dem Prüfstand.
Zudem läuft Neu-Delhi mit seiner Befriedungspolitik Gefahr, die eigenen geopolitischen Ziele zu konterkarieren. Indiens Engagement mit der Tatmadaw hat bereits zu Differenzen mit seinen westlichen Verbündeten geführt, vor allem bei den USA.[xxx] Dadurch befindet sich Neu-Delhi in der heiklen Position, ein Gleichgewicht zwischen seinen Beziehungen zu Washington und der Tatmadaw herzustellen. Ob dies auf Dauer gelingen kann, ist zu bezweifeln.
Derartige Spannungsfelder sind auch in der unmittelbaren Nachbarschaft Indiens zu beobachten. Gerade in Bezug auf Bangladesch nimmt die Rohingya-Frage eine zentrale Bedeutung ein. Die Junta verschärft die Notlage der Rohingyas weiter. Viele von ihnen fliehen weiterhin nach Bangladesch. Die indische Zusammenarbeit mit einer solchen Junta wird von der politischen Elite Bangladeschs äußerst kritisch aufgenommen.[xxxi] Es besteht daher das Risiko für Indien, durch die Unterstützung der Junta Myanmars einen altgedienten und zuverlässigen Verbündeten zu verprellen.
Indien - Auf den Spuren seines ärgsten Widersachers zum Erfolg?
Indiens vorrangiges außenpolitisches Ziel ist, den Einfluss Chinas auf Myanmar durch eine fortgesetzte Zusammenarbeit mit der Tatmadaw zu beschränken. Ob dies jedoch durch eine Zusammenarbeit mit der Tatmadaw erreicht werden kann, bleibt äußerst fraglich. Trotz hoher indischer Investitionen in der Region ist China immer noch der mit Abstand bedeutendste ausländische Akteur in Myanmar, wenn es um wirtschaftliche Anteile geht.[xxxii] Dennoch rangiert Indien mit großem Abstand an zweiter Stelle. Indiens Wettbewerbsvorteil gegenüber China liegt in der „Soft Power“ und dem guten Ruf, den der Subkontinent unter der Bevölkerung Myanmars genießt.[xxxiii] In Bezug auf die „harte Macht“ hinkt Neu-Delhi deutlich hinter Peking hinterher.
Denselben Weg einzuschlagen, wie der erbittertste Gegner, kann also wohl kaum die erhofften Wettbewerbsvorteile gegenüber China schaffen. Durch die Fortsetzung des bilateralen Engagements mit der Tatmadaw riskiert Indien sogar, seinen Soft-Power-Vorsprung gegenüber China zu verspielen. Indische Unterstützung für das „Nationale Unity Government“ hingegen böte die Aussicht, China perspektivisch von der Einflussnahme auf Myanmar zu trennen. Der chinesische Einfluss stieß schon vor dem Staatsstreich auf großes Misstrauen bei der großen Mehrheit der Bevölkerung Myanmars.[xxxiv] Diese bewertet die Zusammenarbeit mit Indien wesentlich positiver.[xxxv] Die Unterstützung des NUGs durch Neu-Delhi hat daher langfristig das Potenzial, ein ideales Klima für künftige Projekte zwischen den beiden Ländern zu schaffen. Voraussetzung hierfür ist allerdings auch, dass das NUG die Junta in absehbarer Zeit entmachten kann.
Sicherheitsinteressen oder nationale Geschlossenheit?
Es wurden bisher versucht, die Rentabilität von Indiens Realpolitik aus geopolitischer und wirtschaftlicher Sicht zu entschlüsseln. Nun soll der dritte Grund, der von der indischen Regierung für ihre Zusammenarbeit mit der Tatmadaw angeführt wird, näher betrachtet werden. Die Rede ist von den zentralen Fragen nach den Sicherheitsinteressen. Dabei scheinen Indiens außenpolitische Entscheidungsträger die engen und partnerschaftlichen Beziehungen zwischen zahlreichen Stämmen der nordöstlichen Bundesstaaten und ihren ethnischen Stammesgenossen in Myanmar missachtet zu haben. Dies hat in den letzten Monaten zunehmend zu internen Sicherheitsproblemen und wachsenden „anti-indischen Gefühlen“ im Nordosten Indiens beigetragen.[xxxvi]
Die Vergangenheit weist rigorose Direktiven der indischen Zentralregierung auf, um den illegalen Zustrom von Flüchtlingen aus Myanmar nach Indien zu stoppen und zu kontrollieren. Dabei geht es konkret um die Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Mizoram, Manipur und Nagaland, auf, welche an Myanmar angrenzen. Dies hat zu weitreichenden Protestmaßnahmen sowie zu Konflikten zwischen der Zentralregierung und den Regierungen der vier nordöstlichen Bundesstaaten geführt.[xxxvii] So weigerte sich beispielsweise Mizorams Ministerpräsident, Zoramthanga, kurz nach Bürgerkriegsbeginn den Direktiven zu folgen. Er öffnete die Grenzen seines Staates für Flüchtlinge, die vor den Kriegshandlungen der Junta flohen.[xxxviii] Er schrieb zudem in einem offenen Brief an die Zentralregierung Modis, dass „Mizoram dem Leiden des burmesischen Volkes nicht einfach gleichgültig gegenüberstehen“[xxxix] könne.
Die Bewohner aller vier an Myanmar angrenzenden indischen Bundesstaaten sind emotional zutiefst von dem Staatsstreich berührt. Dies geht darauf zurück, dass sie alle zu Gemeinschaften und ethnische Gruppen mit grenzüberschreitenden verwandtschaftlichen Banden gehören.
Hinzu kommt, dass Indien seit seiner Unabhängigkeit mit zahlreichen separatistischen Aufstandsgruppen konfrontiert. Diese kämpfen in den abgelegenen nordöstlichen Bundesstaaten für ihre Unabhängigkeit.[xl] Zudem riskiert die indische Zentralregierung nun durch eine enge Beziehung zur Junta ein Wiedererstarken der anti-indischen Aufstandsbewegungen. Dies kann letztendlich zu einem enormen innerstaatlichen Sicherheitsrisiko führen.
Zerbrechendes Vertrauen in die Versprechen eines Diktators
Die Tatmadaw versprach, von Myanmar aus operierende indische Rebellengruppen zu bekämpfen. Dies wurde jedoch nicht eingelöst. Die Junta stößt auf großen militärischen Widerstand und ist bislang nicht in der Lage, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet zu erlangen.[xli] Ebenso ist es ihr nicht möglich, zusätzliche militärische Unterstützung für Indiens Sicherheitsbedürfnisse bereitzustellen. Mit der zunehmenden Instabilität und dem Ausmaß der Unruhen im Rahmen des Bürgerkriegs hat auch der illegale Waffen- und Drogenhandel von Myanmar nach Indien und weitere Nachbarländer zugenommen.[xlii] Beides sind Aktivitäten, die Rebellengruppen aus dem Nordosten Indiens nutzen, um ihre Unabhängigkeitsbestrebungen zu finanzieren.
Eine neue Herausforderung für Neu-Delhis Sicherheitsinteresse stellen zudem neue Berichte dar, wonach sich einige aufständische Gruppen aus dem indischen Bundesstaat Manipur mit der Tatmadaw zusammengetan haben, um die „People’s Defence Forces“ zu bekämpfen.[xliii] [xliv] Sollte sich diese Behauptung bewahrheiten, so hätte dies schwerwiegende Konsequenzen. Sie würde die indischen Hoffnungen auf Sicherheit durch Zusammenarbeit mit Myanmars Militärjunta wohl endgültig platzen lassen. Fest steht, dass die Annahme, eine befreundete Tatmadaw würde für die innerindische Sicherheit sorgen, weder gegenwärtig noch in absehbarer Zukunft realitätsnah erscheint.
Fazit
Indien lässt keine klare Verurteilung von Kriegsverbrechen autoritärer Staaten wie Russland oder des Militärs in Myanmar erkennen. Aus deutscher Sicht lässt sich daher sagen, dass es bisher nicht gelungen ist, die sehr gut funktionierenden themenbezogenen Kooperationsprojekte zu einer stärker wertebasierten Zusammenarbeit und Gesinnung auszubauen. Die deutsch-indische politische Zusammenarbeit und der Dialog der nächsten Jahre wird hier ansetzen müssen. Schließlich hat die russische Invasion der Ukraine eines bewiesen: Man kann mit kriegslüsternen Diktatoren nicht kooperieren, ohne dass dabei unsere demokratischen Werte und Partnerstaaten nachhaltig leiden. Myanmars selbst ernannter Premierminister und Juntaführer, Min Aung Hlaing, ist zweifellos als ein solcher Diktator einzuordnen.
In Myanmar protestieren seit über einem Jahr Millionen unter Einsatz ihres Lebens für die Rückkehr der Demokratie. Diese Auflehnung unterstreicht auch die kraftvollen Worte des einstigen Leuchtturms der Demokratie, Aung San Suu Kyi. In ihrem renommierten Buch „Freedom from Fear“ schrieb sie folgendes:
„In einem System, das die Existenz grundlegender Menschenrechte leugnet, neigt Angst dazu das Gebot der Stunde zu sein. Angst vor dem Gefängnis, Angst vor Folter, Angst vor dem Tod, Angst vor dem Verlust von Freunden, Familie, Eigentum oder Lebensunterhalt, Angst vor Armut, Angst vor Isolation, Angst vor dem Versagen. Eine besonders heimtückische Form der Angst ist die, die sich als gesunder Menschenverstand oder gar als Weisheit ausgibt und die kleinen, alltäglichen Mutproben, die dazu beitragen, die Selbstachtung und die dem Menschen innewohnende Würde zu bewahren, als töricht, frivol, unbedeutend oder sinnlos verurteilt. Es ist nicht leicht für ein Volk, das unter der eisernen Herrschaft des Prinzips „Macht ist Recht“ durch Angst konditioniert wird, sich von dem lähmenden Miasma der Angst zu befreien. Aber selbst unter der repressivsten Staatsmaschinerie kommt immer wieder Mut auf, denn Angst ist nicht der natürliche Zustand des zivilisierten Menschen.“[xlv]
Was die Bevölkerung Myanmars heutzutage braucht, ist jedoch mehr als nur „Freiheit von Angst“. Sie braucht auch die Unterstützung der gesamten demokratischen Staatengemeinschaft – Indien inklusive.
[1] Kollektivsanktionen wurden jedoch von China und Russland im UN-Sicherheitsrat blockiert.
[2] Das Land erlangte seine Unabhängigkeit unter dem Namen „Birma“ und änderte seinen Namen erst im Jahr 1989 in „Myanmar.“
[3] In ihrem Kampf für ein demokratisches Myanmar verbrachte Aung San Suu Kyi, bereits zuvor über 15 Jahre in von der Tatmadaw verhängtem Hausarrest. Erstmalig wurde sie bereits 1989 unter Hausarrest gesetzt.
[4] Wie von zahlreichen Experten vermutet, ging es Ihr dabei wohl hauptsächlich darum, die mächtige Tatmadaw nicht zu verstimmen.
[5] Dabei handelt es sich um die indischen Bundesstaaten Meghalaya, Assam, Manipur, Mizoram, Tripura, Arunachal Pradesh und Nagaland.
[6] Das Projekt umfasst eine Autobahn mit einer vorgesehenen Gesamtlänge von 1360 Kilometern.
[i] CyprusMediaNet (2022): Myanmar: UN Calls For Increased Pressure On Junta, One Year After Coup, in: https://bit.ly/3OOcMyB [14.05.2022]
[ii] Tom Fawthrop (2021): Can Sanctions Work in Myanmar?, The Diplomat, in: https://bit.ly/3tZF6WH [15.05.2022]
[iii] The Indian Express (2021): Two months after coup, India attends military parade in Myanmar, in: https://bit.ly/3nkwRAU [15.05.2022]
[iv] The Wire (2021): On Bloodiest Day for Myanmar Civilians, India Attends Military Parade by Coup Leaders, in: https://bit.ly/3HS4ByW [15.05.2022]
[v] Harvard Divinity School (2022): General Aung San, in: https://bit.ly/3Nn9Tng [16.05.2022]
[vi] Reuters (2022): Myanmar's Suu Kyi handed five-year jail term for graft, in: https://reut.rs/3QOWyH4 [16.05.2022]
[vii] GlobalSecurity.org: Assassination of Aung San - July 19, 1947, in: https://bit.ly/3a3ykID [16.05.2022]
[viii] Encyclopaedia Britannica (2022): U Ne Win: Myanmar general and dictator, in: https://bit.ly/3a3ixJU [17.05.2022]
[ix] John Wong (1997): Why Has Myanmar not Developed Like East Asia?, ASEAN Economic Bulletin, in: https://bit.ly/3nnvuBp [18.05.2022]
[x] Ebd. N. 9
[xi] Kyaw Lynn (2020): The National League for Democracy: A Party for Democracy or Federalism?, The Transnational Institute, in: https://bit.ly/3AcWrPN [19.05.2022]
[xii] Jonah Fisher (2017): UN failures on Rohingya revealed, BBC, in: https://bbc.in/3ysB6Az [21.05.2022]
[xiii] International Commission of Jurists (2019): Citizenship and Human Rights in Myanmar: Why Law Reform is Urgent and Possible, in: https://bit.ly/3ystdv3 [21.05.2022]
[xiv] Amnesty International (2018): Myanmar: Attacks by the Arakan Rohingya Salvation Army on Hindus in northern Rakhine State, in: https://bit.ly/3QZw0D1 [21.05.2022]
[xv] Ebd. N. 14
[xvi] James Griffiths (2017): 6,700 Rohingya killed in first month of Myanmar crackdown, MSF reports, CNN, in: https://cnn.it/3y1HTzQ [21.05.2022]
[xvii] Dr. Arpita Hazarika (2022): World Can’t Fail To Repatriate Rohingyas In Myanmar From Bangladesh, Eurasia Review, in: https://bit.ly/3u6sDjW [22.05.2022]
[xviii] Ben Westcott & Karen Smith (2017): Rohingya violence a 'textbook example of ethnic cleansing,' UN rights chief says, CNN, in: https://cnn.it/2L1q2Cs [22.05.2022]
[xix] Kyodo News (2019): Myanmar's Suu Kyi denies Rohingya genocide in testimony at U.N. court, in: https://bit.ly/3OLut1F [22.05.2022]
[xx] BBC (2021): Aung San Suu Kyi: Myanmar democracy icon who fell from grace, in: https://bbc.in/2GyobAV [21.05.2022]
[xxi] International Crisis Group (2022): Myanmar’s Coup Shakes Up Its Ethnic Conflicts, in: https://bit.ly/39ZDyoR [22.05.2022]
[xxii] Frontier Myanmar (2021): The NUG’s Rohingya policy: ‘Campaign statement’ or genuine reform?, in: https://bit.ly/3ysWvd2 [24.05.2022]
[xxiii] Ebd. N. 21
[xxiv] Anthony Davis (2022): India’s Ties With Myanmar Junta in Focus After Chin Group’s Attack on Manipur Rebels, The Irrawaddy, in: https://bit.ly/3OxdW1t [25.05.2022]
[xxv] Ebd. N. 24
[xxvi] Bertil Lintner (2021): India’s Dilemma Over Ties With Myanmar Military, The Irrawaddy, in: https://bit.ly/3nIrT13 [28.05.2022]
[xxvii] Pratnashree Basu & Soumya Bhowmick (2021): Re-envisioning Northeast for India’s ‘Act East’, Observer Research Foundation, in: https://bit.ly/3bBMa5w [28.05.2022]
[xxviii] Archana Atmakuri & Mustafa Izzuddin (2020): Why Myanmar Should Matter to India, The Diplomat, in: https://bit.ly/3xXiozA [28.05.2022]
[xxix] Jayanta Kalita (2021): Will India Serve as a Catalyst to Solve Myanmar Crisis?, The Irrawaddy, in: https://bit.ly/3OAli4n [28.05.2022]
[xxx] Michael Martin (2021): Prime Minister Modi and Myanmar’s Military Junta, Centre for Strategic & International Studies, in: https://bit.ly/3QVswl5 [29.05.2022]
[xxxi] Hossain Delwar (2022): The Trouble With India’s ‘Twin-Track’ Approach to Myanmar, The Diplomat, in: https://bit.ly/3OtYB1N [29.05.2022]
[xxxii] James Crabtree (2020): China leaves rivals in the dust with influence in Myanmar, Nikkei Asia, in: https://s.nikkei.com/3OuNLIZ [29.05.2022]
[xxxiii] Pranay Sharma (2020): India responds to Myanmar’s call for closer ties to balance out Chinese influence, South China Morning Post, in: https://bit.ly/3I1Yw2X [29.05.2022]
[xxxiv] Lucas Myers (2020): The China-Myanmar Economic Corridor and China’s Determination to See It Through, Asia Dispatches, in: https://bit.ly/3nsX7Jj [29.05.2022]
[xxxv] Ahmedabad Mirror (2022): India, China In Competition For Myanmar's Affections, in: https://bit.ly/3ugpC0z [01.06.2022]
[xxxvi] Rupa Chinai (2022): Myanmar’s Refugees In Mizoram: As India Looks The Other Way, Thousands On Edge, Outlook India, in: https://bit.ly/3OQmznA [01.06.2022]
[xxxvii] Sudha Ramachandran (2021): India’s Dangerous Myanmar Policy, The Diplomat, in: https://bit.ly/3bwkKOg [01.06.2022]
[xxxviii] Tanmoy Chakraborty (2021): 'Financially Strained,' Mizoram CM Brings up Myanmar Refugee Crisis in Meeting With PM, The Wire, in: https://bit.ly/3yx2Tjg [01.06.2022]
[xxxix] Ebd. N. 37
[xl] Rouf Ahmad Bhat (2019): Problem of Insurgency in North-East India: A Long-Standing War with few Prospects, in: https://bit.ly/3bIE4Ik [01.06.2022]
[xli] Riya Sinha (2022): Ethnic Rebellion: Armed Struggle in Myanmar’s Borderlands, Centre for Social and Economic Progress, in: https://bit.ly/3nyveQa [01.06.2022]
[xlii] John Reed (2021): How Myanmar coup fuelled rise in illegal drugs trade, Financial Times, in: https://on.ft.com/3nwgYav [01.06.2022]
[xliii] Bibhu Prasad Routray (2021): Manipur: Insurgency Upturn, Mantraya, in: https://bit.ly/3R2Yls3 [02.06.2022]
[xliv] The Irrawaddy (2021): Rebel Fighters From India Cooperating With Myanmar Military Regime, in: https://bit.ly/3uj1RVL [03.06.2022]
[xlv] Aung San Suu Kyi. (1991) Freedom from fear. NY: Penguin Books USA
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