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Im Schatten wachsender Ideologisierung
Im politischen System Chinas gebe es keine Alternative zur Kommunistischen Partei, da die Partei eine solche Alternative nicht zulasse, erklärte einst der Historiker und Publizist Theo Sommer den Zirkelschluss chinesischer Politik1. Und diese Alternativlosigkeit scheint zunehmend auch für die Position Xi Jinpings innerhalb des chinesischen Machtapparates zu gelten: Monatelang grassierten Gerüchte über interne Streitigkeiten, etwa zwischen Xi und seinem als wirtschaftsfreundlich geltendem Premierminister Li Keqiang. Ende September machten auf Twitter gar Gerüchte über einen möglichen Putsch gegen Xi die Runde. Doch wenige Tage vor dem Parteitag ist von internen Streitigkeiten keine Rede mehr. Trotz schwacher Wirtschaftszahlen und drakonischer Zero-Covid-Maßnahmen weist zurzeit nichts darauf hin, dass Xis Machtposition im Vorfeld des Parteitages geschwächt ist. Denn der Apparat greift durch: So wurden kürzlich gleich sechs ranghohe Funktionäre des chinesischen Sicherheitsapparats verurteilt, drei frühere Provinzpolizeichefs, ein früherer Justizminister, ein früherer Politkommissar und zuletzt gar ein ehemaliger stellvertretender Minister für öffentliche Sicherheit2. Mit Hilfe von Antikorruptionskampagnen hatte Xi bereits seit seinem Amtsantritt 2012 auch Kritiker innerhalb der Partei ausgeschaltet. Nun könnte ihm der diesjährige Parteitag die Perspektive eröffnen, enge Gefolgsleute in den inneren Machtzirkel zu heben. Inhaltlich sind die Erwartungen an den Parteitag derweil ernüchternd: „Xi wird in seiner Eröffnungsrede den Ton für die nächsten fünf Jahre setzen. Er wird seine Ziele bekräftigen: ideologiegetriebene Politik, mehr Autorität für die Partei und mehr internationale Schlagkraft und Selbstständigkeit für China", konstatiert Nis Grünberg, Lead Analyst bei MERICS3.
Historische Zäsur
Seit Mao wird Xi der erste Staatschef sein, der mehr als zwei Amtszeiten bestreitet. Eine entsprechende Begrenzung wurde 2018 abgeschafft. Auch der inoffizielle Grundsatz der Partei, die sogenannte „Sieben-Hoch-Acht-Runter”-Regel (七上八下), wonach Parteifunktionäre im Alter von 68 Jahren ihre Ämter abtreten, findet für Xi keine Anwendung. Er ist bereits 69 Jahre alt. Unterhalb des Generalsekretärs kommt es jedoch auf dem Parteitag zu einem Stühlerücken, das auch Einblicke in die parteiinternen Machtverhältnisse ermöglichen wird.
Undurchsichtiges Personalkarussell
Xi steht an der Spitze des Ständigen Ausschusses des Politbüros, dem engsten Machtzirkel der Partei, der sieben Mitglieder zählt. Dem Gremium gehören neben Xi sechs weitere Männer an. In hierarchischer Rangfolge sind dies Premierminister Li Keqiang, der Chef des Nationalen Volkskongresses Li Zhanshu, der Vorsitzende der beratenden Politischen Konsultativkonferenz Wang Yang, der Sekretär des Zentralkomitees Wang Huning, der Leiter der Disziplinarkommission Zhao Leji und der Erste Vizepremier Han Zheng. Sollte die interne Altersgrenze nur für Xi ausgesetzt werden, gilt es, Posten neu zu besetzen: „Eigentlich müssten aus dem Ständigen Ausschuss neben Xi damit auch Li Zhanshu und Han Zheng ausscheiden. Da Xi bleibt, winken also voraussichtlich zwei Spitzenplätze für Neue. Im 25-köpfigen Politbüro wird voraussichtlich die Hälfte der Mitglieder ersetzt“, analysiert Christiane Kühl für China.Table4. Sollte sich Premierminister Li Keqiang vollständig aus der aktiven Politik verabschieden, könnten drei Posten nachbesetzt werden.
Für die freiwerdenden Positionen im Ständigen Ausschuss des Politbüros werden etwa der Leiter des Allgemeinen Büros des Zentralkomitees Ding Xuexiang, Vizepremier Hu Chunhua sowie der Parteichef von Chongqing Chen Min'er als aussichtsreiche Kandidaten gehandelt. „Ding und Chen sind Xi-Protegés. Auch Shanghais Li Qiang sowie [der Pekinger] Parteichef Cai Qi, werden immer wieder genannt. Wenn er aufrückt, könnte Hu Chunhua im Ständigen Ausschuss der Einzige sein, der nicht zu Xis Gefolgsleuten gehört“, so Kühl5.
Stühlerücken vor dem Nationalen Volkskongress
Die Personalrochaden auf dem 20. Parteitag werden direkte Rückschlüsse auf die Besetzung der Staatsämter zulassen, über die offiziell beim Nationalen Volkskongress im März kommenden Jahres entschieden wird. Dabei wird über die Ämter des Vizepräsidenten, des Premierministers sowie dessen Stellvertreter bestimmt. Klare Favoriten scheint es nicht zu geben. Premierminister Li hatte bereits im März seinen Rücktritt angekündigt6. Als mögliche Kandidaten für seine Nachfolge werden Wang Yang und Hu Chunhua gehandelt, ein ehemaliger sowie ein jetziger Vizepremierminister. Wie Premierminister Li und Xis Vorgänger Hu Jintao zählen beide jedoch zur Fraktion der Jugendliga der Partei. Einige Experten gehen deshalb davon aus, dass Xi andere Kandidaten bevorzugen könnte. Hier werden erneut der Parteichef aus Schanghai, Li Qiang, sowie sein Amtskollege aus Chongqing, Chen Min’er, als Favoriten Xis gehandelt. Sollte es Xi gelingen, das gewichtige Amt des Premierministers mit einem seiner Gefolgsleute zu bekleiden, würde dies seine ohnehin große Machtfülle noch stärker festigen. Mit Argusaugen wird dabei auf Li Qiang geblickt werden. Als Hauptverantwortlicher für den Lockdown in Schanghai stand er stark in der Kritik. Ob es Xi trotzdem gelingt, seinem Protegé zu ermöglichen, weitere Stufen auf der Karriereleiter zu erklimmen, bleibt abzuwarten.
Mit Spannung wird ebenfalls darauf geblickt, wer den Posten des Vizepräsidenten bekleiden wird. Das Amt gilt als Königsmacher: So diente Xi selbst als Vizepräsident unter seinem Amtsvorgänger Hu Jintao. Spekulationen zufolge könnte Xi seinen Vertrauten Liu He, Ökonom und derzeitiger Vizeministerpräsident für Wirtschaft und Finanzen, für das Amt auserkoren haben. Denn als potentieller Nachfolger Xis würde der 70-Jährige aufgrund seines Alters nicht infrage kommen. Die Wahl wäre somit ein Indiz dafür, dass Xi mit seinen 69 Jahren keineswegs ans Aufhören denkt.
Ausblick
Keine Frage: Unter Xi ist China in den vergangenen zehn Jahren wohlhabender und autoritärer, selbstbewusster und aggressiver geworden. Derweil steht China gerade wirtschaftlich vor immensen Herausforderungen. Die rigide und ideologiegetriebene Corona-Politik hat das Wachstum abgewürgt und die Jugendarbeitslosigkeit rapide ansteigen lassen. Chinas städtische Jugendarbeitslosenquote erreichte im Juli 19,9 Prozent7. Die Volksrepublik ist seit Beginn der Pandemie ärmer und ungleicher geworden. Zudem hat die Rückendeckung Pekings für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine dem Ansehen Chinas in Europa und darüber hinaus immensen Schaden zugefügt. Drohungen gegenüber Taiwan haben zusätzliche Ängste vor einem offenen Systemkonflikt geschürt. Das Jahr 2022 hätte für Xis China ein weiteres Jahr des ökonomischen Fortschritts und des wachsenden internationalen Einflusses werden können8. Stattdessen steht Xi auch nach dem Parteitag vor immensen Herausforderungen — mit offenem Ausgang.
1Sommer, Theo 2019: China First — Die Welt auf dem Weg ins chinesische Jahrhundert, C.H. Beck Verlag.
2Böge, Friederike 2022: Todesurteile zum Parteitag, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2022, Nr. 223, S. 5.
3MERICS 2022: Vorschau auf den 20. Parteitag, abrufbar unter: https://merics.org/de/merics-briefs/vorschau-auf-den-20-parteitag, Stand 10.10.2022.
4Kühl, Christiane 2022: KP-Parteitag: Wer steigt auf – wer muss gehen?, China.Table, 28.09.2022.
5Ebd.
6Bloomberg, Reuters 2022: Chinese premier Li Keqiang confirms he will step down next March, abrufbar unter: https://www.straitstimes.com/asia/east-asia/chinese-premier-li-confirms-he-will-step-down-next-march, Stand 10.10.2022.
7Petring, Jörn, Koppenburg, Gregor 2022: Mehr arbeitslose Jugendliche als je zuvor, China.Table, 13.09.2022.
8Für dieses Argument siehe auch: Büchenbacher, Katrin 2022: Xi Jinping im Spiegel seiner eigenen Worte, Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2022, S. 6-7.
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