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Die historische Entwicklung der Migration aus Afghanistan
Einleitung
Nach Angaben von UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, befanden sich im Jahr 2015 weltweit insgesamt 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht. In das öffentliche Bewusstsein Deutschlands gelangte diese humanitäre Katastrophe, als im gleichen Jahr dramatisch ansteigende Flüchtlingsströme die Länder der EU, vor allem aber Deutschland erreichten. Seitdem sind Begriffe wie Flüchtlingskrise, Mittelmeerroute, Balkanroute, Schleuserindustrie etc. den meisten Deutschen geläufig. Die teils sehr erbittert geführte Diskussion um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen bzw. Asyl-bewerbern hat seitdem nicht nur Deutschland, sondern auch die Länder der Europäischen Union gespalten und zu tiefgreifenden politischen Kontroversen geführt.
Lag zumindest anfangs das Hauptaugenmerk vor dem Hintergrund des dort tobenden Bürgerkrieges auf Syrien als dem Hauptherkunftsland von Flüchtlingen nach Europa, so kristallisierte sich die Islamische Republik Afghanistan schnell als das zweitgrößte Herkunftsland von Flüchtlingen nach Europa heraus. In den Hintergrund geriet hierbei die Tatsache, dass Afghanistan jahrelang das Herkunftsland der meisten Flüchtlinge welt-weit war. Im Jahr 2014 lebten ca. 2,6 Millionen Afghanen außerhalb Afghanistans, die Mehrheit von ihnen in Pakistan (ca. 1,6 Millionen) und Iran, sowie geschätzte weitere 2 Millionen nicht offiziell registrierter Afghanen in beiden Ländern. Im gleichen Jahr er-reichte die Quote freiwillig nach Afghanistan zurückkehrender Afghanen ihren historischen Tiefststand. Hinzu kommen noch ca. 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge innerhalb Afghanistans.
Stellten im Jahre 2014 noch 9.115 Afghanen Erstanträge auf Asyl in Deutschland (zum Vergleich Syrien mit 39.332), waren es 2015 bereits 31.382 (Syrien 158.657) und 2016 insgesamt 127.012 (Syrien 266.250). Somit stellten Afghanen nach den Syrern auch die zweitgrößte Gruppe von Antragstellern auf Asyl in Deutschland. Die Zahl der afghanischen Antragsteller auf Asyl in Deutschland hat sich innerhalb eines Zeitraumes von nur zwei Jahren fast vervierzehnfacht (das entspricht einem Anstieg um rd. 139,3 %). Laut dem Ergebnis des Mikrozensus 2015 des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2015 insgesamt 156.000 Menschen mit afghanischem Migrationshintergrund in Deutschland , davon ca. 35.000 alleine in Hamburg, der deutschen Stadt mit der größten afghanischen Exilgemeinde. Somit lebt in Deutschland die größte Gemeinde von Exil-Afghanen in ganz Europa.
Gleichzeitig ist die Deutsche Bundeswehr seit 2002 in Afghanistan engagiert und zwar bis Ende 2014 im Rahmen des friedenerzwingenden ISAF-Einsatzes und seit 2015 im Rahmen der Ausbildungsmission Resolute Support (insgesamt verloren dort 56 deutsche Soldaten ihr Leben ). Auch ist die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile nach den USA der zweitgrößte Geldgeber für Afghanistan.
In Zusammenarbeit mit seinem langjährigen, in Kabul ansässigen Partnerinstitut NCPR (National Center for Policy Research) untersuchte das KAS-Auslandsbüro Afghanistan Hintergründe und Ursachen der massenhaften Flucht vieler Afghanen hauptsächlich nach Europa. Der erste vorliegende Teil widmet sich der historischen Entwicklung der Migration aus Afghanistan im 20. Jahrhundert sowie ihrer Hintergründe und Ursachen. In einem zweiten Bericht wird anschließend auf die aktuelle Problematik Afghanistans als dem zweitgrößten Herkunftsland von Flüchtlingen nach Europa eingegangen.
1. Der historische Hintergrund afghanischer Migration
Nach der Unabhängigkeit Afghanistans als Folge des dritten anglo-afghanischen Krieges im Jahre 1919 und besonders während der Regierungszeit von König Zahir Schah (1933-1973) entwickelte sich langsam eine afghanische Migrationsbewegung, sowohl innerhalb als auch außerhalb Afghanistans. Ein Teil der Afghanen emigrierte in Nachbarländer wie Pakistan (bis zur Unabhängigkeit im August 1947 ein Teil von Britisch-Indien) und den Iran, und ein anderer deutlich kleinerer Teil in die Länder des da-maligen Ostblocks und West-Europas, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Innerhalb des Landes selbst zeichnete sich ebenfalls eine langsame Abwanderung von den Dörfern in die größeren Städte ab, vor allem in die Hauptstadt Kabul. Mit dem Sturz Zahir Schahs durch seinen Cousin und Schwager Mohammad Daoud (1973-1978), wurde Afghanistan 1973 in eine Republik umgewandelt und eine neue Reformpolitik eingeleitet. Letztere hatte vor allem die Emanzipation der Frauen und die Bekämpfung islamistischer Umtriebe zum Ziel. In der Folge gab es eine weitere Emigrationswelle, die dieses Mal vorrangig politischer Natur war. Oppositionelle, das heißt vor allem islamistisch orientierte Gruppen, emigrierten nach Pakistan. Unter ihnen befand sich auch Ahmad Schah Massoud, der spätere Mudschaheddin-Führer und „Löwe des Pandschir-Tals“, der sogar an einem gescheiterten Umsturzversuch gegen Daoud teilnahm. Motivation dieses Widerstands waren nicht nur Daouds Reformen und seine Verfolgung islamistischer Tendenzen, sondern auch der wachsende Einfluss der kommunistischen Partei Afghanistans, der DVPA (Demokratische Volkspartei Afghanistans) und ihrer politischen Ziele. Bereits zu diesem Zeitpunkt etablierte sich der vor allem religiös motivierte Anti-Kommunismus als starke Triebkraft einer afghanischen Widerstandsbewegung.
Die große Ab- und Auswanderungswelle der Afghanen inner- und außerhalb des Landes setzte fast unmittelbar nach dem Putsch und der Machtübernahme der Kommunisten unter Nur Muhammad Taraki im April 1978 ein. Es folgten der Putsch durch Hafizullah Amin im September 1979, der Einmarsch der Sowjets im Dezember des gleichen Jahres, der Krieg der Mudschaheddin gegen die Besatzungsmacht, der Abzug der sowjetischen Truppen im Februar 1989, ein Bürgerkrieg der rivalisierenden Mudschaheddin-Gruppen um die Macht im Land von 1992 – 96, die Machtübernahme durch die Taliban, der Fall des Taliban-Regimes ab Oktober 2001 und der Kampf der ISAF-Truppen gegen letztere bis zum offiziellen Ende der Mission im Dezember 2014. Seit diesem Zeitpunkt bekämpfen die afghanischen Sicherheitskräfte die Taliban in Eigenverantwortung. Im Prinzip herrscht in Afghanistan seit 1978 ein mehr oder weniger permanenter Kriegszustand.
In der Zeit von 1978 bis 2012 stellte Afghanistan die höchste Zahl von Flüchtlingen weltweit (seit 2013 hat Syrien diese Position übernommen). Unsicherheit, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Probleme, regelmäßig vorkommende Naturkatastrophen (z.B. Dürreperioden, Fluten und Erdbeben) und der Zusammenbruch des menschlichen und sozialen Lebens in verschiedenen Aspekten waren die Hauptfluchtgründe vieler Afghanen. Allein im Zeitraum von 1978 bis 2001 haben insgesamt 9 Millionen Afghanen ihr Land verlassen. Hinzu kommen weit über eine Million Binnenflüchtlinge (die Anzahl kann aufgrund fehlender Registrierung nur geschätzt werden und daher vermutlich höher liegen) innerhalb des Landes.
Zwischen 2002-2006 sind mehr als 5,8 Millionen Afghanen hauptsächlich aus Pakistan und dem Iran freiwillig in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Allein im Jahre 2002 sind ca. 1,5 Millionen Afghanen freiwillig aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekommen. Diese Zahl ist die höchste Flüchtlings-Rückkehr in der Welt in einem Jahr seit 1972. Momentan leben noch ca. 4 Millionen Afghanen als Flüchtlinge außerhalb ihres Landes. Die Mehrheit von ihnen hat Afghanistan vor mehr als 20 Jahren verlassen. Nach 2006 ist die Zahl der afghanischen Rückkehrer gesunken, während gleichzeitig die Zahl der Afghanistan verlassenden Menschen deutlich gestiegen ist.
Für den Rückgang der Zahl der afghanischen Rückkehrer im Jahre 2006 waren drei wichtige Faktoren verantwortlich: Die Verschlechterung der Sicherheitslage im Lande, das wirtschaftliche und soziale Gefälle Afghanistans im Vergleich zu seinen Nachbarländern, und die Tatsache, dass die registrierten afghanische Flüchtlinge in Pakistan (2.15 Millionen) und im Iran (0.9 Millionen) seit mehr als 20 Jahren in diesen Ländern lebten. Obwohl die Wahrscheinlichkeit bestand, dass die große Welle der freiwilligen Rückkehr der afghanischen Flüchtlingen nicht mehr stattfinden würde, sind im Jahre 2016 wieder über eine Million afghanischer Flüchtlinge (davon über 0,9 Million freiwillig) insbesondere aufgrund der sich verschlechterten politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern aus Pakistan zurückgekehrt.
Die Ergebnisse einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2010 des National Center for Policy Research (NCPR), einem institutionellen Partner der Konrad-Adenauer-Stiftung, über die sozialen Faktoren und Folgen der Auswanderung und Rückkehr der Afghanen belegen, dass 31% der Afghanen in der Periode der kommunistischen Regierung in Afghanistan (1978-1992), 21% nach dem Sturz des Kommunistischen Regimes und in der Periode des Bürgerkrieges (1992-1996), 43% während der Zeit der Taliban Herrschaft (1996-2001) und lediglich 5% in der Periode der Karzai-Regierung (2001-2014) ihre Heimat verlassen haben. Die Mehrheit der afghanischen Flüchtlingen (89%), sind nach Pakistan (56%) und Iran (33%) geflohen. Arabische Länder hatten bis 2010 nur 4% und westliche Länder 2% der afghanischen Flüchtlinge aufgenommen. In dieser Zeit haben folgende Beweggründe die Flucht vieler Afghanen begünstigt: 73% Krieg und Unsicherheit, 12% politischer Druck und Diskriminierung, 9% wirtschaftliche Probleme und 6% Schwierigkeiten bei der Ausbildung der Kinder. Die Beweggründe für die Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in der Periode von 2002-2008 waren zu 60% die Verbesserung der Sicherheitslage, zu 16% politischer Druck im Gastgeberland, zu 10% wirtschaftliche Probleme im Gastgeberland und zu 7% seelischer Druck und Unstimmigkeit mit der Kultur des Gastgeberlandes.
Fazit
Die Darstellung der historischen Entwicklung der Migration aus Afghanistan dient dem besseren Verständnis der aktuellen afghanischen Migrationsbewegung hauptsächlich nach Europa, die einem Folgebericht gesondert untersucht werden wird.
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Regionalprogramm Südwestasien
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