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Mit einem konservativen Kurs zur Erneuerung der Partei – am Ende hatten die Delegierten des Parteitags der PP am 20. und 21. Juli in Madrid deutlicher als erwartet für diese Formel zur Wiederbelebung der Volkspartei nach dem Verlust der Regierung und den zuletzt schlechten Umfrageergebnissen gestimmt.
Pablo Casado verkörpert beides. Im innerparteilichen Wahlkampf der letzten Wochen hatte er immer wieder eine programmatische Neuausrichtung der Volkspartei gefordert und diese für den Fall seiner Wahl in Aussicht gestellt. Er scheute sich dabei auch nicht, Kritik an der Regierung von Ministerpräsident Rajoy zu äußern, nachdem er selbst als stellvertretender Generalsekretär für Kommunikation in den letzten drei Jahren einer der maßgeblichen Sprecher der Volkspartei war und die Regierungslinie stets ohne Einschränkungen verteidigt hatte. Kritik übte er nun sowohl an der seiner Meinung nach zu nachlässigen Haltung gegenüber den Separatisten in Katalonien sowie einem allzu pragmatischen Regierungskurs, der eine klare Richtung und Werteorientierung habe vermissen lassen. Diese Kritik richtete sich vor allem gegen Rajoys langjährige Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría, die in den vergangenen Jahren die Federführung im Umgang mit den Autonomen Regionen und darunter auch Katalonien hatte – und nun die verbliebene Mitbewerberin um den Parteivorsitz war.
Die Parteitagsdelegierten nahmen ihm diese Kritik nicht übel, auch wenn sie gleichzeitig Rajoy feierten, als der seine Abschiedsrede hielt. Bei der Wahl des Vorsitzenden erhielt Casado 1.701 von 2.973 Stimmen (57%), während für Sáenz de Santamaría 1.250 Delegierte votierten (42%).
Erstmals in ihrer Geschichte hat die Volkspartei ihren Vorsitzenden in einem offenen demokratischen Verfahren gewählt. Sowohl Mariano Rajoy als auch dessen Vorgänger José Maria Aznar waren jeweils von ihren Vorgängern (bei Aznar war dies der Parteigründer Manuel Fraga gewesen) mit einem „dedazo“, einem Fingerzeig, bestimmt und dann von Parteitagen per Akklamation bestätigt worden. Diesmal aber fand die Wahl des Vorsitzenden nicht nur in einem offenen Wettbewerb, sondern auch in einem unvorbereiteten und teilweise sogar improvisierten Verfahren statt. Allerdings zeigte der Parteitag am 20. und 21. Juli, dass die Partei nicht nur das Verfahren akzeptierte, sondern stolz darauf ist, in einem transparenten und demokratischen Prozess ohne tiefere Zerwürfnisse einen neuen Vorsitzenden gewählt zu haben. In Zukunft wird es kaum möglich sein, von diesem demokratischen Weg wieder abzuweichen.
Die Wahl des neuen Vorsitzenden erfolgte in zwei Stufen. Am 5. Juli fand eine Urwahl statt, an der alle Parteimitglieder teilnehmen konnten, die sich in ein eigens dafür angelegtes Register eintragen hatten. Bei dieser Urwahl traten sechs Bewerber an. Aufgrund der Kürze der Vorbereitung gab es an manchen Wahllokalen keine vorbereiteten Stimmzettel und die Wähler mussten den Namen ihres Kandidaten mit der Hand auf einen Zettel schreiben, den sie in die Urne steckten. Doch es gab praktisch keine nennenswerte Anfechtung nach der Auszählung der Stimmen. Da keiner der Bewerber eine absolute Stimmenmehrheit erreichte, fand die Stichwahl nun im zweiten Durchgang durch die Delegierten des Parteitags statt.
Soraya Sáenz de Santamaría und Pablo Casado hatten mit 21.513 Stimmen (37%) und 19.967 Stimmen (34,3%) am 5. Juli die besten Ergebnisse erzielt. Ihr Vorsprung war zwar relativ knapp, doch aufgrund ihres relativ besseren Abschneidens beanspruchte Sáenz de Santamaría quasi eine Akklamation zur Vorsitzenden. Sie forderte Casado auf, das Votum der Basis anzuerkennen und bot ihm an, als Generalsekretär die Partei mit ihr zu führen. Ihren Anspruch auf Unterstützung begründete sie einerseits damit, dass die PP stets den Standpunkt vertrete, derjenige mit der größten relativen Mehrheit habe den Anspruch auf die Regierungsführung (das bezieht sich auf allgemeine Wahlen). Andererseits hob sie ihre langjährige Erfahrung als stellvertretende Ministerpräsidentin hervor und betonte, es gehe bei der Parteiwahl nicht nur um den Vorsitzenden, sondern auch um den künftigen Ministerpräsidenten, wofür sie die meiste Erfahrung und beste Qualifikation mitbringe. Casado aber hielt an seiner Bewerbung fest und sicherte sich auch die Unterstützung der übrigen vier Mitbewerber aus dem ersten Wahlgang.
Wichtig war dabei vor allem die Unterstützung durch die bisherige langjährige Generalsekretärin María Dolores de Cospedal, die bei der Urwahl einen Stimmenanteil von nur 25,9% erhalten hatte. Vor der Urwahl hatten viele Parteimitglieder und Beobachter erwartet, dass Sáenz de Santamaría und Cospedal in die Stichwahl kämen. Doch Casado hatte ein überraschend gutes Ergebnis bei der Direktwahl erhalten.
Aufgrund seines guten Abschneidens widersetzte sich Casado allen Aufrufen zur Bildung eines integrierten Parteivorstands (bei dem er nur eine 2. Rolle gespielt hätte). Anscheinend hat u.a. auch Mariano Rajoy, der die Wahl seines Nachfolgers als neutraler Beobachter verfolgte und keine Präferenz für einen der Kandidaten zu erkennen gab, zumindest im Hintergrund durch den Versand einiger SMS versucht, die beiden Kandidaten zu einer Vereinbarung zu bewegen, die eine Stichwahl überflüssig gemacht hätte. Casado aber bestand auf der Einhaltung des eingeschlagenen Verfahrens.
Sowohl während seiner parteiinternen Wahlkampagne, bei der er ebenso wie Sáenz de Santamaría in kurzer Zeit Parteigliederungen in fast allen 52 Provinzen des Landes besuchte, als dann auch in seiner Vorstellungsrede auf dem Parteitag am 21. Juli, betonte Casado, dass er eine programmatische Erneuerung der Volkspartei anstreben würde. Er griff damit eine Forderung auf, die auch José María Aznar, kurz vor dem Sturz Rajoys öffentlich geäußert hatte und die als Kritik an dessen pragmatischem Regierungskurs gemeint war. Auch deshalb wird Casado eine große Nähe zu Aznar beschieden, zumal er von 2009 bis 2012 dessen Büroleiter war. Aznar hatte ebenso wie Rajoy in dem parteiinternen Wahlkampf Neutralität gewahrt, doch verschiedene Äußerungen ließen darauf schließen, dass er Casado näher stand.
In seinen Reden während der Wahlkampagne und zuletzt auf dem Parteitag betonte Casado drei Punkte: Erstens, die Wiederaufrichtung der Partei nach dem Verlust der Regierung, vor allem aber auch nach den Stimmenverlusten bei den Wahlen 2015 und 2016 und zuletzt in den Meinungsumfragen. Sein Ziel ist es, wieder eine absolute Mehrheit der Sitze in der Abgeordnetenkammer zu gewinnen. Zweitens, die Öffnung gegenüber der Gesellschaft, indem die Partei den bisherigen Hermetismus aufgeben und sich gegenüber gesellschaftlichen Gruppierungen öffnen und zum Teil deren Anliegen vertreten solle. Drittens, die Bewahrung und Förderung der Einheit der Partei selbst.
Im Hinblick auf die programmatische Erneuerung, die während eines späteren Programmparteitags beschlossen werden soll, nannte Casado einige Themen, die auch in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit fanden und von manchen Kommentatoren als „konservativ“ oder sogar als „konservative Revolution“ bezeichnet wurden. Wichtig sind für ihn vor allem die Bestätigung der individuellen Freiheit und eine Stärkung des liberalen Wirtschaftsmodells, wobei er sich auch für Steuerkürzungen aussprach. Besonders betont hat der gläubige Katholik Casado daneben vor allem das Recht auf Leben, das für ihn insbesondere bedeutet, die Fristenregelung bei der Abtreibung und die Sterbehilfe wieder abzuschaffen, und auch die pränatale Diagnostik erheblich einzuschränken. Zudem will er sich für eine besondere Förderung der Familien einsetzen. Auch diese Positionen sind eine indirekte Kritik am Pragmatismus der Regierung Rajoy, der selbst 2014 eine Verschärfung des Abtreibungsrechts verhindert hatte, als die Volkspartei durch ihre Mehrheit im Parlament dazu in der Lage gewesen wäre. Offene Kritik sogar äußerte Casado am Umgang der Regierung Rajoy mit den katalanischen Separatisten, die noch viel härter mit juristischen Mitteln bekämpft werden müssten. Dass das Referendum am 1. Oktober 2017 nicht verhindert werden konnte, kritisierte er ebenso wie die ohnehin zaghaften Dialogversuche.
Casado gelang es, mit diesem Konzept unterschiedliche Gruppierungen der Partei für sich zu gewinnen. Einerseits hatte er von Anfang an die Unterstützung der Jugendorganisation „Nuevas Generaciones“, deren Regionalvorsitzender in Madrid er von 2005 bis 2013 war. Andererseits gelang es ihm, konservative Persönlichkeiten und Gruppierungen für ein Engagement zu bewegen, die sich in den vergangenen Jahren aus Kritik und Enttäuschung über den pragmatischen Kurs von Ministerpräsident Rajoy zurückgezogen hatten; dazu gehören nicht nur das Umfeld und die Anhänger von José María Aznar, sondern auch konservative Gruppierungen wie die Anhänger der katholisch-fundamentalistischen Organisation „Hazte Oír“ (Verschaff dir Gehör), die gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehen eintritt und ganzseitige Anzeigen in überregionalen Zeitungen zugunsten von Casado veröffentlicht hatte. Casado will zudem diejenigen Parteimitglieder zurückgewinnen, die Ende 2013 die rechtspopulistische Partei „Vox“ gegründet hatten. Wichtig war für ihn am Ende vor allem aber auch die Absprache mit María Dolores de Cospedal und den drei anderen Kandidaten des ersten Wahlgangs, was ihm die notwendigen Delegiertenstimmen sicherte.
Der Ausgang der Abstimmung war dennoch bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses ungewiss und spannend, weil viele Delegierte nicht zu erkennen gaben, für wen sie stimmen würden. Das galt nicht zuletzt für viele Abgeordnete und Funktionsträger auf verschiedenen Parteiebenen. Da die Wahllisten vom Vorsitzenden entschieden werden, wollten viele Delegierte ihre Präferenz nicht bekannt geben, um dadurch nicht ihre Mandate zu gefährden. Casado hat bereits deutlich gemacht, dass er von dem Entscheidungsrecht über die Wahllisten Gebrauch machen wird. Er wird zunächst aber noch den neuen Generalsekretär und die weiteren Vorstandsmitglieder bestimmen, denn auch dafür hat er nun freie Hand erhalten.
Erneuerung und Herausforderungen
Mit der Wahl von Pablo Casado haben sich die Delegierten des PP-Parteitags für eine Erneuerung der Partei entschieden. Casado verkörpert in erster Linien einen Generationenwechsel und einen personellen Neuanfang; über die pragmatische Neuausrichtung der Partei wird zwar später entschieden, doch wird der neue Vorsitzende dann nicht von den Positionen abrücken können, die er nun im parteiinternen Wahlkampf vertreten hat.
Dennoch verkörpert Casado im Moment vor allem eines: eine Alternative zur Ciudadanos-Partei und deren ebenfalls noch jugendlichem Vorsitzenden Albert Rivera. Ciudadanos hat in den letzten Monaten mit einem konservativen Diskurs und nicht zuletzt einer harten Haltung gegenüber den katalanischen Separatisten viel Zustimmung erhalten. In einer Umfrage des Instituts „Sigma Dos“ von Anfang Juli (veröffentlicht in El Mundo am 15. Juli 2018) liegt Ciudadanos mit 24,2% in der Wählergunst sogar vor der PP mit 22,3%. Angeführt wird diese Präferenzliste von der PSOE mit 26,3%, die nach der Regierungsübernahme deutlich an Zustimmung gewann. Auch wenn diese Umfrage nur eine Momentaufnahme ist, zeigt sie doch zweierlei: einerseits die Herausforderung für die PP durch Ciudadanos; andererseits die Möglichkeit einer parlamentarischen Mehrheit für diese beiden konservativen Parteien. Das bedeutet aber nur, dass die Auseinandersetzung zwischen den beiden an Schärfe zunehmen wird.
Casado wird nun das Profil der Volkspartei gegenüber Cidadanos wieder zu stärken suchen, wobei es zunächst darum geht, die Kommunal- und Regionalwahlen Mitte 2019 gut zu bestehen. Die Aussichten dafür sind nicht schlecht, denn die PP als Oppositionspartei muss nun keine Rücksicht auf ihre Regierung nehmen und kann pointierter formulieren und sie hat außerdem die größere Parlamentsfraktion und Parlamentarier mit mehr Erfahrung als die Abgeordneten von Ciudadanos, was ihr bei der Profilbildung als führende Oppositionskraft auf nationaler Ebene helfen wird. Ganz wichtig aber ist ihre insgesamt intakte organisatorische Breite im Land, womit Ciudadanos bei weitem (noch) nicht konkurrieren kann und was eine gute Ausgangslage vor den Wahlen des nächsten Jahres ist. Allerdings gilt auch für Spanien, dass Wahlen letztlich in der Mitte des politischen Spektrums gewonnen werden. Eine Radikalisierung der Programmatik, der Sprache und der Aktion im Sinne einer „konservativen Revolution“ könnte daher schnell zu einer Abwendung gemäßigter Wähler aus der politischen Mitte führen. Der neue Vorsitzende Pablo Casado wird daran gemessen werden, ob ihm die Balance zwischen konservativer Rhetorik und pragmatischer Aktion gelingt. Dann kann er auch mit einiger Aussicht auf Erfolg als Alternative bei den nationalen Wahlen antreten.
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