Die deutsche Sicherheitspolitik hat es nicht leicht, denn die bundesdeutsche strategische Kultur ist von historischen Erfahrungen und Werten geprägt, die mit den aktuellen Interessen und den Anforderungen der deutschen Partner kollidiert. Nach den Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs lautete die Parole „Nie wieder Krieg“. Das hat sich „tief eingebrannt in unsere sicherheitspolitische Kultur“, meint Johannes Varwick bei der von Svenja Sinjen moderierten Diskussion in Berlin. Zudem glaube Deutschland an „Souveränität durch Integration“ und die Stärke der Zivilmacht in der internationalen Politik, führt der Professor für internationale Beziehungen und europäische Politik aus. Schließlich sei unser Leitmotiv immer gewesen, „wir sind von Freunden und Partnern umgeben“, schiebt der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter hinterher.
„Wenn die Deutschen dabei sind, gelten sie als die Zuverlässigsten überhaupt.“
Im Kalten Krieg baute die Bundesrepublik zwar mit der Bundeswehr wieder eine Streitmacht auf. Doch diese „wurde geschaffen, damit es nicht zum Krieg kommt“, erläutert der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels. Und strategisches Planen stand nicht auf der Tagesordnung, ergänzt Kersten Lahl: „Bei uns ging es um Landesverteidigung.“ Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs habe für die Deutschen eine „wohlbegründete Kultur der militärischen Zurückhaltung gegolten“, betont der pensionierte Generalleutnant, der über 40 Jahre in der Bundeswehr diente und bis 2008 das Streitkräfteunterstützungskommando führte. Erst seit den Neunzigern begann ein Umdenken – und deutsche Soldaten gingen in die ersten Auslandseinsätze.
Seitdem habe sich Deutschland seinen Partnern gegenüber immer als solidarisch und bündnistreu erwiesen, so Bartels: „Wenn die Deutschen dabei sind, gelten sie als die Zuverlässigsten überhaupt.“ Er erinnert auch an den einseitigen Ausstieg Frankreichs aus dem Afghanistan-Einsatz 2012 und betont: „Deutschland ist kein Risikofaktor.“ Und der Deutsche Bundestag habe nie einen Auslandseinsatz abgelehnt, bekräftigt Kiesewetter. Ganz im Gegenteil, mittlerweile ist „Deutschland ein zentraler Partner geworden“, sagt Varwick und warnt vor einer deutschen Sonderrolle: „Wir müssen uns verantwortlich fühlen für ein breites Spektrum an Problemen und darin auch bereit sein.“
„Insgesamt eine Mordsverantwortung für die Stabilität von Europa“
Und dazu gehöre es, unsere strategische Kultur mit den Kulturen unserer Partner zu harmonisieren. Während Frankreich mit Blick auf sein ehemaliges Kolonialreich in Afrika einen eher situativen Ansatz fahre – ähnlich wie Großbritannien oder die USA – „arbeiten wir eher an Strukturen“, weil wir „Europa als Friedensprojekt sehen“, analysiert Bartels. Aber „wir werden uns international aufeinander zubewegen müssen“, fordert er. Und das nicht nur in der Politik, sondern auch im technischen Bereich: Zu viele nationale Waffensysteme bemängelt Kiesewetter in Europa und wünscht auch Deutschland mehr „Mut zur Lastenteilung“.
Seine außen-, entwicklungs- und verteidigungspolitischen Fähigkeiten müsse Deutschland „solidarisch einsetzen und darauf hoffen, dass man sie nicht einsetzen muss“, fasst Varwick zusammen. Dazu passt Kiesewetters Beschreibung, er sieht „Europa als ausbalancierende Macht“, und dafür brauche Deutschland erst recht „eine über die Perioden reichende strategische Geduld“. Denn Berlin habe „insgesamt eine Mordsverantwortung für die Stabilität von Europa“, resümiert Lahl.
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