Clement: Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat Dich 2024 mit einer Hommage gewürdigt. Die Liste der Geehrten ist lang und prominent – aber mit einer Laudatio der Bundeskanzlerin a.D. kann keiner außer Dir aufwarten. Wie habt Ihr Euch kennengelernt und vor allem: Was schätzt Du an Frau Dr. Merkel besonders?
Matthes: Vor ungefähr 20 Jahren bei einem Gartenfest von Volker Schlöndorff. Auch dort war sie zugewandt, neugierig, unprätentiös, humorvoll. Ich mochte sie sofort.
Clement: In der Begründung der Stiftung wird hervorgehoben, dass es Dir gelingt, insbesondere das jüngere Publikum für die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Problemen zu gewinnen. Du glaubst an die verändernde Kraft des Theaters…
Matthes: …naja …Theater, der Film und alle anderen Künste auch – sie können sicher einzelne Menschen anregen, emotional wie intellektuell. Große gesellschaftliche Debatten anzustoßen – wie beispielsweise bei Hochhuths „Stellvertreter" in den 60er Jahren – schafft das Theater aber kaum noch. Dafür gibt es viele Gründe. Grundsätzlich halte ich aber das Theater, den Film und auch die Oper für wesentliche Orte der Empathie-Schulung. Das Digitale übernimmt zunehmend den öffentlichen Raum, das behindert Empathie eher, als dass es sie befördert. Insofern gilt es, diese Orte der gemeinsamen Ausübung von Empathie zu schützen.
Clement: Du wirkst nicht nur auf der Bühne, sondern auch in großen Produktionen des Films und des Fernsehens. Was vermag das Theater, was der Film nicht kann und umgekehrt?
Matthes: Der Film hat zwei große Vorteile dem Theater gegenüber: die Großaufnahme und den Schnitt. Ein menschliches Gesicht auf einer riesigen Leinwand zu sehen, ist immer wieder überwältigend. Es kann aber auch eine kleine Leinwand sein, bemalt von Rembrandt oder Frans Hals… Die Kamera sieht alles, was in einem Menschen vor sich geht. Aus der 27. Reihe eines Theaters geht das nicht mehr, auch aus der dritten kaum. Und der Schnitt lenkt den Zuschauerblick, er bestimmt Rhythmus und Tempo, hebt hervor, lässt abreißen. Im Theater sind die Zuschauerinnen und Zuschauer „freier“ in ihrem Blick. Sie können sich aus dem Wimmelbild der Spielenden aussuchen, was sie interessiert: vorne ein Monolog, aber hinten eine Kirschen essende Frau! Und natürlich: die Energie eines Zuschauerraums! Immer wieder wunderbar, aber ich möchte das Theater nicht gegen das Kino ausspielen, ich liebe ja beides.
Clement: Du bist auf kein Fach festgelegt und belebst stattdessen den schönen Begriff des „Mimen" immer wieder neu. Gibt es einen Stoff oder eine Figur, die Du Dir erarbeiten und unbedingt auf die Bühne oder die Leinwand bringen willst?
Matthes: Ich habe länger keine große Shakespeare-Rolle mehr gespielt. Also: King Lear! Oder etwas völlig Abwegiges: Ein Tier zum Beispiel würde ich sehr gerne mal spielen. Einen Tapir?
Clement: Im Zusammenhang des Überfalls auf die Ukraine und der Grausamkeiten in Nahost wurde die angeblich zögerliche Haltung der Kulturschaffenden diskutiert. Was heißt es eigentlich, ein „politischer Künstler" zu sein? Kannst Du mit dem Begriff etwas anfangen?
Matthes: Ja, klar. Ich bin ein politischer Mensch. Ich informiere mich täglich ausführlich. Ich versuche, mich für unsere Demokratie zu engagieren. Ich halte das für selbstverständlich, zumal – seit es die AfD gibt; übrigens auch, seit es das BSW gibt. Um Deine Frage konkreter und sehr knapp zu beantworten: Ich halte die – auch militärische – Unterstützung der Ukraine für wesentlich. Der grundsätzlich ehrenwerte Pazifismus hilft im Kampf gegen Putin nicht weiter. Und ich verstehe nicht, dass man im Nahen Osten nicht Empathie für die Situation Israels nach dem furchtbaren Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 haben kann und für die Situation der Zivil-Bevölkerung im Gaza-Streifen oder im Libanon. Man kann doch ein Freund Israels sein und dennoch die Politik Netanjahus und seiner Regierung heftig kritisieren. Ich bin jedenfalls ein kritischer Freund Israels.
Clement: Ein von Dir verfasster Text, der von der Beziehung zu Deinen Eltern erzählt und den Du im Rahmen der Hommage vorgetragen hast, wurde für die Gäste zu einem „magic moment". Welche Rolle spielt für Dich Familie?
Matthes: Meine Eltern, die beide nicht mehr leben, waren außerordentlich bedeutsam für mich. Natürlich. Ich verdanke ihnen sehr viel. Sie waren liebevoll-kritische Begleiter meines Weges. Ich hatte Glück mit ihnen, ein unschätzbares Privileg, das sagen zu können.
Clement: Vor allem in der jüngeren Generation gilt der Beruf des Schauspielers und der Schauspielerin als Traumberuf – verbunden mit den Klischeevorstellungen, reich und berühmt zu werden. Was sind für Dich unbedingte Kriterien, die zu erfüllen sind, um in diesem Beruf zu reüssieren?
Matthes: Aha! Reich und berühmt wollte ich nicht werden, als ich mein Germanistik- und Anglistik-Studium abbrach, um dann doch Schauspieler zu werden. Ich wollte mich verwandeln, und zwar – ganz wesentlich! – mit Hilfe von großen Texten verwandeln. Insofern wollte ich zunächst auch ausschließlich ans Theater, der Film kam später. Der Beruf ist weniger glamourös, als er erscheint. Man muss ihn also mit größter Leidenschaft wirklich wollen. Mir scheint: Das gilt auch für die Politik…
Clement: An was arbeitest Du gerade?
Matthes: Oh, ich spiele im Repertoire des Deutschen Theaters hier in Berlin meine acht verschiedenen Rollen. Alle ausgesprochen gern, übrigens! Und den ganzen November drehe ich in NRW einen Kinofilm. Ooch, sehr schön!
Clement: Bevor Du mit wehenden Rockschößen zu den Dreharbeiten aufbrichst: Was macht Ullrich Matthes glücklich?
Matthes: Die vier Jahreszeiten. Erdbeermarmelade. Mozart.
Das Interview führt Dr. Hans-Jörg Clement, Leiter der Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Предоставена от
Hauptabteilung Begabtenförderung und Kultur
За тази поредица
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