Mit Höhepunkten aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzte die Konrad-Adenauer-Stiftung ihrerseits einen ersten Höhepunkt ihrer rechts- und verfassungspolitischen Arbeit im neuen Jahr. Im Mittelpunkt des „Berliner Jahresrückblicks“ standen drei Entscheidungen, die wichtige Orientierungsmarken für die Politik und für den Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger bilden und das Selbstverständnis des Gerichts im Machtgefüge spiegeln. Dies waren der Beschluss zur so genannten Mietpreisbremse, die einer Verdrängung von einkommensschwächeren Mietern aus ihren Stadtvierteln entgegenwirken soll, das Urteil zur Europäischen Bankenunion, die geschaffen wurde, um künftig das Schnüren milliardenschwerer Rettungspakete zugunsten maroder Geldinstitute zu verhindern, und die Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden“, denen Verfassungsbeschwerden zum Schutz von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten im Digitalzeitalter zugrunde lagen. Die Auswahl mache deutlich, auf welche vielfältige Weise das Bundesverfassungsgericht über die Einhaltung des Grundgesetzes wache, bemerkte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. Lammert in seiner Begrüßung.
So unterschiedlich die Fälle auch sind, stets ging es auch um europäisches Handeln, sei es aufgrund von Aufsichtsbefugnissen der Europäischen Zentralbank (EZB) in dem Urteil zur Bankenunion, sei es wegen der Gestaltung des europäischen Grundrechtsraums durch nationales und europäisches Recht („Recht auf Vergessenwerden“). Selbst bei der Mietpreisbremse macht sich bemerkbar, wie stark europäische Einflüsse mittlerweile sind. So gab Prof. Dr. Kreuter-Kirchhof von der Universität Düsseldorf zu bedenken, dass der Preisanstieg auf dem Wohnungsmarkt nicht zuletzt damit zusammenhänge, dass die Nullzinspolitik der EZB die Nachfrage nach Immobilien gestärkt habe.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte in einem Kammerbeschluss dargelegt, dass die „Mietpreisbremse“ mit der Eigentumsgarantie, der Vertragsfreiheit und dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes vereinbar sei. Bei den Podiumsteilnehmern stieß die Entscheidung insgesamt auf Zustimmung. Jan-Marco Luczak, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, verwies darauf, dass das Verfassungsgericht der zeitlichen Begrenztheit der Mietpreisbremse, den Ausnahmen für Neubeuten und dem Kriterium einer am Markt orientierten Miete besondere Bedeutung zugemessen habe. Plänen für einen Mietendeckel, wie ihn Berlin einführen wolle, hätte das Gericht damit einen Riegel vorgeschoben, so die Einschätzung des CDU-Mietrechtsexperten. So weit wollte Elmar Streyl, Vorsitzender Richter einer Mietrechtskammer am Landgericht Krefeld , nicht gehen. Auch Streyl hielt den geplanten Mietrechtsdeckel aber für verfassungsrechtlich bedenklich. Zugleich übte er deutliche Kritik am Gesetzgeber: Die Mietpreisbremse sei „schlecht gemacht“. Im Übrigen habe man versäumt, zugleich auch den Mietspiegel zu reformieren. Luczak gab ihm recht, verwies aber darauf, dass der Koalitionspartner nicht von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Regelung von Mietpreisbremse und Mietspiegel hätte überzeugt werden können. Jörn von der Lieth, Geschäftsführer des evangelischen Wohnungsunternehmens „Hilfswerksiedlung GmbH“, Berlin, erläuterte, dass aufgrund der gesunkenen Mieteinnahmen kostenträchtige Maßnahmen wie energetische Sanierungen oder barrierefreies Wohnen nun nicht mehr möglich seien. Wirksame Abhilfe gegen den Wohnungsmangel könne nur eine vermehrte Bautätigkeit schaffen, so die einvernehmliche Einschätzung der Podiumsteilnehmer. Auch darauf habe das Bundesverfassungsgericht hingewiesen.
Während der Erste Senat in der Entscheidung zur „Mietpreisbremse“ seiner bisherigen Rechtsprechung treu blieb, überraschte er in den Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden“ mit Ausführungen, die in ersten Reaktionen als „spektakulär“ und „revolutionär“ bewertet wurden. Diese Bewertungen bezogen sich vor allem darauf, dass die Richter neue Pflöcke im Verhältnis zwischen nationalem und unionalem Grundrechtsschutz einschlugen. Dazu bemerkte der Bonner Staatsrechtslehrer Klaus-Ferdinand Gärditz, „an die Stelle eines starren Systems, das Grundrechtsgeltung nach Kompetenzschichten stratifiziert und säuberlich voneinander trennt, setzt der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht ein bewegliches Grundrechts-Mobile, das Vielfalt zum Schillern bringt.“ Der Erste Senat biete damit ein Kooperationsverhältnis an, das weniger konfrontativ als das des Zweiten Senats sei. Es sei davon auszugehen, so Gärditz, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) sich nur mit erheblichem Begründungsaufwand über die zu erwartenden elaborierten Lösungsvorschläge aus Karlsruhe hinwegsetzen könne – zumal dann, wenn der Gerichtshof andernfalls den Vorwurf eines Dumpings der Grundrechtsstandards riskiere.
Das Gericht zog in den Beschlüssen zum „Recht auf Vergessenwerden“ zudem Grundlinien im Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens einerseits und der Presse- und Unternehmerfreiheit andererseits. Es handle sich um „lang erwartete Meilensteine für die grundrechtsdogmatische Klärung mit sehr wichtigen Vorgaben für die Fachgerichte“, so die Einschätzung des Bonner Medienanwalts Gernot Lehr. Eine historisch rechtmäßige Berichterstattung könne als Ergebnis einer Suchmaschinen-Auffindbarkeit rechtswidrig werden, wenn an der identifizierenden Berichterstattung kein aktuelles berechtigtes Informationsinteresse mehr bestehe. Als „sehr spannend und sehr wichtig“ bewertete Lehr auch die verfassungsgerichtliche Klarstellung, „dass es die Trennung zwischen Privatsphäre und Sozialsphäre oder beruflicher Sphäre so nicht mehr gibt“. Der Medienanwalt wie außerdem darauf hin, dass das Gericht klargestellt habe, dass Suchmaschienenbetreiber nicht nachrangig gegenüber Inhalteanbieter hafteten.
Wenig begeistert über die Karlsruher Beschlüsse zum „Recht auf Vergessenwerden“ zeigte sich dagegen der Datenschützer Dr. Stefan Brink. Die „Fanbase der Datenschützer für das Bundesverfassungsgericht bröckele seit Jahren massiv, schilderte der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Baden-Württemberg. Der bisherige Trend, sich eher an der Rechtsprechung des EuGH zu orientieren, werde sich nach den Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden fortsetzen, sagte Brink voraus. Es sei bedauerlich, dass der Erste Senat sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht fokussiert und den viel breiteren Ansatz des Datenschutzes vernachlässigt habe.
Trotz der gewöhnlich hohen medialen Aufmerksamkeit für Entscheidungen des Karlsruher Gerichts ist bislang wenig beachtet worden, dass der Zweite Senat sich in seinem Urteil zur Bankenunion intensiv mit Fragen demokratischer Rückkoppelung von Regulierungsagenturen beschäftigt hat. Welche Grundannahmen und Anforderungen das Gericht dazu formulierte und ob diese überzeugen, analysierten die Chefjustitiarin der Europäischen Zentralbank, Prof. Dr. Chiara Zilioli, und der Staats- und Europarechtler. Prof. Dr. Matthias Ruffert von der Humboldt-Universität zu Berlin. Ruffert lobte, das Bundesverfassungsgericht habe die Verfassungsbeschwerde gegen die Bankenunion zum Anlass genommen, seine „etwas angestaubte Dogmatik“ aus einem Urteil aus den 1950er Jahren durch eine „auf die aktuelle Herausforderung aus dem Europarecht angepasste Konzeption zu modernisieren“. Erfreulicherweise greife der Zweite Senat damit, offenbar zum ersten Mal, auf das Demokratieprinzip im europäischen Verfassungsrecht zurück. Insoweit könne das Urteil „Vorbildfunktion für den EuGH entfalten. Auch an der gründlichen Karlsruher Prüfung, ob die EZB bei der Bankenaufsicht ihre Befugnisse nicht überschreite, sollte sich der Luxemburger Gerichtshof nach Rufferts Auffassung ein Beispiel nehmen. „So gibt es beim EuGH immer noch Nachholbedarf hinsichtlich der Kontrolldichte bei der Überprüfung von Maßnahmen der Unionsorgane.“ Insgesamt, so Rufferts Fazit, „bleiben wir auch weiter auf der Suche nach einer Balance zwischen unabhängigem Sachverstand und demokratisch verantworteter Politik“.
Dass Entscheidungen des Karlsruher Gerichts nicht nur Fragen beantworten, sondern oft auch neue Fragen aufwerfen wie es politisch und verfassungsrechtlich weitergeht, trifft auch auf viele der Fälle zu, die der Göttinger Staatsrechtslehrer Prof. Dr. Frank Schorkopf, der den „Jahresrückblick“ gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Waldhoff (Humboldt-Universität zu Berlin) wissenschaftlich begleitet, eingangs im Schnelldurchlauf beleuchtete. Ob Begrenzung von Sozialleistungen, Dieselfahrverbote oder Grenzen freier Meinungsäußerung – das letzte Wort dazu dürfte weder politisch noch verfassungsrechtlich gesprochen sein.
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