Pandemien – wie seit 2020 durch Covid-19 zu beobachten – können nicht nur die Gesundheitssysteme in vielen Ländern massiv unter Druck setzen, sondern auch Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik haben. Im Zeitalter der Hypermobilität und Globalisierung sowie aufgrund von Urbanisierung, Klimawandel und Umweltzerstörung, werden sich Politik und Gesellschaft künftig zunehmend mit globalen Gesundheitsgefahren auseinandersetzen müssen. Daher wird es von entscheidender Bedeutung sein, dass Regierungen und multilaterale Organisationen weltweit bestens auf Globale Gesundheitsrisiken vorbereitet sind (Preparedness), um möglichst effizient abzufedern und Krisenmanagement zu betreiben.
In diesem Zusammenhang veranstaltete das KAS-Regionalprogramm „Allianzen für Demokratie und Entwicklung mit Lateinamerika (ADELA)“ in der Villa La Collina in Cadenabbia (Italien) von 21. bis 24. November 2021 einen dreitägigen Szenarienworkshop. Dabei wurde internationales Krisenmanagement im Falle einer hoch-letalen Pandemie möglichst realistisch simuliert. Ziel war es, dazu beizutragen, dass die internationalen Teilnehmer, die in ihrem Arbeitsbereich Entscheidungsträger und Multiplikatoren sind, zu einer verstärkten Vorsorge, Aufklärung, Reaktionsfähigkeit und Krisenmanagement (Preparedness) in ihren Herkunftsländern sowie weltweit beitragen können. "Mit diesem Szenarien- Workshop wollten wir die Herausforderungen anschaulich machen, die sich aus einer Pandemie mit einer deutlich höheren Sterblichkeits- und Infektionsrate als Covid-19 ergeben. Die gewonnenen Erfahrungswerte sollen den Teilnehmer in die Lage versetzen, ihren Institutionen und nationalen Regierungen Empfehlungen und Verbesserungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, um sich besser auf eine solche mögliche Situation vorbereiten zu können", so Winfried Weck, Leiter des Regionalpogramms ADELA.
Die 15 internationalen Teilnehmer stammten aus diversen Institutionen und Bereichen (Politik, öffentliche Verwaltung, Medien, Think Tanks, Wissenschaft und Medizin, Sicherheit, internationale Organisationen). In wechselnden Konstellationen erarbeiteten die Teilnehmer in Gruppenübungen die Reaktionen der Positionen der von ihnen repräsentierten Länder bzw. Institutionen (EU, NATO, WHO, AU).
Realitätsnahe Darstellung einer akuten Bedrohung
Die Entwicklung und Umsetzung des Workshops erfolgte durch die KAS in Zusammenarbeit mit dem Dienstleister „Bureau für Zeitgeschehen (BfZ)“. Im Zentrum des Workshops stand der fingierte Ausbruch eines neuen Virus (genannt: „SARS-Cov-5“) um die Weihnachtszeit im Jahr 2024. Verglichen mit SARS-Cov-2 unterscheidet sich das Ausmaß von SARS-Cov-5 jedoch erheblich: Es hätte einen R0-Wert (Übertragungskapazität) von 8-10 (statt 2-3 wie SARS-Cov-2), eine Hospitalisierungsrate von 40% (statt 10%) und eine Sterblichkeitsrate von mehr als 20% (statt 3,5-4%). Damit handelt es sich um ein hypothetisches Virus, das weltweit zig Millionen Todesopfer fordern würde, wenn während der Simulation nicht schnellstmöglich effiziente Maßnahmen ergriffen werden.
Kollektive und individuelle Entscheidungsprozesse im geopolitischen Kontext
Basierend auf ersten Informationen über das Virus aus einem eigens für den Workshop produzierten fingierten Nachrichtenbeitrag, sollten die Teilnehmer in Gruppenarbeit Maßnahmen beschließen, die zu einer effizienten Eindämmung und Bewältigung des Virus führen sollten. Als Hilfestellung diente dabei jeder Gruppe ein interaktives Computerprogramm mit dynamischen Pandemiemodell, das abbildete, wie sich die einzelnen Maßnahmen und die Dauer deren Anwendung auf den Pandemieverlauf auswirken. Ein Großteil der Teilnehmer erachtete daraufhin sowohl die Schließung von Flughäfen als auch den sofortigen Einsatz von Masken als wirksame erste Schritte. Im weiteren Spielverlauf erhielten die Teilnehmer kontinuierlich neue Statusmeldungen durch multimedial aufbereitete Informationen. Es wurde anschaulich dargelegt, welche Konsequenzen einzelne Maßnahmen auf diverse nationale Bereiche (Governance/Public Health/Economic Continuity/Border Management/Public Safety/Crisis Communication) sowie die internationale Ebene haben können und welche Dilemma sich bei der Entscheidungsfindung ergeben (Wirtschaft vs. Gesundheit vs. Politische Stabilität vs. Sicherheit / Wahrnehmung von Autokratie vs. Demokratie, etc.). Der Workshop vermittelte ein Verständnis für die verschiedenen Arten von Krisen, die eine Pandemie zur Folge haben kann (Public Safety Crisis, Trust Crisis, Health Crisis).
Das wohl wichtigste Ergebnis des Workshops bestand darin, dass alle Teilnehmer – aus unterschiedlichsten Länderkontexten – auf nationale Maßnahmen setzten anstatt auf konzertierte Aktionen über internationale Organisationen wie die WHO. In der Diskussion wurde dies damit begründet, dass die WHO aufgrund ihrer konfusen Informationspolitik und fehlender Aktionspläne in den ersten Monaten der aktuellen Pandemie in weiten Teilen der Staatengemeinschaft einen enormen Vertrauensverlust hinnehmen musste. Aber auch die westlichen Länder standen wegen ihrer als egoistisch und in keiner Weise solidarisch empfundenen Verteilungspolitik von Impfstoffen in scharfer Kritik. Es gilt hier, die kommenden Jahre zu nutzen, um in beiden Fragen schnellstmöglich zu Fortschritten zu gelangen. Ein zweites, ebenso wichtiges Ergebnis stellte der Umstand dar, dass nahezu alle Teilnehmer versuchten, möglichst in ihrer „Komfortzone“ zu verbleiben, indem sie Diskussionen über durchaus realistische Szenarien von Massenausschreitungen bis hin zu anarchistischen Verhältnissen und wie man diesen von staatlicher Seite begegnen sollte, möglichst vermieden. Die Bereitschaft, sich präventiv mit „worst case – Situationen“ zu beschäftigen, blieb deutlich unter dem erwarteten Ergebnis. Es bleibt die Frage offen, ob es sich damit nur um ein Phänomen innerhalb des Teilnehmerkreises handelte, oder ob sich hier nicht auch (fehlendes) Regierungshandeln in einer solchen Extremsituation reflektierte.
Detaillierte Eindrücke vom Szenarienworkshop liefert ein kurzer Dokumentarfilm, der demnächst veröffentlicht wird.
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