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Vom Krisenjahr 1923 ins 21. Jahrhundert: Bedrohung und Selbstbehauptung der liberalen Demokratie

Bericht über die wissenschaftliche Konferenz zum Krisenjahr 1923 und die politische Diskussion zu den Gefahren für die liberale Demokratie heute

Wenigstens vier große Krisen, denen sich die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Naumann-Stiftung auf einer gemeinsamen wissenschaftlichen Konferenz widmeten, musste die Weimarer Republik 1923 bewältigen: Frankreich und Belgien hatten das Ruhrgebiet besetzt, die Inflation erreichte astronomische Ausmaße und links- sowie rechtsextremistische Kräfte und Separatisten destabilisierten Staat und Demokratie. Am Abend wurde mit Udo Di Fabio über aktuelle Herausforderungen für die liberale Demokratie diskutiert.

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Den Folgen des Ersten Weltkriegs, den Bürden für die junge Republik, widmete sich das erste Konferenzpanel. Für Michael Dreyer, der in seinem Input auf die Verfassungswirklichkeit einging, waren „die konkreten Krisen […] ein Ausdruck der Strukturkrisen“. Die Republik habe das Trauma des Krieges nicht heilen können, denn „Weimar war ein Kind des Krieges“, wie es Gerd Krumeich in seiner Analyse der Nachkriegsbürden treffend formulierte. Auch die Entwicklung der internationalen Beziehungen, auf die Horst Möller umfassend einging, wirkte destabilisierend, schließlich konnten die Siegerstaaten keine stabile Nachkriegsordnung herstellen.

Die Ruhrbesetzung, die Karl-Peter Ellerbrock im zweiten Panel genauer beleuchtete, hinterließ einen immensen finanziellen und politischen Schaden. Separatisten im Rheinland und in der Pfalz, die versucht haben, autonome Republiken einzurichten, hatten erst durch die Folgen der Ruhrkrise Auftrieb erhalten, so Holger Löttel in seinen Ausführungen über deren Bestrebungen. Entsprechend schwierig war es für die Kabinette der Reichskanzler Cuno, Stresemann und Marx, wie Walther Mühlhausen herausstellte, die Krisen dieses Jahres zu bewältigen. Rein parlamentarisch ging es nicht, sie brauchten Ermächtigungsgesetze, Notverordnungen und Reichsexekutionen.

Desiderius Meier, der im dritten Panel über liberale Konzeptionen in der Weimarer Republik sprach, betonte, wie sehr die wirtschaftliche und soziale Misere der Nachkriegszeit den Rückhalt der Bevölkerung für die liberale Demokratie erschütterte, sie „belastete die Republik, politisch, wirtschaftlich, sozial.“ Von diesen Verwerfungen profitierten Republikfeinde, darunter auch Hitler und die NSDAP, denn „Radikale sind immer Kinder der Krise“, resümierte Volker Stalmann, der über die Gefahr durch völkisch-nationalistische Extremisten referierte. Eine besondere Bedrohung für die Republik stellte zudem die Kommunistische Partei dar. Eckhard Jesse beschrieb sie in seinen Ausführungen zum Linksextremismus als „eine durch und durch extremistische Kraft.“ Aus seiner Sicht hat nicht nur die Gewalt von beiden Seiten, sondern auch der „Verbalradikalismus […] keines Wegs zur Stabilität der Demokratie beigetragen.“

Schließlich befasste sich das vierte und letzte Panel der Tagung mit den Transformationsproblemen der Wirtschaft. Einen „tiefgreifenden Wandel der Ordnungsstrukturen“ gab es Heike Knortz zufolge im Vergleich mit der bereits relativ liberalen Wirtschaftsordnung des Kaiserreichs nicht. Stattdessen unterminierten der Staat und die Unternehmen, die Kartelle aufbauten und untereinander Preise absprachen, den freien Wettbewerb. Die Weimarer Republik besaß eine „Marktwirtschaft ohne Marktwirtschaftler“, so Knortz. Auch die Hyperinflation, mit der sich Johannes Bär befasste, war 1923 der „Kulminationspunkt einer Entwicklung“, die bereits mit Kriegsbeginn 1914 begonnen und schon 1922 das Geld massiv entwertet hatte. Die Ruhrkrise verschärfte die Inflation dann noch zusätzlich.

Mit welchen inneren und äußeren Bedrohungen ist die liberale Demokratie im 21. Jahrhundert konfrontiert? Und wie können wir ihnen begegnen? Das war das Thema der Abendveranstaltung, die im Rahmen der Tagung mit Bundesverfassungsrichter a.D. Udo Di Fabio stattfand. 

In seiner Einführung erinnerte Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, an das Jahr 1923: „Der Bestand der Weimarer Republik stand angesichts kumulierter Krisen auf der Kippe. Dass das ‚Krisenjahr‘ zum ‚Krisenbewältigungsjahr‘ wurde, war in erster Linie den Leistungen politischer Persönlichkeiten wie Gustav Stresemann zu verdanken.“

Di Fabio skizzierte in seiner Keynote das Modell der liberalen Demokratie anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und ging dabei auf neue geopolitische Bedrohungslagen – in erster Linie durch den russischen Angriff auf die Ukraine – in einer sich abzeichnenden multipolaren Machtkonkurrenz ein. Dabei stellte er die Frage, ob das wirtschaftliche, technologische und ideelle Gewicht des Westens ausreiche, um sich gegen diese äußeren Bedrohungen behaupten zu können. Mit Blick auf innere Bedrohungslagen der Demokratie beleuchtete Di Fabio die Fragmentierung öffentlicher Meinungsräume, den Verlust institutioneller und lebensweltlicher Bindungskräfte und die Spaltung der Gesellschaft. Für die Erneuerung der pluralen und liberalen Demokratie und ihre künftige Selbstbehauptung sei eine neue, lebendige Zivilgesellschaft zentral. „Die Zukunft der liberalen Demokratie im 21. Jahrhundert wird gut sein, wenn wir das wollen. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert, in dem sich das Schicksal der Freiheit entscheidet.“

Im Anschluss diskutierte Di Fabio mit Katja Leikert, MdB und Linda Teuteberg, MdB sowie dem Historiker Dominik Geppert und der Ökonomin und Publizistin Karen Horn über die Möglichkeiten und Grenzen historischer Vergleiche, aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen sowie die Freiheit als zentralen Wert unserer Verfassung.

Nobert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, resümierte zum Abschluss des Abends: „Eine wichtige politische Lektion der letzten Monate ist, wie schnell und deutlich sich Verhaltensmuster und Orientierungen verändern, sobald ein nicht erwartetes, von vielen auch nicht für möglich gehaltenes Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Die Beschäftigung mit der Geschichte – wie heute im Rahmen dieser Tagung zum ‚Krisenjahr 1923‘ – führt deutlich vor Augen, dass es sich dabei keineswegs um einen einmaligen Vorgang handelt. Der Blick auf ‚1923‘ und die Selbstauflösung der ersten deutschen Demokratie zehn Jahre später führen aber auch vor Augen, dass existenzielle Herausforderungen ökonomisch, politisch und sozial immer wieder neu begriffen und überwunden werden müssen.“

 

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