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Bulgarien vor der Europawahl

от Thorsten Geißler
Siebzehn Abgeordnete entsendet Bulgarien in das Europäische Parlament, bisher stellt GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens, EVP-Mitglied) davon sechs, die BSP (Bulgarische sozialistische Partei, PES) vier, die DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten, ALDE) vier, BBZ (Bulgarien ohne Zensur, EKR) zwei und die DSB (bei der Wahl Reformblock, EVP) einen.

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Auch bei der Parlamentswahl am 26. März 2017 war GERB mit 33,54 % stärkste Kraft, gefolgt von der BSP mit 27,93 %.

Alle Meinungsumfragen seitdem hatten GERB als weiterhin stärkste Kraft des Landes angesehen, doch seit wenigen Wochen kommt es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der BSP, und es ist keineswegs ausgemacht, welche Partei am Ende die Nase vorn hat. Derzeit liegen beide in Umfragen zwischen 31 % und 32 %.

Ein schwieriger Wahlkampf für GERB

Grund dafür dürfte eine Affäre sein, die in Bulgarien den Namen „Apartmentgate“ trägt. Mehreren führenden GERB-Politikern wurde Ende März in den Medien vorgeworfen, Luxuswohnungen von einer der großen Immobilienfirmen des Landes weit unterhalb des Marktwertes erworben zu haben. Ministerpräsident Borissow bemühte sich um Schadensbegrenzung, die Justizministerin, mehrere Vizeminister und der GERB-Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung traten von ihren Ämtern zurück. Auch gegen den von GERB vor seiner Wahl durch das Parlament nominierten Vorsitzenden der „Kommission zur Bekämpfung der Korruption und Einziehung von unrechtmäßig erlangten Vermögenswerten“ wurden ähnliche Vorwürfe laut, inzwischen hat er sich auf unbegrenzte Zeit beurlauben lassen.

Ob die erhobenen Vorwürfe strafrechtlich überhaupt relevant sind, ist durchaus fraglich, aber der politische Schaden für GERB ist groß. In einem Land, in dem viele Menschen in bescheidenen (Wohn)verhältnissen leben, sind die erhobenen Vorwürfe emotional stark belastet, und viele bisherige Wähler von GERB sind enttäuscht.

Politisch hat GERB zwar einiges vorzuweisen, so hat das Land hervorragende makroökonomische Werte: ein 2018 nach vorläufigen Angaben mit ca. 3,1 % erheblich über dem EU-Durchschnitt von ca. 1,9 % liegendes Wirtschaftswachstum, eine mit 4,7 % niedrige Arbeitslosenzahl und eine beneidenswert niedrige Staatsverschuldung von 22,6 % des BIP. Die GERB-geführte Regierung hat zudem in den vergangenen Jahren kräftig in die Modernisierung der Infrastruktur des Landes investiert, und dies hat insbesondere Investitionen ausländischer Unternehmen beflügelt. Auch die Gehälter sind gestiegen, aber einen von vielen erhofften massiven persönlichen Wohlstandsschub hat es nicht gegeben. Objektiv dürfte dieser kaum erzielbar sein, aber für ein Ausbleiben wird natürlich immer zunächst die Regierungspartei verantwortlich gemacht.

Personell ist GERB bei dieser Wahl erneut gut aufgestellt. Spitzenkandidatin ist Maria Gabriel, die als EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur in Brüssel einen sehr guten Ruf als engagierte und ideenreiche Politikerin genießt. Auf den weiteren Listenplätzen folgen mit Andrej Kowatschew, Andrej Nowakow, Eva Maydell und Asim Ademow weitere Kandidaten, die nicht nur bereits über Erfahrung im Europäischen Parlament verfügen und sich über die Grenzen der EVP-Fraktion Ansehen erworben haben, sondern auch in Bulgarien als kompetente Politiker gelten, die sich mit ganzer Kraft für ihr Land, aber auch für gesamteuropäische Belange einsetzen.

GERB tritt bei dieser Wahl mit dem Slogan „Europa hört auf uns“ an und will damit unterstreichen, dass Bulgarien ein von den anderen Mitgliedsländern der EU geachteter Partner ist. Tatsächlich kann das Land auf eine äußerst erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr verweisen, die dem Land nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern auch Anerkennung verschafft hat. Doch die BSP wird nicht müde, der GERB-geführten Regierung vorzuwerfen, sie würde in Brüssel zu wenig „die nationalen Interessen Bulgariens“ zur Richtschnur ihrer Politik machen.

BSP setzt auf populistische und europaskeptische Töne

Dieser Vorwurf ist kennzeichnend für den politischen Kurs, den die BSP seit der Wahl von Kornelia Ninowa im Mai 2016 eingeschlagen hat. Seitdem gibt sich die Partei betont europaskeptisch, populistisch und kopiert mit ihrem Eintreten für ein „Europa der Bürger und Nationen“ zumindest teilweise ein Motto der europäischen Rechten, die gern von einem „Europa der Vaterländer“ spricht. Gesellschaftspolitisch hat Ninowa, die über gute Kontakte nach Russland verfügt, ihre Partei auf einen erzkonservativen Kurs gebracht: Die Partei spricht gern von dem, was sie als „traditionelle bulgarische und christliche Werte“ definiert. Im vergangenen Jahr kämpfte sie erfolgreich gegen eine Ratifizierung der „Istanbuler Konvention“, die von GERB befürwortet wurde. Diese Konvention hat zum Ziel, der auch in Bulgarien verbreiteten Gewalt gegen Frauen entgegenzuwirken, doch die BSP behauptete wider besseren Wissens, die Konvention diene der Anerkennung eines „dritten Geschlechts“ und zwinge Bulgarien dazu, die „Ehe für alle“ einzuführen.

Während ihrer Kampagne schürte die BSP eifrig Vorurteile gegenüber sexuellen Minderheiten und dies führte natürlich zu Ärger mit den Europäischen Sozialdemokraten, dessen Vorsitzender ausgerechnet der bulgarische Europaabgeordnete, ehemalige BSP-Vorsitzende und Ministerpräsident (2005-2009), Sergej Stanischew, ist. Doch die BSP hat ihre Hochburgen im ländlichen Raum und ihre Wähler vorwiegend bei Menschen der älteren Generation aus eher bildungsfernen Schichten. Bei diesen kam die Polemik gut an.

Zeitweilig sah es so aus, als wäre es Ninowa gelungen, die EU-freundlichen Mitglieder ihrer Partei völlig an den Rand zu drängen, und sie setzte sich mit ihren Personalvorschlägen für die Liste der BSP auch weitgehend durch, aber ihr Ziel, Sergej Stanischew von der Kandidatenliste für die Europawahl zu verdrängen, erreichte sie nicht. Der Machtkampf erreichte seinen Höhepunkt während einer Nationalratssitzung der Partei am 14. April 2019, die mehr als 10 Stunde dauerte. An deren Ende stand Stanischew auf dem aussichtsreichen Listenplatz 5.

Solche öffentlichen innerparteilichen Auseinandersetzungen würden normalerweise die Chancen einer Partei trüben, doch angesichts der Zusammensetzung und Einstellung ihrer Wählerschaft muss die BSP dies kaum befürchten. Und die Partei tritt mit dem Slogan „Gerechtigkeit heute“ an, das klingt für eine Partei, die sich selbst als „links“ bezeichnet, nicht unpassend. Mit Elena Jontschewa hat die BSP zudem eine bekannte investigative Journalistin als Spitzenkandidatin aufgestellt. Allerdings hat die Sonderstaatsanwaltschaft Anfang 2019 Anklage gegen sie wegen Geldwäsche erhoben.

Stabile Umfragewerte für die DPS

Auf eine treue Wählerschaft kann sich auch die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) verlassen, die der ALDE angehört, auch wenn sie keine klassische liberale Partei ist, sondern von der großen Mehrheit der ethnischen Türken gewählt wird und deren Interessen vertritt. Spitzenkandidat der Partei ist ihr Vorsitzender Mustafa Karadeia, der aber sein sicher wirkendes Mandat im Europaparlament kaum annehmen dürfte. Auf Platz 2 der Liste tritt Deljan Peewski an, der große Teile der bulgarischen Medien kontrolliert. Der hochumstrittene Politiker wollte 2013 mit Hilfe der BSP Chef des Inlandsgeheimdienstes DANS werden, dies aber führte zu Massenprotesten in der Bevölkerung und erzwang letztlich den Rücktritt der damals von der BSP geführten Regierung. Bei der ALDE dürfte seine Kandidatur kaum Begeisterung auslösen. In den Meinungsumfragen liegt die DPS derzeit bei 11,1 % und wird damit ihre bisher vier Mandate zumindest verteidigen.

Nationalistische Kräfte setzen auf rabiate Rhetorik

Die Parteien „Ataka“, NFSB (Nationale Front zur Rettung Bulgariens) und WMRO (Innere Mazedonische revolutionäre Organisation), die sich bei der letzten Wahl zum nationalen Parlament zu einem Bündnis unter dem Namen „Vereinte Patrioten“ (OP) zusammengeschlossen hatten, mit 27 Abgeordneten in die Nationalversammlung eingezogen waren und mit GERB gemeinsam die Regierung bilden, werden bei der Europawahl getrennt antreten. Alle drei Parteien sind gleichermaßen nationalistisch und populistisch, ein wesentlicher Unterschied ist aber deren Verhältnis zu Russland: Während WMRO und besonders Ataka als moskaugesteuert gelten, gibt sich die NFSB immer wieder betont russlandkritisch und gelegentlich sogar proeuropäisch. GERB hatte die „Vereinten Patrioten“ in der Koalitionsvereinbarung auf einen pro-europäischen Kurs verpflichtet und tatsächlich dämpften diese ihre oft xenophobe und minderheitenfeindliche Rhetorik. In den letzten Monaten aber kam es nicht nur zu einigen heftigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Parteien, sondern deren Politiker bedienten auch wieder verstärkt die Erwartungshaltung ihrer Wähler, rhetorisch betont rabiat aufzutreten.

Das bürgerliche Lager geht unterschiedliche Wege

Die kleineren bürgerlichen Parteien, die bei der letzten Parlamentswahl getrennt antraten und allesamt den Einzug in das Parlament verfehlten, gehen auch bei der Europawahl unterschiedliche Wege.

Die Union Demokratischer Kräfte (SDS) ist ein Wahlbündnis mit GERB eingegangen und hat damit einer Forderung des EVP-Vorsitzenden Joseph Daul entsprochen, der das bürgerliche Lager zur Einigkeit aufgerufen hatte. Auf dem aussichtsreichen Platz 6 der Liste von GERB kandidiert mit Alexander Jordanow ein erfahrener SDS-Politiker. Seine Sorge jedoch ist es, dass die in Bulgarien bekannte, frühere Ministerin für die EU-Ratspräsidentschaft Liljana Pawlowa über Präferenzstimmen von ihrem Listenplatz 7 an ihm vorbeiziehen könnte. GERB versichert jedoch, die Zusammenarbeit mit der SDS sei auf Dauer angelegt und sagt Fairness zu. Sollte Maria Gabriel erneut EU-Kommissarin werden, so würde Liljana Pawlowa voraussichtlich ohnehin in das EU-Parlament nachrücken.

Die ebenfalls der EVP angehörenden „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB) halten an ihrer Allianz mit der keinem europäischen Bündnis angehörenden Partei „Ja, Bulgarien“ und den bulgarischen Grünen fest und treten gemeinsam als „Demokratisches Bulgarien“ (DB) an. Ihren bisherigen Europaabgeordneten Swetoslaw Malinow hat die DSB nicht wieder aufgestellt, weil er bei einer wichtigen Abstimmung im Europaparlament fehlte, stattdessen tritt sie mit ihrem ehemaligen Vorsitzenden Radan Kanew an, der auch Spitzenkandidat des Bündnisses ist.

Das „Demokratische Bulgarien“ liegt in der jüngsten Meinungsumfrage bei 4,5 % der Wählerstimmen, bei einer Umfrage im März erzielte sie jedoch 5,1 %, und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es die faktische Sperrklausel von 5,88 % überwindet und ein Mandat im Europaparlament zu erringt. Da jedoch Radan Kanew öffentlich erklärt hat, er habe „keine Lust“, nach Europa zu gehen, könnten auf den Kandidaten von „Ja, Bulgarien“, Stefan Tafrow, einen ehemaligen Berufsdiplomaten, mehr Präferenzstimmen entfallen. Dieser hat es für den Fall seiner Wahl in das Europaparlament bisher abgelehnt, der EVP-Fraktion beizutreten, vielmehr schein er mit der ALDE zu liebäugeln. Öffentlich hat er dies jedoch bisher nicht erklärt, da er dann mit der bei ethnischen Bulgaren äußerst unbeliebten DPS säße.

Die ebenfalls der EVP angehörende Partei „Bulgarien der Bürger“ (DBG) wird bei der Europawahl nicht antreten, sondern ihre Kräfte auf die im Herbst anstehenden Kommunalwahlen konzentrieren. Die DBG hatte sich über Monate hinweg um eine Zusammenarbeit mit den anderen kleineren bürgerlichen Parteien bemüht. Das „Demokratische Bulgarien“ bot der DBG „großzügig“ an, sie könne dieses Wahlbündnis inoffiziell oder auch offiziell unterstützen, war aber nicht einmal bereit, der DBG den Platz 3 ihrer Liste zu überlassen. Es ist verständlich, dass die DBG unter diesen Umständen von einer Zusammenarbeit mit dem „Demokratischen Bulgarien“ Abstand nahm.

Neunzehn weitere Parteien und Koalitionen treten bei der Europawahl an, doch diese dürften allesamt chancenlos sein. Nicht wieder antreten wird die Partei „Bulgarien ohne Zensur“ (BBZ). Die bisherigen zwei Mandate der BBZ werden auf die Parteien verteilt, die ins Europaparlament einziehen.

In jedem Fall wird es bis zum Wahltag spannend werden und auch mit weiteren Affären darf gerechnet werden. Für GERB wird es insbesondere darauf ankommen, ob ihre bisherigen Wähler ihre Stimme abgeben oder aus Enttäuschung über die Immobilienaffäre zu Hause bleiben. Sollte GERB nicht als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen und sollten die drei Koalitionspartner allesamt den Einzug ins Europaparlament verfehlen, so wird mit einer Regierungskrise gerechnet und selbst vorzeitige Neuwahlen sind dann nicht ausgeschlossen.

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