Es leider eine fast endlose Geschichte, dass die EU-Beitrittsperspektive Nordmazedoniens nicht nur von der Erledigung der von der EU aufgetragenen "Hausaufgaben" abhängt, sondern auch von bilateralen Beziehungen und Konflikten mit seinen Nachbarn. Wurde der Weg des Landes in die EU bis vor zwei Jahren noch durch den Namensstreit mit Griechenland blockiert, so ist es heute der Identitätsstreit mit Bulgarien, der den Beitrittsprozess bremst.
Ungewissheit in Sofia, noch größere Ungewissheit in Skopje
Der Ausgang der Parlamentswahlen in Bulgarien lässt für Nordmazedonien wenig Raum für Optimismus. Vor den Wahlen hatte sich der mazedonische Außenminister Bujar Osmani noch optimistisch gezeigt, dass die Verhandlungen zwischen Sofia und Skopje gleich nach der Bildung der neuen bulgarischen Regierung weitergeführt würden, sodass die EU dann bereits im Juni oder Juli den Verhandlungsrahmen mit Nordmazedonien einstimmig beschließen und die erste Regierungskonferenz einberufen könnte. Jetzt erscheint dieses Szenario sehr unwahrscheinlich, da angenommen werden muss, dass die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Bulgarien eine langwierige Regierungsbildung nach sich ziehen werden.
Obwohl die Partei des bisherigen Premierministers Bojko Borissov, GERB, die Parlamentswahlen gewonnen hat, ist noch sehr ungewiss, wie sich die neue Regierung zusammensetzen wird und wie lange die Verhandlungen dauern werden. Grund dafür sind die drei sogenannten Protestparteien "Ima takav narod" ("Es gibt ein solches Volk") von Slavi Trifonov, "Demokratisches Bulgarien" von Hristo Ivanov und "Izpravi se" ("Steh auf") von Maya Manolova, die den Sprung in die Volksversammlung geschafft und zusammen über 90 Sitze gewonnen haben. Nebst ihrer offenen Kritik an der derzeitigen Regierung vereint diese Parteien das gemeinsame Ziel, Borissov und seine Partei aus der Regierung zu drängen.
Borissovs Vorschlag, eine Expertenregierung zu bilden, die Bulgarien bis Dezember 2021 aus der Pandemie führen soll, lässt auch auf äußerst schwierige Koalitionsverhandlungen mit ungewissem Ausgang schließen. GERB erklärte zwar, Neuwahlen nicht zu fürchten, möchte diese aber dennoch nach Möglichkeit vermeiden.
Aus Sofia ist zu hören, dass Bulgariens Staatspräsident Rumen Radev, der in diesem Jahr als Präsident wiedergewählt werden will, das Parlament innerhalb der von der Verfassung vorgesehenen Frist einberufen wird, nachdem die Zentrale Wahlkommission die Namen der gewählten Parlamentsabgeordneten im Amtsblatt veröffentlicht hat.
Dies alles spricht dafür, dass es in Bulgarien zwar eine klare Mehrheit gegen die bisherige Regierung gibt, aber keine klare Mehrheit für die Bildung einer neuen Regierung. Für Nordmazedonien sind dies keine guten Nachrichten.
Die mazedonische Frage im bulgarischen Wahlkampf
Es gab kaum eine Partei, die sich während des Wahlkampfes nicht zum Konflikt mit dem Nachbarland Nordmazedonien geäußert hätte.
Schon vor dem offiziellen Wahlkampfbeginn kritisierte Staatspräsident Radev, als parteiloser Kandidat der Bulgarisch Sozialistischen Partei zum Präsidenten gewählt, die Regierung dafür, dass sie sich nicht um die Bürgerinnen und Bürger mit bulgarischem Pass in Nordmazedonien kümmere. Seiner Ansicht nach fühlen sich diese Menschen immer noch nicht als selbstbestimmte bulgarische Staatsangehörige und lebten in Angst.
Bulgariens Außenministerin Ekaterina Sacharieva, von der Regierungspartei Boijko Borissovs, GERB, kommentierte die Beziehungen zu Skopje während des Wahlkampfs wiederholt dahingehend, dass der Freundschaftsvertrag aus dem Jahr 2017 nicht erfüllt werde und dass man in Nordmazedonien sehr wohl wisse, dass keine bulgarische Partei und auch nicht das bulgarische Volk einverstanden sein werde, den EU-Beitrittsprozess Nordmazedoniens zu unterstützen, solange keine Einigung über die historischen Fakten erreicht sei.
Der Verteidigungsminister und Stellvertretende Premierminister Krassimir Karakatschanov, Vorsitzender der VMRO-BND (IMRO - Bulgarische Nationale Bewegung), erhob die sogenannte mazedonische Frage zur bulgarischen Staatsfrage. Große Teile des Wahlkampfs der VMRO-BND bestritt er, zusammen mit dem Europapaabgeordneten Angel Dschambaski, mit Äußerungen zu den Beziehungen zum Nachbarland. Zum internationalen Frauentag am 8. März gratulierte er mit einer Karte Großbulgariens, zu dem neben Teilen anderer Nachbarländer auch vollständig das heutige Nordmazedonien gehört. Während der letzten Tage vor den Wahlen veröffentlichte Dschambaski ein Wahlvideo, in dem er ganz klar entsprechende territoriale Ansprüche erhob.
Karakatschanov ist der bedeutendste politische Akteur in Sofias, der eine strikte Haltung gegenüber Skopje vertritt und auch der wichtigste Verfechter des bulgarischen Vetos zur Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien. Bei den Wahlen in Bulgarien selbst nützte ihm indes dies nichts, da seine Partei im neuen Parlament nicht mehr vertreten sein wird. Es muss jedoch erwähnt werden, dass von den 510 abgegebenen Stimmen bulgarischer Wählerinnen und Wählern, die in Nordmazedonien wohnen, 216 auf die VMRO-BND entfielen, womit Karakatschanov bei dieser Wählergruppe die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, während Borissovs GERB lediglich 110 Stimmen erhielt. Das bescheidene Interesse am Urnengang könnte derweil als Beleg dafür betrachtet werden, dass es in Nordmazedonien doch keine so große bulgarische Minderheit gibt, wie in Sofia behauptet wird. Karakatschanov hatte während des Wahlkampfs erklärt, 120.000 mazedonische Staatsangehörige hätten bereits einen bulgarischen Pass erhalten, und Tausende befänden sich in der Warteschlange.
In der mazedonischen Öffentlichkeit wurde Karakatschanovs Niederlage zwar als gute Nachricht aufgenommen, besonders im Hinblick auf die EU-Beitrittsperspektive, jedoch beurteilen die meisten Slavi Trifonov, der in Bulgarien derzeit als beliebtester Politiker gilt, in Bezug auf die mazedonische Frage als nicht weniger unerbittlich. Obwohl sich Trifonov während des Wahlkampfs nicht oft dazu äußerte, ist er doch für seine Aussage bekannt, den Mazedoniern (oder Nordmazedoniern, wie er sie nennt) würde der Beitritt zur EU verwehrt bleiben, solange sie nicht zugäben, dass sie Bulgaren sind. Laut Trifonov wäre "das beste Angebot, das Nordmazedonien unterbreitet werden kann, dass die Mazedonier ihre historischen bulgarischen Wurzeln anerkennen, und dass Bulgarien daraufhin den jetzigen Zustand, d.h. die mazedonische Sprache und Nation, anerkennt."
Die Regierung Nordmazedoniens reagierte nicht auf diese Einlassungen aus Sofia mit der Begründung, derartige Schritte kämen den gutnachbarschaftlichen Beziehungen nicht zugute. Allein auf das umstrittene Wahlvideo von Dschambaski antwortete Skopje mit einer Protestnote.
Brüssel hofft auf baldigen Verhandlungsbeginn
Ohne auf Einzelheiten der politischen Situation in Bulgarien nach den Wahlen einzugehen, wiederholte die Europäische Kommission gegenüber der Nachrichtenagentur MIA, dass sie beide Seiten dazu ermutige, in der laufenden bilateralen Angelegenheit eine für beide annehmbare Lösung zu finden, und dass die erste Regierungskonferenz mit Nordmazedonien, die so bald wie möglich stattfinden sollte, mit Ungeduld erwartet werde.
Wird Nordmazedonien einen Schritt Richtung EU gehen können?
Die mazedonische Regierung bleibt optimistisch, dass das Land im Rahmen des nächsten EU-Gipfels im Juni oder Juli 2021 einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Mitgliedschaft gehen kann, ungeachtet der ungewissen politischen Situation in Bulgarien.
Nordmazedoniens Premierminister Zoran Zaev gratulierte Bulgarien unmittelbar nach der Wahl zu deren erfolgreicher Durchführung unter Pandemiebedingungen und beglückwünschte Bojko Borissov zum Wahlsieg seiner Partei. Er gratulierte auch allen anderen Parteien, die Parlamentsmandate gewinnen konnten.
Zudem äußerte Zaev, er erwarte, dass die Gespräche zwischen Sofia und Skopje zur Überwindung der Differenzen nach der Regierungsbildung im Geist der Freundschaft, der gutnachbarschaftlichen Beziehungen und der Zusammenarbeit und in Übereinstimmung mit dem Freundschaftsvertrag von 2017 weitergeführt würden. Allerdings unterstrich Zaev noch einmal, die EU hätte aus der Sicht Nordmazedoniens einen Weg finden müssen, die Blockade von Nordmazedoniens Beitrittsprozesses aufzuheben, aber fügte hinzu, die Differenzen mit Bulgarien müssten nun bilateral gelöst werden. Er stellte noch einmal klar, dass die mazedonische Sprache und Identität nicht verhandelbar seien und deshalb auch keine Gesprächsthemen darstellen könnten. Es handle sich um zwei verschiedenen Völker, die durch gemeinsame historische Phasen verbunden seien. Zaev zeigte sich optimistisch, dass man doch noch zu einer Lösung des Streits gelange, und dass bald darauf die erste EU-Regierungskonferenz zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien einberufen werde.
Ähnlich äußerte sich Außenminister Osmani. Er sagte, die EU-Beitrittsperspektive sei viel wichtiger und grundlegender als einzelne politische Ereignisse, Launen oder Wahlergebnisse, daher sei er trotz der derzeitigen Ungewissheit in der Beziehung zu Bulgarien optimistisch, dass ein Weg gefunden werden könne, Nordmazedoniens EU-Beitrittsprozess wieder in Gang zu bringen. Gemäß Osmani geht von der Niederlage von Karakatschanovs Partei die Botschaft an alle bulgarischen politischen Akteure aus, dass das Volk sich gegen die Blockade Nordmazedoniens auf dem Weg in die EU ausspricht.
Vlado Buckovski, Sondergesandter der mazedonischen Regierung in Bulgarien und ehemaliger Premierminister, äußerte gegenüber der mazedonischsprachigen Redaktion der Deutschen Welle, dass die Verhandlungen zwischen Skopje und Sofia nur dann weitergeführt werden könnten, wenn eine politische oder Expertenregierung gebildet werde. Sollte hingegen eine Übergangsregierung eingesetzt werden, deren Mandat lediglich in der Organisation von Neuwahlen bestehe, werde es keine Möglichkeit zur Fortsetzung der Gespräche geben.
Seit nun Bojko Borissov in einem weiteren Zug erklärt hat, auf seinen Sitz in der Volksversammlung und seine Immunität als Abgeordneter zu verzichten, und seit bedeutende Vertreter der GERB vorgeschlagen haben, dass ein anderes Parteimitglied das Amt des Premierministers übernimmt, herrscht noch größere Verunsicherung darüber, wie sich die Situation weiterentwickeln, wer die neue Regierung bilden bzw. ob überhaupt eine Regierung gebildet werden wird. Letzter Stand ist, dass GERB am 14. April den ehemaligen Außenminister Daniel Mitov zum Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt nominiert hat.
Vor diesem Hintergrund ist momentan die Unterstützung der neuen US-Regierung vielleicht der einzige Lichtblick für Nordmazedonien: Der Stellvertretende Staatssekretär im US-Außenministerium Matthew Palmer ermahnte Sofia, ein NATO-Mitgliedstaat dürfe keinem anderen Mitgliedstaat drohen. Es müsse zwar eine Lösung für die offenen Fragen mit Nordmazedonien gefunden werden, aber dies müsse außerhalb multilateraler Formate wie der EU oder der NATO geschehen. Palmer wandte sich mit der Botschaft an die EU, es sollten so schnell wie möglich Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien aufgenommen werden.
Nach dem Ausgang der Wahlen in Bulgarien steht die Frage im Raum, ob die für die Regierungsbildung benötigte Mehrheit von 121 Sitzen überhaupt irgendwie erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass in diesem Jahr auch ein neuer bulgarischer Staatspräsident gewählt werden soll, womit die Wahrscheinlichkeit eines Fortschritts im Dialog zwischen Skopje und Sofia noch weiter abnimmt. Damit wird auch ein Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen noch unwahrscheinlicher. Aus diesem Grund muss Brüssel einen Weg finden, die Blockade des Beitrittsprozesses von Nordmazedonien aufzuheben, damit die angekündigten Beitrittsgespräche endlich aufgenommen werden können.
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