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„Ich teile mit Bedauern mit, dass die Europäische Kommission nicht in der Lage ist, die Akkreditierungen der beiden Agenturen, die im Juli entzogen wurden, wiederherzustellen. Wir hoffen, dass Bulgarien unverzügliche Maßnahmen ergreifen wird, um das Management der Eurofonds zu verbessern“, sagte die Sprecherin der Kommission, Christina Nagy. Sie fügte hinzu: „Wir erkennen an, dass Schritte zur Verbesserung des Managements und der Kontrolle unternommen worden sind, die meisten von ihnen sind aber lediglich Zusagen über künftige Aktionen. Konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht.“ Es seien fortgesetzte Unregelmäßigkeiten, Missbrauch und Interessenkonflikte festgestellt worden. Die Strafmaßnahmen seien daher im Interesse der bulgarischen und europäischen Steuerzahler.
Der EU-Erweiterungskommissar Oli Rehn stelle fest, dass Bulgarien wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte sei. Andererseits sei das Land als EU-Mitglied verpflichtet, die Spielregeln der Union einzuhalten. Trotz der Sanktionen aus Brüssel bestünden weiterhin viele Regelverstöße bei der Verwaltung der Fonds, zuletzt seien neue Probleme festgestellt worden. Das Risiko politischer Einflussnahme beim Management der Gelder sei noch immer gegeben.
Den fraglichen, für EU-Zuschüsse zuständigen Agenturen war die Akkreditierung bereits im Juli 2008 zeitweilig wegen Veruntreuung von Mitteln entzogen worden. Schon vorher waren EU-Zahlungen in großer Höhe auf Eis gelegt worden. Die bulgarische Regierung hatte damals zugesagt, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Schwächen beim Management der EU-Mittel und die Misswirtschaft abzustellen sowie Schuldige zu bestrafen.
Reaktionen von Regierung und Mehrheitsfraktionen
Die Regierung war zumindest nach außen hin überrascht und enttäuscht über die Entscheidung aus Brüssel, die sie als ungerecht bezeichnete. Sie übte ihrerseits Kritik an der Europäischen Union.
Premierminister Sergej Stanischev sagte, dass Bulgarien anders als die restlichen EU-Staaten behandelt würde. Bulgarien unterscheide sich hinsichtlich der Korruption nicht von den neuen sowie einigen alten Mitgliedern der Union. Er machte die Medien und die Opposition mitverantwortlich, weil sie bewusst ein negatives Image des Landes aufgebaut hätten. Ein Rücktritt von Ministern oder gar des ganzen Kabinetts sei nach seinen Worten „kein seriöses Thema“, zumal es sich im vorliegenden Fall um eine Entscheidung einer Generaldirektion, nicht der Europäischen Kommission handele.
Die im Juli auf den neugeschaffenen Posten eines Vizepremiers für die EU-Gelder eingesetzte Meglena Plugtschieva zeigte sich ebenfalls enttäuscht über den Beschluss. Die Entscheidung sei nicht argumentiert. Es sei vor allem der Justiz, nicht aber der Exekutive zuzuschreiben, dass es keine Verurteilten wegen Korruption gebe.
Besonders martialische antieuropäische Töne schlug der Vorsitzende des parlamentarischen Haushaltsausschusses Rumen Owtscharov an. Es sei an der Zeit, dass die EU aufhöre, Bulgarien als Prügelknaben zu behandeln. Europa mische sich seiner Meinung nach zu stark in die bulgarische Innenpolitik ein.
Vertreter der Königsbewegung NDSW, die an der Regierungskoalition beteiligt ist, nannten die Maßnahmen der EU „überzogen“. Bulgarien habe in den letzten Monaten viel unternommen, um die Auflagen Brüssels zu erfüllen.
Rechtfertigungen der Justiz
Generalstaatsanwalt Boris Weltschev und die Justizministerin Meglena Tatscheva gaben eine Mitverantwortung der Justiz an der Einstellung der EU-Finanzhilfe aufgrund noch ausstehender Verurteilungen für die Veruntreuung von EU-Geldern zu. Es sei jedoch nicht korrekt, alles der Justiz anzulasten. Die Ermittlungen seien kompliziert, es werde aber daran gearbeitet.
Stellungnahme des Staatsoberhaupts
Staatspräsident Georgi Parwanov verwies auf die Verantwortung der Regierung, vermutete aber zugleich ein konspiratives Szenario, bei dem Bulgarien zur Geisel der bevorstehenden EU-Wahlen geworden sei. Diese Andeutung wird von Beobachtern so interpretiert, dass die bürgerlichen Kräfte in Europa ein Interesse daran haben könnten, die von der linken BSP dominierte bulgarische Regierung im Vorfeld der Europawahlen zu diskreditieren.
Gegenreaktion aus Brüssel
Die EU-Kommission verwahrte sich im Gegenzug gegen die Kritik aus Sofia. Die Generalsekretärin der Kommission, Catherine Day, erklärte, das von Bulgarien erwartet werde, die Probleme zu lösen. Man wolle keine neuen Pläne jeden Monat, sondern weniger Papier und mehr Ergebnisse.
Opposition mit Rücktrittsforderungen an die Regierung
Die Oppositionsparteien forderten einhellig den Rücktritt der gesamten Regierung und vorgezogene Neuwahlen als einzig möglichen Ausweg. Die Partei „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB) will ihre Rücktrittsforderungen jede Woche mit immer weiteren, neuen Argumenten im Parlament begründen.
In oppositionellen Kreisen wird auch über die Einbringung eines Misstrauensantrags gegen die Regierung nachgedacht.
Das Urteil politischer Beobachter
Einer der führenden bulgarischen Politologen, Iwan Krastev, warnte in einem Interview für die vielgelesene Internet-Zeitung „Mediapool“ das Kabinett vor einer antieuropäischen Wortkampagne. Meinungsumfragen zeigten, dass das Vertrauen der Bulgaren in die EU-Institutionen drei Mal so hoch sei wie in die nationalen Institutionen. Wenn es also um Korruption gehe, sei die Öffentlichkeit ein Verbündeter der Kommission, nicht der Regierung. Die These von einer Verschwörung der bürgerlichen Parteien in Europa gegen Bulgarien sei absurd und lächerlich. Bulgarien verliere die Mittel in einem Moment, wo es dringend frisches Geld benötige. Außerdem sei der Beschluss der Kommission ein schlechtes Signal für Investoren. Die Opposition habe ein Geschenk bekommen und sei in einer günstigen Situation. Die Kritik der Kommission dürfe aber nicht als Unterstützung für die Opposition aufgefasst werden. Diese müsse erst noch unter Beweis stellen, dass sie die Korruption überhaupt und nicht nur die Korruption dieser Regierung bekämpfen könne.
Fazit
Ob Ausdruck aufrichtiger Entrüstung und Unzufriedenheit mit der Entscheidung aus Brüssel oder aber möglicherweise eine gezielte Taktik oder beides, die antieuropäische Rhetorik der Regierung erscheint in der Tat in innenpolitischer Hinsicht eher kontraproduktiv. Eine am 28. November veröffentlichte Umfrage des Instituts „Offene Gesellschaft“ belegt, dass nur 12% der Bulgaren den bulgarischen Institutionen vertrauen gegenüber 36%, die der EU Glauben schenken. Lediglich unter den Wählern der postkommunistischen BSP und der Königsbewegung NDSW, die zusammen mit der Bewegung für Rechte und Freiheiten DPS die Regierung stellen, überwiegt das Vertrauen in die nationalen Institutionen. Insofern hat das Kabinett mit seiner Anti-Brüssel-Rhetorik die öffentliche Meinung gegen sich. Bedenklich ist zudem die Absicht der Regierung, Projekte aus dem PHARE-Programm, für die die Finanzierung aus Brüssel gestoppt wurde, aus Haushaltsgeldern zu finanzieren. Beobachter vermuten, dass so auch Vorhaben umgesetzt werden könnten, bei denen die EU Verstöße und Interessenkonflikte festgestellt hat.
Die Entscheidung, Bulgarien trotz offenkundiger Schwächen und Unzulänglichkeiten 2007 in die Europäische Union aufzunehmen, war politischer Natur. Ein fortgesetzter Beobachtungsprozess durch die Union sollte sicherstellen, dass bestehende Probleme im Laufe der Zeit überwunden werden. Angesichts der jüngsten Entwicklung sind jedoch Zweifel am Willen und der Fähigkeit des amtierenden Kabinetts angebracht, inwieweit es in den ca. sieben bis zu den turnusmäßigen Wahlen verbleibenden Monaten im Stande ist, die erforderlichen Maßnahmen und Reformen durchzuführen bzw. Missstände zu beseitigen.