PiS-Vorsitzender für vier weitere Jahre an der Parteispitze bestätigt
Die im Nachgang veröffentlichte Rede zeigte den alten und zugleich neuen Parteivorsitzenden, der sich in selbstgewählter Defensive übte, den Parteimitgliedern ins Gewissen redete und sich seiner politischen Mittel wohl bewusst ist. Kaczyński, seit Oktober 2020 zugleich Vize-Ministerpräsident im Kabinett Morawiecki II, bekundete auch auf dem Kongress zum wiederholten Mal, dies sei seine letzte Kandidatur als Parteivorsitzender der PiS gewesen. Einen Gegenkandidaten gab es nicht.
Auffällig und allseits beachtet war besonders die Tatsache, dass der Parteitag grundsätzlich hinter verschlossenen Türen stattfand. Medienvertreter hatten keinen Zutritt und einzig die Auftritte des Vorsitzenden wurden zeitversetzt im Internet übertragen, anschließend auch im Fernsehen gezeigt und breit öffentlich kommentiert. Begründet wurde diese – äußerst ungewöhnliche und in der Geschichte der PiS erstmals getroffene – Maßnahme damit, dass dieser Kongress sich in erster Linie an PiS-Mitglieder richte und nicht an die Wählerschaft. Somit diente die Versammlung vornehmlich dem Zweck, parteiinterne Strukturen zu modernisieren und abseits einer breiten Öffentlichkeit (durchaus auch in Erwartung eventuell kritischer Beiträge einzelner unzufriedener Parteitagsteilnehmer) der Stimmung in den eigenen Reihen nachzuspüren.
Interne Korrekturen mit Blick auf die personelle Aufstellung der PiS
Im Lichte dessen hat die Partei nun drei strategisch bedeutsame Entscheidungen formal herbeigeführt:
Zum einen wurde per Satzungsänderung die Vergrößerung des Politischen Komitees („Komitet Polityczny PiS“[1]) von 33 auf 38 Mitglieder beschlossen. Dabei handelt es sich um das höchste Gremium der Partei, das regelmäßig in der Parteizentrale zusammentritt und über die wichtigsten Aktivitäten der Partei wacht und berät.
Zum anderen bestätigte die Partei die – allesamt von Kaczyński vorgeschlagenen – Kandidaten für die Positionen der sechs Vizepräsidenten. Die herausragende Stellung in dieser Führungsriege nimmt ab sofort Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ein, der als Funktionsträger in der Partei gänzlich neu ist und dennoch auf Anhieb die höchste Zustimmung erfuhr (50 Stimmen mehr als nachfolgend der ehemalige Verteidigungsminister Antoni Macierewicz sowie Innenminister Marcin Kamiński; weitere Stellvertreter sind Mariusz Błaszczak, Joachim Brudziński und Beata Szydło).
Und per Parteitagsbeschluss neu geschaffen wurde zudem die Position des Generalsekretärs (anstelle des Leiters des Exekutivkomitees). Diesen Posten nimmt von nun an Krzysztof Sobolewski, einer der engsten Vertrauten von Kaczyński in der Parteizentrale der PiS, ein.
Mit diesen parteiinternen Weichenstellungen setzt die PiS personell deutliche Zeichen.
Sobolewski wird die Partei im Wahlkampf zur kommenden Parlamentswahl (die entgegen aller Spekulationen um mögliche Neuwahlen bis auf Weiteres turnusgemäß im Jahr 2023 ansteht) akkurat und streng entlang der politischen Linie des PiS-Vorsitzenden gegen die Oppositionsparteien in Stellung bringen. Mittels des erweiterten Politischen Komitees berücksichtigen Kaczyński und die Parteiführung unterdessen gezielt die Ambitionen einiger Abgeordneter. Gestärkt wird auf diese Weise die personelle Aufstellung der PiS mit Blick auf die Breite des politischen Spektrums; nicht zuletzt auch in Ansehung der unterschiedlichen Kräfte im Koalitionsbündnis der Vereinigten Rechten („Zjednoczona Prawica“), das momentan nicht gefestigt ist. Beispielhaft hierfür steht die Wahl von Bartłomiej Wróblewski, des parteiintern nicht allseits beliebten informellen Führers des ultrakonservativen Flügels der PiS und zugleich Verfechter eines verschärften Anti-Abtreibungsgesetzes, in dieses Gremium, während andere neue Mitglieder im Politischen Komitee, etwa Anna Paluch, Eve Malik oder Barbara Bartuś, derweil für ihre besondere Treue zur Parteiführung belohnt werden.[2] Und die prominente Wahl von Premier Mateusz Morawiecki zum – gemessen am Zuspruch der Partei stärksten aller – stellvertretenden Vorsitzenden, der neben der Regierungsführung nun zum allerersten Mal auch ein Parteiamt bekleidet, könnte (so gängige Spekulationen in den Medien) erahnen lassen, dass der langjährige Bankdirektor und politische Quereinsteiger als möglicher Nachfolger von Kaczyński in Stellung gebracht wird. Klarheit darüber werden aber wohl erst die kommenden Monate bringen.
Drei Schwerpunkthemen für den nächsten Wahlsieg
Darauf, dass der Weg zum Erfolg bei der kommenden Parlamentswahl für die PiS ausgenommen steinig sein wird, deutete auf dem Parteikongress der gewollt zurückgenommene, stark die eigene Partei reflektierende und zugleich ein größeres Engagement der PiS-Mitglieder einfordernde Auftritt von Kaczyński hin. Zwar zog der nach wie vor allmächtige Parteivorsitzende ein positives Zwischenfazit der nun fast sechsjährigen Regierungszeit unter Führung von Recht und Gerechtigkeit und bilanzierte: „Ja, meine Damen und Herren, Sie können von einem Erfolg sprechen. Wir haben dieses [polnische] System in der staatlichen, sozialen, internationalen Politik, in der Kulturpolitik und in der Bildungspolitik verändert. Man könnte sagen: in allen Dimensionen."[3] Doch in seinen weiteren Ausführungen zeigte sich Kaczyński ungewohnt defensiv, vornehmlich darauf bedacht, aktuelle Notwendigkeiten für die Partei zu skizzieren und zugleich die Einheit der Anwesenden zu beschwören.
So stellte er - jenseits der nötig erachteten Veränderungen parteiinterner Strukturen – vor allem drei Themen in den Vordergrund, die es in den kommenden Monaten für die PiS zu bearbeiten gelte: die Eindämmung von „Vetternwirtschaft“, die stärkere Propagierung des Regierungsplans „Polnischen Ordnung“ (poln.: „Nowy Ład“) bzw. des polnischen New Deals, sowie die Ausarbeitung eines speziellen Programms zur Unterstützung des ländlichen Raums.
Vetternwirtschaft bekämpfen
Als dringlichstes Problem stuft er den von Seiten der Medien, der Opposition und Teilen der Wählerschaft vorgebrachten Vorwurf der „Vetternwirtschaft“ ein, die seitens der PiS gefördert bzw. gedeckt werde. Als Reaktion darauf verabschiedete der Kongress umgehend den so genannten „Sanierungsbeschluss“ (poln.: „sanacja“), der die Beschäftigung von Familienangehörigen von Abgeordneten in staatlichen Unternehmen einschränken soll. Die Verabschiedung dieser Resolution wurde als unerlässlich unterstrichen, um – wie es Kaczyński selbst formulierte –, gleichsam präventiv den "gerechten Zorn der Gesellschaft" zu besänftigen. Einschätzungen im PiS-Lager gehen sogar soweit, der rechte Flügel der Partei werde ohne den Kampf gegen die Vetternwirtschaft keinerlei Chance haben, Wahlen zu gewinnen.
Bezeichnend – und zugleich die Ernsthaftigkeit der Verabschiedung des aktuellen Beschlusses in Frage stellend – ist in diesem Kontext allerdings alleine das Faktum, dass Kaczyński schon früher einmal ein Verbot der Tätigkeit von Parteifunktionären in Vorständen oder Aufsichtsräten von Unternehmen erlassen hatte, das dann jedoch auf Druck der Partei nicht umgesetzt wurde. Beobachter bewerten den neuerlichen Vorstoß der PiS auf dem jetzigen Kongress daher als Groteske.[4] Sie kommen vielmehr zu dem Urteil, das Ausmaß an Vetternwirtschaft in Polen sei kein Zufall, sondern die notwendige Folge der Einstellung der Partei Recht und Gerechtigkeit, der zufolge eine Vielzahl an Ämtern und Positionen in Unternehmen mit den eigenen Leuten besetzt werde. Die „Erzählung“ der PiS-Führung, den Staat zu säubern, sei schlicht unvereinbar mit deren Forderung, Personen, die der Regierung untreu seien, müssten aus dem Staatsapparat entfernt werden. Auch der Umstand, dass der neue Generalsekretär Sobolewski am ersten Tag nach der neuerlichen Beschlussfassung sogleich erklärte, seine Frau sitze nun nicht mehr in diversen Aufsichtsräten bekannter polnischer Unternehmen (etwa beim polnischen Mineralölkonzern Orlen), wirkte eher als Bestätigung der in der breiten Öffentlichkeit (aber eben nicht unter allen PiS-Mitgliedern) weithin als unhaltbar empfundenen Zustände unter dem Deckmantel der langjährigen Regierungspartei, denn als Beleg des Gegenteils.
Die „Polnische Ordnung“ bzw. den polnischen „New Deal“ bewerben
Als zweite große Herausforderung beschrieb Kaczyński die unbedingte Notwendigkeit, das im Mai prominent vorgestellte, parteioriginär entwickelte Programm des „Polnischen Deals“ bzw. der "Polnischen Ordnung" müsse von allen unbedingt weitaus stärker propagiert werden als bisher. Die darin grundlegend formulierten wirtschafts- wie gesellschaftspolitischen Reformkonzepte sind in Verbindung mit den umfangreichen Finanzmitteln aus dem europäischen Wiederaufbaufonds seitens der PiS dazu angedacht, das Elektorat neuerlich von der erfolgreichen Arbeit der eigenen Partei zugunsten des polnischen Volks zu überzeugen (vgl. hierzu KAS-Länderbericht vom 06. Mai 2021[5]). Und der Parteivorsitzende machte nun keinen Hehl aus seiner Enttäuschung, dass das Programm bisher mitnichten die seitens der Parteiführung mit ihm verknüpften Erwartungen erfüllt hat.
Umfragen zeigen deutlich, dass die "Polnische Ordnung", die die Unterstützung für die PiS neuerlich auf ein mehrheitsfähiges Niveau wie zu Zeiten der letzten Parlamentswahl im Herbst 2019 zurückzuführen soll, bisher lediglich eine schwache Resonanz gefunden hat. So gaben im Juni im Rahmen einer CBOS-Befragung zwar 71% an, von dem neuen PiS-Programm gehört zu haben, doch 51% bekannten, lediglich wenig darüber zu wissen, während nur 20% der Polen sich näher für dessen Inhalte interessierten. Die geplanten Steueränderungen etwa wecken demnach sogar Ängste bei den Befragten: 41% finden, dass diese gar in die falsche Richtung gehen, 30% haben keine Meinung und nur 29% bewerten sie positiv. Eine detailliertere Umfrage, die im Mai von United Surveys im Auftrag von "Dziennik Gazeta Prawna" und RMF durchgeführt wurde, zeigt, dass die Polen zwar die im Programm enthaltenen Gesundheitsvorschläge (vor allem die Abschaffung der Zulassungsbeschränkungen für Fachärzte) und die Erhöhung des Steuerfreibetrags unterstützen, aber neuerliche Unterstützungsleistungen für Eltern, auf die die dank des Programms „500+“ sozialpolitisch seit Jahren erfolgreiche PiS nun wieder große Hoffnungen setzt, mehr Gegner haben als Befürworter.[6]
Kaczyński aber zeigt sich – wie nun auch auf dem Kongress neuerlich vorgetragen – dennoch tief überzeugt, dass das Programm einen Meilenstein für die zukünftige Gestaltung Polens markieren wird. Da die letztlich entscheidenden Sejm-Debatten über die Gesetzesentwürfe zur Umsetzung der Programminhalte erst bevorstehen, appellierte der Vorsitzende an die Einheit und Geschlossenheit aller Parteimitglieder. Die PiS, so fasste er es auch bereits im Vorfeld des Parteitags in einem Brief an die Teilnehmer zusammen, habe „einen Plan, ein Programm, das es uns ermöglicht, diese große Chance zu nutzen, um unser Land weiter dynamisch zu entwickeln. Es ist der polnische Deal. Wenn wir es schaffen, wenn wir das enorme Potential der Polen und von Polen ausschöpfen, werden wir in einem Jahrzehnt die Distanz zwischen uns und den wohlhabendsten Ländern unseres Kontinents wettmachen. Dies ist ein ehrgeiziges, aber erreichbares Ziel.“[7]
Zugleich beklagte Kaczyński am Wochenende verschwörerisch, das Programm sei "Gegenstand einer riesigen Desinformationskampagne". Deshalb verpflichtete der Kongress die Parlamentarier und Mitglieder der Partei, die "polnische Ordnung" zu bewerben. Und zusätzlich entschieden wurde, während der Sommerferien alle Parteibezirke zu besuchen und die Bürger vor Ort nachdrücklich von den programmatischen Lösungen der „Polnischen Ordnung“, insbesondere den umwälzenden PiS-Plänen zur Steuerreform, zu überzeugen.
Die Stärke der PiS im ländlichen Raum zurückgewinnen
Diese Absicht geht einher mit der dritten, ebenfalls von Kaczyński ausgerufenen Aufgabe der Partei, die ländlichen Gebiete wieder stärker für die PiS zu gewinnen. Hierzu wurde festgelegt, ein gesondertes Programm gezielt für Gemeinden und Bauern vorzubereiten. Hintergrund dessen ist, dass Recht und Gerechtigkeit nach der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr viele Wähler in ländlichen Regionen verloren hat, nachdem sie ein neues Tierschutzgesetz durchgesetzt hatte, das ein Verbot der Zucht von Tieren für die Pelznutzung sowie den Export von koscherem und Halal-Fleisch vorsah, was beinahe den Bruch der Koalition provoziert hätte.
Nicht zuletzt die Rückgewinnung der Wähler fernab der polnischen Metropolen aber gilt auch den vielen Mitgliedern in der PiS als weitere Voraussetzungen für den Erfolg bei kommenden Wahlen. Die Partei erklärte daher auf dem Parteitag, dass unter anderem den Forderungen der Landwirte entsprochen werden soll, Lieferketten zu verkürzen und Waren mit einem Minimum an Zwischenhändlern verkaufen zu können. Und auch Kaczyński selbst unterstrich unlängst in Parteigremien wiederholt die Bedeutung des ländlichen Raums; nicht zuletzt, um auf diese Weise eine koalitionspolitische Strategie zu verfolgen, wonach zugleich auch die Ideen solcher Abgeordneter regelmäßig aufgegriffen werden sollen, die mit der PiS im Sejm kooperieren könnten – etwa Parlamentarier der K '15-Gruppe wie Jarosław Sachajka –, um diese in Abstimmungen zwecks Mehrheitsbildung an die eigene Fraktion zu binden.
Defensiver Auftritt als Folge der Parteikrise: Verlust der Mehrheit im Sejm, Koalitionsspannungen, schwache Umfragewerte
Dass die Führungsriege von Recht und Gerechtigkeit samt ihres Vorsitzenden während des Kongresses auf Korrekturen bedacht war und mehr Geschlossenheit und Einsatz von den Teilnehmern einforderte, liegt schlicht an der machtpolitisch misslichen Lage, in der sich die PiS mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Sejm, den Zustand der Koalition und ihre aktuellen Umfragewerte befindet.
Erst Ende Juni verlor die von der PiS geführte Regierungskoalition ihre Mehrheit im Sejm, da drei Abgeordnete - Zbigniew Girzyński, Małgorzata Janowska und Arkadiusz Czartoryski - das Regierungslager (aus Frust über die Abkehr der Regierung von der Kohleenergie sowie aus Verärgerung über die Pläne für die wirtschaftliche Entwicklung nach der Pandemie) verließen und den oppositionellen Kreis "Polens Wahl" bildeten. Zwar beeilte sich PiS-Sprecherin Anita Czerwinska klarzustellen: „Wir haben keine formelle Mehrheit, aber was wirklich zählt, das ist, wie Abgeordnete abstimmen.“ Doch eine offensichtliche Erleichterung war greifbar, als Kaczyński in der letzten Woche (noch vor dem Kongress!) verkünden konnte, dass zumindest Lech Kołakowski, ein fraktionsloses Mitglied der Partei Recht und Gerechtigkeit, wieder in die Fraktion der Partei eintreten werde. Seine Rückkehr bedeutet, dass das Regierungslager nunmehr über eine so genannte prekäre Mehrheit von 230 bei insgesamt 460 Sitzen verfügt, die sich auf zwei bündnisfreie Abgeordnete (Łukasz Mejza und Zbigniew Ajchler) und ein Abkommen mit der Partei von Paweł Kukiz stützen kann.
Auch die Spannungen innerhalb des die Regierung Morawiecki tragenden Lagers mit Jarosław Gowin von der Partei Verständigung („Porozumienie“) gehen unablässig weiter. Der neue Koalitionspartner der PiS ist nun die im Juni von Adam Bielan gegründete Republikanische Partei („Partia Republikańska“), die vor allem ehemalige Abgeordnete (vier) und Engagierte des Abkommens von Jarosław Gowin umfasst. Bielan hat sich inzwischen zur "Polnischen Ordnung" bekannt und Unterstützung für die damit verbundenen Gesetzesentwürfe zugesagt. Kaczyński und Bielan gelang es jedoch nicht, Gowins Partei aufzulösen, die zwar in der Koalition bleibt, aber dem steuerlichen Teil der "Polnischen Ordnung" skeptisch gegenübersteht. Den noch im Mai erwarteten Spannungsabbau in den Reihen der Koalitionäre konnte Kaczyński somit vorerst nur mit den Ziobristen um die Partei Solidarisches Polen („Solidarna Polska“), nicht jedoch gänzlich erreichen.
Und auch die Daten der Demoskopen lesen sich für die PiS aktuell nicht vorteilhaft. Zwar führt die PiS in Meinungsumfragen mit etwa 33% gegenüber 21% deutlich vor der stärksten Oppositionskraft, der Bewegung Polen 2050 („Polska 2050“) von Szymon Hołownia; und die Bürgerkoalition („Koalicja Obywatelska“, KO) kommt als dritte Kraft sogar nur auf etwa gut 16%. Doch trotz einer mittlerweile verbesserten gesellschaftlichen Stimmung hinsichtlich wirtschaftlicher wie politischer Zustände und des lancierten Programms „Polnische Ordnung“ hat es Recht und Gerechtigkeit lediglich geschafft, einen Teil der in den vergangenen Monaten verlorenen Unterstützung zurückzugewinnen. Die PiS steht heute nicht viel besser da als vor dem radikalen Einbruch ihrer Umfragewerte ab Oktober 2020; damals erfolgt im Zuge des Urteils des Verfassungstribunals zum praktischen Verbot der Abtreibung und angesichts einer sich seinerzeit wieder dramatisch verschlechternden Lage im Zuge der Corona-Pandemie. Die Partei ist somit weit von den besten Ergebnissen in den letzten Jahren entfernt und Jarosław Kaczyńskis PiS würde bei anstehenden Wahlen so schnell keine unabhängige Mehrheit im Sejm erreichen.
Reflektierter Gebrauch politischer Machtmittel
Alle Umstände zusammengenommen bietet sich der Partei Recht und Gerechtigkeit gegenwärtig wahrlich keine allzu positive Machtperspektive. Somit war die Entscheidung ihres Vorsitzenden grundsätzlich durchaus geschickt, keine öffentlichkeitswirksame – gewissermaßen „falsche“ – Showveranstaltung zur Hälfte der Legislatur auszurichten, sondern mittels der Benennung möglicher Fehler (der Vetternwirtschaft, dem zu geringen Bewerben eigener programmatisch-reformerischer Lösungsansätze, der Vernachlässigung ländlicher Regionen mit reicher Stammwählerschaft) den Finger in die Wunde der eigenen Partei zu legen und zu versuchen, gewissermaßen „intern“ in die PiS deutlich hineinzuwirken.
Jarosław Kaczyński hat mittels dieser Vorgehensweise klassische, ihm – als dezidierten, gerade aufs Neue legitimierten Leader von Recht und Gerechtigkeit frei zur Verfügung stehende – politische Machtfaktoren reflektiert und sich ihrer bewusst bedient: öffentliche Wirkung und Personalbeeinflussung.[8] Betreffend des erstgenannten Aspekts traf er die Entscheidung, notwendige Korrekturen zunächst abseits der Öffentlichkeit anzusprechen, Kritik, Stimmungen und Atmosphäre mit alleinigem Fokus auf die perspektivisch wie parteipolitisch relevanten Aspekt der Innenpolitik in der eigenen Partei im Innenverhältnis, d. h. allein mit den Mitgliedern des Kongresses, abzufragen bzw. zu erspüren, sowie seinerseits die eigenen Forderung deutlich und prägnant gegenüber den versammelten Parteitagsteilnehmern zu hinterlegen. Betreffend des letztgenannten Aspekts nahm er parteiintern personelle Veränderungen in der Führungsriege vor, um die Aufstellung der eigenen Partei angesichts der derzeit prekären Lage zu optimieren. Allen voran scheint dabei auch die Installierung bzw. parteipolitische Einbindung des unter Parteigängern der PiS äußerst beliebten wie auch in Gesamtpolen mit 39% Zuspruch (hinter Präsident Andrzej Duda und Symon Hołownia) immerhin drittpopulärsten Politikers, Regierungschef Morawiecki, als möglichem Nachfolger gelungen.
Ob Kaczyńskis machtbewusster Versuch aufgehen wird, die Partei derart und mit Sicht auf die kommende Wahl noch rechtzeitig, sprich mit genügend zeitlichem Abstand, zu disziplinieren und zu mobilisieren, so dass der Kongress vom vergangenen Wochenende letztlich eine wirksame Antwort auf die Krise gewesen sein wird, in der sich die PiS zur Halbzeit der Legislatur sicherlich befindet, kann zu diesem Zeitpunkt niemand vorhersagen.
Wer allerdings vorschnell davon ausgeht, dass die gezielte, durch die Bürgerplattform („Platforma Obywatelska“, PO) zeitgleich arrangierte Inszenierung der Rückkehr von Donald Tusk gleichsam automatisch positiv zugunsten der Oppositionspartei verfängt, sollte vorsichtig sein. Diesbezüglich könnten in einer noch langen Perspektive bis 2023 diverse Faktoren eine gewichtige Rolle spielen: etwa das auf Seiten der PO noch ungeklärte Verhältnis zwischen Tusk und dem beliebten Vertreter der jüngeren Generation, Rafał Trzaskowski; die Tatsache, dass Bündnisse auf der Oppositionsseite nach den neuesten Aussagen von Szymon Holownia[9] so rasch nicht geklärt sein werden; der Umstand, dass Tusk neben Kaczyński wohl nahezu der einzige Politiker in Polen ist, der in vergleichbarer Weise polarisiert und bei vielen Menschen auch extrem negative Reaktionen weckt; nicht zuletzt auch sicher die Frage, wie politisch effektiv zugunsten der PiS eine fortgesetzt einseitige Berichterstattung der polnischen staatlichen Medien im bevorstehenden Wahlkampf sich auswirken wird.
[1] Siehe zum Politischen Komitee der PiS, online unter: http://pis.org.pl/partia/wladze-ludzie/komitet_polityczny.
[2] Siehe Agata Kondzińska: „Tak Kaczyński ulozyl sobie partie. kulisy kongresu pis [So hat Kaczyński die Partei zusammengestellt. Hinter den Kulissen des PiS-Kongresses], in: wyborcza.pl vom 06.07.2021, online unter: https://wyborcza.pl/7,75398,27293052,tak-kaczynski-ulozyl-sobie-partie-kulisy-kongresu-pis.html.
[3] Jarosław Kaczyński, Wystąpienie podczas VI Kongresu Prawa i Sprawiedliwości - 3 lipca 2021 r. [Jarosław Kaczńyski, Eröffnungsrede des VI. Parteikongress der PiS am 03.07.2021], online abrufbar unter; https://www.youtube.com/watch?v=cqPUeXaFPHI.
[4] Michał Szułdrzyński: Totalne starcie dwóch liderów [Michał Szułdrzyński: „Der totale Zusammenstoßen zweier Führer], in: rp.pl vom 05.07.2021, online abrufbar unter:
https://www.rp.pl/Komentarze/307049968-Szuldrzynski-Totalne-starcie-dwoch-liderow.html.
[5] Vgl. David Gregosz, Thomas Behrens: „Polens Regierung plant Post-Covid Ära“, KAS-Länderbericht vom 06. Mai 2021, online abrufbar unter: https://www.kas.de/de/web/polen/laenderberichte/detail/-/content/polens-regierung-plant-post-covid-aera.
[6] Vgl. Aleksandra Gieracka, Ryszard Łucyn: „Co sondaże mówią o pozycji PiS” [Was die Umfragen über die Lage der PiS sagen], in: Polityka Insight vom 29.06.2021, online abrufbar unter: https://www.politykainsight.pl/polityka/dtpis/2124119,1,co-sondaze-mowia-o-pozycji-pis.read.
[7] Siehe PAP-Meldung: “Kaczyński w liscie do uczestnikow kongresu [Kaczyński in einem Brief an die Teilnehmer des Kongresses], vom 27.06.2021, online abrufbar unter: https://www.pap.pl/aktualnosci/news%2C899619%2Ckaczynski-w-liscie-do-uczestnikow-kongresu-porozumienia-wzywal-do-jednosci.
[8] Vgl. die Formel der Macht von Gerd Langguth, in: Gerd Langguth: „Kohl, Schröder, Merkel. Machtmenschen“, München 2009, S. 488; nach dieser Theorie etwa bemisst sich Macht nach der Gleichung „M = Ö x P²“, d. h. politische Macht (=M) entsteht aus der Verbindung von Öffentliche Wirkung (=Ö) mal Personalbeeinflussung (=P) im Quadrat.
[9] So betonte Hołownia kurz nach der Rückkehr von Tusk nach Polen, es sei zu früh, um eine Koalition mit der Bürgerplattform zu bilden. Außerdem sei für ihn eine Allianz von „Polen 2050“ ausschließlich mit der „Bürgerplattform“ sehr schwer vorstellbar, siehe: „Szymon Hołownia: Donald Tusk wie, że już nie będzie 40 proc. dla PO“, 05.07.2021, https://www.rp.pl/Ruch-Polska-2050/210709752-Szymon-Holownia-Donald-Tusk-wie-ze-juz-nie-bedzie-40-proc-dla-PO.html.
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