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Kolumbien vor den Präsidentschaftswahlen

von Ulrich Laute
Am Sonntag, dem 26. Mai, findet in Kolumbien der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen statt. Nach einem Wahlkampf, der ganz im Zeichen einer weiteren Eskalation der Gewalt stand, deutet alles auf einen Sieg des unabhängigen liberalen Präsidentschaftskandidaten Alvaro Uribe Vélez hin.

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Am Sonntag, dem 26. Mai, findet in Kolumbien der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen statt. Nach einem Wahlkampf, der ganz im Zeichen einer weiteren Eskalation der Gewalt stand, deutet alles auf einen Sieg des unabhängigen liberalen Präsidentschaftskandidaten Alvaro Uribe Vélez hin. Uribe führte seine Kampagne vor allem mit dem Versprechen, die legitime Autorität des Staates zu stärken und mit harter Hand gegen die von Guerrilla, paramilitärischen Gruppen und organisierter Kriminalität ausgehende Bedrohung vorzugehen. Angesichts einer beispiellosen Verschlechterung der Sicherheitslage findet diese programmatische Kernaussage Uribes breite Unterstützung in der Bevölkerung.

Nach den jüngsten Meinungsumfragen kann er mit einem Vorsprung von mindestens 20 Prozentpunkten vor seinem schärfsten Rivalen, dem offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Liberalen Partei, Horacio Serpa, rechnen. Sogar eine absolute Mehrheit und damit ein Wahlsieg Uribes bereits im ersten Wahlgang, kann nicht völlig ausgeschlossen werden.

Polarisierung zwischen Uribe und Serpa

Anders als noch 1998 bildete die Zuspitzung des bewaffneten Konflikts das alles beherrschende Thema des Wahlkampfes. Die Erfahrungen des gescheiterten Friedensprozesses mit den FARC, in dem die Guerrilla trotz weit reichender einseitiger Zugeständnisse der Regierung noch nicht einmal Bereitschaft zu der Einhaltung humanitärer Mindeststandards zeigte, haben zu einem grundsätzlichen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung geführt. In Meinungsumfragen befürwortet eine große Mehrheit der Befragten ein entschiedenes militärisches Vorgehen gegen die Guerrilla, die durch ihren systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung auch noch die letzten Reste politischer Unterstützung verloren hat und heute mehr denn je als Organisation mit rein terroristischem Hintergrund erscheint.

Diese Stimmungslage kommt der Kandidatur Uribes zugute, der als einziger der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten von Anfang an eine skeptische Haltung gegenüber dem Friedensprozess mit der Guerrilla eingenommen hatte. Die von den FARC im Januar ausgelöste Terrorwelle in den Städten und das spätere Scheitern des Friedensprozesses gaben Uribe als Verfechter einer harten Linie entscheidenden Auftrieb und ließen Horacio Serpa, der bis dahin die Meinungsumfragen angeführt hatte, ebenso wie die Unabhängige Noemí Sanín ins Hintertreffen geraten.

Hatte bis Anfang des Jahres alles auf einen Dreikampf zwischen Uribe, Serpa und Sanín hingedeutet, kam es seitdem zu einer klaren Polarisierung zwischen Uribe und Serpa. Während Uribe die Unzufriedenheit mit dem gescheiterten Friedensprozess für sich nutzen konnte, versuchte Serpa, sich als Kandidat einer friedlichen Konfliktlösung und als Gegner des "totalen Krieges" zu profilieren. Die unabhängige Kandidatin Noemí Sanín, die - wie bereits vor vier Jahren - die Erneuerung der politischen Kultur zu ihrem vorrangigen Wahlkampfthema gemacht hatte, verlor durch diese Polarisierung an Profil, was sich in einem dramatischen Einbruch ihrer Umfragewerte widerspiegelt. Nach den letzten Meinungsumfragen muss Sanín sogar befürchten, mit weniger als 10 Prozent der Stimmen hinter den Kandidaten der unabhängigen Linken, Luis Eduardo Garzón, zurückzufallen.

Wahlkampf unter den Vorzeichen der Gewalt

Der Wahlkampf selbst stand ganz im Zeichen der Gewalt, die öffentliche Auftritte zu einem unkalkulierbaren Sicherheitsrisiko für die Kandidaten machte. Die unabhängige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt befindet sich seit ihrer Entführung vor mehr als drei Monaten in der Gewalt der FARC. Alvaro Uribe entging Mitte April nur knapp einem Mordanschlag der Guerrilla in der Hafenstadt Barranquilla, drei Menschen wurden dabei getötet. Nach diesem Anschlag schränkten alle Kandidaten ihre öffentlichen Wahlkampfauftritte stark ein und konzentrierten sich vor allem auf Werbesendungen in den Medien.

Besonders besorgniserregend sind die massiven Versuche von Guerrilla und paramilitärischen Gruppen, mit Bedrohungen und Einschüchterung Einfluss auf das Wahlergebnis zu nehmen. Während die Paramilitärs in den von ihnen kontrollierten Gebieten massiven Druck zugunsten Uribes ausüben, versuchen die FARC in ihren Einflussgebieten eine Stimmabgabe für Uribe nach Kräften zu verhindern. Von beiden Gruppen werden dabei Morddrohungen und andere kriminelle Methoden eingesetzt, die eine ernste Bedrohung der Meinungsfreiheit darstellen.

Vor allem die Kampagne Serpas versuchte, dieses Thema für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren und Uribe zumindest implizit als "Kandidaten der Paramilitärs" darzustellen und in die Nähe der extremen Rechten zu rücken. Der liberale Präsidentschaftskandidat griff damit Vorwürfe auf, die u.a. anderem auch von Menschenrechtsgruppen erhoben wurden und sich vor allem auf die Politik Uribes während seiner Amtszeit als Gouverneur des Departements Antioquia (1995 -1997) beziehen.

Die von Uribe geführte Administration war in dieser Zeit maßgeblich an dem Aufbau privater Bürgerwehren ("Convivir") beteiligt, die zumindest in einigen Fällen unter den Einfluss paramilitärischer Gruppen gerieten. Die gesetzliche Grundlage für die "Conivir" wurde allerdings von der Regierung Samper gelegt, in der Horacio Serpa als Innenminister an herausragender Stelle Verantwortung trug. Es steht außer Frage, dass auch Serpa seinerzeit ein entschiedener Befürworter dieser Bürgerwehren war.

Die Polemik über die politische Vergangenheit Uribes überlagerte im Wahlkampf lange Zeit die Debatte über Sachfragen. Dabei wurde deutlich, dass in einigen Punkten - u.a. bei dem Aufbau und der Kontrolle der "Convivir" - durchaus begründete Zweifel an der Amtsführung Uribes in seiner Zeit als Gouverneur von Antioquia bestehen. Für Verbindungen des Kandidaten zu paramilitärischen Gruppen oder zur Drogenmafia gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Solche pauschalen Vorwürfe erscheinen vielmehr als wenig überzeugender Versuch, den in Führung liegenden Kandidaten zu diskreditieren - eine in der gegenwärtigen Konfliktsituation äußerst problematische Wahlkampfstrategie. Anders als Serpa hat sich der Kandidat der unabhängigen Linken, Luis Eduardo Garzón daher auch ausdrücklich geweigert, Uribe Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen zu unterstellen.

Auf die Umfragewerte der Kandidaten hat diese Debatte nur geringe Wirkung gezeigt. Die Zustimmung für Uribe ging in den Monaten April und Mai zwar leicht zurück, bewegte sich mit annähernd 50 Prozent aber weiterhin auf einem außerordentlich hohen Niveau.

Kolumbien vor einer Richtungswahl

Seinen uneinholbar scheinenden Vorsprung verdankt Uribe vor allem seiner klaren und kohärenten Position bei der Bekämpfung der Gewalt. Die von ihm vertretene Politik der "demokratischen Autorität" entspricht den Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit an die künftige Regierung. Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kandidat bisher wenig konkrete Vorstellungen entwickelt hat, mit welchen Mitteln Militär und Polizei in die Lage versetzt werden sollen, die Sicherheitslage entscheidend zu verbessern und wie diese Maßnahmen finanziert werden können.

Ähnliches gilt für die Wirtschaftspolitik wie auch für die Reform der politischen Institutionen und die Korruptionsbekämpfung, die Uribe zu dem zweiten zentralen Element seiner Kampagne gemacht hat. Wenn es dem Kandidaten nicht gelingt, sein bisher eher vages Programm nach einem möglichen Wahlsieg zu konkretisieren, besteht die Gefahr, dass die ohnehin überzogenen Erwartungen seiner Wähler rasch enttäuscht werden.

Der liberale Präsidentschaftskandidat Horacio Serpa hat es im Wahlkampf nicht vermocht, eine klare programmatische Alternative zu Uribe zu präsentieren. Serpas Kampagne zielte vor allem darauf ab, sich als "Kandidat des Friedens" darzustellen, der zwar mit der notwendigen Härte gegen Guerrilla und Paramilitärs vorgehen, aber den im Falle einer Wahl Uribes angeblich drohenden "totalen Krieg" verhindern werde. Dabei konzentrierte sich Serpa lange Zeit auf persönliche Angriffe gegen seinen Konkurrenten, während seine eigenen programmatischen Aussagen verschwommen blieben. Auch sein Versuch, durch eine plakative sozialpopulistische Rhetorik die unteren Einkommensschichten für sich zu mobilisieren, war allem Anschein nach wenig erfolgreich.

Die größte Stärke Serpas ist nach wie vor die Unterstützung des liberalen Parteiapparats, die ihm zwar vor allem in den ländlichen Gebieten ein nicht unbedeutendes Wählerreservoir sichert, aber für sich allein kaum für einen Wahlsieg ausreichen dürfte. Im Gegenteil wirkt sich seine enge Bindung an eine der beiden traditionellen Parteien in den städtischen Ballungsräumen von Bogotá, Medellín und Cali, wo sich die Mehrheit der Wähler inzwischen als parteipolitisch ungebunden definiert, eher negativ aus. Hier erscheint Serpa als Repräsentant einer verkrusteten politischen Klasse, als der "letzte Mohikaner" des liberalen Parteiestablishments, wie ihn die Zeitschrift Semana in ihrer letzten Ausgabe vor den Wahlen charakterisierte (vgl. Semana, 20.-27.5.2002).

Vor diesem Hintergrund ist es dem Kandidaten der unabhängigen Linken, Luis Eduardo Garzón, auf bemerkenswerte Weise gelungen, sich als glaubwürdige und unverbrauchte Alternative zu Uribe zu präsentieren. Zwar kann der frühere Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbands CUT allenfalls mit 10 Prozent der Stimmen rechnen, doch könnte ein solcher Achtungserfolg möglicherweise die Grundlage für eine organisatorische Konsolidierung der demokratischen Linken bilden, die für die Erneuerung des kolumbianischen Parteiensystems insgesamt von großer Bedeutung wäre.

Die dramatische Verschärfung der Gewaltsituation und der drohende Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in weiten Teilen des Landes geben der bevorstehenden Präsidentschaftswahl den Charakter einer Richtungswahl, deren Ausgang wesentlich darüber entscheiden wird, welchen Weg aus der Krise Kolumbien in den kommenden Jahren einschlagen wird. Alles deutet derzeit darauf hin, dass es zu einem ungewöhnlich klaren Votum zugunsten des Kandidaten Uribe und damit einer Politik kommen wird, deren vorrangiges Ziel die entschiedene Bekämpfung von Terrorismus und krimineller Gewalt wäre. Es bleibt abzuwarten, ob diese Tendenz am 26. Mai von den Wählern bestätigt wird.

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Dr. Hubert Gehring

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