Rumänien teilt über 600 km Grenze mit der Ukraine. Seit Ende Februar 2022 flohen rund 3,5 Mio. Ukrainerinnen und Ukrainer über die diversen Grenzübergänge nach Rumänien. Dort reagierte man beispielhaft mit offenen Armen: Alle ankommenden Flüchtlinge wurden aufgenommen und zum großen Teil privat untergebracht. An den Grenzübergängen, Bahnhöfen und Flughäfen wurden Anlaufstellen eingerichtet – viele davon wurden von Vereinen und NGOs betrieben. Flüchtlinge wurden mit Essen, Getränken, Hygieneartikeln, Kleidung und Spielzeug versorgt. Aber auch mit Trost und Zuspruch. Es wurde Kinderbetreuung organisiert, um die meist allein reisenden Mütter zu entlasten. Kleiderkammern, Medizinische Nothilfe und auch Sprachkurse wurden bereitgestellt. Die rumänische IGSU- vergleichbar mit einem zentralen Amt für Katastrophenschutz – brachte umfangreiche Hilfstransporte in die Ukraine nach Odessa, Czernowitz oder Mykolajiw auf den Weg. Auch die BOR war beispielsweise in der Region um Siret, Rădăuți und Suceava stark in der Flüchtlingshilfe aktiv. Rumänische Firmen, Privatpersonen, Kirche und staatliche Stellen arbeiteten Hand in Hand.
Mitte Januar 2023 legte die rumänische Regierung einen Bericht über die Hilfen für die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer vor. Demnach wurden mehr als 500 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt und von internationalen Partnern bereitgestellt, sechs Ministerien waren am „Nationalen Plan für mittel- und langfristige Maßnahmen“ beteiligt, mehr als 20 Gesetze wurden für die Unterstützung von Vertriebenen aus der Ukraine geändert bzw. verabschiedet und mehr als 1.500 lokale Behörden und 300 Nichtregierungsorganisationen haben bei der direkten Unterstützung von Flüchtlingen geholfen. Man möchte fast sagen: Rumänien war im Krisenmodus für andere effizienter als zu Friedenszeiten für sich selbst. Einige Kommentatoren stellen auch ein neues Gemeinschaftsgefühl fest, das sich in Rumänien durch die Flüchtlingshilfe zu entwickeln begonnen hat.
Vom Krisenmodus zur Integration: Gekommen um zu bleiben?
Von den 3,5 Mio. Ukrainerinnen und Ukrainern, die nach Rumänien flüchteten, reisten viele weiter in andere EU-Ländern. Manche kehrten auch zurück in die Ukraine. Bis heute sind 109.000 Flüchtlinge in Rumänien geblieben. Nach wie vor erhalten geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer Wohn- und Verpflegungsgeld in Höhe von rund 14 EUR pro Tag und pro Person. Für den rumänischen Staatshaushalt ist dies eine große Summe.
Lediglich etwa 5.700 geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer (ca. 5,2%) haben zwischenzeitlich ein festes Arbeitsverhältnis in Rumänien aufgenommen und nur die wenigsten ukrainischen Kinder sind in rumänische Schulen eingeschrieben worden. Die Beraterin des Premierministers für humanitäre Fragen und Flüchtlingshilfe, Mădălina Turza, erklärt warum: „Sie glauben noch fest daran, dass sie nur vorübergehend in Rumänien sind und bald zurück nach Hause gehen können. Wir müssen aber aus dem Krisenmodus in die zweite Phase – der Integration – schalten.“ Sowohl Kiew als auch die ukrainische Botschaft in Bukarest unterstützen allerdings die Sicht der Flüchtlinge, sie seien nur für einen kurzen und vorübergehenden Aufenthalt im Nachbarland und müssten sich entsprechend nicht integrieren. Eine weitere Hürde bei der Integration der Geflüchteten in den rumänischen Bildungsmarkt ist zudem, dass ein Schulabschluss oder ein Studium in Rumänien oftmals in der Ukraine nicht anerkannt wird. Umgekehrt ist es auch nicht immer einfach, ukrainische Abschlüsse in Rumänien anerkennen zu lassen. Auch dies hemmt die Arbeitsaufnahme mancher Flüchtlinge. Die rumänische Regierung möchte die Auszahlung der Unterstützungszahlungen nun in einer nächsten Phase an Auflagen koppeln, wie z.B. die verpflichtende Einschreibung der Kinder in die Schule, Sprachkursbesuche und die Registrierung in die Arbeitslosenlisten der Jobcenter auf Kreisebene (rum. AJOFM). Etwa 300 Sozialarbeiter sind derzeit von der Regierung beauftragt, ein Mapping der etwa 15.500 registrierten ukrainischen Kinder und ihrer Bedürfnisse in Rumänien zu erstellen. Zusätzlich zu den Maßnahmen für Schutz und Inklusion, bemüht sich die rumänische Regierung auch darum, die Risiken von Menschenhandel und anderen Formen von Gewalt und Missbrauch anzugehen. Im Dezember 2022 wurde hierfür ein Aktionsplan zur Prävention des sexuellen Missbrauchs und des Menschenhandels für die ukrainischen Flüchtlinge verabschiedet. Ein wichtiger Partner ist hierbei die benachbarte Republik Moldau.
Mădălina Turza, Beauftragte der Regierung für die Flüchtlingshilfe, legt zudem Wert darauf, dass bei den anstehenden Maßnahmen eine „push and pull“-Politik innerhalb der EU vermieden wird. Wenn ein EU-Land beispielsweise eine Zahlung von Kindergeld für Geflüchtete beschließen würde, zögen etliche Flüchtlinge dorthin, was jedoch die Integrationsarbeit im ursprünglichen Aufnahmeland zunichtemachen würde. Dies sieht sie als nachteilig für alle Beteiligten an. Aus diesem Grund habe die rumänische Regierung im September 2022 in Bukarest ein erstes Treffen einberufen, um auf Minister- und Staatssekretärsebene mit den EU-Partnern zu besprechen, wie ein koordinierter mittel- bis langfristiger Umgang mit geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern aussehen könne. Ein zweites Treffen zur Fortsetzung der Beratungen soll demnächst in einem anderen EU-Land stattfinden.
Rüstung? Don’t poke the bear!
Nicht nur im Blick auf die Aufnahme und Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge ist auf Rumänien Verlass: Ohne die rumänischen Korridore für Waffenlieferung und die Unterstützung dieser Transporte durch Rumänien, hätte sich die Ukraine vermutlich nicht so lange erfolgreich gegen die russischen Angriffe verteidigen können. Rumänien leitet aber nicht nur Militärgüter durch sein Territorium in die Ukraine, es unterstützt die Ukraine auch mit eigenen Lieferungen. Art und Umfang dieser militärischen Unterstützung für die Ukraine bleibt jedoch weitestgehend unbekannt. Von Verteidigungs- und Außenministerium, über die Regierung und die Präsidialverwaltung bis hin zu den Kreisverwaltungen der direkten Grenzregionen zur Ukraine äußert sich konsequent niemand zu Gütertransporten und Rüstungslieferungen in die Ukraine. Vertraulich hört man, Rumänien wolle „damit nicht prahlen vor dem großen Bären im Osten“.
Auf Ebene der politischen Kommunikation in Richtung Russland liegt Rumänien zwar klar, unmissverständlich und äußerst entschieden auf der Linie der EU und NATO, vermeidet jedoch die lauten Töne der baltischen Staaten oder Polens. Aber: Braucht ein NATO-Mitglied eine „don’t –poke-the-bear“ Strategie? Vielleicht ist ein Grund für das ruhige Agieren Rumäniens, dass Rumänien historisch, kulturell und politisch eng mit der Republik Moldau verbunden ist. Es heißt, dass rund ein Drittel der Moldauerinnen und Moldauer auch die rumänische Staatsangehörigkeit besitzt. Die Republik Moldau ist nach der Ukraine das vulnerabelste Land in der Region in Bezug auf weitere russische Aggression. Und die Republik Moldau steht nicht unter dem NATO-Schutzschirm. Wie würde sich Rumänien im Falle eines russischen Angriffes auf die Republik Moldau verhalten? Aus strategischen Gründen lässt Rumäniens Führung auch die Beantwortung dieser Frage in einem wohlkalkulierten Nebel. Interessant ist, dass auch die rumänische Medienlandschaft die Strategie „Nebelkerze“ in Bezug auf militärische Lieferungen und sonstige Unterstützung für die Ukraine voll und umfassend mitträgt. Sondersendungen, investigative Recherchen, bohrende Journalistenfragen: All das gibt es in Rumänien zum Thema Waffenlieferungen nicht. Auch wenn die rumänische Medienlandschaft weniger unabhängig ist, als wir dies aus Deutschland kennen: Ein so kollektives Schweigen bzw. eine so oberflächliche Berichterstattung lässt sich auch in Rumänien nicht verordnen. Es scheint vielmehr einen breiten Konsens zu geben, dass man so wenig Informationen wie irgend möglich über Waffenlieferungen verbreitet sehen möchte.
Kriegsberichterstattung, öffentliche Meinung und Desinformation
Jenseits des Themas Waffenlieferungen und weiteren Details zur militärischen Unterstützung der Ukraine, ist die breite rumänische Öffentlichkeit aber gut informiert über den Ablauf, die Hintergründe und die Entwicklungen im Nachbarland. Dennoch wurde der Krieg in der Ukraine auch in Rumänien von rechtsextremen Gruppierungen und bspw. der Partei AUR (dt. „Bündnis für die Vereinigung der Rumänen“) instrumentalisiert, um Klagen über territoriale Verluste vergangener Jahrhunderte und die Behandlung rumänischer Minderheiten in der Ukraine anzubringen. Diese wurden von Meinungsführern der AUR-Partei als „offene Wunden“ bezeichnet. Insbesondere der Anschluss von Territorien der Moldau und Nordbukowina an Rumänien sind Motive nationalistischer Rhetorik. Aufgrund der historisch verwurzelten starken anti-russischen Ressentiments gibt es allerdings auch auf Seiten der rumänischen Rechtsextremisten wenige explizit pro-russische Äußerungen. Einige Verbreitung haben in Rumänien jedoch Narrative, die russischen Interessen in die Hände spielen: So ist in Rumänien weithin akzeptiert, dass Russland ein unmöglich zu besiegender Gegner sei mit dem man eine Konfrontation besser vermeiden sollte. Es solle schnell ein Frieden zwischen den Kriegsparteien erreicht werden, sonst bedrohe der Krieg direkt die rumänischen Interessen, so fasst der Think-Tank „Globalfocus“ in einer Studie zusammen. Aber auch wenn solche Narrative in die traditionellen und sozialen Medien präsent sind, ändern diese derzeit nicht die Grundhaltung: Russland ist der Angreifer, die Ukraine muss verteidigt und unterstützt werden.
Hohe Energiepreise treiben die Inflation
Trotz aller Betroffenheit und Unterstützung für die Ukraine, steht aktuellen Umfragen zur Folge auch in Rumänien nicht mehr der Krieg im Nachbarland ganz oben auf der Agenda: Die Bekämpfung der Preiserhöhungen wird von einem beträchtlichen Teil der rumänischen Gesellschaft als vorrangigstes Problem angesehen. Obwohl Rumänien mit einer geringen Abhängigkeit von russischem Gas, vollen Erdgasspeichern, eigenen Gasvorkommen und einem generell sehr ausgewogenen Energiemix in der Produktion im EU-Vergleich ein energiepolitischer Musterschüler ist, würde Rumänien üblicherweise im Winter Energie aus der Ukraine zukaufen. Dies ist nach den russischen Angriffen auf das ukrainische Stromnetz nun nicht möglich. Die Zerstörung der ukrainischen Energieproduktion durch Russland verringerte für die ganze Region Osteuropa bzw. südliches Osteuropa die auf dem Markt verfügbare Energiemenge. Rumänien unterstützt zudem aktuell zusätzlich die benachbarte Republik Moldau, die bislang in kompletter Energieabhängigkeit von Russland verfangen war. Nachdem Russland Strom- und Gaslieferungen als politisches Druckmittel gegen die pro-europäische und demokratische Reformregierung eingesetzt und schließlich komplett eingestellt hat, werden aktuell über 90% des Strombedarfs der Republik Moldau aus Rumänien gedeckt. Rumänien hat über das kontinentale Stromnetz ENTSO-E (Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber) aktiv zum Anschluss der Republik Moldau an die Stromquellen der Europäischen Union beigetragen. Mit dem verknappten Energieangebot durch den Ausfall der Ukraine als Lieferant und die gestiegene Nachfrage – auch durch die Mitbelieferung der Republik Moldau - stiegen die Energiepreise in Rumänien bzw. sanken nicht wie in anderen Teilen Europas in den letzten Monaten wieder etwas ab. Energiepreise, die 35-40% höher liegen als im Vorjahr (Vergleich Dez. 2022-2023), treiben in Rumänien die Inflation. Diese hat sich bei rund 15% stabilisiert – schmerzhaft spürbar für alle Rumäninnen und Rumänen direkt im eigenen Geldbeutel.
Schengen-Debakel führt zu EU-Enttäuschung
Als Österreich im Dezember die Abstimmung über den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ausnutzte, um seinen eigenen Interesse im Feld der EU-Migrationspolitik Nachdruck zu verleihen, richtete die kleine Alpenrepublik einen verheerenden politischen Flurschaden in Rumänien an. In der immer pro-europäisch orientierten rumänischen Bevölkerung wurden plötzlich anti-EU-Ressentiment geweckt nach dem Motto: „Wenn sie uns nicht wollen, wollen wir sie auch nicht mehr!“. Auch wenn die ganz übergroße Mehrheit der EU-Länder für den Schengen-Beitritt Rumäniens war, setzt sich dort die Ansicht weiter durch: Im Zweifelsfalls ist nicht auf die EU, sondern auf USA und NATO Verlass. Dabei wäre ein konstruktiv an einer Neuordnung der EU-Sicherheitsstrukturen mitwirkendes Rumänien ein entscheidender Faktor zur Stabilisierung des Süden Osteuropas und auch Südosteuropas. Rumänien kann auf seine durchaus mit russischen Einflüssen kokettierenden Nachbarländer Serbien, Bulgarien und auch Ungarn einwirken. Rumänien ist auch das stärkste EU-Land unter den Schwarzmeer-Anrainern und dem Land kommt damit die Schlüsselrolle bei der Vermittlung dieses Raumes an die EU-Partner zu.
Der deutsche Bundeskanzler, der im Sommer 2022 den Schengen-Beitritt durch eine Rede in Prag überhaupt erst wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt hat, ist nun besonders gefragt, wenn es um dessen Umsetzung geht. Psychologisch ist der Schengen-Beitritt nach dem Debakel vom Dezember 2022 nun ein zentraler Stein für Rumäniens neue Rolle in der entstehenden neuen Europäischen Sicherheitsarchitektur geworden. Offen ist im Moment, ob es ein Eckstein oder Stolperstein wird.
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