Das Eröffnungsgespräch vom 16.6. im Video-Mitschnitt:
Prioritäten für die europäische Sicherheitspolitik
Nachdem im Eröffnungsgespräch zwischen Bundeministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Prof. Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der KAS, bereits am Dienstag, den 16.06, die Folgen der COVID-19-Pandemie für die Verteidigungspolitik und weitere bestimmende sicherheitspolitische Themen diskutiert wurden, ging die Adenauer-Konferenz am Mittwoch, den 17.06, mit einem Panel zu den verteidigungs- und sicherheitspolitischen Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft weiter. Hierzu diskutierten Michael Gahler, MdEP, außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Tjorven Bellmann, Beauftragte für Sicherheitspolitik im Auswärtigen Amt und Prof. Dr. Marina Henke, Direktorin des Centre for International Security an der Hertie School of Governance.
Gahler bekräftigte zu Anfang, was auch schon die Ministerin am Dienstag hervorgehoben hatte: „Wegen COVID-19 sind die sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen nicht weniger geworden“. Vielmehr führten die Folgen der Krise zu einer instabileren Lage in und um Europa. Der Anspruch von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ihre Institution solle eine „geopolitische Kommission“ werden, sei daher nach wie vor richtig und wichtig. Der Europaabgeordnete gab aber zu bedenken, wer diesen Anspruch habe, brauche als ultima ratio schließlich auch Fähigkeiten zur militärischen Machtdurchsetzung.
Mit PESCO, dem europäischen Verteidigungsfonds und anderen Instrumenten habe die EU bereits ein Fundament für die europäische Verteidigungsunion geschaffen. Wichtig sei nun aber, dass „diese Maßnahmen auch mit dem nachhaltigen politischen Willen der Mitgliedsstaaten unterlegt sind“. Gerade weil die Welt durch die Auswirkungen von COVID-19 instabiler geworden ist, sei es nötig, dass die EU ihre Beschlüsse nun auch wirklich umsetze.
Agenda für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft
Tjorven Bellmann hob in ihrem Impuls hervor, die Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft sei, sich der Stärkung der EU-Instrumente zu widmen, die zum Ziel einer europäischen Souveränität beitragen. Dazu gehöre auch eine Debatte, wohin die EU in ihrem Streben nach mehr sicherheitspolitischer Eigenständigkeit will und warum sie dieses Ziel verfolge. Sie verwies auch darauf, dass Einsätze in der europäischen Nachbarschaft vermehrt zwar unter europäischer Führung, aber außerhalb der EU-Strukturen durch Koalitionen der Willigen durchgeführt werden. Hier gelte es zu diskutieren, ob es nicht Anspruch der EU sein sollte, selbst in der Lage zu sein, diese als GSVP-Einsätze durchzuführen. Die Beauftrage für Sicherheitspolitik nannte die Situation in Mali als Beispiel für Krisen, die nun unter europäischer Ägide und ohne amerikanische Führung angegangen werden. Trotzdem sei ersichtlich, dass bei vielen Fähigkeiten immer noch eine starke Abhängigkeit von den USA besteht.
Als weitere Prioritäten für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nannte Bellmann, den Kapazitätsaufbau in Drittstaaten zu erfüllen und dafür bis zum Ende der Präsidentschaft ein EU-Finanzierungsinstrument aufzusetzen. Außerdem solle PESCO überprüft und die Drittstaatenbeteiligung daran thematisiert werden sowie ein europäisches Exzellenzzentrum für ziviles Krisenmanagement in Berlin aufgebaut werden.
Eine Leitstrategie für Europa
Marina Henke mahnte in diesem Zusammenhang jedoch an, dass einzelne politische Initiativen alleine noch keine Strategie ausmachten. Sie unterstrich: „Was Europa gerade am allerdringendsten braucht, ist eine Leitstrategie.“ Diese müsse ein kohärentes Gesamtbild schaffen, das die EU dahin bringe, sich festzulegen, wo sie in zehn bis zwanzig Jahren stehen möchte. Dabei sah die Professorin drei Optionen für Europa: Die EU könne sich erstens der Erneuerung der transatlantischen Allianz verschreiben und müsse dafür nicht nur einen größeren Teil der finanziellen Lasten tragen, sondern auch die amerikanische Politik im pazifischen Raum stärker politisch und militärisch unterstützen. Zweitens, könne die EU ein souveränes und eigenständiges Europa anstreben. Dann dürfe sich die EU aber zukünftig in der Sicherheitspolitik nicht ausschließlich auf Krisenmanagement fokussieren, sondern müsse auch andere verteidigungspolitische Aufgaben übernehmen, die heute die USA erfüllen – beispielsweise auch atomare Abschreckung. Zuletzt habe die EU ebenfalls die Option, zukünftig „nur“ Zivilmacht zu sein und sich neutral zu verhalten.
Henke hob hervor, Europa könne es sich nicht leisten von allem nur ein wenig zu tun, sondern müsse eine Strategie konsequent verfolgen. „Das Risiko, dass wir irgendwo auf einem Mittelweg stecken bleiben, muss minimiert werden“, so die Professorin. Gahler entgegnete in diesem Zusammenhang, er wünsche sich eine Kombination aus den beiden ersten Optionen. Dazu gehöre einerseits, den europäischen Pfeiler in der NATO zu stärken, aber andererseits, in der unmittelbaren europäischen Umgebung als EU auch eigenständig handlungsfähig zu sein. Bellmann kündigte an, dass Deutschland im Zuge des strategischen Kompasses eine Debatte über die Richtlinien, welche die GSVP prägen sollen, führen werde. Ebenso solle zu Anfang der Ratspräsidentschaft eine Bedrohungsanalyse erstellen werden, die eine strategische Grundorientierung bietet.
Implikationen der US-Präsidentschaftswahlen
Auf dem dritten und letzten Panel der Adenauer-Konferenz am Donnerstag, den 18.06, richteten Jürgen Hardt, MdB, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag, und Peter Rough, Senior Fellow beim Hudson Institute, ihren Blick auf die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen.
Im Hinblick auf einen möglichen Führungswechsel im Weißen Haus stellte Hardt zu Beginn fest, dass die stärkere Orientierung Amerikas hin zum pazifischen Raum nicht allein an Präsident Donald Trump läge, sondern noch aus der Zeit Barack Obamas komme. Auch dass Deutschland einen größeren Teil der Lasten in der NATO schultern soll, werde sicherlich unter einem Präsident Joe Biden ebenfalls verlangt werden. „Jeder amerikanische Präsident wird zu Recht fordern, dass wir entsprechend unserer Wirtschaftskraft dafür sorgen, dass wir unsere Zusagen in der NATO einhalten“ unterstrich der Bundestagsabgeordnete.
Peter Rough kam mit Blick auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen zu dem Ergebnis, „wenn es heute oder morgen in den USA eine Wahl geben würde, wäre der nächste Präsident der Vereinigten Staaten Joe Biden“. Er wies jedoch darauf hin, dass der Wahlkampf jetzt erst beginne und die politische Situation derzeit ohnehin von hoher Volatilität gekennzeichnet sei. Zwar würde aus seiner Sicht ein Präsident Biden einen anderen rhetorischen Weg einschlagen. Beispielsweise würde er der EU positiver gegenüberstehen und könnte eine Verknüpfung von EU und NATO unterstützen. Jedoch schloss sich der Experte den Einschätzungen seines Vorredners an, dass mit Blick auf das transatlantische Verhältnis auch unter Biden eine gewisse Kontinuität zu erwarten sei.
Mehr europäische Verantwortung
Vor dem Hintergrund dieses Ausblickes hob Hardt hervor, dass Deutschland auch eine stärkere eigenverantwortlichere Rolle in seiner Nachbarschaft, gerade in Afrika, übernehmen müsse. Das gelte beispielsweise mit Blick auf die Sahelzone. Hier müsse in Deutschland mehr diskutiert und deutlicher gemacht werden, dass eine dortige Stabilisierung im eigenen Interesse liegt.
Rough bestätigte, auch die USA wünschten sich, dass sich Europa in seiner Nachbarschaft „mehr einbringen würde“. Hierbei verwies er vor allem auf den Konflikt in Libyen, in dem essentielle europäische Interessen berührt seien. Nachdem sich die USA ein Stück weit aus dem Land zurückgezogen haben, spielten heute nur noch Russland, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate eine zentrale Rolle. Daher seien die Europäer nun gefordert, hier mehr Verantwortung zu übernehmen – auch innerhalb von NATO-Strukturen. Hardt stimmte zu, dass Europa in Libyen ein Interesse habe, nämlich, „zu verhindern, dass es zu einem zweiten Syrien wird“. Er verwies aber auch darauf, dass Deutschland bereits eine Führungsrolle bei der Lösungsfindung übernommen habe. So organisierte Deutschland Anfang des Jahres eine Libyen-Konferenz in Berlin, die zum Ziel hatte, die Unterstützung der externen Konfliktparteien zu limitieren.
Strategische Herausforderungen für die NATO
Im Anschluss diskutierten die Redner über eine Reihe strategischer Herausforderungen, insbesondere den sich verstärkenden Systemwettbewerb zu Russland und China, dem sich die NATO gegenübersieht. Rough betonte dabei die amerikanische Sorge über eine verstärkte chinesisch-russische Kooperation. Beide verfolgten als revisionistische Mächte ähnliche Interessen, auch wenn es durchaus Meinungsverschiedenheiten gebe und Russland klar der Juniorpartner in diesem Verhältnis bleibe. „Ob man diese zwei Mächte als Bündnispartner sieht, darüber ist man sich auch in Washington noch uneins“ folgerte der Experte daher.
Auch die Reaktion der NATO auf neue russische Marschflugkörper wurde dabei thematisiert. Die NATO-Verteidigungsministerinnen und –minister hatten am Tag zuvor über neue Maßnahmen zur Abschreckung gegen Russland beraten. Rough lobte dabei die geschlossene Reaktion der NATO und das gemeinsame Vorgehen gegen die russische Aufrüstung. Mit Blick auf den Systemwettbewerb wies Hardt darauf hin, der erste Schritt für Europa sei „dass wir zu einer gemeinsamen Antwort auf diese strategische Herausforderung finden“. Die Europäer hätten viel zu spät damit begonnen und müssten nun die Entwicklung einer gemeinsamen China-Strategie vorantreiben.
Politische Debatte um nukleare Teilhabe
Zum Abschluss der diesjährigen Adenauer-Konferenz drehte sich die Diskussion noch um die nukleare Teilhabe Deutschlands. Rough wies darauf hin, dass Deutschland die Bedeutung, die seine sicherheitspolitischen Entscheidungen, wie die zur nuklearen Teilhabe, für das Bündnis und Europa haben, unterschätze. Es sei daher wichtig, „dass Deutschland, als Dreh- und Ankerpunkt der Sicherheitspolitik Europas, immer wieder auch an die Interessen seiner Bündnispartner denkt“. Hardt äußerte Unverständnis für die Diskussion seitens der SPD um die nukleare Teilhabe. Es sei „zwar populär, gegen Atomwaffen zu sein“, doch mit Blick auf die aktuelle Situation in Europa „brauchen wir eine wirksame – auch atomare – Abschreckung“, stelle der Bundestagsabgeordnete fest. Die Veränderung des nuklearen Bedrohungspotenzials zwinge darüber nachzudenken, wie die NATO darauf entsprechend reagieren kann.
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