Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat unmittelbare und grundlegende Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der maritimen Sicherheit, des Handels, der Kommunikation und des Schutzes kritischer Infrastrukturen. Als dominierende Sicherheitsbedrohung war dieses Thema in den meisten Panels der Konferenz präsent. China als Sicherheitsfaktor mit zunehmendem Einfluss im Baltikum sowie der Wettbewerb der Großmächte im indopazifischen Raum wurden ebenfalls diskutiert. Seit Jahrhunderten verbindet der Seehandel den gesamten Globus, weshalb globale Wechselwirkungen sich in den vergangenen Jahrzehnten um ein Vielfaches verstärkt haben.
Die Hauptthemen der Konferenz waren:
- Die Auswirkungen des Beitritts Finnlands sowie des schwedischen Beitrittsgesuches zur NATO auf die Sicherheit im Baltikum
- Verteidigung der nordöstlichen Flanke der NATO und Abschreckung gegen russische Aggressionen
- Die wachsende Herausforderung durch China
- Die Bedeutung des Schutzes kritischer Infrastrukturen wie Internetkabel, Gaspipelines und Stromleitungen
Langfristige Abschreckung Russlands
Nach Ansicht des estnischen Staatssekretärs Kusti Salm müsse auch nach einem Ende des Krieges mit einer Gefahr aus Russland gerechnet werden, es würde sich irgendwann in der Zukunft militärisch neuformieren und dabei nach Rache streben. Das Verteidigungsbündnis der NATO müsse sich daher auf diese künftige Bedrohung vorbereiten. Der NATO-Gipfel nächsten Monat in Vilnius, Litauen, werde deshalb ein entscheidender Punkt sein, um aktuelle Probleme zu lösen. In diesem Zusammenhang forderte Žilvinas Tomkus, stellv. Verteidigungsminister Litauens, angemessene und nachhaltige Finanzmittel für die euro-atlantische Sicherheit. Er forderte eine 2%-Untergrenze für die Verteidigungsausgaben aller NATO-Mitglieder sowie klare Sicherheitszusagen für die Ukraine auf dem weiteren Weg in die NATO. Des Weiteren brauche das Bündnis operativ durchführbare Pläne für unterschiedliche Bedrohungsszenarien, so Generalleutnant Jürgen-Joachim von Sandrart, Kommandeur des Multinationalen Korps Nordost in Stettin, Polen. Andernfalls werde die Abschreckung gegen Russland nicht gelingen.
Admiral Stuart Munsch, Kommandeur der US-Naval Forces Europe-Africa und Kommandeur des Allied Joint Force Command Naples (NATO) warnte davor, das Baltikum nach dem Beitritt Finnlands zur NATO und vor dem Hintergrund des Beitrittsantrags Schwedens als ein NATO-Meer zu betrachten. Er betonte, dass die NATO ein Interesse daran habe, die Freiheit internationaler Gewässers zu schützen und internationales Recht einzuhalten. Für ihn standen drei Themen im Mittelpunkt: gegenseitiges Vertrauen der Partner ineinander, Interoperabilität des Geräts und der Fähigkeiten sowie Kampfkraftvorteil zur Abschreckung Russlands. Das Ziel der NATO sei die Fähigkeit zur Abschreckung und Verteidigung. Die Verteidigung gegen terroristische Aktivitäten dürfe hierbei nicht vernachlässigt werden.
Drehscheibe Deutschland
Aufgrund Deutschlands geographischer Lage in der Mitte Europas wird es in sicherheitspolitischen Debatten häufig als Drehscheibe für verteidigungspolitische Zusammenarbeit bezeichnet. Bei einem drohenden Angriff auf die NATO-Nordostflanke müsste Verstärkung der Partner unter anderem durch Deutschland transportiert werden. Der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack, wies in diesem Zusammenhang auf die zentrale Rolle der Deutschen Marine hin. Die Drehscheibe Deutschland beginne im Westen nicht erst an einem europäischen Hafen, sondern bereits an der US-amerikanischen Ostküste und ende im Osten im Baltikum. Neben diesen geografischen Gegebenheiten verschwömmen allerdings in weiteren Bereichen die Grenzen zwischen interner und externer Sicherheit immer mehr mit Zunahme hybrider Aktivitäten. Auch er unterstrich, dass mit dem Beitritt Finnlands und dem Mitgliedsantrag Schwedens in der Ostsee wie bisher das internationale Seerecht gelte und die NATO hunderprozentig für dessen Geltung eintrete. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther griff diese Punkte in seiner Rede auf: gerade für Schleswig-Holstein als Bundesland zwischen zwei Meeren sei die Sicherheit an Land wie in, auf und unter See essenziell wichtig. Deutschland müsse insgesamt schneller seine Hausaufgaben machen zum Beispiel im Bereich Beschaffung, um ein guter Partner zu sein. Viel zu lang hätte man Warnungen baltischer Partner nicht ernst genommen und Verteidigungsstrukturen ab-, anstatt aufgebaut.
Vorsicht vor China
Im Umgang mit China müsse Europa proaktiver werden, weniger reaktiv, so Meia Nouwens, Senior Fellow for Chinese Security and Defence Policy am Institut für internationale Sicherheitsstudien (IISS) in London. Problematisch sei in diesem Zusammenhang, so Dr. Sarah Kirchberger vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK), dass viele Europäer zu wenig über chinesische Einflussmaßnahmen informiert seien – eindeutige Hinweise, sog. „smoking guns“ würden abgetan, eindeutige Indizien nicht zu Verdachtsmomenten zusammengesetzt, aus denen ein vorsichtigerer Umgang folge. Der indische Vizeadmiral a.D. Pradeep Chauhan hielt in diesem Zusammenhang ein weiterhin massives Engagement Chinas im Ausland für wahrscheinlich. Chinas Hunger nach Wachstum sei nicht durch nationale Nachfrage zu stillen. Es gäbe viele Beispiele, in denen Länder und Regionen, die zuvor einen friedlichen Umgang mit China gesucht hätten, trotzdem aufgrund des chinesischen Großmachtstrebens vereinnahmt worden seien.
Nord Stream-Sprengungen als „Game Changer“
Die Nord Stream-Zwischenfälle am 26. November 2022 hätten die Ostseestaaten aufgerüttelt und seien ein „Game Changer“, so Robin Allers vom Norwegischen Institut für Verteidigungsstudien in Oslo. Dieser Tag würde in maritimen Kreisen als einschneidend in Erinnerung bleiben. Die Sicherheit der unterseeischen Infrastruktur stehe ganz oben auf der internationalen Agenda der euro-atlantischen Marinen, so Vizeadmiral Thomas E. Ishee, Befehlshaber der 6. US-Flotte. Es müsse mehr in die Fähigkeit der Zuordnung solcher Attacken investiert werden – dies erhöhe die abschreckende Wirkung gegen künftige Attacken. Die Nord Stream-Sprengungen hätten außerdem gezeigt, wie wichtig eine gute Kooperation verschiedener staatlichen und nichtstaatlichen Stellen untereinander sei – in Norwegen habe dies aufgrund der generell flachen Hierarchien gut funktioniert. Zivil-militärische Kooperationen sei ebenfalls nicht zu unterschätzen, so Allers. Eine klare, national jeweils festgelegte Antwort auf die Fragen darauf, was in Unternehmensverantwortung und was in staatlicher Verantwortung liege, forderte Evan Fuery, Senior Vice President beim Energieunternehmen Equinor.
Die Konferenz wurde gemeinsam mit dem Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und der Hermann Ehlers Stiftung (HEA) organisiert.
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