Vor wenigen Jahren hat das Medienarchiv der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Nachlass von Wilhelm Hartung, der von 1957 bis 1975 als politischer Karikaturist bei der „Welt“ tätig war, alle dort noch vorhandenen Adenauer-Karikaturen erworben. Eine Auswahl von rund 150 dieser Zeichnungen ist im Band „Adenauer-Karikaturen von Wilhelm Hartung“ veröffentlicht worden, der am 18. Oktober 2023 im Schaltzeit Verlag Berlin erschienen ist.
Aus Anlass des Erscheinens dieser Publikation fand im Herbst 2023 in Frankfurt a. M., Bad Honnef-Rhöndorf und Berlin eine dreiteilige Veranstaltungsreihe „Adenauers Spötter und ihre Erben“ statt. Im Rahmen moderierter Expertengespräche diskutierten dabei jeweils ein oder zwei Karikaturisten mit einem ausgewiesenen Kenner und Spezialisten über ihre Arbeit und Kunst, die Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildsatire und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich zur Adenauer-Zeit.Das erste der drei moderierten Expertengespräche fand am Erscheinungstag des Bandes auf und im Umfeld der 75. Frankfurter Buchmesse statt. Am Mittag diskutierte Andreas Platthaus, Chef des Ressorts Literatur und literarisches Leben beim Feuilleton der F.A.Z. und Autor mehrerer einschlägiger Sachbücher, auf einer Messebühne im Foyer von Halle 4.0 mit dem Karikaturisten Klaus Stuttmann, seit 2003 für den Berliner „Tagesspiegel“ tätig, daneben aber auch noch für über 30 andere Zeitungen und Zeitschriften.
Eröffnet wurde das Gespräch auf dem Podium mit einer Bestandsaufnahme: In Deutschland gebe es momentan rund 100 Karikaturisten, davon etwa 20 tagespolitische, d. h. solche, die wie Stuttmann (fast) täglich einen satirischen Bildkommentar zu aktuellen politischen Ereignissen und Personen veröffentlichten. Die Szene sei gut vernetzt; es gebe einen regen Austausch unter den Kollegen. Gleichwohl habe man ein Nachwuchsproblem. Auch gebe es keine Ausbildung zum Karikaturisten, dafür aber immerhin seit 2007 die Sommerakademie für Komische Kunst in Kassel zur Förderung von Talenten. Ob und wie man Karikaturist werde, sei laut Stuttmann „alles Zufall“, auch wenn eine „gewisse Lust am Strich“, mithin die Begabung zum Zeichnen sicherlich die notwendige Voraussetzung sei.
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung zwischen Platthaus und Stuttmann ging es dann um die Arbeitsweise und Entlohnung von Karikaturisten, um Ideen, Inhalte und mögliche Tabuthemen, um die Reaktionen des Publikums und die Veränderungen im Zuge der Digitalisierung sowie um die Zukunftsaussichten dieses besonderen Berufsstandes.
Bei der Veranstaltung am Abend im Frankfurter Haus des Buches erweiterte sich die Expertenrunde auf dem Podium noch um die Autoren des dort zu präsentierenden Bandes Walther Fekl, Ulrich Op de Hipt und Matthias Krüger, so dass der Fokus noch stärker auf Wilhelm Hartung und den Vergleich der heutigen Verhältnisse mit denen in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland gerichtet war. Dass die KAS mit gut 450 Adenauer-Karikaturen von Wilhelm Hartung seinerzeit ein größeres Konvolut erworben habe und dadurch die zusammenhängende Betrachtung eines historischen Bestandes ermögliche, sei nach Meinung von Andreas Platthaus ein „großes Glück“. Deutlich trete bei den Zeichnungen die sanfte Satire Hartungs und allgemein die „humoristische Form der Karikatur“ zutage, die in den 1950er Jahren – als Gegenmodell zur „aggressiven Karikatur“ der NS-Zeit – dominiert habe. Erst in den 1960er Jahren sei dann ein stärkerer Wandel hin zur „parteilichen Karikatur“ eingetreten, wie Ulrich Op de Hipt ausführte.
Aus der Perspektive des einzelnen Zeichners entwickele sich eine Karikatur vergleichbar einer Unterschrift. Am Anfang stehe, so Klaus Stuttmann, zunächst das Bemühen, die jeweils einzuführende Figur möglichst porträtähnlich wiederzugeben, um dann im Laufe der Zeit zu einer immer unähnlicheren, aber trotzdem genaueren, d. h. charakteristischeren Darstellung zu gelangen. Freilich zeichne er schon seit zwei oder drei Jahren nicht mehr so gern bestimmte Personen, weil es ihm keinen Spaß mache, Politiker abzubilden, die „physiognomisch nicht herausfordernd“ seien – anders noch als Angela Merkel, von er mehr als 1000 Karikaturen angefertigt habe. So gebe es von ihm überwiegend Zeichnungen „ohne Köpfe“, also Typenkarikaturen im Unterschied zu den Hartungschen Individualkarikaturen der Adenauer-Zeit.
Neben solcherart Akzentverschiebungen in der Darstellung von Personen ließen sich auch Änderungen bei den Motiven und Themen feststellen. Ein (bildliches) Zitat funktioniere nur, wenn es auch im Gedächtnis der Menschen sei. Der Bildungshorizont habe sich jedoch spürbar verändert. So würden Zitate aus der griechischen Mythologie, der klassischen Literatur oder der Bibel zum Teil gar nicht mehr verstanden. Dafür nehme der Wortwitz in Form von Sprechblasen u. Ä. zu. Inhaltlich gebe es ein paar Dinge, die tabu seien: früher die Kirche, heute vielfach der Islam oder vor allem auch Israel.Das zweite Expertengespräch in der Reihe gab es am 16. November 2023 im Museum der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Bad Honnef-Rhöndorf. Nach der Begrüßung durch die Geschäftsführerin Dr. Sabine Schößler und den Kanzler-Enkel Konrad Adenauer sen. führte Matthias Krüger als Bearbeiter des Hartung-Bandes kurz in das Werk ein. Moderator des anschließenden Podiumsgesprächs war der schon in Frankfurt beteiligte Ulrich Op de Hipt, langjähriger Kurator der Karikaturensammlung im Haus der Geschichte in Bonn. Als Gesprächspartner standen ihm Heiko Sakurai aus Köln, seit 2000 tagespolitischer Karikaturist bei der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ in Essen, der auch für andere Zeitungen wie die „Financial Times Deutschland“ oder die „Berliner Zeitung“ arbeitet, und Matthias Krüger als Experte für Wilhelm Hartung zur Verfügung. Die ebenfalls geladene Karikaturistin Miriam Wurster aus Bremen, die u. a. für den „Weserkurier“ und das Magazin „Titanic“ zeichnet, musste kurzfristig absagen. Das war umso bedauerlicher, weil ein Punkt in der Diskussion die Frauen in diesem Metier betraf. Ihnen bescheinigte Sakurai denselben „Killerinstinkt“ wie den Männern. Als Unterschied sei indes nach Op de Hipt festzustellen, dass Karikaturistinnen sehr viel seltener Porträtkarikaturen anfertigten, ohne diese Beobachtung aber weiter zu erklären.
Auf Nachfrage gewährte Sakurai dann einige interessante Einblicke in seine Arbeitsweise. So biete er einer Zeitung immer gleich zwei oder drei Ideen an, so dass die zuständige Redaktion auswählen könne. Dabei sei die Idee für eine Karikatur das Entscheidende, nicht die Ausführung. In jedem Fall habe er „nur einen Schuss“, der durchaus auch daneben gehen könne, wenn die Zeichnung später nicht verstanden werde. Dafür müssten er und das Publikum denselben Horizont haben. Seine Vorzeichnungen mache er im Übrigen noch mit Stift und Papier, die Reinzeichnung mittlerweile aber mit dem Tablet. Die Abgabe der Karikatur erfolge bis 16 Uhr. Bis dahin könne eine Idee durch die veränderte Nachrichtenlage auch obsolet geworden sein. Deshalb sei es für ihn besser, fügte er augenzwinkernd hinzu, wenn ein Minister schon am Vormittag zurücktrete und nicht erst um 15 Uhr.
Der Erfolg einer Karikatur bemesse sich u. a. daran, ob sie anderswo wiederabgedruckt werde. Ein Problem sei in dieser Hinsicht das Internet, das zunehmend die „papierne Zeitung als Geschäftsgrundlage“ bedrohe. Online gingen aber der Wert und die Funktion der Karikatur zum Teil verloren, denn in der Print-Ausgabe einer Zeitung habe die Karikatur ihren festen, prominenten Platz und stehe nicht einfach irgendwo. Alle Versuche, ihr einen solchen Platz auch in einem digitalen Newsblog zu geben, seien bislang bestenfalls unbefriedigend (z. B. bei „Spiegel online“ immer am unteren Scrollende als Bildstrecke). Demgegenüber gebe es freilich auch ein Viel-Mehr an Wirkung und Reaktion durch die schnelle und weltweite Verbreitung der Karikatur in den Social Media. Das berge die Gefahr eines Shitstorms in sich, könne aber auch überschwängliches Lob bedeuten. Als Karikaturist müsse man daher immer die unterschiedlichen Reaktionen auf eine Karikatur in den verschiedenen Kulturkreisen mitdenken, wie Stuttmann seinerzeit schon in Frankfurt formuliert hatte.
Auch für Sakurai stellte Israel das größte thematische Tabu dar. Rasch seien die Kritiker einer Zeichnung hier mit dem Vorwurf des Antisemitismus zur Hand, wie die Fälle von Dieter Hanitzsch bei der „Süddeutschen“ und Steve Bell beim „Guardian“ zeigten. Eine „Schere im Kopf“ beim Zeichnen im Sinne übertriebener politischer Korrektheit widerspreche allerdings dem grundlegenden Charakter der Karikatur. Wie gefährlich es bei manchen Themen für einen Zeichner werden könne, dokumentiere der islamistisch motivierte Terroranschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ 2015 in Paris. Doch sei die Situation in Frankreich mit den zumeist „sehr harten Karikaturen“ von „Charlie Hebdo“, die oftmals Religionskritik und Rassismus in einem böten, nicht mit der in Deutschland vergleichbar.
Im Publikum kam später die Frage auf, ob ein Karikaturist aktuell nicht von ganz anderer Seite bedroht werde, nämlich durch die Nutzung von KI. Das konnte Heiko Sakurai nicht verneinen. Freilich hoffe er als 52-Jähriger, dass dieser Kelch an ihm vorübergehe, denn die menschliche Kreativität könne die Technik bislang noch nicht ersetzen oder simulieren.Das dritte und letzte Expertengespräch fand am 30. November 2023 in Berlin statt, und zwar im Alten Postamt von Friedenau (heute: PSD Bank Berlin-Brandenburg), das sich in den letzten Jahren als Kultur- und Veranstaltungsort im Südwesten der Hauptstadt etablieren konnte. Auf dem Podium nahmen dort Platz: der Moderator Walther Fekl, Karikaturenexperte mit deutsch-französischem Schwerpunkt und Mitautor des Hartung-Bandes, sowie die beiden Karikaturisten Klaus Stuttmann aus Berlin, nach Frankfurt nun schon zum zweiten Mal dabei, und Karl-Heinz Schoenfeld aus Potsdam, jahrzehntelang als Stammzeichner bei der „Bild“-Zeitung und anderen Springer-Blättern beschäftigt und auch heute noch gelegentlich für verschiedene Regional- und Lokalzeitungen tätig. Der 95-jährige Schoenfeld hatte Adenauer Mitte der 1960er Jahre sogar noch persönlich in Rhöndorf getroffen, nachdem dieser durch eine besonders gelungene Zeichnung in der „Bild“ auf ihn aufmerksam geworden war und deshalb zu sich nach Hause eingeladen hatte.
Das Podiumsgespräch und vor allem die menschlich-fachlichen Interaktionen zwischen den beiden Karikaturisten begeisterten die Teilnehmer der Veranstaltung. Zu den spannendsten Fragen, die der Moderator mit ihnen diskutierte, gehörten ihr individueller Werdegang und ihr Berufsweg zum satirischen Pressezeichner, die Entwicklung ihrer Arbeitsweise(n) und der politischen Karikatur als Genre zwischen 1947 und 2023 in Deutschland sowie die Folgen missliebiger Zeichnungen und thematischer Tabubrüche bis hin zur Begrenzung ihrer „Freiheit“ durch Chefredaktion und Verleger. Eindrucksvoll schilderte Schoenfeld, wie er durch seine Erfahrungen im Dritten Reich nach dem Krieg zu seinem demokratisch-politischen Engagement gekommen sei, und erzählte von seinem Studium der Malerei in Berlin, dem er noch ein paar Semester am dortigen Institut für Pressezeichnen und Graphik folgen ließ. Demgegenüber studierte der 21 Jahre jüngere Klaus Stuttmann Kunstgeschichte in Berlin und Tübingen. Zum Künstler habe es damals bei ihm nicht gereicht.
Unterschiede gab es auch im Berufsalltag beider Karikaturisten. Während Schoenfeld noch von einer Kommunikation per Boten und von stundenlangen Redaktionskonferenzen vor Ort aus dem „Vor-Fax-Zeitalter“ berichten konnte, gab Stuttmann an, dass er heute in der Regel überhaupt keinen persönlichen Kontakt mehr zur Redaktion habe und nicht einmal genau wisse, wer der richtige Ansprechpartner für ihn sei. Vielmehr sei das Vertrauen zwischen ihm und dem „Tagesspiegel“ mittlerweile so groß, dass er täglich seine – seit 23 Jahren ausschließlich mit dem Tablet erstellte – Karikatur kurz vor Redaktionsschluss abschicke und diese Zeichnung dann auch immer genommen werde.
Die Frage nach der Zukunft der Karikatur beantwortete Schoenfeld deutlich optimistischer als Stuttmann, der den Niedergang u. a. mit dem Verschwinden des Mediums der Papierzeitung zusammenbrachte und darüber hinaus vor der Manipulation von Zeichnungen im Internet und den Social Media warnte. Schoenfeld war sich dagegen sicher, dass die Karikatur „nicht totzukriegen“ sei. Es werde sie immer geben, solange man Witze mache und Satire, Humor und Ironie existierten, denn sie bringe eine Botschaft bildlich so auf einen Nenner, dass jeder sie verstehen könne. Die Resonanz einer Karikatur hänge an der Idee; und manchmal habe eben auch ein „dummer Zeichner“ eine gute Idee.
Die Veranstaltung in Berlin bildete den würdigen Abschluss der Gesprächsreihe, die als ein innovatives Format zur Buchpräsentation vom Publikum sehr gut angenommen wurde und daher zu Überlegungen über eine Wiederholung anregte.
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