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Die Regierung gibt sich unabhängig und selbstbewusst gegenüber der EU, hält sich im Kern aber an die Vorgaben der Europäischen Kommission, auch wenn Brüssel einen noch schnelleren Abbau der Staatsschulden und eine ambitioniertere strukturelle Anpassung anmahnt. Die frühere Kritik an der EU und vor allem auch an Deutschland wegen vermeintlicher „Einmischung“ und Sparauflagen ist weitgehend verstummt.
2017 wuchs die portugiesische Wirtschaft um 2,7%, womit das von der Regierung erwartete Wachstum (1,5%) deutlich übertroffen wurde. Das insgesamt positive Wirtschaftsklima in der EU, der blühende Tourismus mit mehr als 20 Millionen Touristen im vergangenen Jahr und nicht zuletzt die stark angestiegenen Exporte haben die portugiesische Wirtschaft 2017 und auch schon in den Vorjahren angekurbelt. Das erleichterte der Regierung von Premierminister António Costa, den Haushaltsvorgaben der EU nachzukommen.
Die Grundlage für neue Investitionen und das Wirtschaftswachstum waren harte Sparmaßnahmen und strenge Reformen, die in Portugal zwischen 2011 und 2015 von der Vorgängerregierung unter Premierminister Pedro Passos Coelho (PSD) im Zuge der Finanzkrise durchgeführt wurden. Der Kern dieser Maßnahmen betraf Reformen zur Konsolidierung des Steueraufkommens, des Arbeitsmarktes, der Produktmärkte, des Justizsektors, und des Rechtsrahmens für Unternehmen. Ebenso wurden Anstrengungen unternommen, den Bankensektor zu stärken. Dadurch schaffte es 2014, nach drei Jahren harter Anpassungspolitik, den europäischen Rettungsschirm wieder zu verlassen.
Als 2015 überraschend Premierminister António Costa und seine Sozialistische Partei PS mit Unterstützung von zwei weiteren Linksparteien an die Regierung kamen, versprach Costa „das Ende der Sparmaßnahmen“. Tatsächlich machte die neue Regierung einige der Sparmaßnahmen, beispielsweise bei Gehältern von Beamten und sozialen Hilfsprogrammen, sowie die Privatisierung einiger Unternehmen wieder rückgängig. Sie hob gleichzeitig den Mindestlohn um 5,1% auf 530 €uro an, was über der Inflationsrate und der durchschnittlichen Produktivitätsentwicklung lag; 2017 und 2018 wurde der Mindestlohn jeweils weiter angehoben zunächst auf 557 € und dann auf 580 €. Im kommenden Jahr wird er voraussichtlich auf 600 € ansteigen. Zudem wurden die Arbeitszeit für Beamte wieder auf 35 Stunden pro Woche gekürzt und vier abgeschaffte gesetzliche Feiertage wieder eingeführt. Allerdings wurden nicht alle Reformen der Vorgängerregierung wieder zurückgenommen. Die Opposition kritisiert daher immer wieder, dass die Sozialisten sich rühmen, das Kapitel der Einsparungen abgeschlossen zu haben, während diese in Wirklichkeit nur besser versteckt würden. So entschied die Regierung beispielsweise indirekte Steuererhöhungen, zum Beispiel auf Benzin, und Einsparungen bei öffentlichen Dienstleistungen wie im öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen, die die ärmeren Bevölkerungsschichten am härtesten treffen. Doch ein Erfolg dieser Maßnahmen war es, als im September 2017 Standard&Poors als erste Ratingagentur Portugal vom „Ramsch“-Niveau wieder auf ein „Investment Grade“ heraufstufte; im Dezember 2017 vollzog die Agentur Fitch den gleichen Schritt. Beide Agenturen bewerten die wirtschaftlichen Aussichten des Landes als stabil.
Trotz der kontinuierlichen positiven Entwicklung bestehen weiterhin einige Risiken für die portugiesische Wirtschaft. Die Staatsverschuldung ist trotz Schuldenabbaus anhaltend hoch und mit 126,4% des BIP weiterhin die dritthöchste in der Eurozone. Weil die Regierung im vergangenen Jahr die staatliche Bank Caixa Geral de Depósitos mit einer Geldspritze von 2,5 Milliarden Euro stützen musste, erhöhten sich dadurch die Staatsschulden auf unvorhergesehene Weise. Auch die von der portugiesischen Regierung hochgelobte Rate des Wirtschaftswachstums kann nicht zu übermäßigem Jubel verführen, da Portugal weiterhin nicht schneller als der europäische Durchschnitt wächst und sich daher der Abstand zu anderen europäischen Wirtschaften auch nicht verringert. Für 2018 sagt die Europäische Kommission einen weiteren Rückgang der Staatsschulden auf 124,1% des BIP und ein Wirtschaftswachstum über 2% vorher. Während die Schuldenrate fällt, steigen die Staatsschulden in absoluten Zahlen weiter an. Es existieren einige Brennpunkte, die die wirtschaftliche Erholung des Landes schnell wieder ins Wanken bringen können. Besonders vom Bankensektor mit einer hohen Zahl notleidender Kredite und niedriger Rentabilität droht eine große Gefahr, sodass der Staat möglicherweise wieder intervenieren muss.
Kritisiert wird von manchen Beobachtern und nicht zuletzt seitens der Opposition, dass die Regierung sich zu sehr auf das durch positives Wirtschaftsklima beeinflusste starke Wachstum und den Tourismusboom verlässt, die Wirtschaft allerdings nicht langfristig wettbewerbsfähiger macht. Im Bereich der Restrukturierung von staatlichen Unternehmen und der Bemühungen um tragfähigere öffentliche Finanzen blieben relevante Fortschritte bisher aus. Ebenso lassen die Reformen der öffentlichen Verwaltung im Rahmen effizienter Neuordnung und für ein gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen lokaler und zentraler Ebene, sowie für effizientere Justizverfahren bisher zu wünschen übrig.
Ein weiteres schwerwiegendes Problem für Portugals Wachstumspotential in mittel- und langfristiger Perspektive ist die demografische Entwicklung. Das Land hat eine immer älter werdende Bevölkerung, seine historisch niedrigste Geburtenrate und eine hohe Auswanderungsrate. Zusammen mit der zu niedrigen Zunahme der Produktivität, die auch die Investitionen der letzten Jahre nicht deutlicher anheben konnten ist das eine Hypothek für die künftige Wirtschaftsentwicklung.
Die Arbeitslosenzahl in Portugal hat sich seit ihrem Höchststand von 16,5% im Jahr 2013 stetig verringert und schloss 2017 mit 8,9% (OECD) ab. Allerdings sind Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit weiterhin Faktoren, die einer umfassenden Erholung im Weg stehen. Die Jugendarbeitslosigkeit sank von 38,1% (2013) auf 23,9% (2017). Ebenso ist die Widerstandsfähigkeit dieser positiven Entwicklung fraglich, da eine beachtliche Zahl der neuen Jobs auf kurzzeitigen, niedrig qualifizierten und schlecht bezahlten Tätigkeiten beruht. Dies steht im direkten Zusammenhang mit der saisonalen hohen Nachfrage im Tourismus-Bereich.
Die Regierung der guten Laune lähmt die Opposition
Die Vorbehalte und Warnungen der Opposition gegenüber allzu viel Optimismus werden von Premierminister Costa bisher noch stets hinweg gelächelt. Während überall in Europa die sozialistischen Parteien um ihr Überleben kämpfen und versuchen sich gegen populistische und nationalistische Strömungen oder Vorwürfe des Missmanagements während der Eurokrise zu behaupten, laufen die Dinge für die Sozialisten in Portugal glänzend. 2015 gelangte die Partido Socialista (PS) mit ihrem Vorsitzenden António Costa überraschend an die Regierung, als sie eine bis dato in der portugiesischen Demokratie noch nicht erlebte Linkskoalition zusammen mit dem Linksblock Bloco de Esquerda (BE) und den Kommunisten und Grünen der Coligação Democrática Unitária (CDU) bildeten. Eigentlich handelt es sich nicht um eine Koalition im strengen Sinn sondern um getrennte Vereinbarungen der Zusammenarbeit und Unterstützung, die Costa mit den anderen beiden Parteien abschloss. Zu dritt haben diese Parteien eine Mehrheit im Parlament, womit sie die Koalition aus Partido Social Democrata (PSD) und dem Centro Democrático Social – Partido Popular (CDS-PP) ablösten, die mit Premierminister Pedro Passos Coelho von 2011 bis 2015 die strenge Reformpolitik durchsetzte. Anfang 2016 gab es viele Kommentatoren, die vorhersagten, das Regierungsbündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Grünen würde die komplette Legislaturperiode nicht überleben. Mittlerweise hat sich nicht nur die Überraschung gelegt, dass diese Koalition hält und seit zweieinhalb Jahren stabil ist. Im öffentlichen Meinungsbild schneidet diese Koalition auch relativ gut ab.
Der wirtschaftliche Aufschwung Portugals in den vergangenen Jahren, die geschickte Vermarktung ihres angeblichen Anti-Austeritätskurses sowie die Tatsache, dass Portugal ganz von der Flüchtlingskrise verschont blieb, garantieren den Sozialisten die Beliebtheit bei großen Teilen der Bevölkerung und bieten der Opposition eineinhalb Jahre vor der nächsten Parlamentswahl im Herbst 2019 wenig Angriffsfläche. Premierminister Costa zeigt stets gute Laune, die sich auf seine Landsleute überträgt.
Selbst das klare Versagen der Regierung im Umgang mit den verheerenden Waldbränden in Portugal im vergangenen Sommer und Herbst und den Folgen dieser Brände scheinen ihrem Ruf nicht geschadet zu haben. Eine Reihe von Korruptionsskandalen um ihren ehemaligen Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten José Sócrates kulminierte im April, als bekannt wurde, dass sein ehemaliger Wirtschaftsminister Manuel Pinho während seiner Amtszeit monatliche Zahlungen durch eine Offshore-Firma erhalten hatte. Die Negativschlagzeilen um die Partei zwangen die Sozialisten, sich radikal von Sócrates und dessen damaliger Regierung zu distanzieren. Sócrates trat Anfang Mai 2018 aus der Sozialistischen Partei aus. Abzuwarten bleibt, ob die Skandale um die PS damit enden oder weitere Persönlichkeiten der Partei, die an Sócrates‘ Machenschaften teilhatten, Konsequenzen ziehen müssen.
Doch zumindest vorläufig bleibt die Stimmung gut und entspannt. Dazu haben neben dem wirtschaftlichen Momentum in Portugal, der schrittweisen Sanierung der öffentlichen Finanzen und der positiven Entwicklung des Arbeitsmarkts auch noch einige weitere Ereignisse der vergangenen Jahre beigetragen. Der Sieg der Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 und der Sieg Salvador Sobrals beim Gesangswettbewerb Eurovision de la chanson 2017 sowie die jetzige Ausrichtung des Wettbewerbs im Mai 2018 in Lissabon haben das portugiesische Selbstbewusstsein ebenso gestärkt wie die Wahlen von António Guterres zum UNO-Generalsekretär und von Mário Centeno zum Vorsitzenden der Eurogruppe.
Angesichts der nationalen Konsolidierung und der internationalen Erfolge fällt es den Oppositionsparteien schwer sich bemerkbar zu machen. Bei den Kommunalwahlen am 1. Oktober 2017 errang die Sozialistische Partei mit 38% der Stimmen einen deutlichen Sieg. Die PSD erhielt als die größere der beiden Oppositionsparteien landesweit nur 16% der Stimmen. Der ehemalige Ministerpräsident Pedro Passos Coelho verzichtete daraufhin auf eine erneute Kandidatur zum Parteivorsitzenden und wurde am 18. Februar 2018 von Rui Rio, einem ehemaliger Bürgermeister von Porto, abgelöst. Seitdem besteht eine anhaltende Spannung in der PSD zwischen einem konservativeren Lager ehemaliger „Passos-Anhänger“ und den weiter links anzusiedelnden Unterstützern von Rui Rio. Die innerparteiliche Umstrukturierung ist – nicht zuletzt deswegen - weiterhin im Gange. Kritisiert wird in den Medien, aber auch von unzufriedenen Parteimitgliedern, dass Rui Rio bisher keinerlei Opposition zur aktuellen sozialistischen Regierung gebildet habe, sondern im Gegenteil versuche, sich der Regierung anzunähern und bereits ein Abkommen zur Dezentralisierung und ein Abkommen zum europäischen Haushalt mit den Sozialisten unterzeichnet habe.
Die andere Oppositionspartei CDS-PP, die bei der letzte Parlamentswahl in einem Wahlbündnis zusammen mit der PSD angetreten war, kündigte während ihres Parteitags im März an, bei der nächsten Parlamentswahl keine gemeinsamen Liste mit der PSD mehr bilden zu wollen. Nachdem die Vorsitzende der CDS-PP, Assunção Cristas, bei den Kommunalwahlen in Lissabon überraschende 21% erhalten hatte, rechnet sich diese Partei basierend auf den positiven Ergebnissen der letzten Regionalwahl und der internen Spaltung der PSD bessere Chancen aus, wenn sie allein antritt. Sie arbeitet an ihrem Profil, um sich als die einzige Alternative und Opposition zu den Sozialisten und deren aktueller Regierung darzustellen. Auch mit Blick auf die anstehende Europawahl 2019 unterstreicht CDS-PP ihre Differenzen zu PSD und PS.
Einigkeit gegenüber der Vorlage des EU-Haushalts
Bezüglich des Entwurfs für den EU-Haushalt 2021-2027 zeigten sich Regierung und Oppositionsparteien in Portugal in ihrer globalen Bewertung einig. Der Vorschlag wird als nicht ambitioniert genug und die Einsparungen im Bereich der europäischen Agrarpolitik sowie Kohäsionspolitik, von denen Portugal selbst stark profitiert hat, werden als besorgniserregend bewertet. In anderen Bereichen unterstreichen die Parteien allerdings klare Differenzen. Während sich PS und PSD im April dieses Jahres für die Einführung europäischer Steuern aussprachen, distanzierte sich die CDS-PP vehement von diesem Vorhaben, ebenso wie von der Idee eines europäischen Finanzministers, die vom portugiesischen Ministerpräsidenten positiv aufgenommen wurde.
In den letzten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Eurosondagem erhielten die Sozialisten ca. 41,5% der Stimmen, gegenüber 32,3% bei der letzten Parlamentswahl 2015. Mit diesem Ergebnis müssten sie weiterhin die Unterstützung anderer Partner suchen, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen. Die PSD würde aktuell 28,4% und ihr ehemaliger Listenpartner CDS-PP 6,6% der Stimmen erhalten, womit sie gemeinsam hinter den 2015 erreichten 36,9% bleiben würden. BE und CDU halten ungefähr die Werte der letzten Wahl. Bei der Frage, ob sie den PSD-Spitzenkandidaten Rui Rio für einen besseren Ministerpräsidenten hielten als den amtierenden António Costa antworteten 70,9% mit nein und nur 16,7 % mit ja. Sollte keine Partei bei der nächsten Parlamentswahl eine absolute Mehrheit erreichen, finden 44,4% der Portugiesen, dass PSD und PS eine Koalition bilden sollten, 45% sind dagegen. Die Möglichkeit einer erneuten Linkskoalition wird von den Befragten gut aufgenommen; so unterstützen 54,7%, eine zweite Regierungszeit der aktuellen Regierung während sich 30,7% dagegen aussprechen.
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