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Reuters / Gleb Garanich

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Republik Moldau: Politische und gesellschaftliche Auswirkungen ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine

Raus aus Moskaus Einflusssphäre: Ein zäher Kampf

Die pro-europäischen Reformkräfte gewannen 2020 und 2021 die Wahlen in der Republik Moldau. Seitdem versuchen sie, das Land in Zeiten des Ukraine-Krieges und damit unter schwierigsten denkbaren Rahmenbedingungen aus Moskaus Einflusssphäre zu lösen. Der Erhalt des EU-Beitrittskandidatenstatus im Juni 2022 war ein Meilenstein auf diesem Weg. Aber Moskau lässt die Republik Moldau nicht kampflos ziehen. Auch wenn es aktuell nicht nach einer militärischen Auseinandersetzung aussieht, gibt es noch viele andere Mittel für die russische Führung, den Reformweg des kleinen Landes in die EU zu torpedieren. Doch die Republik Moldau wehrt sich.

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Sdílet

Als Russland am frühen Morgen des 24. Februar 2022 die Ukraine bombardierte, hörte man die Explosionen in vielen Landesteilen der Republik Moldau und auch in der moldauischen Hauptstadt Chişinău. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf ihr großes östliches Nachbarland erschütterte die Republik Moldau aber auch auf menschlicher Ebene. Es gibt eine ukrainische Minderheit in der Republik Moldau, die laut dem Zensus von 2014 ungefähr 6,6% der Bevölkerung ausmacht (die Region Transnistrien nicht miteingerechnet). Viele Moldauerinnen und Moldauer haben familiäre und freundschaftliche Verbindungen in die Ukraine. Beide Länder waren Teil der Sowjetunion, bis diese Anfang der 1990er Jahre zerfiel. Der umfassende Angriff der russischen Streitkräfte auf das gesamte Territorium der Ukraine war ein großer Schock für das kleine Land im Süden Osteuropas. Zumal sich alle Moldauerinnen und Moldauer spätestens seit dem 24. Februar 2022 die Frage stellen müssen: Sind wir sicher? Werden auch wir von Russland angegriffen?

 

Der Plan sah anders aus

Als Maia Sandu am 24. Dezember 2020 als Staatspräsidentin der Republik Moldau vereidigt wurde und sich die ihr nahestehende Partei „Partidul Acțiune și Solidaritate“, kurz PAS (dt. „Partei der Aktion und Solidarität“) in den vorgezogenen Neuwahlen des Parlaments am 11. Juli 2021 eine Mehrheit von 52,8% der Stimmen sichern konnte, standen nach der erfolgreichen Regierungsbildung unter PAS-Premierministerin Natalia Gavrilița im Herbst 2022 alle Zeichen in der Republik Moldau auf „Reformkurs“.

Doch es kam anders: Von Anfang an setzte Moskau die nicht-genehme pro-europäische und demokratisch orientierte Reformregierung unter Druck. Wenige Wochen nach der Regierungsübernahme ging ein Drohbrief des russischen Gasgiganten Gazprom bei seiner moldauischen Tochter Moldovagaz ein. Wegen nicht vollständig geleisteter Zahlungen werde man den Gashahn zudrehen. Laut Angaben der Regierung ging es um Außenstände in Höhe von umgerechnet 22,4 Millionen Euro. Gazprom führte jedoch weit höhere Schulden an und verweigerte sich strikt einem Zahlungsaufschub. Über Jahre hatte Moskau mittels Gas-Lieferungen an das Kraftwerk in der eigentlich von der Republik Moldau abtrünnigen Region Transnistrien und dem Weiter- bzw. Rückverkauf des damit erzeugten Stroms an Chişinău ein kaum durchschaubares Netz an Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten gesponnen. Nun erschien es Moskau politisch opportun, dieses Netz zuzuziehen und die neue Regierung durch sprunghaft steigende Strompreise direkt in eine erste Regierungskrise zu stürzen. Wer alle Kräfte auf Krisenmanagement verwenden muss, kann keine Reformen voranbringen und verliert in der Wählergunst. Und wenn die pro-russischen Kräfte in Chişinău bezüglich der immens steigenden Strompreise mit dem Finger auf die Reformkräfte zeigen konnten: Umso besser. So das Moskauer Kalkül.

Die Republik Moldau war zum Zeitpunkt der russischen Invasion fast vollständig von Gaslieferungen aus Russland abhängig und in einer von Moskau beförderten Ko-Dependenz von Stromlieferungen aus Transnistrien gefangen. Durch viele kleine Schritte und durch das Aushalten von starkem innenpolitischen Druck sowie einem Abrutschen in der Wählergunst wegen der massiv gestiegenen Energiepreise konnte sich die PAS-Regierung trotz extrem schlechter politischer Rahmenbedingungen 2022 ein gutes Stück weit aus Moskaus Energie-Erpressungsmuster herauswinden: Als direkte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wurde die Republik Moldau im Eiltempo an das Strom- und Gasnetz des westlichen Nachbarlandes Rumänien angeschlossen und konnte jetzt Strom von dort beziehen. Allerdings basierend auf Marktpreisen zu fünf- bis sechsmal höheren Kosten. Auch gelang es Chişinău in Kooperation mit der Ukraine und Rumänien erstmals, eigene Lagerkapazitäten für Gas zu schaffen. Als Russland seine Gaslieferungen in die Republik Moldau im Oktober 2022 reduzierte und Stromlieferungen aus der abtrünnigen Region Transnistrien im November 2022 eingestellt wurden, konnte Chişinău Stand halten. Chişinău hielt auch Stand, als die Ukraine infolge der russischen Angriffe auf die dortige Energieinfrastruktur keinen Atomstrom mehr liefern konnte.

Die EU greift der Republik Moldau massiv finanziell unter die Arme, um die Explosion der Energiepreise wenigstens etwas für die Bevölkerung abzufedern. Allein Deutschland stellte Ende November 2022 zusätzliche Mittel in Höhe von 28,7 Millionen Euro bereit, mit denen vor allem die Energieeffizienz von Gebäuden erhöht werden soll. Darüber hinaus wurden mit bereits zugesagten 40 Millionen Euro bedürftige Haushalte bei den stark gestiegenen Energiekosten entlastet. Trotz dieser Unterstützung schlagen sich die enorm gestiegenen Energiekosten in einer Inflationsrate nieder, die seit Monaten bei rund 30% liegt. Die Inflation ist so hoch, weil nicht nur die Energiepreise dramatisch gestiegen sind. Zusätzlich stoppte der Krieg den Import von meist günstigen Lebensmitteln aus der Ukraine. Diese können zwar durch Importe aus Rumänien ersetzt werden, aber eben wiederum zu höheren Preisen. Und schlussendlich sorgen auch die ins Land geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer für eine erhöhte Nachfrage und damit einen weiteren Preisdruck. Insbesondere auf dem Wohnungsmarkt sind die Preissteigerungen durch zusätzlich nachgefragten Wohnraum zu spüren.

Die Republik Moldau hat seit Ende Februar 2022 674.057 ukrainische Flüchtlinge und 76.752 Drittstaatsangehörige aufgenommen. Von ihnen waren Mitte Januar 2023 rund 102.000 dauerhaft im Land, davon rund 47.800 Personen unter 18 Jahre. Die Republik Moldau mit ihren ca. 2,5 Mio. Einwohnern hat damit pro Kopf mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Land. Die Flüchtlinge sind in aller Regel privat untergekommen und werden mit internationaler Hilfe versorgt. Die Koordinierung der zahlreichen Hilfsorganisationen, Spendengelder mit teils sehr spezifischen Förderbedingungen und Freiwilligen ist eine weitere Herkulesaufgabe, die von der moldauischen Regierung bewältigt werden muss.

 

Im Visier Moskaus

Moskaus Plan, in Chişinău wieder pro-russische Kräfte an die Macht zu bringen, hat viele Facetten. Neben dem Kalkül, dass die neue Regierung in einem permanenten Krisenmodus weder Zeit noch Kraft für Reformvorhaben hat und dann letztlich die Zustimmung der Wähler verliert, die sie genau für die Umsetzung von Reformen gewählt hatten, gibt es aber offenbar auch manifestere Umsturzpläne. Es ist klar, dass die teils mafiös strukturierten Beharrungskräfte, die die Republik Moldau lange im Status eines „captured state“ gehalten hatten, von Russland unterstützt werden. Dies Kräfte beherrschen immer noch einen großen Teil der Massenmedien sowie strukturrelevante Unternehmen und Konzerne. Ihr Einfluss reicht aber auch bis tief in den Justizsektor und auch die Verwaltung hinein. Nicht immer wissen die PAS-Minister, wem sie im eigenen Haus vertrauen können.

Auch ist seit langem bekannt, dass Moskau finanziell und logistisch Kräfte unterstützt, die Proteste gegen die Regierung inszenieren oder mindestens entscheidend befördern. Im Herbst 2022 gab es Protestcamps vor dem moldauischen Parlament, dessen Bewohner regelmäßig bezahlt wurden und deren Schilder verdächtigerweise alle aus dem gleichen Material gefertigt und im gleichen Schrifttyp bedruckt waren. Aber gerade auch Mischformen von tatsächlichem, eigenständig motiviertem Protest gegen hohe Strom- und Gaspreise und orchestriertem bzw. bezahltem Protest (so auch jüngst im Februar 2023) ist eine perfekte Grundlage für den Informationskrieg, der gegen die PAS-Regierung und die Präsidentschaft der Republik Moldau geführt wird. Desinformation, Fake-news und Propaganda werden hierfür von russischer Seite massiv eingesetzt.

Mitte Februar 2023 meldete der moldauische Geheimdienst SIS subversive Aktivitäten, die darauf abzielten, die Republik Moldau zu untergraben sowie die öffentliche Ordnung zu destabilisieren. Die Informationen habe man sowohl aus eigenen Operationen als auch von der ukrainischen Regierung erhalten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi bestätigt, der ukrainische Geheimdienst habe Informationen abgefangen, die zeigten, wer wann und wie in der Republik Moldau zuschlagen wolle. Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu teilte dazu mit: „Russlands Plan, die Situation zu destabilisieren, besteht bereits seit Herbst, aber konnte sein Ziel nicht erreichen, weil die Sicherheitsorgane eingegriffen haben.“ (…) „Im letzten Herbst lag der Fokus auf der Energiekrise und darauf, die Bevölkerung gegen die Regierung aufzuwiegeln. Der Plan für die kommende Zeit beinhaltet Aktionen von Saboteuren mit Militärtraining, die Anschläge auf staatliche Institutionen und Geiselnahmen vorbereiten.“ (…) „Sie wollen Personen mit militärischem Hintergrund aus Belarus, Russland, Serbien und Montenegro einsetzen, um staatliche Gebäude anzugreifen. Die staatlichen Institutionen arbeiten an diesen Herausforderungen und werden die Situation unter Kontrolle halten. Bei der Ausführung dieses Planes stützt sich Russland auf kriminelle Gruppen innerhalb des Landes, besonders Șor (gemeint ist die Șor-Partei, Anm. KCP) und Veteranenorganisationen. Der Zweck des Planes ist es, die Verfassungsordnung zu stürzen“. Staatspräsidentin Sandu fordert, das Parlament müsse so schnell wie möglich ein Gesetz verabschieden, das dem Geheimdienst SIS und dem Büro der Staatsanwaltschaft die notwendigen Instrumente an die Hand gebe, die Risiken für die Landessicherheit effizienter zu bekämpfen. Alle, die sich an Aktionen gegen den Staat beteiligen - egal ob Mitglieder politischer Parteien oder krimineller Gruppen - würden zur Rechenschaft gezogen, so Sandu.

Die Meldungen zu den Umsturzplänen kamen zeitgleich mit einer Regierungsumbildung, nachdem PAS-Premierministerin Natalia Gavrilița zurückgetreten war. Ihr folgte wenige Tage später Dorin Recean nach, der die letzten Jahre Berater für Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Staatspräsidentin war. Die offizielle Begründung des Regierungswechsels lautete, dass man nun eine stärkere Fokussierung auf Sicherheitsfragen benötige, während das Kabinett Gavrilița auf Wirtschaftsfragen spezialisiert gewesen sei. Sicherlich ist die Regierungsumbildung auch ein Versuch der PAS, angesichts des Umfragetiefs Wille und Kraft zu einem neuen Aufbruch vor den Kommunalwahlen in diesem Jahr zu demonstrieren. Der Regierungswechsel ist in jedem Fall seit Dezember geplant und vorbereitet worden. Dorin Recean nutzte die vergangenen Wochen, um das Vertrauen der PAS-Abgeordneten und der Parteispitze zu gewinnen – offensichtlich erfolgreich. Am 16. Februar 2022 gewann Dorin Recean die Vertrauensabstimmung im Parlament und konnte die zweite PAS-Regierung der Legislaturperiode bilden.

Aktuell ist die Gefahr eines russischen Vorstoßes nach Transnistrien und damit in die Republik Moldau viel geringer als noch im Frühjahr 2022. Gleichzeitig haben die von pro-russischen Kräften teils unterstützen, teils orchestrierten Straßenproteste der Regierung in Chişinău vor Augen geführt, dass sie härter gegen Bedrohungen im Inneren durchgreifen muss.

Es kann gut sein, dass man sich entschlossen hat, dies nun anzugehen. Dann wären die jüngsten Veröffentlichungen von Geheimdienst-erkenntnissen zu den Umsturzplänen pro-russischer Kräfte die Ouvertüre zu einem nun entschlossenen Kampf gegen die mafiös strukturierten Beharrungskräfte im Land. Für schnelle Fortschritte bei den für den EU-Beitritt notwendigen Reformvorhaben ist es unerlässlich, dass sich die Republik Moldau aus den verbleibenden Haftkräften im Netz des „captured state“ befreit.

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Dr. Brigitta Triebel

Brigitta Triebel kas

Leiterin des Auslandsbüros Republik Moldau

brigitta.triebel@kas.de +49 175 530 5151
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27. února 2023
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