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Schock statt Schwung: Bidens Debatte mit Trump

od Dr. Hardy Ostry, Jan Bösche

US-amerikanische Pressestimmen zur ersten Fernsehdebatte des Präsidentschaftswahlkampfes zwischen Joe Biden und Donald Trump

Ungewöhnlich früh im Präsidentschaftswahlkampf haben sich die Kandidaten Joe Biden und Donald Trump zu ihrer ersten Fernsehdebatte getroffen. Bidens Team hoffte, mit dem Ereignis seinen Wahlkampf in Schwung zu bekommen – allerdings war das Gegenteil der Fall. Der von CNN organisierten Debatte soll im September eine weitere unter der Ägide von ABC News folgen. Der Verlauf der ersten hat dabei den Spannungsbogen bis September maßgeblich verstärkt.

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Reaktionen und Analyse

„Andere Präsidenten sind schon in Debatten gestolpert, aber nicht so, wie es Biden am Donnerstagabend passiert ist“, analysiert die Washington Post: „Sein vorrangiges Ziel war es, die Zweifel zu zerstreuen, dass er zu alt und zu gebrechlich ist, um das Land weitere vier Jahre zu führen. Stattdessen verstärkte er diese Zweifel.“ Im Laufe des Abends habe sich Bidens Performance verbessert, er habe viele inhaltliche Auseinandersetzungen gewonnen – aber der erste Eindruck zähle, und für Biden sei der schlimmer gewesen, als viele Demokraten befürchtet hätten.

Die New York Times berichtet von einer „Partei in Panik“: „Demokraten, die den Präsidenten seit Monaten gegen seine Zweifler verteidigt haben - auch Mitglieder seiner Regierung - tauschten innerhalb weniger Minuten nach Beginn der Debatte hektische Anrufe und Textnachrichten aus, als klar wurde, dass Biden nicht in Bestform war.“ Die Zeitung zitiert einen demokratischen Strategen, Biden habe eine sprudelnde Quelle an Zuneigung in der Partei. Diese Quelle sei jetzt versiegt. Mark Buell, ein prominenter Spender für Biden und die Demokratische Partei, sagte der Times nach der Debatte, der Präsident müsse sich genau überlegen, ob er die beste Person für die Nominierung sei. Buell fragte, ob sie die Zeit hätten, einen anderen Kandidaten ins Rennen zu schicken.

Nach der Debatte äußerten sich viele Kommentatoren und Kolumnisten schockiert und forderten Biden auf, seine Kandidatur zu überdenken. Zu ihnen gehört Thomas Friedman von der New York Times, der Biden grundsätzlich positiv sieht. In seiner Kolumne schrieb er, Biden sei ein Freund, seit sie nach dem 11. September gemeinsam nach Afghanistan und Pakistan reisten. Darum sage er das alles mit großer Traurigkeit: „Ich kann mich in meinem Leben an keinen herzzerreißenderen Moment in einem US- Präsidentschaftswahlkampf erinnern. Dieser Moment offenbarte: Joe Biden, ein guter Mann und ein guter Präsident, hat es nicht verdient, zur Wiederwahl anzutreten.“ Die Wählerinnen und Wähler verdienten einen offenen Prozess für die Suche nach einem demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der Partei und Land vereinen könne, der biete, was keiner der beiden Kandidaten geboten hätte: „Eine überzeugende Beschreibung dessen, wo die Welt im Moment steht, und eine überzeugende Vision dafür, was Amerika tun kann und muss, um sie weiterhin anzuführen - moralisch, wirtschaftlich und diplomatisch.“

Politico-Kolumnist Jonathan Martin zitiert führende Demokraten, Bidens Wette auf eine frühe Debatte, um die ständigen Fragen über sein Alter zu entkräften, sei nicht nur nach hinten losgegangen, sondern habe einen Schaden angerichtet, der sich als irreversibel erweisen könnte: „Der Präsident hatte in den ersten 30 Minuten der Debatte die Zweifel an seiner Fitness voll bestätigt.“  Martin prognostiziert, dem Präsidenten stehe mit seiner eigenen Partei ein schwieriger Sommer bevor. Die Demokraten könnten aber niemand anderem als sich selbst die Schuld geben. Sie hätten dreieinhalb Jahre geschwiegen, jetzt ernteten sieden Sturm. Nach Martins Einschätzung müsste sich Biden freiwillig zurückziehen, damit auf dem Parteitag in Chicago ein anderer Kandidat gewählt werden könne: „Es gibt keine Anzeichen dafür, selbst nachdem ehemalige Mitarbeiter Bidens im Fernsehen seine Leistung am Donnerstag kritisiert haben, dass er seine ein halbes Jahrhundert währende Karriere in der Politik mit einem demütigenden Ausstieg mitten im Wahlkampf beenden wird.“

„Die Demokraten können dem Biden-Problem nicht ausweichen“, überschrieb das Wallstreet Journal seinen Leitartikel: „Die schwache Leistung des Präsidenten ermöglichte es Trump, die Debatte trotz einer mittelmäßigen Leistung zu gewinnen.“ Trump habe zumindest kraftvoll ausgesehen. Biden habe wie ein schwacher Mann gewirkt, dem kein Amerikaner wünschen würde, dass er sich mit Putin oder Chinas Xi Jinping messe. Es sei eine unvermeidliche Frage, warum diejenigen, die Biden am nächsten stehen, ihn erneut haben kandidieren lassen. Die Zeitung fragt, ob sie wirklich geglaubt hätten, sie hätten Biden „Niedergang“ verbergen können: „Wir und viele andere haben sie gewarnt. Es war eindeutig ein egoistischer Akt, dass er sich um eine zweite Amtszeit beworben hat.“

Die Kolumnistin Molly Ball setzt im Wallstreet Journal den Gedanken fort: „Die Risiken einer zweiten Amtszeit sollten keine Überraschung sein.“ Jahrelang hätten Umfragen deutlich gezeigt, dass eine Mehrheit der Wähler Biden als zu alt für eine weitere Amtszeit ansah und seine Fähigkeiten wegen seines Alters in Frage stellte. Viele in der Partei würden die gegenwärtige Abrechnung darum als unvermeidlich ansehen, als  „das Ergebnis jahrelanger defensiver Weigerung des Präsidenten und seines inneren Kreises, den Niedergang von Bidens öffentlichem Auftreten anzuerkennen, der für die Wähler schon lange offensichtlich war.“

„Bidens schlechte Leistung bei der Debatte untergrabe seine Chance, den Wahlkampf neu zu starten, analysiert Amy Walter vom Cook Political Report. Wechselwähler, die mit beiden Kandidaten unzufrieden sind, seien von der Debatte nicht umgestimmt worden. Bidens Problem seien aber nicht nur Wechselwähler: Er müsse sich auch um die Begeisterung an der eigenen Basis Sorgen machen. Gleichzeitig zeigt sich Walter skeptisch, dass es in der demokratischen Partei jetzt zu großen Umstürzen kommt. Diejenigen, die eine Alternative zu Biden wollten, könnten keinen klaren Ersatz anbieten. Aus Walters Sicht gibt es einen weiteren Grund, warum die „Panikmache“ der Parteieliten übertrieben sein könnte: Der Biden, der in der Debatte zu sehen war, sei für normale Wähler keine Überraschung mehr. Vielmehr sei dies in ihrer grundsätzlichen Entscheidung, demokratisch zu wählen, bereits eingepreist.

 

Wie schlug sich Donald Trump?

Während Bidens Auftreten in der Debatte die Schlagzeilen bestimmt, konzentrierten sich einige Analysten auch auf die Antworten, die Donald Trump gegeben hat. In der New York Times heißt es: „Während des größten Teils der Debatte schlug der ehemalige Präsident Donald Trump verbal auf Präsident Biden ein und bezeichnete seinen politischen Gegner als ineffektive Führungspersönlichkeit - mit einer Flut von Angriffen, die häufig falsch waren, denen der Kontext fehlte oder die vage genug waren, um irreführend zu sein.“ Ganz offensichtlich profitierte dabei Trump von der Schwäche Bidens und – wie im Nachgang ebenfalls kritisiert wurde – der CNN-Moderatoren Jake Tepper und Dana Bash, die keinerlei kritisches Nachfragen auf Trumps Behauptungen erkennen ließen.

Die Washington Post beobachtete, Trump sei wiederholt Themen ausgewichten, an denen er nicht interessiert sei. Er „folgte dem Rat seiner Berater, die ihn ermutigten, das Gespräch auf freundlichere Themen wie Einwanderung und Wirtschaft zu lenken.“ Es sei wieder deutlich geworden, wie schwierig es sei, Trump zu interviewen. Er sage, was ihm gefalle, und überrolle Interviewer mit langen Antworten, unzähligen Themenwechseln und Unwahrheiten. Die Zeitung zitierte Alex Conant, ein republikanischer politischer Berater. Er sagte, Trump sei überraschend diszipliniert gewesen und habe effektiv über seine Botschaften gesprochen.

„Donald Trump war ein disziplinierter, konzentrierter Debattierer“, bemerkt Jeff Greenfield von Politico: „Er griff tatsächlich manchmal auf so etwas wie ein politisches Argument zurück und schaffte es häufig, von einem schwierigen Thema ‚abzulenken‘.“ Wenn es einen Trost für Bidens Anhänger gebe, dann, dass Trump nicht eine zweite Amtszeit mit weniger Zwietracht versprochen habe, und dass er nicht widerstehen konnte, persönliche Angriffe zu starten.

 

Alternativen für die Demokraten?

Bidens schlechtes Abschneiden in der Debatte lenkte den Blick vieler Kommentatoren auf eine mögliche Alternative – und damit auf Vizepräsidentin Kamala Harris.

Der Weg aus dem Alptraum wäre einfacher ohne sie, kommentiert das Wallstreet Journal: „Kamala Harris war nicht im Entferntesten für das Amt des Vizepräsidenten qualifiziert, als Biden sie auswählte. Er hatte versprochen, eine Frau als Vizepräsidentin zu wählen, und Biden wählte Harris, weil sie eine farbige Frau war, nicht wegen ihrer Qualifikationen.“ Sie sei als Präsidentschaftskandidatin gescheitert, nachdem sie ihren eigenen Gesundheitsplan in einer Vorwahldebatte nicht haben verteidigen konnte. Senatorin sei nur wegen Patronage geworden: „Das passiert, wenn eine Partei Identitätspolitik über Regierungserfahrung und politisches Geschick stellt.“

Die Washington Post analysiert Umfragen, um Harris‘ Chancen gegen Donald Trump auszuloten: „Trotz der negativen Medienberichterstattung, die Harris während ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin erfahren hat, deuten die Umfragen darauf hin, dass sie in etwa so gut abschneidet wie Biden - und einige Vorteile hat, die Biden nicht hat.“ Es gebe nur wenige Umfrage, die ein Rennen Trump-Harris abfragen. Dort liege Harris hinter Trump, aber nicht sehr viel schlechter als Biden. Harris schneide schlechter ab bei Männern, aber besser bei Afroamerikanern. Außerdem teile sie Bidens größten Vorteil: „Sie ist nicht Donald Trump.“

Mehrere Medien analysieren, wie die Demokratische Partei einen anderen Kandidaten ernennen könnte. Das Fazit: Gegen den Willen von Präsident Biden ist das so gut wie unmöglich. So schreibt NBC News: „Die Parteiregeln machen es fast unmöglich, Kandidaten ohne ihre Zustimmung auszutauschen, geschweige denn, sie reibungslos durch jemand anderen zu ersetzen.“ Wenn sich Biden freiwillig entscheide, aus dem Rennen auszuscheiden, würde das beim Parteitag die Delegiertenstimmen freigeben, die er in den Vorwahlen gewonnen hatte. Diese Delegierten seien dann völlig frei, sich für einen anderen Kandidaten zu entscheiden. Außerdem dränge die Zeit: Der Parteitag der Demokraten ist zwar erst Ende August geplant. Die Partei will Bidens Kandidatur aber schon vorher mit einer virtuellen Abstimmung festzurren, deren Ergebnis auf dem Parteitag in Chicago quasi offiziell bestätigt würde. Das sei nötig, um notwendige Fristen einzuhalten, die sicher stellen, dass Biden in Ohio auf dem Wahlzettel stehen kann.

 

Wie geht es weiter?

Bidens Wahlkampfteam hatte rund um die Debatte zahlreiche Aktionen geplant – und Biden hat bei diesen Auftritten bekräftigt, im Rennen bleiben zu wollen. Axios berichtet über seinen „Rettungsplan“, demnach eine „massive politische, PR- und persönliche Kampagne“ in Gang gesetzt würde. Biden, seine Frau Jill und engste Freunde hätten kein Interesse an einem Rückzug. Biden plane jetzt Interviews und Fernsehauftritte, denen er sich bislang entzogen hatte. Die Kampagne betone Umfragen, die zeigten, dass sich die Dynamik des Wahlkampfes nicht verändert habe und warnt vor Chaos, sollte der Parteitag einen neuen Kandidaten finden wollen. Die Hoffnung des Biden Teams: Nach dem Parteitag könnte es nur noch „Einigkeit“ geben.  Das zumindest hat Biden am Wochenende vorexerziert, als er sich medienwirksam mit der gesamten Familie in Camp David versammelte und das Zusammenstehen in turbulenten Zeiten als Losung ausgab.

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Dr. Hardy Ostry

Dr. Hardy Ostry

Leiter des Auslandsbüros Washington, D.C.

hardy.ostry@kas.de

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