Seit dem Erlangen seiner Unabhängigkeit ist die bedeutsame geostrategische Position des Königreiches Marokko immer mehr in das politische Bewusstsein des Landes eingezogen. Denn Marokko ist das einzige afrikanische Land, das Küstengebiete zum Mittelmeer und zum Atlantik hat und somit Zugang zu gleich zwei für Handelsrouten wichtige Weltmeere. Die Meerenge von Gibraltar gilt als eine der meistfrequentierten Gewässer der Welt. In der über 3.500 Quadratkilometer großen ausschließlichen maritimen Wirtschaftszone Marokkos wird mittlerweile eine so hohe wirtschaftliche Handelsaktivität verzeichnet, dass das Land 98 Prozent des internationalen Handels ausschließlich über den Seeweg abwickelt. Marokko hat damit ein großes Interesse an der eigenen maritimen Sicherheit und investiert daher in die Fähigkeiten der Marine, aber auch in die Zusammenarbeit mit traditionellen Partnern wie Spanien und Portugal. Aktuelle geopolitische Entwicklungen im Nahen Osten sowie in der Sahelzone bedeuten für das Land größere sicherheitspolitische Herausforderungen im maritimen Raum, bieten, z.B. durch neue Handelsrouten, zugleich aber auch wirtschaftliche Chancen.
Marokkos multidimensionale Wahrnehmung der eigenen Seegebiete – Chancen für den internationalen Handel
Marokko hat insgesamt 13 Seehäfen, die für den ausländischen Handel ausgelegt sind. Die wichtigsten sind Casablanca und Tanger. Letzterer ist heute mit 170 anderen Häfen und 67 Ländern auf allen fünf Kontinenten verbunden. Das Königreich befindet sich dadurch auf Platz 16 in Bezug auf die maritime Konnektivität (Platz 1 in Afrika und Lateinamerika) und strebt mit weiteren Investitionen wie dem Bau eines Hafens in Nador, der alsbald offiziell in Betrieb gehen soll, eine Ausweitung seiner Konnektivität an. Bereits jetzt gilt der Hafen von Tanger als größter Hafen im Mittelmeer und die Auslastung der marokkanischen Gewässer ist durch die kriegerischen Spannungen im Roten Meer bedeutend gestiegen: Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 und den sich daraus entwickelten Angriffen der Huthi-Miliz von Jemen aus auf Schiffe im Roten Meer haben zahlreiche Reedereien wie A.P. Moller-Maersk ihre Schiffe auf die Alternativroute um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas umgeleitet. Anstatt des Suezkanals wird nun Marokko zum neuen Hub für den Handel in Richtung Europa.
Das Königreich ist damit längst bereit, seine atlantische und mediterrane Identität als Chance für den Welthandel zu betrachten. Dabei sieht sich das Land nicht nur für den Handel nach Europa und Amerika in einer entscheidenden Position, sondern auch als wichtiger Motor für die gesamte westafrikanische Region. So bietet Marokko beispielsweise Sahelstaaten, die aus der ECOWAS ausgeschlossen wurden und damit ihre Zugänge zu Häfen im Golf von Guinea verloren haben, perspektivisch den Zugang zum Atlantik über marokkanische Häfen an. Das Projekt ist bislang nur in der Planung, soll mit einem massiven Infrastrukturausbau der Verkehrsrouten durch die Sahara jedoch zügig angegangen werden. Deutlich weiter in der Umsetzung ist bereits das Projekt der afrikanisch-atlantischen Gaspipeline zwischen Nigeria und Marokko. Hier haben bereits erste Bauvorhaben begonnen. Die Gaspipeline soll allen Staaten Westafrikas eine gesicherte Gasversorgung gewährleisten, potenziell soll das Gas auch weiter in die Europäische Union geleitet werden können. Während Marokko also in die maritime Konnektivität der Region investiert, kommen zugleich Gefahren auf das Land zu, die Marokkos Marine neu herausfordern.
Marokkos multidimensionale Wahrnehmung der eigenen Seegebiete – Sicherheitsanfälligkeiten werden zu transnationalen Herausforderungen
Marokko muss sowohl an seiner atlantischen Küste als auch im Mittelmeer mit Sicherheitsbedrohungen kämpfen, die schon Jahre bestehen. Dazu gehört zum einen illegale Migration und Menschenhandel. Marokko ist ein Transitland aus dem Migranten aus Subsahara- und anderen westafrikanischen Staaten immer wieder versuchen, die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla oder die Kanarischen Inseln zu erreichen. Die marokkanischen Sicherheitskräfte geben an, in den vergangenen fünf Jahren rund 370.000 illegale Migranten auf dem Weg nach Europa zurückgehalten zu haben. Die Tendenz ist steigend. Besonders problematisch ist dabei die Organisation der Migration durch illegale Schleuserbanden, gegen die die marokkanische Marine vor allem in den südlichen Regionen stärker gefordert ist.
Neben irregulärer Migration nehmen Drogenschmuggel und illegale Fischerei in marokkanischen Gewässern weiter zu. So entwickelt sich Marokko zu einem Transitland nach Europa für den Drogenhandel mit Kokain oder anderen Substanzen, insbesondere aus Lateinamerika. In dem aus vier Phasen bestehenden Kreislauf des Drogenhandels (Ernte, Verarbeitung, Export und Verteilung) nutzen kriminelle Organisationen Marokko mittlerweile als Verteilzentrum nach Europa, seitdem dort an Häfen wie Rotterdam oder Hamburg schärfere Kontrollen eingeführt wurden. Im Handel mit Marihuana wird gar der gesamte Kreislauf in Marokko mit Ziel Europa abgedeckt. So ist das Land weltweit größter Exporteur für Produkte, die aus der Cannabispflanze gewonnen werden. Seit 2021 umfasst dies auch legale Lieferketten für medizinisches Cannabis. Dennoch bleibt der illegale Handel ein großes Problem. Die Plantagen befinden sich hauptsächlich im Norden des Landes, im Rif-Gebirge, von wo kurze Seewege bis zum europäischen Absatzmarkt verlockend sind. Besonders problematisch für die marokkanische und spanische Küstenwache ist dabei, dass oftmals illegale Migranten als menschliche Ablenkungsmanöver genutzt werden.
Da die Souveränitäten in den Seegebieten keine Grenzen im herkömmlichen Sinne kennen, ist die Gefahrenabwehr viel komplizierter als an Land. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, nämlich Sicherheit zu garantieren und gleichzeitig den wirtschaftlichen Bestrebungen des Königreiches nicht im Wege zu stehen, strebt Marokko die Förderung regionaler Zusammenarbeit an, was sich sowohl in Maßnahmen der Marine widerspiegelt als auch im wirtschaftlichen und politischen Vorgehen des Landes.
Marokkos Strategie der regionalen Zusammenarbeit in Wirtschaft und Sicherheit
Marokkos Strategie zur Förderung regionaler Zusammenarbeit ist geprägt von einer offenen und integrativen Haltung, die auf Dialog und Partnerschaften mit Akteuren sowohl innerhalb als auch außerhalb der Region setzt. Diese Ausrichtung trägt maßgeblich zu den wirtschaftlichen Erfolgen des Königreichs bei. Insgesamt hat Marokko 55 Freihandelsabkommen abgeschlossen, darunter eines mit den USA, und täglich passieren etwa 300 Containerschiffe die strategisch bedeutende Meerenge von Gibraltar.
Eine ähnliche Herangehensweise findet sich in Marokkos Maßnahmen zur Bekämpfung irregulärer Migration und zur Stärkung der Stabilität in seinen Gewässern. In den letzten Jahren hat das Land zahlreiche Migrationsabkommen mit verschiedenen Staaten und internationalen Organisationen geschlossen. Insbesondere mit der Europäischen Union arbeitet Marokko im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik eng zusammen, um sowohl die Rückführung irregulärer Migranten zu regeln als auch die Mobilisierung qualifizierter Arbeitskräfte zu fördern. Diese Kooperation wird durch bilaterale Abkommen mit Ländern wie Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland ergänzt. Anfang 2024 etwa konnten Deutschland und Marokko ihr bestehendes Abkommen zu einer umfassenden Migrationspartnerschaft erweitern. Auch mit afrikanischen Ländern setzt Marokko auf Vereinbarungen, die insbesondere den illegalen Menschenhandel an der Wurzel bekämpfen sollen.
Diese Prinzipien der Zusammenarbeit und Offenheit wendet Marokko zunehmend auch im Bereich der maritimen Sicherheitsstrategie an, um sowohl die regionale Stabilität als auch die internationale Kooperation zu stärken.
Die marokkanische Marine und ihre Maßnahmen gegen illegale Migration und Drogenhandel
Die marokkanische Marine sieht sich heute durch organisierte illegale Migration und illegalen Handel einer besonderen Herausforderung ausgesetzt. Aus diesem Grund strebt die Marine eine multidisziplinäre und globale Bekämpfung des Problems an, die sich aus den drei Zielen der Prävention, dem Schutz der Opfer und dem Kampf gegen den einhergehenden Menschenhandel zusammensetzt. Dazu wurden neben gesetzlichen Aufenthaltsbestimmungen für Ausländer in Marokko spezielle Institutionen wie die „Direction de la Migration“ oder das „Observatoire de la Migration“ eingerichtet, die durch die Erhebung von Daten zunächst genaue Handlungsvorgaben auf operationeller Ebene an die Marine abgeben soll. In enger Zusammenarbeit mit der spanischen Marine kann durch Grenzkontrollen und Überwachung von Land und Wasser an den besonders hochfrequentierten Migrationshotspots wie dem Knotenpunkt Asilah-Tanger-Tétouan gezielt illegale Migration zurückgehalten werden. Auch der illegale Drogenhandel von Kokain oder Cannabis kann so aktiv bekämpft werden. Dennoch fehlt es der marokkanischen Marine häufig an Ausrüstung für Patrouillenboote oder Marinehelikopter, die für eine lückenlose Überwachung der Küstengebiete notwendig wären. Zwar gibt es sowohl an der Atlantikküste als auch im mediterranen Raum feste Kontrollposten (z.B. Stationierung von 11.000 Soldaten am Marinestützpunkt in Asilah) sowie mobile Patrouillen. Doch für eine lückenlose Überwachung der marokkanischen Küstenabschnitte vor allem in südlichen Gebieten braucht es verstärkte Investitionen in Aufklärungs- und Überwachungsmaterialien. Zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten investiert Marokko daher in den Aufbau einer eigenen Drohnenproduktion, die perspektivisch eine kostengünstigere Überwachung der Seegebiete gewährleisten soll. Trotz der lückenhaften Ausstattung gilt die marokkanische Marine jedoch als erprobt und gut geschult. Regelmäßig nehmen marokkanische Marineeinheiten an großen internationalen Manövern der NATO teil und gelten als gut integriert.
Trotz verstärkter Bemühungen der marokkanischen Marine scheinen die Probleme der illegalen Migration und des illegalen Handels rasant zuzunehmen. Somit sind die geopolitischen Entwicklungen, unmittelbar in den marokkanischen Gewässern zu beobachten. Herausforderungen sowohl im Atlantik als auch im Mittelmeer bedeuten eine Dynamik, die das marokkanische Verständnis der Einheit des Mittelmeerraumes und der Kooperation der Atlantikstaaten notwendig macht. Durch eine Strategie der verstärkten regionalen Zusammenarbeit kann das Königreich erfolgreich seine wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Kooperationen mit anderen Staaten ausweiten. Experten fordern jedoch, dass Marokko sein Potenzial als Motor afrikanischer Sicherheits- und Handelsstrategien noch stärker in internationale Formate einbringt. Dazu zählen auch höhere Investitionen in die eigene Leistungsfähigkeit der Marine und der maritimen Infrastruktur. Denn die Konnektivität, die Sicherheit und der Wohlstand Marokkos sind unmittelbar mit dem Meer verknüpft.
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