Es gibt Dinge, die sind so grausam, dass sie kaum zu glauben sind. Noch schwieriger ist es, darüber zu reden. Was in der Ukraine seit 2014 geschieht ist so etwas. Gefangenschaft, Folter, Terror. Das sind die Dinge, die die Stipendiatin Iryna Riabenka in ihrem Dokumentarfilm „Heller Weg“ thematisiert. Nun zeigte sie den Film im Forum der KAS-Akademie in Berlin vor mehr als 100 Interessierten.
Sichtlich berührt waren die Zuschauerinnen und Zuschauer nach dem Film. Die Gefühle, welche die Dokumentation erzeugen kann, sind auch durchaus tiefgreifend. Diese Erfahrung habe Iryna Riabenka auch schon bei anderen Vorführungen gemacht. Sei es vor jüngerem Publikum aus der Zivilgesellschaft, wie beim International Student Film Festival in Babelsberg, oder bei einem ausgewählten Publikum von Politikern und Diplomaten in der ukrainischen Botschaft.
In ihrer Dokumentation erzählt der Schriftsteller Stanislav Aseyev zu Einstellungen, die auf kreative Weise auf den ersten Blick eher Ruhe und Frieden vermitteln, von seiner Gefangenschaft in einem der grausamsten Einrichtungen der Ukraine. Prorussische Kräfte und russische Soldaten hatten nach der Besetzung des Donbas in 2014 das ehemalige Kulturzentrum Izoliatsiia in ein Folter-Gefängnis umfunktioniert. Aseyev wurde schließlich wegen seiner kritischen Berichterstattung gefangen genommen und kam in das Gefängnis. Man habe die Kunst überall noch sehen können, wenn man nach einiger Zeit auch ohne Sack über dem Kopf durch die Gänge geführt wurde, schildert Aseyev in dem Film. In einer zentralen Szene des Films sieht man, wie der Schriftsteller das Kulturzentrum nach dessen Umzug ins Exil in der ukrainischen Hauptstadt besucht und beim Anblick der Kunstwerke dort mit den Erinnerungen an die Einrichtung in Donezk zu kämpfen hat.
Aber wieso nun auch explizit über ukrainische Kunst und Kultur reden, wenn russische Soldaten in der Ukraine schießen und russische Raketen Krankenhäuser oder Wohnhäuser treffen? Das war die zentrale Frage des anschließenden Gesprächs. „Ich habe diesen Film so gedreht, um eben zu zeigen, dass jeder Tisch, jede Stadt und jeder Raum ob kulturelle Einrichtung oder nicht auch für Folter genutzt werden kann, wenn Russland dorthin kommt“, erklärte die Regisseurin.
Dass mit solchen Angriffen - sei es durch Folter in einem Kulturzentrum oder auch nur durch die Bücherverbrennung auf der Krim - ebenfalls unsere Werte in Deutschland angegriffen werden, verdeutlichte Dr. Olena Lykhovodova. Auch sie kennt das Kulturzentrum, das im Volksmund „Isolation“ heißt durch viele Kooperationsprojekte mit dem Goethe-Institut. „Diese Institution war und ist wirklich bis heute eine der bedeutendsten Kultur-Einrichtungen in der Ukraine“, erklärte die Programmreferentin des Projekts „Goethe-Institut im Exil“ in Berlin. „Wir sollten nicht vergessen, dass Ukrainerinnen und Ukrainer diese Werte mit dem höchsten Gut verteidigen, das es gibt. Mit ihrem Leben“, so Lykhovodova.
Auch historisch gesehen ist die ukrainische Kultur schon lange unter Druck. In der Sowjetunion seien viele Kulturschaffende ins Fadenkreuz geraten. Viele ukrainische Filme wurden verboten, Künstlerinnen und Künstler inhaftiert, erläuterte Bozhena Kozakevych, Doktorandin am Lehrstuhl für Entangled History of Ukraine an der Europa-Universität Viadrina.
„Es ist einfach wichtig, mehr Sensibilität für die ukrainische Kultur zu schaffen,“ fasste Dr. Olena Lykhovodova zusammen und das gelte insbesondere auch für uns hier in Westeuropa. Viel zu oft seien ukrainische Darstellungen als russisch deklariert. Und auch was die Sprache angeht, sei es wichtig nicht immer nur die russischen Bezeichnungen und Schreibweisen zu verwenden, sondern eben die ukrainischen, wenn über die Ukraine geschrieben wird. „Erstaunlicherweise ist das im englischen Sprachgebrauch schon viel eher der Fall“, erklärte Bozhena Kozakevych.
Die Schreibweisen von Kiew im Deutschen, das dem russischen Sprachgebraucht näherkommt, oder Kyiv im Englischen, was eher dem doppelten i-Laut der ukrainischen Aussprache entspringt sei so ein Beispiel. Ebenso aber auch die Darstellung des Malers Edgar Degas von tanzenden Frauen in Volkstracht, die in der europäischen Kulturgeschichte unter dem Titel „russische Tänzerinnen“ bekannt geworden sind. Weil es sich wohl um ukrainische Tracht handelt, hat die Londoner National Gallery das Bild kürzlich umbenannt in „Ukrainische Tänzerinnen“.
(Lesen Sie zu dieser Debatte auch den Beitrag „Kulturelle Aneignung – Warum der Westen die ukrainische Kultur, Wissenschaft und Geschichte nicht berücksichtigt“ von Kateryna Rietz-Rakul in der aktuellen Ausgabe des Magazins Politische Meinung)
Sensibilität gegenüber der ukrainischen Kultur sei also das Gebot der Stunde. Denn eine freie Kunst- und Kulturszene sei ein essentieller Teil der freien demokratischen Entfaltung eines Landes. Die Wissenschaftlerin Bozhena mahnte in diesem Zusammenhang auch an, dass der Ruf nach einer eigenen kulturellen Identität nicht als überbordender Nationalismus falsch verstanden werden sollte.
Für die Zukunft bemühten die Podiumsteilnehmerinnen noch einigen Optimismus. So sprach Dr. Olena Lykhovodova den enormen gesellschaftlichen Zusammenhalt der Ukrainerinnen und Ukrainer an. „Das sehen wir auch in der Kulturszene, sei es bei Künstlerinnen und Künstlern in der Ukraine oder auch im Exil“. In persönlichen Gesprächen nach der Veranstaltung nutzte das interessierte Publikum die Gelegenheit, mit den anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainern ins Gespräch zu kommen.
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