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Zugvögel und Zaungäste.

Ein Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin über den Wiener Kongress 1815 und seine Folgen

Die von der Konrad-Adenauer-Stiftung veranstaltete achte Konferenz in der Reihe von Fachtagungen für europäische Germanistinnen und Germanisten vereinte vom 10. bis 12. September 2015 in Berlin unter der Überschrift „Nach 1815: Literatur, Kultur und die Neuordnung Europas“ mehr als siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 23 europäischen Ländern.

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Damit wurden freilich nur ansatzweise die Dimensionen des sich zum zweihundertsten Mal jährenden Wiener Kongresses erreicht, der neun Monate dauerte und zu dem 100 Delegationen mit 1000 Diplomaten angereist waren. Andererseits kann mit und im Anschluss an den Tagungsleiter Michael Braun (KAS) gesagt werden, dass dieser ‚Berliner Kongress‘ das legendäre Bonmot des Fürsten Charles-Joseph de Ligne „Der Kongress tanzt, aber geht nicht weiter“ sowohl spiegelte als auch brach. Einerseits war der Kongress ein intellektueller Tanz auf international glattem Parkett, andererseits präparierten die Delegierten die Idee eines friedlichen Europas für die Zukunft. Daran knüpfen sich kulturgeschichtlich interessante Reflexionen an.

Die erste Sektion „Der Wiener Kongress und die Neuordnung Europas“ wurde eröffnet von Rüdiger Görner (London), der den Wiener Kongress als Medienergebnis in den Blick nahm. Die unter dem Titel „Intellektuelle Zaungäste am Rande tanzender = performativer Diplomatie“ fokussierten beobachtenden Teilnehmer bzw. teilnehmenden Beobachter Friedrich Schlegel, Jacob Grimm, Karl August Varnhagen von Ense und Aloys Weißenbach oszillierten in ihren Betrachtungen zwischen politischen und kulturellen Ereignissen. Im Spiegel ihrer „beihergehenden“ (Varnhagen) kritischen intellektuellen Reflexionen, die rückgebunden waren an unterschiedliche ästhetische Interessen und Wahrnehmungsfolien, erscheine Wien nicht nur als Ort der politischen Neuordnung Europas, sondern auch als menschlich-allzu menschliches Panoptikum. Im ‚Zaungast-Sein‘ spiegle sich zugleich die prekäre Situation von frühen Versuchen der Konstituierung freier (melancholisch-skeptischer) Autorschaft im Kontext des heraufziehenden Zeitalters der Zensur.

Im Anschluss daran lotete Gerhard Lauer (Göttingen) die Idee vom ‚ewigen Frieden‘ in der europäischen Literatur aus, die er in einem ersten Schritt von Kants berühmter Schrift (1795) her konturierte. Kant wiederum steht in der Tradition früher völkerrechtlicher Vorstelllungen der Welt als universellem Raum verbürgter Menschenrechte; er stellte ein „Weltbürgerrecht“ vor: „Das Recht der Menschen muss heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten.“ In einem zweiten Schritt ging Lauer mit Schillers „Wilhelm Tell“ und Goethes „Hermann und Dorothea“ auf zwei Werke ein, die im engeren Sinn historisch-politisch konzeptualisiert seien und mit der Gewaltherrschaft im Hintergrund der subjektiv-friedensthematisierenden Tradition der Literatur entgegenstünden. Dabei stelle „die Ideologisierung der Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die dunkle Seite der politischen Mündigkeit im Ringen um eine bessere Ordnung der europäischen Welt“ dar.

Dass aber auch die öffentlich-rechtliche Kunst im 21. Jahrhundert vor Ideologisierungen oder zumindest vor fragwürdigen monumentalisierenden Brechungen nicht gefeit ist, bewies der im Abendprogramm des ersten Konferenztages zur Aufführung gebrachte vierte und letzte Teil der Miniserie „Napoleon“ (2001, Regie: Yves Simoneau), in den Andre Kagelmann (Köln) unter Berücksichtigung der im Film fehlenden Dekonstruktion des Napoleon-Mythos einführte.

Den zweiten Konferenztag und die Sektion „Zensur, Tabus und die Freiheit der Kunst“ eröffnete der Vortrag von Stéphane Pesnel (Sorbonne) „Freiheit als ‚Religion der Kunst‘ (Heine)“. Pesnel entfaltete anhand der kulturpolitischen, philosophischen und im engeren Sinn literarischen Schriften ein Panoptikum der offensiven Heine‘schen Freiheitskonzeption, wobei Heine die Freiheit als Dogma der Moderne erkenne und prinzipiell universell denke: „die Freiheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit.“ Die Konsequenzen daraus seien die Forderung nach einer zeitgemäßen Kunst (z.B. Rossini, Delacroix) und ein Bruch mit der Tradition sowie eine spielerische (im eigentlichen Sinn zweckentfremdete) Auseinandersetzung mit der Zensur als poetischem Motor. Eine Komplexitätssteigerung erfahre Heines Auseinandersetzung mit dem Freiheitskonzept durch dessen ironischen Generalbass (im Caput 8 des Wintermärchens hinkt bekanntlich die Freiheitsgöttin), eine Einschränkung durch sein elitäres Kunstverständnis.

In dem anschließenden Vortrag „Scherz, Satire und ihre aktuelle Bedeutung“ lotete Peter Hanenberg (Lissabon), ausgehend von zwei Kleistfabeln, die Bedeutung des Komischen für die Kunst aus. Wie bei Kleist erhebe sich der Witz durch Überraschung, die Satire durch Überzeichnung zu einem ‚Dimensionensprung‘, der eine neue Perspektive auf das Dasein ermögliche und überhaupt eine Urmöglichkeit der ästhetischer Erfahrung bezeichne. In einem zweiten Schritt untersuchte er u.a. Wolfgang Hildesheimers Lieblose Legenden, dessen Technik der Überzeichnung sich durch besondere Subtilität auszeichne. Übergreifend führten Scherz und Satire, indem sie die gegenwärtige Ordnung in ihr eigens System übersetzten, als Reflexionsformen zu neuen kognitiven Erfahrungen, und zwar vor der Folie eines Bedeutungskontextes in ihrer jeweiligen Zeit und zwischen den Polen Entlastung und Belastung. Auf der anderen Seite des Spektrums stünden Begrenzungen der Freiheit der Kunst, die am Beispiel der Karikaturen von Charlie Hebdo kontrovers diskutiert wurden.

Die dritte Sektion „Europäische Räume und kulturelle Ordnungen“ wurde von Bogdan Mirtschev (Sofia) mit seinem Vortrag „Die Heilige Allianz, die Eidgenossenschaft und die Folgen“ eröffnet. Ausgehend von den beiden großen Friedenskongressen nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Spanischen Erbfolgekrieg widmete er sich dem ordnungspolitischen Programm des Wiener Kongresses und den daraus folgenden territorialen Verschiebungen in Europa. Vor dem Hintergrund der Wiederherstellung des status quo ante und überhaupt der Bekräftigung der Legitimität der Dynastien und im Hinblick auf die Konstitution der Heiligen Allianz legte er sein Augenmerk auf den Prozess der internationalen Anerkennung der Neutralität der Schweiz. Auf dieser Grundlage konnte sich die „Sonderentwicklung“ der Schweiz zum Bundesstaat mit einer freiheitlichen Verfassung vollziehen.

Den Abschluss des zweiten Konferenztages bildete der Vortrag „‚Deutscher Mut‘ und ‚welscher Tand‘? Die Entstehung nationaler Selbst- und Fremdbilder aus dem Geist der Befreiungskriege“ von Jürgen Barkhoff (Dublin), der Herders Kulturrelativismus und die daraus folgende Transformation des politischen in einen kulturellen Nationalismus nachzeichnete. Zeugnis davon gäben u.a. Dehumanisierungstendenzen, apokalyptische Bildlichkeit, Imaginationen des Weltgerichts und Dämonisierungen Napoleons im Kontext des ursprünglich theologischen Erbfeindideologems in der Lyrik der Befreiungskriege (am Beispiel von Kleist „Germania und ihre Kinder“, Ernst Moritz Arndts „Über den Volkshaß“ und „Was ist des Deutschen Vaterland?“). Ganz ähnlich wie Gerhard Lauer identifizierte Barkhoff eine dunkle Seite der Literatur im Dienst der Ideologie, die sich der Verzerrung der Realität zum Zweck der Konfrontation verschriebe bzw. verschreibe. In einem daran anschließenden imagologischen Zugriff schlug er den weiten Bogen zu gegenwärtigen karikaturistischen Bildfindungen im Angesicht der Finanzkrise und zur (De-)Konstruktion nationaler Stereotype. Insofern könne mit einem berühmten und leicht modifizierten Zitat Gneisenaus gesagt werden „Auf Poesie ist die Un-Sicherheit der Throne gegründet.“

Den Konferenztag beschloss die Lesung von Marjana Gaponenko, der aus der Ukraine stammenden Trägerin des Chamisso-Preises 2013, die von Günter Blamberger (Köln) eingeführt wurde. Dieser konturierte die paradoxale Erzählanlage als Gestaltungstechnik für Grenzsituationen, bezogen auf das in Gaponenkos Roman „Wer ist Martha?“ (2012) entfaltete literarische Spiel mit dem Skandalon des Todes: nur als Schachfigur von einer numinosen Macht benutzt zu werden, ist Gaponenkos gewitzter Protagonist Lewadski nicht gewillt, so wenig wie die in puncto Gewitztheit ihrem Protagonisten in nichts nachstehende Autorin auf dem literarischen Feld ‚von außen‘ positioniert zu werden wünscht…

Der renommierte Europaforscher Paul Michael Lützeler (St. Louis) entwickelte im letzten Vortrag der Konferenz in seiner „belated keynote“ (Michael Braun/Christopher Parry) unter dem Titel „Die Schriftsteller und die Neuordnung Europas: Der Ruf nach der Verfassung“ einen ‚stereoskopischen Blick‘ auf die Geschichte Europas, indem er zunächst die Haupt- und Staatsaktionen des Wiener Kongresses und dann folgender, bedeutender Friedenskonferenzen und Verträge vor dem Hintergrund der Gegenkonzepte intellektueller Kritiker las. Dabei legte er besonderes Augenmerk auf die visionären, teils auf nationalstaatliche, teils bereits auf paneuropäische Verfassungen setzenden Konzepte von Henri de Saint-St. Simon, Conrad Friedrich von Schmidt-Phiseldek, Joseph Görres und Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi. Der gegenwärtigen Situation Europas näherte er sich über Reinhold Schneiders und Roberts Menasses Kritik an der EWG bzw. dem Vertrag von Lissabon an, wobei die richtige Zurückweisung des Pan-Ökonomismus als politischem Dogma zu unterscheiden sei von der selbst kritikwürdigen Kritik von Robert Menasse. Lützeler plädierte abschließend für ein auch nach kulturellen und politischen Normen strukturiertes Europa, im Gegensatz zu einem auf der reinen ökonomischen Nützlichkeit erbautem Kontinent.

Sowohl in den anschließenden Beiträgen als auch in der abschließenden studentischen Diskussion unter der Leitung von Barbara Naumann (Zürich) ließen sich die Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen nationalen, europäischen, aber auch generationalen Perspektiven auf den Prozess des Lernens über, mit und von Europa ein, bevor sich die Teilnehmer wieder auf Weg durch Europa begaben: vielleicht als Zugvögel, bestimmt aber nicht als Zaungäste der europäischen Idee.

Andre Kagelmann (Köln)

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