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G20 und der russische Angriffskrieg – Indonesien in der Vermittlerrolle
Am 14./15. November endet mit dem G20-Gipfel auf Bali ein diplomatisch turbulentes Jahr für die indonesische Regierung. Als weltweit viertgrößtes Land und drittgrößte Demokratie sowie als größte Volkswirtschaft in Südostasien wollte Indonesien seine G20-Präsidentschaft nutzen, um den eigenen außenpolitischen Führungsanspruch zu untermauern. Unter dem Motto „Recover together, Recover stronger“ sollte das Land die weltweiten Anstrengungen für den wirtschaftlichen Aufschwung nach der Pandemie koordinieren. Den Schwerpunkt setzte die indonesische Präsidentschaft dabei auf die Themen Globale Gesundheitsarchitektur, Digitale Transformation und Nachhaltige Energiewende, die insbesondere auch als Wachstums- und Innovationstreiber in Schwellen- und Entwicklungsländern wirken sollen. Schließlich sieht sich Indonesien als einziger südostasiatischer Mitgliedsstaat der G20 als Anwalt des Globalen Südens am Verhandlungstisch der großen Wirtschaftsnationen.
Doch der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar und seine Folgen haben die indonesischen Planungen durcheinandergewirbelt und dominieren seither den G20-Prozess. Zwar hält die indonesische Präsidentschaft auch mit dem Hinweis auf deren besondere Bedeutung für die Entwicklungsländer an ihrer ursprünglichen Post-Covid-Agenda fest, doch ist vor dem Hintergrund russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine kaum an eine konstruktive Zusammenarbeit des Westens mit russischen Regierungsvertretern zu denken. Entsprechend begrenzt sind die belastbaren Ergebnisse der bisherigen inhaltlichen Verhandlungen. Größter Fortschritt war die Schaffung eines „Financial Intermediary Fund (FIF) for Pandemic Preparedness, Prevention, and Response (PPR)“. Auch wenn dieser „Internationale Währungsfonds“ des weltweiten Gesundheitssystems zunächst mit nur knapp 1,3 Mrd. USD ausgestattet werden soll, kann wohl jede konkrete Einigung der G20 mit Blick auf die gegenwärtigen Konfliktlinien als beachtlicher Erfolg gewertet werden. Ansonsten dominieren statt der von jeder Präsidentschaft erhofften, medial gut verwertbaren „Familienfotos“ und Abschlusscommuniqués „Walkouts“ und scharfe Wortgefechte die hochrangigen Treffen.
Die indonesische G20-Präsidentschaft ist darauf bedacht, mit Blick auf den Krieg eine neutrale Vermittlerrolle einzunehmen. Zwar hatte sich Indonesien im März noch den UN-Resolutionen zur Verurteilung des russischen Angriffs angeschlossen, doch enthielt sich das Land anschließend bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat1. Auch an den Sanktionen gegen Russland hat sich Indonesien nicht beteiligt. Die Regierung betont stets die Bedeutung von nationaler Souveränität und territorialer Integrität, doch ist von offizieller Seite kaum öffentliche Kritik an Russlands Angriff und dem damit verbundenen eklatanten Verstoß gegen diese Prinzipien zu hören.
Indonesien versucht, den G20-Gipfel als Plattform für Gespräche zwischen Russland und der Ukraine anzubieten. Die indonesische Präsidentschaft hat die Forderung der G7-Staaten, den russischen Präsidenten Putin vom Gipfel auszuladen, abgelehnt. Stattdessen hat Indonesien den ukrainischen Präsidenten Zelenskyj ebenfalls zur Teilnahme eingeladen. Ob und in welcher Form die beiden am Gipfel teilnehmen, ist allerdings weiterhin unklar. Anfang Juli hatte sich Präsident Joko „Jokowi“ Widodo auf eine „Friedensmission“ nach Kiew und Moskau begeben. Ziel war es, den Dialog zwischen den beiden Kriegsparteien zu fördern sowie einen Ausweg aus der kriegsbedingten weltweiten Nahrungsmittel- und Energiekrise zu suchen. Auch wenn die Reise wenig überraschend keinerlei Annäherung zwischen der Ukraine und Russland brachte, wurde sie in Indonesien selbst als großer Erfolg wahrgenommen. Die Tatsache, dass Jokowis Reise der erste Besuch eines asiatischen Regierungschefs in der Ukraine nach Kriegsausbruch war und der indonesische Präsident direkt hintereinander Gespräche mit Zelenskyj und Putin führte, unterstrich aus innenpolitischer Sicht die wichtige indonesische Rolle als Vermittler auf der weltpolitischen Bühne2.
Indonesiens Balanceakt zwischen den Großmächten
Indonesiens Anspruch, eine Vermittlerrolle einzunehmen, folgt einer jahrzehntelangen außenpolitischen Tradition. Als einer der Gründer der Bewegung der Blockfreien Staaten im Jahr 1961 ist Indonesien stets darauf bedacht, seine Außenpolitik so auszurichten, dass das Land im Konflikt der Großmächte nicht einer bestimmten Seite zugeordnet werden kann. Kern dieser außenpolitischen Überzeugung ist das Prinzip „bebas dan aktif“, das eine unabhängige und gleichzeitig aktive indonesische Außenpolitik postuliert.
Die Umsetzung dieses Prinzips lässt sich nicht nur mit Blick auf den Umgang der G20-Präsidentschaft mit dem Krieg in der Ukraine beobachten, sondern zum Beispiel auch bei Jokowis Ostasienreise Ende Juli, die ebenfalls der Vorbereitung des G20-Gipfels diente. Erster Stopp der Reise war Peking, wo der indonesische Präsident als erster ausländischer Regierungschef seit den Olympischen Winterspielen im vergangenen Februar zum offiziellen Staatsbesuch eintraf. Ziel des Besuchs waren die persönliche Einladung an Präsident Xi Jinping zum G20-Gipfel sowie Gespräche über die Ausweitung der Handelsbeziehungen und chinesischer Investitionen in Indonesien. Direkt im Anschluss verkündete Jokowi in Tokyo gemeinsam mit dem japanischen Ministerpräsidenten Kishida die japanische Teilnahme an der von den USA und Indonesien jährlich durchgeführten multilateralen Militärübung Super Garuda Shield Anfang August in Indonesien. Für die indonesische Regierung gilt diese Übung trotz der regelmäßigen chinesischen Proteste als wichtiger Beitrag zur Sicherung des Friedens im Indo-Pazifik. Dieser ständige außenpolitische Balanceakt ist im ureigenen Interesse Indonesiens. Das Land ist auf China als inzwischen wichtigstem Wirtschafts- und Handelspartner angewiesen. Auf der anderen Seite sind die USA für die Staaten Südostasiens weiterhin der entscheidende Garant für Freiheit und Sicherheit in der Region.
Innenpolitische Interessen als entscheidende Treiber der Außenpolitik
Diese Episode verdeutlicht auch eine weitere Konstante der indonesischen Außenpolitik, die die G20-Präsidentschaft in diesem Jahr entscheidend prägt: Indonesien richtet seine Außenpolitik vor allem eng an den eigenen Interessen aus. Die umfangreichen diplomatischen Aktivitäten von Präsident Jokowi und Außenministerin Retno Marsudi in den vergangenen Monaten dienten weniger dem Bemühen um eine Beendigung des Krieges, sondern vielmehr der Sicherung des reibungslosen Ablaufs des Gipfels im November. Die „Friedensmission“ des Präsidenten in Kiew und Moskau ohne eigene Vorschläge für einen Friedensplan und ohne Follow-up, aber auch die Tatsache, dass Indonesien den G20-Gipfel zwar als Dialogplattform für Russland und die Ukraine stilisiert, ohne jedoch einen eigenen Plan für einen solchen Dialogprozess vor Ort in Bali zu präsentieren, verdeutlicht, dass sich die Aktivitäten der Regierung vor allem an das Publikum im eigenen Land richten. Eine erfolgreiche G20-Präsidentschaft (sprich ein möglichst reibungslos ablaufender Gipfel im November) wäre ein entscheidender Pfeiler des außenpolitischen Vermächtnisses von Präsident Jokowi und seiner Regierung.
Gleichzeitig ist das indonesische Eigeninteresse auf internationaler Ebene vor allem von Wirtschaft und Wachstum geprägt. Indonesien ist als aufstrebendes Schwellenland auf ein dauerhaft hohes Wirtschaftswachstum angewiesen. Die indonesische Regierung nutzt ihre G20-Präsidentschaft daher auch, um Indonesien als lohnendes Investitionsziel und Wachstumsmarkt zu präsentieren und Investoren aus anderen G20-Mitgliedsstaaten zu gewinnen3. Dies wurde besonders deutlich mit Blick auf die Staatsbesuche des Präsidenten im Rahmen des G20-Prozesses. So kehrte Jokowi Presseberichten zufolge zum Beispiel mit Investitionszusagen in Höhe von 11,9 Mrd. USD von seiner Ostasienreise zurück4. Und selbst bei seinem Moskaubesuch stellte ihm Putin eine Beteiligung des staatlichen russischen Eisenbahnkonzerns am Bau der neuen indonesischen Hauptstadt Nusantara in Aussicht.
Die indonesische G20-Präsidentschaft hat als Stimme des Globalen Südens den weltweit enormen wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges zuletzt besondere Priorität eingeräumt. Gerade Schwellen- und Entwicklungsländer leiden unter hohem Inflationsdruck aufgrund steigender Energie, Nahrungs- und Düngemittelpreisen sowie internationalen Kapitalabflüssen in Folge der geldpolitischen Entscheidungen westlicher Notenbanken. Doch auch hier spielt das eigene wirtschaftliche Interesse eine entscheidende Rolle, wird der Krieg in Indonesien selbst doch vor allem aus einer wirtschaftlichen Brille betrachtet. Indonesien war bis vor dem russischen Angriff der zweitgrößte Importeur von ukrainischem Weizen. Kaum ein anderes Land hatte ein größeres Interesse an einem erfolgreichen Abschluss des Getreideexportabkommens zwischen Russland und der Ukraine im vergangenen Juli. Auch vor diesem Hintergrund ist die Reise Jokowis nach Kiew und Moskau zu verstehen. Die indonesische Regierung steht aufgrund der steigenden Nahrungsmittel- und Energiepreisen innenpolitisch unter Druck und die Zustimmungswerte des Präsidenten sind in der Folge deutlich gesunken. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen des Krieges sind für die Regierung damit nicht nur zentral mit Blick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes, sondern auch vor dem Hintergrund der anstehenden
Wahlen 20245.
Nach dem G20-Gipfel: Was bleibt vom internationalen Führungsanspruch?
Folgt man der klassischen Logik der indonesischen Außenpolitik war die G20-Präsidentschaft für Indonesien bisher ein voller Erfolg. Mit ihrer selbsterklärten Vermittlerrolle im Krieg zwischen Russland und der Ukraine konnte sich die indonesische Regierung glaubhaft als neutraler Akteur präsentieren, der sowohl gegenüber China und Russland, als auch gegenüber den G7 oder den anderen Schwellen- und Entwicklungsländern als verlässlicher und vertrauenswürdiger Partner auftritt. Getreu dem Motto des ehemaligen indonesischen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono von „a million friends and zero enemies“. Aus innenpolitischer Sicht hat die Regierung von Präsident Jokowi diplomatisches Geschick und Statur bewiesen und gezeigt, dass Indonesien in der Lage ist, einen komplexen multilateralen Prozess, wie die G20-Präsidentschaft, erfolgreich zu koordinieren. Auch im Hinblick auf die eigenen wirtschaftlichen Interessen konnte die Regierung die Präsidentschaft nutzen, um für Indonesien als Wirtschafts- und Investitionsstandort zu werben.
Inwieweit die G20-Präsidentschaft den Führungsanspruch Indonesiens auf internationaler und regionaler Ebene unterstreichen konnte, ist allerdings mindestens fraglich. Klar ist, dass Indonesien aufgrund seiner Größe, seiner geografischen Lage, seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutung in der Region sowie seiner Unparteilichkeit über die notwendigen Voraussetzungen für eine Rolle als regionale Führungsmacht und ehrlicher Mittler auf der internationalen Bühne verfügt. Doch auch wenn die außenpolitischen Kapazitäten Indonesiens als Mittelmacht und aufstrebendes Schwellenland natürlich begrenzt sind, gilt: Wer sich glaubhaft für die multilaterale Ordnung, nationale Souveränität und territoriale Integrität einsetzen will, kann sich bei eklatanten Verstößen gegen diese Prinzipien nicht auf seine vermeintliche Neutralität zurückziehen, um eine klare Positionierung zu vermeiden. Zudem fehlt der indonesischen Regierung für die Übernahme einer echten Führungsrolle eine außenpolitische Strategie, die über das Verfolgen eigener Interessen hinausgeht. Gerade im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft hätte sie die Gelegenheit nutzen müssen, um echte Lösungsvorschläge für die großen globalen Herausforderungen vorzulegen. Inwieweit die Präsidentschaft auch außerhalb Indonesiens als Erfolg gewertet wird, hängt deshalb vor allem davon ab, ob diese beim anstehenden G20-Gipfel Ergebnisse vorweisen kann, die über die Vermeidung eines Eklats vor Ort hinausgehen. Die Vorzeichen dafür stehen alles andere als gut.
Zwei Tage vor dem G20-Gipfel übernimmt Indonesien im November den ASEAN-Vorsitz für das Jahr 2023. Auch die ASEAN steht derzeit vor großen Herausforderungen. Der Militärputsch in Myanmar hat die südostasiatische Staatengemeinschaft 2021 in eine tiefe Krise gestürzt. Alle bisherigen Versuche der ASEAN den Konflikt im Land zu entschärfen sind gescheitert. Bisher konnten sich die Mitgliedsstaaten nicht über das weitere Vorgehen einigen. Der ASEAN-Vorsitz ist für die indonesische Regierung also die nächste Gelegenheit ihren außenpolitischen Führungsanspruch zu untermauern. Dafür muss sie aber über ihren Schatten springen und die tradierten Pfade der indonesischen Außenpolitik verlassen.
1 https://thediplomat.com/2022/04/which-asian-countries-voted-to-suspend-russias-unhrc-membership/
2 https://theconversation.com/kunjungan-jokowi-ke-rusia-dan-ukraina-lebih-tentang-keuntungan-domestik-bukan-kepentingan-global-186465
3 https://setneg.go.id/baca/index/presidensi_g20_pemulihan_ekonomi_dan_indonesia_maju
4 https://jakartaglobe.id/business/jokowi-brings-back-119b-in-investments-from-japan-s-korea
5 Zwar darf Jokowi 2024 nach zwei Amtszeiten nicht mehr zur Wahl antreten, doch würde ein weiterer Rückgang seiner Beliebtheit sicherlich auf die Wahlaussichten seiner Partei und möglicher Kandidaten abfärben.