Zusammenfassung
- Die Zahl EU-gegnerischer und -kritischer Abgeordneter ist im 8. Europaparlament gegenüber dem 7. gestiegen. Die politischen Ränder des EP sind gestärkt worden.
- Die Arbeit im Parlament ist komplizierter geworden, die Mehrheitsfindung im Einzelfall schwieriger. Aber noch steht eine Mehrheit aus EU-freundlichen Parteien. Weder das EP noch die EU sind durch die Stärkung ihrer Gegner akut gefährdet.
- Die EU-Gegner und -kritiker verbindet eine gemeinsame Abneigung gegen die EU, gegen die Reichweite ihrer Regelungszuständigkeiten, an der Art und Weise der Entscheidungsfindung und an bestimmten Entscheidungen, aber die Motive der EU-Gegnerschaft sind ebenso vielfältig wie die angestrebten Ziele. Wir unterscheiden linke, technokratische und rechte EU-Kritiker bzw. -Gegner, wobei wir letztere nochmals in populistische und rechtsextreme EUGegner einteilen.
- Die linken EU-kritiker beklagen das „Brüsseler Spardiktat” und angeblich einseitige Belastungen bei den Bemühungen zur Eindämmung der Staatsschuldenkrise. Sie fordern die sofortige Beendigung der Haushaltsdisziplin, Schuldenschnitte für die am höchsten verschuldeten Länder in der EU, zumindest aber die Vergemeinschaftung der Staatsschulden über Eurobonds und höhere Steuern für Wohlhabende.
- Für die rechten EU-Gegner ist die Europäische Union in erster Linie ein unzulässiger Eingriff in nationale Selbstbestimmung. Sie wollen die Union entweder ganz oder in Teilen auflösen oder fordern den Austritt ihres Landes aus der EU oder zumindest aus dem Euro. Sie befürchten Wohlstandsverluste durch europaweit einheitliche Regelungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und kritisieren die derzeitige Praxis der Einwanderungs- und Asylpolitik sowie die Kosten der EU-Institutionen selbst.
- Linke EU-Gegner sind grundsätzlich aktiver als rechte. Während sich rechte EU-Gegner der Arbeit im EP häufig verweigern und Symbolpolitik im Plenum des Parlaments betreiben, wollen linke EU-Kritiker ein „anderes” Europa.
- Auch bei den rechten EU-Gegnern gibt es Unterschiede in Quantität und Qualität der Parlamentsarbeit. Die Abgeordneten der rechts- extremen Parteien sind sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen überdurchschnittlich oft anwesend. Im Plenum melden sie sich auch zu Schwerpunkten ihrer jeweiligen Programme zu Wort. Dennoch beschränken sie sich dort überwiegend auf Scheinaktivitäten. In den Ausschüssen sind sie passiv und als fraktionslose Abgeordnete weit- gehend marginalisiert.
- Am wenigsten aktiv und geschlossen treten die Rechtspopulisten auf. UKIP, der Front National, die PVV und die FPÖ gehen im Plenum gegen die EU vor, beteiligen sich aber weit unter Durchschnitt an der Ausschussarbeit des EP. In der konkreten Parlamentsarbeit legen sie auch am wenigsten Wert auf die Umsetzung ihrer eigenen Programmatik. Das legt den Schluss nahe, dass sie sich mehr auf nationale als auf europäische Politik konzentrieren. Sie instrumentalisieren Europawahlen und ihre Mandate im Europäischen Parlament, um Druck auf ihre Regierungen zu Hause auszuüben oder für ihre nationalen Ambitionen.
- Mit der AfD ist eine Partei in das Europaparlament eingezogen, deren Abgeordnete zwar nicht in allen Belangen überdurchschnittlich aktiv sind, die aber eng an ihrem Wahlprogramm, d.h. der Abschaffung des Euro, arbeiten. Ihre aktivste Abgeordnete, Beatrix von Storch, bearbeitet allerdings ein Thema besonders, das nicht zum programmatischen Schwerpunkt ihrer Partei zählte.
- Die AfD zeigt für einen EU-Gegner eine auffallend hohe Zustimmungsrate zu Letztentscheidungen des EP. Sie ist also keineswegs ein EU Verweigerer, wie z.B. die UKIP. In wichtigen europapolitischen Fragen widersprechen sich die Abgeordneten der AfD jedoch. Somit widerspiegeln ihre MdEP auch den diffusen Zustand der Partei in Deutschland. Ihr Abgeordneter Hans-Olaf Henkel hat Ende April seinen Posten im Bundesvorstand mit dem Verweis auf eine Unterwanderung der AfD durch „Rechtsideologen” niedergelegt. Diese Bezeichnung verdient die AfD im EP nicht, aber der im Parlament aktive Parteivorsitzende Bernd Lucke scheint nur noch wenig Kontrolle über seine Partei zu haben.
- Noch kommt in zentralen Fragen eine Mehrheit pro-europäischer Parteien im EP zustande. Im Einzelfall gestaltet sich die Mehrheitsbildung aber schon schwieriger, weil die pro-europäischen Parteien Sitze verloren haben. Je nach Inhalt der zur Abstimmung stehenden Vorlagen müssen sich die pro-europäischen Parteien Mehrheiten für ihre Initiativen auch in anderen Fraktionen suchen.
- Die größte Bedrohung für das Europäische Parlament und die EU geht nicht von den EU-Gegnern im EP aus, sondern von der Wirkung, die sie zu Hause entfalten. Die EU-Gegner werden weiter darauf drängen, dass ihre Regierungen im Europäischen Rat nationale Interessen über europäische Regelungen stellen. Die pro-europäische Konsensfindung wird damit erschwert. Eine populistische Re-Nationalisierung in Europa ist möglich.
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