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„BRICS Plus“ - Kurzanalyse Europa und Nordamerika

von Marcel Schmidt
Regierungsvertreter aus Europa und Nordamerika hielten sich insgesamt mit öffentlichen Stellungnahmen zum jüngsten BRICS-Gipfel und der BRICS-Erweiterung auffällig zurück. Die geringe mediale Beachtung wird auch damit in Zusammenhang gebracht, dass man BRICS nicht aufwerten möchte. Forderungen, dem BRICS-Bündnis beizutreten, wie beispielsweise in Serbien oder Teilen Bosnien-Herzegowinas, finden keinerlei Widerhall. Insgesamt wird das BRICS-Bündnis in Europa und Nordamerika tendenziell als anti-westliches Staatenbündnis gesehen, wobei sein Einfluss in erster Linie aufgrund der großen Heterogenität als gering eingeschätzt wird. Einige Beobachter sehen die BRICS durch die starke Fragmentierung gar als geschwächt an, wie zum Beispiel in Kanada und Schweden: schon die Definition gemeinsamer Ziele werde immer schwieriger, zudem seien Ägypten und Argentinien vielmehr wirtschaftliche Bremsklötze als Motoren.

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Für die USA liegt die eigentliche Herausforderung im wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas in der Welt. Man halte BRICS nicht für einen geopolitischen Rivalen, sondern für eine „sehr vielfältige Ansammlung von Ländern“. Zu Brasilien, Indien und Südafrika habe man sehr enge Beziehungen, die man nun weiter ausbauen möchte. Die Erweiterung versteht man als Hilferuf nach mehr US-amerikanischer Unterstützung. Die starke Reaktion der US-Amerikaner sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die US-amerikanische Entwicklungszusammenarbeit an Zugkraft verloren hat. Andernfalls wäre die BRICS-Erweiterung höchstwahrscheinlich nicht vollzogen worden.
Die Staaten in West- und Südeuropa sehen in der Erweiterung der BRICS-Staaten die Strategie, ein globales geopolitisches Gegengewicht zur westlich geprägten Weltordnung (G7, G20, UN) zu schaffen und die Position als Entwicklungs- und Schwellenländer zu verbessern. Die große Heterogenität in BRICS+ vermittle den Eindruck, hier handele es sich eher um eine Abkehr von der westlichen Hegemonie, nicht aber vom Westen in Gänze. In diesem Zusammenhang wird es für notwendig erachtet, zwischen BRICS-Staaten mit klarer anti-westlicher Agenda (Russland und China) und BRICS-Staaten auf der Suche nach neuen Handelspartnern zu unterscheiden. Frankreichs Staatspräsident Macron plädiert dafür, der Gruppe keine allzu große Bedeutung beizumessen. Gleichwohl sprach er sich für eine Reform der internationalen Organisationen aus, um dem globalen Süden zu mehr Einfluss zu verhelfen und gleichzeitig der möglichen Formation einer neuen Ordnung entgegenzuwirken, sodass das bestehende System nicht an Einfluss verliert. Frankreich ist eines der wenigen Länder West- und Südeuropas, in denen eine Auseinandersetzung mit den Implikationen der BRICS-Erweiterung für das Land selbst und die westlichen Staaten insgesamt stattfand. Lediglich in der belgischen Presselandschaft wurden die Implikationen für die EU besprochen. Der Vorschlag: Man sollte den BRICS-Staaten offen begegnen, um konstruktiv zusammenarbeiten zu können. Der BRICS-Gipfel markiere den Übergang in die Multipolarität.
Anders sieht es in den nördlichen Ländern aus: So konnte man in Norwegen vernehmen, das Land müsse sich wappnen für eine Welt, in der BRICS eine führende Rolle einnehmen werde. Der finnische Präsident Niinistö rief in einer Rede dazu auf, das Vorgehen der BRICS-Staaten genau zu beobachten, da es in Zukunft sicherlich Entscheidungen dieser Staaten geben werde, die dem Westen nicht gefallen dürften. Der Westen müsse erkennen, dass viele weitere Staaten Interesse an einer Mitgliedschaft haben und es mehr als nur Worte seitens des Westens bedürfe.

Bis auf wenige Ausnahmen gab es seitens der Regierungsvertreter auf dem Westbalkan keine Stellungnahmen zur BRICS-Erweiterung. Lediglich in Serbien wurde die BRICS-Erweiterung politisch genutzt und schlug sich fast ausschließlich in der Reproduktion russischer Narrative nieder. In Bosnien und Herzegowina (BiH) hat sich Milorad Dodik, Präsident der Entität Republika Srpska, dafür ausgesprochen, einen Beitritt zur BRICS-Staatengruppe zu beantragen, was bisher nur wenig Resonanz unter politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in BiH fand. 

 

Sonderfälle: Belarus, Ungarn, Kaukasus 

In Ostmitteleuropa sowie der Europäischen Nachbarschaft sucht man vergeblich nach Äußerungen von Regierungsvertretern – unter anderem, weil man BRICS dadurch nicht aufwerten möchte. Auch medial wurden der BRICS-Gipfel und die BRICS-Erweiterung kaum beachtet. So wurde in den Baltischen Staaten die Wahrnehmung und Reaktion auf die BRICS-Erweiterung insgesamt eher verhalten beziehungsweise vorsichtig gesehen. Man rief dazu auf, die neue Konstellation nicht zu schnell zu überschätzen. 

In der Region gibt es allerdings einige Sonderfälle. So setzt sich Belarus schon lange für die Aufnahme in die BRICS-Gemeinschaft ein – zuletzt mit einem offiziellen Aufnahmeantrag im Mai 2023. Lukaschenkas Regime sieht BRICS als eine Möglichkeit, neue Märkte zu erschließen und sich so von den westlichen Sanktionen zu befreien. In der ungarischen Regierung geht man davon aus, dass eine enge Zusammenarbeit mit wichtigen BRICS-Ländern für die wirtschaftliche Entwicklung und die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen Ungarns von entscheidender Bedeutung ist. Der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Rolle der USA und der EU misst man explizit eine global rückgängige Bedeutung zu. Man möchte sich bewusst Partnern im Osten öffnen – auch, um in Verhandlungen mit der EU auf andere eigene Optionen verweisen zu können. 

Durch die geographische Lage des Südkaukasus und seine ökonomische Relevanz im Middle Corridor zwischen China und Europa und im North-South-Transport-Corridor zwischen Russland, dem Iran und Indien spielen mehrere (zukünftige) BRICS-Staaten für den Südkaukasus eine wichtige Rolle. Interesse an einem BRICS-Beitritt wurde jedoch bisher offiziell weder von Armenien und Georgien noch von Aserbaidschan bekundet. In Georgien spielte die BRICS-Erweiterung kaum eine Rolle, da man sich hier mit der EU-Integration beschäftigt. Allerdings reiste Premierminister Gharibashvili Ende Juli nach China und unterzeichnete dort ein Abkommen über eine „strategische Partnerschaft“. Es ist daher denkbar, dass die aktuelle georgische Regierung zukünftig eine Annäherung an die BRICS-Allianz ins Auge fassen wird. In Armenien ist eine solche Annäherung noch wahrscheinlicher. Man betrachtet BRICS als ökonomisches Alternativprojekt, nicht aber als anti-westliches Modell. Auf der Suche nach ökonomischer Diversifizierung und neuen sicherheitspolitischen Partnern ist die BRICS-Gruppe interessant. Seit jeher offener für BRICS ist Aserbaidschan. Eine Mitgliedschaft scheiterte bisher am Veto Indiens, das Aserbaidschans gute Beziehungen zu Pakistan missbilligt, und rückt nun in noch weitere Ferne, weil man sich mit dem neuen Mitglied Iran in massiven ethnischen und territorialen Konflikten befindet. 

 

Internationale Organisationen besonders unter Druck

Die BRICS-Erweiterung erhöht den Druck auf die internationale Gemeinschaft, endlich Reformen zur Stärkung des „Globalen Südens“ durchzusetzen. Gelingt es ihnen nicht, sich zu reformieren und insbesondere Schwellen- und Entwicklungsländern eine bessere Perspektive zu bieten, besteht die Gefahr, dass sich Staaten in Zukunft stärker anderen multilateralen Kooperationen zuwenden. Jim O’Neill, Namensgeber der BRICS-Staaten und ehemaliger konservativer Minister Großbritanniens, leitet aus der Erweiterung der BRICS die Notwendigkeit der Reanimation der G20-Staaten an. 

Nicht nur die Tatsache, dass mit China und Russland zwei Mitglieder des UN-Sicherheitsrats Teile von BRICS sind, sondern auch die erste Teilnahme eines UN-Generalsekretärs an einem BRICS-Gipfel sprechen für die wachsende Bedeutung der Gruppe für die multilateralen Institutionen. UN-Generalsekretär Guterres konstatierte in seiner Rede bei den BRICS-Staaten eine Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung und hielt fest, dass die derzeitige Global-Governance-Struktur die heutige Welt nicht adäquat widerspiegele. Den von Guterres angestoßenen Reformprozess könnten die BRICS-Staaten nun zu nutzen versuchen, um die UN nach ihren Vorstellungen zu verändern. 

In den internationalen Organisationen treten die BRICS-Staaten bisher weniger geschlossen und abgestimmt auf als etwa die westlichen Industrienationen. Der Zusammenschluss wird daher nicht per se als Alternative zur westlich geprägten internationalen Ordnung gedeutet, sondern vielmehr als eine vorwiegend wirtschaftliche Kategorisierung neben Schwellen- und Industrieländern. Auch im UN-Menschenrechtsrat gilt BRICS bislang als eine politische Gruppierung, die selten in dieser Konstellation auftritt. Brasilien und gerade auch Argentinien haben bei Abstimmungen häufig anders als Russland, Indien, China und Südafrika gestimmt. Ähnlich verhält es sich in WTO und WHO. 

Insbesondere mit Blick auf den Westbalkan ist auch die EU gefragt, den Beitrittsprozess zu beschleunigen. Denn die Gefahr besteht, dass weitere Verzögerungen zu wachsender Frustration, einer Abkehr vom Westen und einer Öffnung für die BRICS-Staaten führen. 

Als eine der wenigen Ausnahmen hat sich die EU in Person des Außenbeauftragten Borrell öffentlich und prominent zur BRICS-Erweiterung geäußert: Europa sei nicht mehr das Epizentrum der Welt und hege darüber hinaus keinerlei Vorbehalte gegenüber der nun erweiterten BRICS-Allianz. Ihr müsse mit Ernsthaftigkeit begegnet werden. Auch Borrell verwies auf die vielen Meinungs- und Interessensverschiedenheiten innerhalb der Gruppe und sieht sie deswegen primär als eine Allianz, die auf transaktionale Kooperation abzielt und bewusst keine Position in grundlegenden Fragen der Weltpolitik beziehen möchte. 

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