Einzeltitel
Ein verpatztes Jubiläum. Die Presse teilt die Auffassung der Fachbesucher: „Treugläubiges Mitmachfestival“ (DIE ZEIT), „gehobenes Entertainment (DER SPIEGEL), „mittelmäßiger Wettbewerb“ (La vanguardia), „viel heiße Luft (Stern), „übersteigerter Kunstbetrieb“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), „milde Provokation (allein bei Fred Wilson)“ (New York Times). Die alte Diskussion, ob Länderpavillons in einer globalisierten (Kunst-)Welt überhaupt noch Sinn machen, beantwortete sich unfreiwillig für dieses Mal von selbst: Der Versuch, die verkrustete und anachronistisch-ausschließliche Fixierung auf Länderpavillons durch Gruppenausstellungen und durch Gastkünstler aufzubrechen, misslang.
Auch dort, wo an nationaler Repräsentation festgehalten wurde, disqualifizieren sich die Schauen entweder durch mangelnde Qualität oder aber - wie beim deutschen und französischen Pavillon - durch gediegene (fast will man sagen: feierliche) Langeweile. Candida Höfers kühle fotografische Raumansichten und das skulpturale Werk des wiederentdeckten Martin Kippenberger faszinieren ebenso wenig wie Jean-Marc Bustamante für Frankreich. Die Auszeichnung für den Luxemburger Pavillon gilt gemeinhin als Fehlentscheidung. Auffallend bleibt nur Portugal mit Pedro Cabrita Reis, der einmal mehr in seinen ebenso sperrigen wie extrem ästhetischen Installationen aus unterschiedlichsten Materialien den menschlichen Überlebenskampf thematisiert. In Berlin ist Reis in der Galerie Markus Richter vertreten, die gerade mir der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation Christoph Dahlhausen und dessen raumbezogenen Beitrag zum Thema „Politische Stiftung“ präsentiert. Erwähnenswert bleibt noch der international gefeierte Künstler Olafur Eliasson, der von Island ebenso beansprucht wird wie von Dänemark. Im dänischen Pavillon zeigt er eine Variation des Themas „Irritation und Desorientierung“ mit einer Spiegelinstallation. Eliasson lebt wie viele internationale zeitgenössische Künstler in Berlin. Spektakulär - aber eben doch nicht neu - präsentierte Santiago Sierra sich im spanischen Pavillon: Der Besucher steht vor einer Wand, umläuft sie und trifft auf Zollpersonal, das den Eintritt in den Pavillon von der Rückseite nur gegen Vorlage des spanischen Passes erlaubt: Doch keine Freiheit in der globalisierten Welt? Sierras politische Arbeiten waren schon ungleich radikaler - am Rande dessen, was Kunst sein kann, bewegten sie sich schon immer. Er gehört zu den Grenzgängern zwischen Dokumentation/Agitation und Kunst. Das nicht unberechtigte Anliegen des diesjährigen Biennale-Präsidenten Francesco Bonami, daher nach einer extrem dokumentarischen (und kunstfreien) Documenta des vergangenen Jahres nun in Venedig wirklich Kunst zu präsentieren, enttäuschte gleich in den Eröffnungstagen um so mehr.
Hoffnung in Basel
Also zog die Kunstkarawane nach Basel zur Eröffnung des Messmarathons: der jungen „Liste 03“, die Künstler unter vierzig und deren jungen Galerien vorstellt, der Ars Unlimited, die überdimensionale Kunstwerke präsentiert, und der eigentlichen Art Basel, die schon im Vorfeld neue Rekorde erzielte: aus 930 Bewerbungen (!) wurden 270 Galerien ausgesucht, die 1500 Künstler zeigten; schließlich noch die Art Statements, die im Rahmen eines Förderprogramms ausgewählte Künstler vorstellen.
Den Auftakt machte wie jedes Jahr die Ars Unlimited: edel und teuer - global players in mehrfachem Sinn: räumliche und akustische Grenzen sprengende Arbeiten auf 12.000 Quadratmeter Fläche, die höchster Bodenbelastung Stand halten! Gezeigt wurden vor allem die big shots - wenngleich auch ohne wirklich scharfe Munition. Richard Serra (bei m bochum, Bochum) fertigte speziell für die Messe eine zweiteilige, 40 Tonnen schwere Stahlskulptur, die den Eingang der Messe und die Halle zierte: Single Double Torus. Drinnen gab es die vertrauten, längst musealen weißen George Segal-Figuren (bei Mitchel-Innes & Nash, New York) unter dem Titel Street Crossing. Auch in der Luft flogen die Figuren: Yinka Shonibares auf der letzten Documenta gezeigten bunten Figuren aus postkolonial umgewerteten „Dutch Wax“-Stoffen mutierten nun zu Astronauten und kreisten um eine Raumkapsel, die den Namen Martin Luthers trug. Der Reformator im fernen All - Space Walk (bei Friedman, London).
Thema: Die häusliche Intimität
Auf dem Boden der Tatsachen dagegen bewegten sich überraschend zahlreiche und bewegende Variationen, um das was dem Menschen in seiner Verletzlichkeit Schutz gewährt: dem Haus, das (frei nach Heinrich Böll) seine Hüter verliert. Christoph Büchel (bei Susanna Kulli, St. Gallen) zeigte seinen deprimierenden, verschmierten und verschimmelnden Wohncontainer (Close Encounters), Christoph Draeger (bei Villpoix, Paris) ließ die Besucher in ein verwüstetes Schlafzimmer steigen, das auf ein Massaker schließen ließ. Das Video im Hinterzimmer bestätigte die Vermutung und erschloss zugleich die schon im Titel avisierte politische Relevanz: Black September. Axel Lieber (bei Hengesbach, Köln) stellte sich mit einem dekonstruierten Haus vor, das er zu einer filigranen, Mobile ähnlichen Figur neu verschichtete und in der Luft fliegen ließ. Michael Linn (bei Tanit, München) kreierte launig ein hippes Wohnzimmer der laufenden Saison unter dem Titel Spring 2002 und Munteau/Rosenblum (bei Kargl, Wien) zogen eine Puppenstubenfront auf tatsächliche Haushöhe: Drinnen dann auf einem Video eine Autowerkstätte, deren Monteure eine Marienerscheinung haben. Eine viktorianische Puppenstube (Öl auf Leinwand) zeigt auch Julie Roberts bei Andéhn-Schiptjenko, Stockholm.
Auch im Kunstmuseum Basel, das sich parallel zur Messe im zeitgenössischen Bereich offensiv präsentiert, wird in einer wunderbaren Arbeit das Thema „Haus“ von Theresa Hubbard und Alexander Birchler bespiegelt. Das irisch-schweizerische, in Amerika lebende Duo zeigt unter dem Titel Teilnehmer eines Vogelhauswettbewerbs auf einem wandgroßen verblichenen Foto Kinder, die stolz ihre verspielt phantasievollen Vogelhäuser (beschützend) im Arm halten, die freilich bis zum Schornstein die Attribute menschlicher Behausungen aufweisen. Neben dem Bild finden sich im Museum aufgereiht die tatsächlichen (nachgebauten) Vogelhäuser, die melancholisch wie Relikte einer heilen Puppenhauswelt anrühren. Ebenso herausragend werden Hubbard und Birchler auf der Messe präsentiert (bei Vera Munro, Hamburg). Die dort gezeigte Videoarbeit Single Wide zeigt eine junge Frau, die mit ihrem Pick-Up in einsamer Wut und Verzweiflung in einen kulissenhaften Wohntrailer rast. Anschließend läuft sie– erst erstaunt, dann gelassen und schließlich entschlossen - durch das zerstörte Idyll, packt ihr Plüschtier in eine Tasche und kehrt in den Wagen zurück, der nun wieder unversehrt vor einem ebenso unberührten Wohnmobil steht. Der Akt der Zerstörung ist auch der verzweifelte Versuch des Entrinnens – umsonst: Im Endlos-Loop wird die (Wahn-)Sinnstat wiederholt. Der Schutzraum kann zum Gefängnis, das Traumhaus zum Albtraum werden. Dream House heißen auch die 12 digitalen Foto-Prints von Gregory Crewdson (bei Augustine, New York), die in traute Familienheim-Interieurs Menschen wie Fremdkörper platziert. Sie kommunizieren nicht miteinander, scheinen sich selbst fremd und verweisen in ihrer Leblosigkeit (geradezu kriminalistisch) auf ein Grauen, das gerade geschehen sein muss oder aber in der nächsten Sekunde vollstreckt wird. Das in mehrfacher Hinsicht gemeinte Traumhaus als Kulisse des Wahnsinns.
Das Bewusstsein von der Bedrohung des letzten intimen oder familiären Rückzugsortes, des (vermeintlichen) Schutzraumes, hat zahlreiche Künstler erfasst. Die Vertreibung aus dem Paradies - religiös-philosophisch, politisch und privat-biographisch - spielt aktuell eine erhebliche Rolle im Bewusstsein und in der Arbeit der Künstler. Die Konrad-Adenauer-Stiftung wird dieser Entwicklung mit einer großen Ausstellung von großformatigen Fotoarbeiten von Brigitte Mayer im November Rechnung tragen.
Thema: Verlust und Verletzung
Bezeichnenderweise fehlen auf der Art Basel die dezidiert politischen Arbeiten, die auf der vergangenen Documenta in ihrer didaktisch-pädagogischen Direktheit ermüdeten. Die Messe hat sich unverkennbar auf den von Bonami ausgerufenen Appell – zurück zur Kunst – eingerichtet, ihn aber viel konsequenter als die Biennale in Venedig umgesetzt. Nicht umsonst schreibt „La vanguardia“ vom „großen kritischen und poetischen Gehalt“ der Messe. Die Arbeiten sind in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz und Seismographenfunktion deswegen nicht weniger aussagekräftig. So wie sich die Künstler dem Verlust des geschützten und vertrauten Raums widmen, reflektieren sie das Motiv der Mythen und Märchen (bei Wang, Oslo), zeigen verlorene Kindergestalten in nordisch anmutenden Wäldern oder rätselhaften Eislandschaften, häufig in Mixed-Media aus Projektion, Tafelbild und Installation oder Skulptur. Nahtlos gleiten die Arbeiten in den Themenbereich, der sich der Natur (oder dem Verlust der Natur) widmet (u.a. Anthony Goicolas Snowscape bei Scheibler, Köln oder Daniel Roths 701 XXYA bei Riegger, Karlsruhe): Blutspuren in grenzenloser, vereister Bergwelt verweisen auf das Ende der Unberührtheit. Henrik Hakanssons Orchidee, die in einer Installation auf tropischem Baumstamm wuchert, wird von Urwaldnebel umgeben – künstlich aus demonstrativ sichtbaren Fakir-Befeuchtungsgeräten (bei Noero, Turin). Jean-Frédéric Schnyder versucht sich daher nicht zufällig in 38 (!) Variationen einer Ansicht „Am Thunersee“, die - wie ein Fries angebracht - haarscharf am Rande des Gefälligen vorbeirutschen. Die traditionellen Landschaften in Öl entstanden bereits 1995. Mit einer neueren Arbeit zeigt sich dagegen Donald Moffett (bei Friedman, London), der in einer Mischung aus bemalter Leinwand und Video-Projektion fliegende Blätter auf das (Tafel-)Bild wirft: Elegisch-melancholische und vor allem extrem ästhetische Reminiszenzen an das Einfache, das schon den Atem des Vergänglichen haucht. Nüchtern dagegen wirft Dirk Skreber seinen (gemalten) Blick auf die durch Hochwasser oder Unfälle gestörten Idyllen (bei Luis Campagna, Köln).
Die Künstler registrieren überdeutlich eine Zeitenwende und das Rütteln an der conditio humana. Die Verletzungen, die der Mensch sich (Körper, Sexualität), seiner engsten Umgebung (Haus, Familie) und dem weiteren Umfeld (Natur, urbane Welt) zufügt, sind nicht mehr zu verstecken: Per Barclay zeigt bei Persano, Turin verletzte menschliche Körper auf schwarz-weißen Aktaufnahmen. „Existenzieller“ - im engsten Sinne des Wortes - waren künstlerische Arbeiten seit Jahren nicht mehr. Sie eröffnen in vielfältigster Weise einen Wertediskurs.
Die Jungen als Epigonen
Interessanterweise spiegelt sich diese Tendenz bei den ganz Jungen - sofern auf der „Liste 03“ gezeigt - weniger wieder als auf der eigentlichen Art Basel. Ganz offenbar lässt sie der Blick auf den Markt nicht ungehemmt arbeiten. So präsentierte sich die Messe der Talente als ärgerlicher Bauchladen, der peinliche Obszönitäten und flüchtig fertiggestellte Arbeiten anbot - ohne jegliches Konzept. Erfreulich allein die zum letzten Mal auf der „Liste“ vertretene Joana Kamm mit ihrer Berliner Galerie, die wieder hochwertige zeichnerische Arbeiten anbot und damit an den Sensationserfolg des vergangenen Jahres mit dem Else-Heiliger-Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Albrecht Schäfer, anknüpfen konnte. Das Einschwenken des Nachwuchses auf gerade marktgängige Themen und Ausdrucksformen lässt die Jüngsten vielfach hinter sich selbst herhinken. Ganz so, als wollte man dieses Problem der jüngsten Szene - nämlich fleißig die Kunstgeschichte und sich selbst (!) zu zitieren - thematisieren, rückten die Kuratoren der Ars Unlimited, Martin Schwander und Simon Lamunière ein Monumentaltableau des Thailänders Navin Rawanchaikul ins Zentrum: Der Künstler präsentiert im akademischen Stil die Protagonisten der zeitgenössischen Kunst vereint in historischer florentinischer Kulisse - zur Geschichte erstarrt; mögen die zahllosen Epigonen es verstehen.
Dass in dieser Rückwärtsgewandtheit wenig bleibt, zeigt eine gelungene Arbeit von Leandro Erlich (bei Maubrie, Paris). In einer riesigen flachen Holzkiste sind weiße Quarzkiesel gefüllt, in die sich durch eine raffinierte Hydraulik geisterhaft Fußspuren eindrücken, um unmittelbar danach gleich wieder zu verschwinden: Piedras thematisiert die Flüchtigkeit menschlicher Markierungen.
Erfolg mit Malerie (und Skulptur)
Die Galeristen und Künstler der Art Basel waren ganz am Puls der Kunden. „Optimismus und Vertrauen“ (Frankfurter Rundschau) waren der Dank - es wurde fleißig zugegriffen. Gerd Harry Lybke (EIGEN+ART) verließ komplett ausverkauft die Schweiz. Er hatte seine Koje ganz auf Malerei eingestellt und verkaufte seine neuen Talente Martin Eder und Tim Eitel genauso wie seinen Bestseller Neo Rauch. Die Sammler gaben sich die Klinke in die Hand. Video- Foto- und Medieninstallationen waren deutlich weniger vertreten als in den Vorjahren, die bemalte Leinwand ist gefragt. Hinter den Messeständen wurde vorausschauend schon vom Comeback der Skulptur getuschelt; verstärkt vertreten daher wieder Ronald Chamberlain (u.a. bei Xavier Hufkens, Brüssel); Donald Judd (bereits während der Eröffnung verkauft bei Paula Cooper, New York) oder Stefan Balkenhol (u.a. bei Barbara Gladstone, New York). So wie sich viele Künstler wieder den Grundragen menschlicher Existenz zuwenden, scheint auch der Rückgriff auf die klassischen Ausdrucksformen zeitgemäß. Die neuen Medien rücken in den Hintergrund. Ausschau halten die Galeristen auch auf das Segment der jungen Sammler und bieten daher etwa 30 Prozent ihrer Arbeiten unter € 5000 an - mit Erfolg.
Auch die diesjährige Art Basel hat die weltweite Spitzenstellung der Messe als Trendmesser unter Beweis gestellt. Zunehmend läuft sie in ihrer Aussagekraft den internationalen Kunstbiennalen und Festivals den Rang ab.
Ein unsichtbares Lager wird sichtbares Schaulager
Am Rande der Messe wartete Basel mit einer Sensation auf: Mäzenin Maja Oeri öffnete die Türen ihres von den Architekten Herzog & de Meuron verwirklichten Schaulagers, mit dem sie die Arbeit ihrer Großmutter Maja Hoffmann (Emanuel Hoffmann-Stiftung) fortsetzt und Einblick in eine außergewöhnlich umfangreiche Sammlung zeitgenössischer Kunst gewährt. Neben einer für die Öffentlichkeit zugänglichen Ausstellung (zur Zeit Dieter Roth) können Wissenschaftler und Fachinteressierte nach Anmeldu ng einen Blick hinter die gigantischen Schiebetüren werfen, hinter denen die Arbeiten nicht mehr in Kisten und Regalen lagern, sondern nun (in musealen Dimensionen) Räume füllen. Die künstlerischen Arbeiten können auf diese Weise besser gepflegt und restauriert werden und sind für Interessierte nach langem Dornröschenschlaf endlich zugänglich. Auf fünf Etagen mit jeweils 3000 Quadratmetern öffnet sich für Kunstliebhaber ein Schlaraffenland. Das neue Mischkonzept aus Lager, Forschungsstätte und Museum wird zweifellos Schule machen und zeigt einmal mehr, welchen Beitrag potente Sammler für die Beschäftigung mit Kunst in einer Bürgergesellschaft leisten können.