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Wer mit Nein stimmt, sagt Ja zu Stuttgart 21

Hintergründe zur Volksabstimmung in Baden-Württemberg

Am 27. November 2011 findet in Baden-Württemberg eine Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt „Stuttgart 21“ statt. Zum zweiten Mal in der Geschichte des Bundeslandes werden damit die Bürger an die Urne gerufen, um über eine Sachfrage zu entscheiden.

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Die Volksabstimmung am 27. November 2011

Am 27. November 2011 sind ca. 7,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg stimmberechtigt. An der Volksabstimmung darf teilnehmen, wer am Abstimmungstag zum Landtag wahlberechtigt ist. Bei einer Landtagswahl sind die Bürger wahlberechtigt, die Deutsche im Sinne von Art. 116 Abs 1 des Grundgesetzes sind, am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben, seit mindestens drei Monaten in Baden-Württemberg wohnen (Stichtag 27. August 2011), nicht durch Gerichtsentscheid vom Wahlrecht ausgeschlossen sind und im Wählerverzeichnis ihrer Heimatgemeinde geführt werden.

Ein Antrag von Grünen und SPD, das von der Landesverfassung vorgeschriebene Quorum von einem Drittel auf ein Fünftel der Stimmberechtigten zu senken, erreichte nicht die notwendige verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Landtag und wurde abgelehnt.

Es müssen also bei der Volksabstimmung am 27. November 2011 etwas mehr als 2,5 Millionen Bürger mit "Ja" stimmen, damit das vom Landtag mit großer Mehrheit abgelehnte Ausstiegsgesetz dennoch gültig wird. Auf die Grünen, die als einzige Partei Stuttgart 21 geschlossen ablehnen, entfielen bei der Landtagswahl am 27. März 2011 bei einer Wahlbeteiligung von 66,3 Prozent etwa 1,2 Millionen Stimmen.

Volksabstimmungen in der Landesverfassung

Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953 sieht ausdrücklich die Möglichkeit zu Volksbegehren und Volksabstimmungen vor:

Artikel 59

(1) Gesetzesvorlagen werden von der Regierung, von Abgeordneten oder vom Volk durch Volksbegehren eingebracht.

(2) Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf zu Grunde liegen. Das Volksbegehren ist zu Stande gekommen, wenn es von mindestens einem Sechstel der Wahlberechtigten gestellt wird. Das Volksbegehren ist von der Regierung mit ihrer Stellungnahme unverzüglich dem Landtag zu unterbreiten.

(3) Die Gesetze werden vom Landtag oder durch Volksabstimmung beschlossen.

Artikel 60

(1) Eine durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzesvorlage ist zur Volksabstimmung zu bringen, wenn der Landtag der Gesetzesvorlage nicht unverändert zustimmt. In diesem Fall kann der Landtag dem Volk einen eigenen Gesetzentwurf zur Entscheidung mitvorlegen.

(2) Die Regierung kann ein vom Landtag beschlossenes Gesetz vor seiner Verkündung zur Volksabstimmung bringen, wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt. Die angeordnete Volksabstimmung unterbleibt, wenn der Landtag mit Zweidrittelmehrheit das Gesetz erneut beschließt.

(3) Wenn ein Drittel der Mitglieder des Landtags es beantragt, kann die Regierung eine von ihr eingebrachte, aber vom Land tag abgelehnte Gesetzesvorlage zur Volksabstimmung bringen.

(4) Der Antrag nach Absatz 2 und Absatz 3 ist innerhalb von zwei Wochen nach der Schlussabstimmung zu stellen. Die Regierung hat sich innerhalb von zehn Tagen nach Ein gang des Antrags zu entscheiden, ob sie die Volksabstimmung anordnen will.

(5) Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt.

Der Weg zu einer Volksabstimmung kann also entweder über ein Volksbegehren oder über den Antrag von einem Drittel der Landtagsabgeordneten führen. Für die Verbindlichkeit des Ergebnisses kommt neben der Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf die Höhe der Wahlbeteiligung an, da insgesamt mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmen muss.

Volksabstimmungen in der Geschichte Baden-Württembergs

Die Abstimmung zu Stuttgart 21 ist die zweite Volksabstimmung in Baden-Württemberg. Die erste Volksabstimmung hatte vor 40 Jahren am 19. September 1971 ausgelöst durch ein Volksbegehren für die vorzeitige Auflösung des damaligen Landtages stattgefunden. Es ging dabei um die umstrittene kommunale Gebietsreform. Bei einer Wahlbeteiligung von nur 16 Prozent scheiterte die Volksabstimmung 1971, weil der vorgelegte Gesetzentwurf statt des erforderlichen Drittels nur die Zustimmung von 8,6 Prozent der Stimmberechtigten erhielt. Von den Abstimmenden hatten 54,4 Prozent mit Ja und 45,6 Prozent mit Nein gestimmt.

Das Land Baden-Württemberg verdankt seine Entstehung selbst drei Volksabstimmungen. Diese fanden 1951 über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes in den bis dahin getrennten Südwestsaaten Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden statt. Für eine solche „Neugliederung des Bundesgebietes“ schreibt das Grundgesetz in Artikel 29 einen Volksentscheid vor. Am 9. Dezember 1951 nahmen daran in allen drei Ländern 58,8 Prozent der Stimmberechtigten teil, davon stimmten 69,7 Prozent für den neuen Südweststaat. Da es aber in Baden eine Mehrheit gegen ein gemeinsames Bundesland gegeben hatte, entschied das Bundesverfassungsgericht 1956, dass dort über den Verbleib im inzwischen gemeinsamen Bundesland erneut abgestimmt werden durfte. Dazu kam es dann erst am 7. Juni 1970. Es nahmen 62,6 Prozent der Abstimmungsberechtigten in Baden teil und entschieden sich mit übergroßer Mehrheit (81,9 Prozent) für den Verbleib bei Baden-Württemberg.

Der Weg zur Volksabstimmung über Stuttgart 21

Zur Volksabstimmung über Stuttgart 21 kommt es nicht durch ein Volksbegehren, sondern über den zweiten in der Landesverfassung vorgesehenen Weg, d.h. auf Antrag von einem Drittel der Landtagsabgeordneten. Im Koalitionsvertrag vom Mai 2011 hatten Grüne und SPD als neue Mehrheit nach der Landtagswahl vom 27. März 2011 festgehalten, dass die Koalitionsparteien „unterschiedliche Meinungen zu diesem Projekt“ vertreten und eine Volksabstimmung darüber – damals „bis spätestens Mitte Oktober 2011“ - vereinbart.

Im Koalitionsvertrag heißt es weiter: „Inhalt der Volksabstimmung ist ein Gesetz über die einseitige Kündigung der bestehenden vertraglichen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg (Ausstiegsgesetz). Bestandteil des zur Abstimmung gestellten Gesetzentwurfes ist dabei auch, welche Kosten auf das Land im Falle eines solches Ausstieges zukommen. Ziel der Volksabstimmung ist es, zu einem abschließenden und befriedenden Urteil über Stuttgart 21 zu gelangen. Grüne und SPD werden einen Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung mit dem Ziel einer deutlichen Senkung der Quoren bei Volksabstimmungen in den Landtag einbringen. Die Volksabstimmung wird nach Art. 60 der Landesverfassung durchgeführt.“

Tatsächlich wurde der von der Landesregierung eingebrachte „Gesetzentwurf zur Kündigung der Finanzierungsverträge zum Bahnprojekt Stuttgart 21“ am 28. September 2011 mit einer klaren Mehrheit von SPD, CDU und FDP abgelehnt. Nur die Grünen und vereinzelte Abgeordnete der SPD stimmten für das Gesetz. Von den 138 Landtagssitzen entfallen 60 auf die CDU, 36 auf die Grünen, 35 auf die SPD und 7 auf die FDP.

Unmittelbar nach der Abstimmung riefen die Grünen zur Unterzeichnung eines Antrages auf Durchführung einer Volksabstimmung über das soeben vom Landtag abgelehnte Gesetz auf. 68 der 138 Abgeordneten des Landtages – d.h. fast alle Abgeordneten von SPD und Grünen – unterzeichneten diesen Antrag. Die Landesregierung machte dann einstimmig von ihrem Recht nach Art 60 Abs 3 der Landesverfassung Gebrauch und setzte eine Volksabstimmung für den 27. November 2011 an.

Von Anfang an wurde dieses Verfahren von Verfassungsrechtlern kritisiert. So verwies der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof darauf, dass das Projekt einer „Bahntrassenführung von Bratislava nach Paris über deutsches Gebiet“ unter die Gesetzgebungskompetenz des Bundes falle. Andere Kritiker bemängelten, dass rechtsgültige geschlossene Verträge nicht einseitig durch politische Beschlüsse aufgehoben werden können, da hier das Kontinuitätsprinzip gelte. Eingewandt wurde auch, dass eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 künstlich herbeigeführt werde, da viele Landtagsabgeordnete für den Beschluss des Landtages gestimmt hatten, gegen den sie dann eine Volksabstimmung beantragten. Tatsächlich handele es sich in der Landesverfassung beim Recht von Landtagsabgeordneten, eine Volksabstimmung zu beantragen, um ein Minderheitenrecht.

Verwirrende Abstimmungsfrage

Von hoher Bedeutung für den Ausgang von Volksabstimmungen ist die Formulierung der Abstimmungsfrage. Die Landesverfassung schreibt vor, dass über die vom Landtag abgelehnte Gesetzesvorlage abgestimmt werden muss und legt fest: „Bei Volksabstimmungen wird mit Ja oder Nein gestimmt“ (Art. 26 Abs. 5). Deshalb steht am 27. November 2011 das vom Landtag abgelehnte S-21-Kündigungsgesetz zur Abstimmung.

Die Frage auf dem Abstimmungszettel lautet also: „Stimmen Sie der Gesetzesvorlage „Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Verpflichtungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S-21-Kündigungsgesetz)“ zu?“

Es folgen die erläuternden „Hinweise“: „Mit Ja stimmen Sie für die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojektes Stuttgart 21 auszuüben.“ bzw. „Mit Nein stimmen Sie gegen die Verpflichtung der Landesregierung, Kündigungsrechte zur Auflösung der vertraglichen Vereinbarungen mit Finanzierungspflichten des Landes bezüglich des Bahnprojektes Stuttgart 21 auszuüben.

Damit entsteht die merkwürdige Situation, dass mit Nein stimmen (also das S-21-Kündigungsgesetz ablehnen) muss, wer Ja zum neuen Bahnhof sagt. Mit Ja muss stimmen (also dem S-21-Kündigungsgesetz zustimmen), wer den Bahnhof verhindern will. Ohne Zweifel entsteht dadurch eine gewisse Verwirrung bei den Abstimmungsberechtigten.

Ob von der Volksabstimmung das von der Landesregierung erhoffte „abschließende und befriedende Urteil“ zu Stuttgart 21 ausgehen wird, darf bezweifelt werden. Insbesondere die Gegner des Projektes stellen schon jetzt die in der Landesverfassung festgelegten Spielregeln in Frage: Politisch entscheidend sei nicht die Höhe der Wahlbeteiligung, sondern die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Die Landesverfassung legt aber bewusst ein Zustimmungsquorum von mindestens einem Drittel der Stimmberechtigten fest, weil Volksabstimmungen Beschlüsse des durch Wahlen legitimierten Landtages aufheben können. Eine akzeptierte Bindungswirkung könnten Volksabstimmungen aber nicht entfalten, wenn dort die Entscheidungsbefugnis bei wesentlich weniger Stimmberechtigten läge als bei allgemeinen Wahlen.

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Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

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Sankt Augustin Deutschland