Parlament beweist Handlungsfähigkeit
Unerwartet einigten sich die Fraktionschefs Kwon Sung-dong von der konservativen Regierungspartei People Power Party (PPP) und Park Chan-dae von der liberalen Minju am Vormittag des 20. März 2025 auf eine umfangreiche Rentenreform, die wenigen Stunden später im Parlament verabschiedet wurde. Das Gesetz wurde durch 277 anwesenden von insgesamt 300 Abgeordneten verabschiedet: 194 stimmten dafür, 40 dagegen und 43 enthielten sich.[i]
Zusammenarbeit und Kompromisse zwischen den beiden großen Parteien schienen über die letzten Jahre fast unmöglich. Die Erklärung des Kriegsrechts durch Präsident Yoon Suk-yeol in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember des vergangenen Jahres, die als Reaktion auf die bereits weitgehend blockierte Zusammenarbeit in der Nationalversammlung erfolgte, stellte den bisherigen Höhepunkt dieser Krise dar.[ii] Der Amtsenthebungsantrag der Oppositionspartei gegen Präsident Yoon und gegen Regierungsmitglieder blockierten das Parlament weitgehend. Allein in der Amtszeit der Yoon – Administration wurden bereits 30 Amtsenthebungsanträge eingereicht. Die Töne im Parlament und auf den Straßen, insbesondere unter den Kernanhängergruppen der beiden Parteien, sind schärfer denn je. Die bevorstehenden rechtlichen Entscheidungen, insbesondere durch das Verfassungsgericht der Republik Korea, werden in der Politik und Gesellschaft zu Unruhe führen – unabhängig davon, in welche Richtung sie ausfallen. Noch vor der Entscheidung über das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon wurde am 24. März 2025 die Amtsenthebung gegen Ministerpräsident Han Duck-soo abgewiesen: Han kehrte unmittelbar in sein Amt zurück und führt damit auch wieder kommissarisch die Amtsgeschäfte des suspendierten Präsidenten.
Eine parteiübergreifende Einigung in dieser angespannten Lage ragt heraus und hat einen besonderen Anlass: Der Druck durch den demografischen Wandel ist extrem und wächst erheblich. Die Parteien waren sich letztlich einig, dass der „goldene Zeitpunkt“ für eine Reform nicht verpasst werden dürfte.
Weltweit ist Korea für seine niedrige Geburtenrate bekannt. Die Gründe dafür liegen unter anderem in den hohen Wohnungspreisen in Ballungsräumen, der wettbewerbsorientierten Gesellschaft und dem ausgeprägten Bildungseifer. Erst im vergangenen Jahr war zwar ein minimaler Anstieg zu beobachten – aktuell liegt sie bei 0,75[iii] – doch auch damit bleibt das Land weiterhin klar am unteren Ende der weltweiten Rangliste. Neben der niedrigen Geburtenrate schreitet die rasante Alterung der Gesellschaft voran.
Allein der Beginn der Diskussion über eine Rentenreform zog sich dennoch in beiden Parteien über längere Zeit hin. Es folgte eine sechsmonatige Sondierungsphase, die schließlich in ein gelungenes Ergebnis mündete.
Rentensystem Südkoreas im Kern
Im derzeitigen Rentensystem können Koreaner ab 63 Jahren staatliche Renten beziehen. Im Jahr 2033 wird das Eintrittsalter auf 65 Jahre angehoben. 73,9% der 18- bis 59–jährigen sind Mitglieder der Rentenversicherung. Das koreanische Rentensystem hat eine noch junge Geschichte – es wurde erst 1988 eingeführt. Damals lag der Rentenbeitrag bei nur 3%, während die Rentenzahlung bei 70% des Einkommens lag. Dieses günstige Verhältnis wurde bewusst geschaffen, um möglichst viele Menschen für das neue System zu gewinnen. Nach einer ersten Reform im Jahr 2007 folgt nun, nach 18 Jahren, die dritte Phase des Rentensystems.
Das Prinzip diesmal lautet im Kern "mehr einzahlen, mehr erhalten". Der Rentenbeitrag wird von derzeit 9% des Verdienstes auf 13% erhöht. Ab dem nächsten Jahr steigt der Beitrag jährlich um 0,5% über 8 Jahre. Die Rentenhöhe wird 2026 von derzeit 40% auf 43% des durchschnittlichen Einkommens vor dem Ruhestand erhöht. Auch sogenannte Credits für Mütter sowie für die junge Generation, die den staatlichen Wehrdienst geleistet hat, werden attraktiver. Mütter erhalten bereits ab dem ersten Kind einen Zuschlag von 12 Monaten – zuvor war dies erst ab dem zweiten Kind möglich. Der Zuschlag für den Wehrdienst wird von 6 auf 12 Monaten erhöht. Diese Credits werden als zusätzliche Beitragszeiten bei der Rentenabrechnung berücksichtig, um diesen Gruppen größere Vorteile zu gewährleisten. Ein sozialer Ausgleich für einkommensschwache Gruppen ist ebenfalls vorgesehen. Die staatlichen Subventionen werden auf weitere Einkommensklassen ausgeweitet. Hinzu kommt eine verstärkte staatliche Garantie für die Rentenauszahlung, um das Vertrauen in das staatliche System zu stärken. Weitere Prozesse werden von einem überparteilichen, 13-köpfigen Sonderausschuss festgelegt.
Wie geht es jetzt weiter?
Weitere politische Zusammenarbeit ist erforderlich. Besonders aus den Reihen der Nachwuchspolitikerinnen und Nachwuchspolitiker, unter anderem der People Power Party und Reform Party, mehren sich die Stimmen, dass die Reform in dieser Form noch nicht generationengerecht sei.[iv] Eine Überarbeitung müsse in Erwägung gezogen werden. Hinzu kommt absehbare Kritik der Arbeitgeber, die weiterhin die Hälfte der Beiträge zahlen.
Es ist zu erwarten, dass parteiübergreifend insbesondere jüngere Politiker in der Altersgruppe von 30 bis 40 Jahren eine zentrale Rolle übernehmen, um die Diskussion aktiv mitzugestalten und die Stimme der jungen Generation stärker in den politischen Diskurs einzubringen. In den für die Konkretisierung der Reform zuständigen Ausschüssen ist ein hoher Anteil an jungen Politikerinnen und Politikern vorgesehen, um deren Perspektiven stärker zu berücksichtigen. Auch eine stabile und nachhaltige Finanzierungsgrundlage für das Rentensystem zu schaffen, um dessen langfristige Tragfähigkeit zu sichern, wird dabei eine zunehmend zentrale Aufgabe sein.
Fazit
Die nach langem Abwägen beschlossene Reform kann als wichtige Grundlage für ein solides Rentensystem dienen. Sie verspricht weiterem Anpassungsbedarf zudem einen kontinuierlichen Platz auf der Agenda: die koreanische Politik muss sich regelmäßig, mindestens alle 5 Jahren damit befassen. Die nun folgenden Diskussionen über einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen und stabilen Finanzierungsmöglichkeiten geben Hoffnung auf eine Rückkehr zu inhaltlichen Debatten, auch im Parlament. Trotz der verbliebenen Unklarheiten ist es beachtlich, dass den Parteien eine Einigung gelungen ist. Es werden tragfähige Lösungen für Koreas vielfältige Herausforderungen benötigt,. Dazu braucht es weniger politische und gesellschaftliche Polarisierung und mehr Konsens- und Kompromissfähigkeit. Die beschlossene Rentenreform ist hierfür ein hoffnungsvolles Zeichen.
[i] The Joongang, https://www.joongang.co.kr/article/25322436
[ii] Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/web/korea/laenderberichte/detail/-/content/handstreich-gegen-das-parlament
[iii] Yonhap News Agency, https://www.yna.co.kr/view/AKR20250322018700002?input=copy
[iv] Yonhap News Agency, https://www.yna.co.kr/view/AKR20250324080600530?input=copy
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