Burkina Faso entwickelt sich zum Sorgenkind in der ohnehin krisengeschüttelten Sahelregion: Fast täglich machen Meldungen über Angriffe von Dschihadisten oder anderen bewaffneten Gruppen die Runde. Außer den beiden Städten Ouagadougou und Bobo-Dioulasso gelten die meisten anderen Landesteile inzwischen als unsicher. Der Staatsverfall ist in Burkina Faso wesentlich weiter fortgeschritten als in Mali oder Niger, wo die Bundeswehr stationiert ist. Dschihadisten haben in einigen ländlichen Gegenden bereits Paralleladministrationen aufgebaut. Das Land ist kleiner, viel dichter besiedelt und liegt im Zentrum des Sahelraums – anders als in Nord-Mali findet der Konflikt nicht in abgelegenen Wüstenstrichen, sondern an der Grenze zu den reicheren Küstenländern wie Ghana, Togo und Côte d’Ivoire statt. Diese sind das nächste Ziel der Dschihadisten, die sich vor allem für Schmuggler-Transportrouten interessieren. In den Häfen kommen Lebensmittel und Konsumgüter an, die in Richtung Sahel gehen. In umgekehrte Richtung fließen Gold und Baumwolle, die exportiert werden. Dschihadisten und Banditen wollen an dem florierenden Handel partizipieren, in dem sie z.B. Lastwagenfahrer oder andere Gruppen besteuern.
Im Vergleich zu Niger und selbst im Vergleich zu Mali – trotz seiner mit Russland verbündeten Militärregierung – ist die Zusammenarbeit mit Burkina Faso noch einmal um ein Vielfaches schwieriger. Militärische Kooperationen sind ohnehin heikel in dem Land, in welchem der 1987 erschossenen Revolutionär Thomas Sankara nach wie vor die Rolle eines Nationalhelden einnimmt. Sankaras Credo eines stolzen und souveränen Burkina Fasos gilt bis heute. Die 400 französischen Spezialkräfte („Sabre“), die seit 2018 in dem Land stationiert waren, sind kaum zum Einsatz gekommen, weil die Bevölkerung dies abgelehnt hat. Mit ihrem Einsatz hätten die Dschihadisten, die ursprünglich aus Mali kamen, möglicherweise etwas eingedämmt werden können. Die Mission der Franzosen in der Region kam vor allem in Niger und bis zum Abzug letztes Jahr in Mali zum Zug.
Stimmung gegen den Westen
Der erzwungene Abzug der Franzosen ist somit eher ein symbolischer Schritt, der dennoch den bisherigen Höhepunkt einer Eskalation in den Beziehungen zwischen Burkina Faso und Frankreich darstellt. Zuvor hatten die neuen Militärmachthaber um Ibrahim Traoré bewusst anti-französische Stimmungen bedient, die von russischen Trolls in den sozialen Medien angefacht wurden. Schon am Vorband des Putsches – dem zweiten innerhalb von acht Monaten – hatten Traorés Unterstützer in der Armee eine Ausgangssperre aufgehoben, damit Demonstranten französische Einrichtungen wie die Botschaft oder die Kulturinstitute attackieren konnten, wieder aufgepeitscht von pro-russischen „Influencern“. Wenige Wochen später gab es ein einen weiteren Übergriff auf die Botschaft, ohne dass die Sicherheitskräfte den Mob gestoppt hätten.
Die neue Militärregierung ist seit dem ersten Tag damit beschäftigt, mit populären Aktionen wie der Ausweisung des französischen Botschafters oder der Vertreterin der Vereinten Nationen zu beweisen, dass sie die Zügel fest in der Hand halten. Die politische Elite, die Streitkräfte und auch die Polizei sind untereinander zerstritten;in der Hauptstadt Ouagadougou ist die Stimmung dementsprechend gereizt. Ausländer vermeiden unnötige Aktivitäten wie abendliche Restaurantbesuche, und die wenigen noch verbliebenen Auslandskorrespondenten denken angesichts erschwerter Arbeitsbedingungen über eine Ausreise nach. Der französische Rundfunksender RFI wurde wie schon in Mali suspendiert; und Journalisten wurden ermahnt, wahrheitsgemäß“ zu berichten und „Terroristen keine Plattform zu bieten“.
Viele Menschen machen ähnlich wie in Mali Frankreich für den Vormarsch der Dschihadisten verantwortlich – sie können sich nicht erklären, wieso eine der größten Armeen der Welt nicht für Sicherheit sorgen konnte. Auch in diesem Kontext schüren russische Trolls wieder „Fake News“, so z.B., dass Frankreich die Terroristen heimlich mit Waffen versorgt hätten. Die Regierung in Ouagadougou (wie auch in Bamako) verheimlicht gern, dass die eigenen Sicherheitskräfte versagt haben und der Staat in der Fläche den Bürgern wenig geboten hat, um etwa den Konflikt zwischen Viehhirten und Ackerbauern zu entschärfen.
Anders als Mali bricht die Regierung allerdings nicht vollkommen mit Frankreich – Paris darf einen neuen Botschafter nominieren (in Bamako gibt es seit der Ausweisung des französischen Botschafters im Februar 2022 nur einen Geschäftsträger). Der bisherige Botschafter in Ouagadougou, dessen Amtszeit ohnehin zu Ende ging, wurde zur Ausreise aufgefordert, nachdem er Landsleute aufgefordert hatte, sich aus Sicherheitsgründen nur noch in Ouagadougou und Bobo-Diolasso aufzuhalten. Die Regierung sah darin einen ähnlichen Affront wie in der Entscheidung der Vereinten Nationen, Familienmitglieder von Mitarbeitern abzuziehen. Die italienische UN-Repräsentantin wurde deswegen ebenfalls ausgewiesen – Regierungsvertreter sahen darin einen Affront. Die Europäische Union geriet ebenfalls ins Visier der Militärregierung: Nachdem der EU-Botschafter per vertraulicher Verbalnote einen besseren Schutz der französischen Botschaft gefordert hatte, begann eine Kampagne gegen die EU in den sozialen Medien.
Nach Mali und der Zentralafrikanischen Republik ziehen französische Soldaten nun aus dem dritten Land auf dem Kontinent ab – dort sind jetzt russische Söldner aktiv. Frankreich unterhält noch Militärbasen in Senegal, Côte d’Ivoire, Niger und Tschad – vor allem in den letzteren beiden Ländern gibt es ebenfalls ein starkes anti-französisches Sentiment, das wie in Burkina Faso historische Gründe hat, aber auch mit dem als arrogant empfundenen Auftreten französischer Regierungsvertreter zu erklären ist.
Neuer Putsch?
Russland versucht nun auch, die in Burkina Faso vorliegenden Spannungen auszunutzen, indem es eine militärische Partnerschaft mit dem Regime anbietet. Die Regierung will 50.000 Freiwillige bewaffnen und braucht Waffen und Ausrüstung – keine Option für den Westen, da immer wiederkehrende Massaker an Zivilisten durch sog. Selbstverteidigungsmilizen eine solche Unterstützung unmöglich machen. Russland steht bereit, zu helfen und wird auch wie in Mali Söldner der Wagner-Gruppe anbieten. Anders als im Nachbarland wird Burkina Faso aber versuchen, deren Einsatz zu vermeiden. Die Regierung rechtfertigte den Abzug der Franzosen schließlich damit, dass jetzt Einheimische den Kampf gegen den Dschihadismus führen würden und keine Ausländer. Burkina Fasos Armee hat außerdem keine so starken historischen Verbindungen zu Russland oder zur früheren Sowjetunion.
Es ist nicht absehbar, dass sich die Lage in Burkina Faso stabilisieren wird. Immer wieder machen außerdem auch Putschgerüchte die Runde, weil innerhalb der Armee der Anti-Frankreich-Kurs umstritten ist. Burkina Faso leidet wie andere Sahelstaaten unter wachsender Armut, Auswirkungen des Klimawandels und einem starken Bevölkerungswachstum – im Schnitt haben Frauen in dem westafrikanischen Land fünf Kinder. Verteilungskämpfe um Wasser und Boden nehmen zu. Dschihadisten und Banditen nutzen diese Konflikte aus, um sich mit benachteiligten Gruppen wie z.B. den Fulbe zu verbünden, die als Vierhirten arbeiten und gegenüber Ackerbauern häufig benachteiligt werden. Es gibt inzwischen fast zwei Millionen Binnenflüchtlinge im Land, und Millionen Kinder gehen nicht zur Schule.
Die humanitäre Lage dürfte sich in jedem Fall verschlechtern. Einige NGOs hatten bereits in den letzten Wochen damit begonnen, Projektmittel und Personal aus Sicherheitsgründen zu verringern. Der Standort Burkina Faso wird mit der Ausweisung der höchsten UN-Vertreterin nicht attraktiver werden. Mit dem Abzug der Franzosen, die u.a. den Flughafen Ouagadougou gesichert haben, dürften weitere Ausländer das Land verlassen. Das heißt u.a., dass humanitäre Hilfe vor allem in den ländlichen Gebieten zurückgefahren wird. Mehr Armut wird dann wieder mehr junge Menschen in die Arme von Dschihadisten treiben, während in Ouagadougou selbst eine schwache Regierung ums Überleben kämpft.
Die von der Regierung nun aufgestellten 50.000 Kämpfer werden der Armee bei der Suche nach Dschihadisten zwar helfen können, weil sich unter ihnen viele Ortskundige in ländlichen Gebieten befinden. Das Risiko ist jedoch, dass diese nur notdürftig ausgebildeten Kräfte nicht zwischen Dschihadisten und Zivilisten unterscheiden können oder werden. Erst im Januar wurden nach Angaben von Bürgerrechtlern Dutzende Zivilisten im Norden des Landes von einer Selbstverteidigungsmiliz getötet. Die Vorgängerregierung von Marc Roch Kabore, die im Januar 2021 von Offizieren gestürzt wurde, hatte diese Milizen ausgerüstet. Dschihadisten nahmen sie ins Visier, worauf diese sich wiederrum pauschal an Mitgliedern der Volksgruppe der Fulbe rächten, bei denen die dschihadistischen Gruppen stark rekrutieren. So ist ein Teufelskreis entstanden, der den Konflikt hat eskalieren lassen. Hoffnung auf eine Besserung ist nicht in Sicht. Deutschland und andere europäische Staaten haben derzeit kaum Einflussmöglichkeiten. Die Programme der Entwicklungszusammenarbeit europäischer Länder gehen erst einmal weiter, dürften aber wegen der sich verschlechterten Sicherheitslage weniger effektiv sein.
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