Reuters
Die Migrationskrise vor der Pandemie
Aufgrund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela hat sich Kolumbien in wenigen Jahren von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland gewandelt. Waren 2015 lediglich 150.000 Migranten gemeldet, gibt die kolumbianische Migrationsbehörde aktuell eine Zahl von etwas über 1,8 Millionen venezolanischen Einwandern an. Das entspricht fast 4 Prozent der kolumbianischen Gesamtbevölkerung (ca. 50 Millionen). Hinzukommen über 500.000 Rückkehrer mit kolumbianischem Pass, die in früheren Jahren auf der Flucht vor dem Konflikt in Kolumbien oder auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten in das Nachbarland ausgewandert waren. Die Belastung durch die Einwanderung von 2,3 Millionen Menschen in wenigen Jahren hatte das kolumbianische Gesundheits- Sozial- und Bildungssystem schon vor der Covid-19-Krise an den Rand seiner Belastungsgrenze gebracht. Felipe Muñoz Gomez, präsidentieller Beauftragter für die Einwanderung aus Venezuela, wies kürzlich auf die beachtlichen Kraftanstrengungen hin, die Kolumbien mit internationaler Unterstützung unternommen hat, um die Notversorgung der Migranten sicherzustellen, die Einwanderung zu regulieren und den Venezolanern in Kolumbien eine wirtschaftliche und soziale Integration zu ermöglichen: 1,8 Millionen Impfungen wurden vorgenommen, 142.000 schwangere Venezolanerinnen medizinisch betreut, 310.000 venezolanische Kinder eingeschult und 44.000 Neugeborenen mit venezolanischen Eltern die kolumbianische Staatsbürgerschaft verliehen. Ca. 800.000 Venezolaner verfügen inzwischen über einen regulären Aufenthaltsstatus. Die großzügige und solidarische Politik der kolumbianischen Regierung und die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung wurden international gewürdigt. Und doch lebte ein Großteil der venezolanischen Migranten schon vor dem Ausbruch der Pandemie in äußerst prekären Umständen. Über 1 Million Venezolaner sind irregulär im Land und haben ohne die notwendigen Dokumente keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und den Sozial- und Bildungssystemen. Der Großteil arbeitet im informellen Sektor, der ohnehin schon als eines der größten Entwicklungshemmnisse Kolumbiens gilt. Nach offiziellen Angaben der Statistikbehörde DANE ist aktuell fast die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung informell tätig.
Ähnlich wie es in Deutschland im Rahmen der Flüchtlingswelle aus Syrien zu beobachten war, stoßen auch in Kolumbien die Solidarität der Bevölkerung mit den venezolanischen Migranten und die lange Zeit praktizierte Willkommenskultur inzwischen an ihre Grenzen. Gerade in den Grenzgebieten zu Venezuela, die ohnehin zu den wirtschaftlich wenig entwickelten Regionen Kolumbiens zählen, waren Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme bereits überlastet. Im Niedriglohnsektor bzw. im informellen Arbeitsmarkt fand ein harter Konkurrenzkampf und Verdrängungswettbewerb statt. Medienberichte über ausländerfeindliche Vorfälle gegen Venezolaner nahmen genauso zu wie Berichte über die Ausbeutung und den Missbrauch von Migranten. Die Ankunft der Covid-19-Pandemie hat die ohnehin schon prekäre Situation noch einmal drastisch verschärft.
Migration und Covid-19 – eine tickende Zeitbombe
Eine der ersten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie war die Schließung der 2219 Kilometer langen Grenze zu Venezuela. Präsident Duque begründete die Grenzschließung mit dem Risiko einer Infektionswelle, die aus Venezuela nach Kolumbien schwappen könnte. Aufgrund der humanitären Notlage und der katastrophalen Situation im venezolanischen Gesundheitssystem geht die kolumbianische Regierung davon aus, dass die Ausbreitung der Epidemie im Nachbarland ein großes Risiko darstellt, zumal die offiziellen Statistiken und Berichte des Maduro-Regimes zur Entwicklung der Gesundheitskrise wenig glaubhaft sind. Im Rahmen der internationalen Geberkonferenz für Leidtragende der humanitären Katastrophe in Venezuela Ende Mai 2020 bezeichnete Staatspräsident Duque Venezuela daher als eine tickende Zeitbombe. Die Pandemie könnte angesichts des katastrophalen Zustands des venezolanischen Gesundheitssystems zu neuen Flüchtlingsströmen führen und gravierende Auswirkungen auf die Grenzregion haben, so die Befürchtungen. Neben den sieben offiziellen Grenzübergängen verstärkte die Regierung Duque auch den Grenzschutz, um die zahlreichen illegalen Grenzübergänge so gut wie möglich abzuriegeln. Unmittelbar betroffen waren zehntausende Pendler in den Grenzregionen, die sich nun nicht mehr mit Lebensmitteln und Medikamenten auf der kolumbianischen Seite versorgen können. Seit dem 24. März gilt in Kolumbien zudem eine nationale Quarantäne, die das öffentliche Leben und die Wirtschaft massiv einschränkt. Besonders betroffen davon sind venezolanische Einwanderer, die zum größten Teil im informellen Arbeitsmarkt, z.B. als Straßenhändler, Tagelöhner oder Haushaltshilfe tätig sind. Viele dieser Personen verfügen über keinerlei soziale Absicherung und keinen festen Wohnsitz. Das tägliche Einkommen muss für die Zimmermiete und Lebensmittelversorgung aufgebracht werden.
Schon die Ankündigung der Quarantäne führte am 23. Mai zu Protesten venezolanischer Migranten in Bogotá. Die Teilnehmer forderten staatliche Unterstützung und machten auf ihren Plakaten deutlich, dass sie den Hunger mehr als das Virus fürchteten. Claudia López, die Bürgermeisterin Bogotás und politische Gegenspielerin von Präsident Duque, erklärte in diesem Zusammenhang, dass ihre Administration sich nur um kolumbianische Bürger kümmern könne, und für die venezolanischen Migranten die nationale Migrationsbehörde zuständig sei. Die nationale Regierung versuchte den Ball zurückzuspielen und nahm ihrerseits die Bürgermeister in die Pflicht. Nachdem bei Plünderungen von Supermärkten einige Venezolaner festgenommen worden waren, verurteilte die Bürgermeisterin diese Ereignisse öffentlich und erklärte, dass die festgenommenen Venezolaner ausgewiesen würden. Zudem warnte sie, dass solche Delikte während der Quarantäne scharf verfolgt würden. Präsident Duque erklärte seinerseits öffentlich, dass man die venezolanischen Einwanderer solidarisch unterstützen wolle, warnte aber ebenfalls, dass Delikte strafrechtlich verfolgt würden. Diese und weitere Äußerungen politischer Repräsentanten verstärkten Tendenzen und Meinungen in der Öffentlichkeit, die venezolanische Migranten unter einen Generalverdacht stellen. Hinzu kamen Falschmeldungen im Internet, die von weiteren Straftaten und Plünderungen durch Einwanderer berichteten. Hasskommentare bezeichneten die Migranten als faul, kriminell und ein Gesundheitsrisiko für Kolumbien. Migranten, die weiterhin versuchen, als fliegende Händler oder Bettler auf der Straße ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schlägt vielerorts Unverständnis, Skepsis und offene Ablehnung entgegen. Die Autofenster bleiben an den Ampeln aus Angst vor Ansteckung geschlossen. Stattdessen erfolgen Zurechtweisungen und Anzeigen, weil die Migranten sich nicht an die Quarantänevorschriften halten. Dass diese Personen häufig kein festes Dach über dem Kopf haben und sich nicht einmal einen Mundschutz leisten können, wird dabei übersehen. Der Wegfall des täglichen Einkommens infolge der Quarantäne hat für die Migranten dramatische Konsequenzen und ist oft mit dem sofortigen Verlust der eigenen Unterkunft verbunden. Zwar hatte die Regierung per Dekret verfügt, dass in der Pandemie Mieter wegen Mietrückstands nicht ihre Wohnung verlieren dürfen. Doch die Realität sieht anders aus. Viele Migranten, die häufig in tageweise zu zahlenden Unterkünften leben, fanden sich umgehend auf der Straße wieder.
Im Mai ließ die Regierung des venezolanischen Interimspräsidenten Guaidó über soziale Netzwerke im Internet eine Befragung venezolanischer Migranten durchführen, die das Ausmaß der Krise verdeutlicht: Demnach haben über zwei Drittel der in Kolumbien lebenden Venezolaner ihren Job verloren. 13 Prozent hatten bereits vor der Krise keine Beschäftigung. 84 Prozent geben an, aktuell ohne jegliche Einkünfte zu sein. Über zwei Drittel haben nach eigenen Angaben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Vier von zehn Venezolanern ziehen angesichts der ausweglosen Situation und der fehlenden Perspektive in Kolumbien eine Rückkehr nach Venezuela in Betracht. Tatsächlich hat in gewissem Umfang bereits eine gegenläufige Migrationsbewegung eingesetzt, die beträchtliche Risiken für Leben und Gesundheit der Migranten sowie der örtlichen Bevölkerung mit sich bringt. Nach offiziellen Angaben der Migrationsbehörde sind von Mitte März bis Ende Mai 2020 über 68.000 Venezolaner zurückgekehrt. Erstmals seit Jahren wurde eine leichte Abnahme der in Kolumbien lebenden Venezolaner (Februar 2020: 1.825.687, März 1.809.872) verzeichnet. Zwar machen die Rückkehrer bislang wenig mehr als drei Prozent der venezolanischen Migranten in Kolumbien aus, doch stellt diese gegenläufige Migration mitten in der Pandemie und Quarantäne die Behörden vor große Herausforderungen.
Um unkontrollierte Wanderungsbewegungen zu vermeiden, eröffnete die Migrationsbehörde einen humanitären Korridor, um rückkehrwilligen Venezolanern einen sicheren Transport zur Grenze zu ermöglichen. Demnach müssen sich die Migranten bei den Bürgermeistern und Gouverneuren melden, welche den Bustransport mit der Migrationsbehörde abstimmen und organisieren sollen. Allerdings fehlen den lokalen Behörden die finanziellen Mittel, um die Transporte durchzuführen. Neben der ungeklärten Kostenfrage erweist es sich als nahezu unmöglich, die gesundheitlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen. Teilweise sind die Busse überfüllt; die Insassen verfügen über keine Schutzmasken und können Sicherheitsabstände nicht einhalten. Die kolumbianische Regierung sieht sich mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits möchte man keine Anreize für eine größere Migrationsbewegung Richtung Grenze setzen, weil damit höchstgefährdete Personengruppen auf ihrer Reise das Virus potentiell weiterverbreiten könnten. Andererseits ist die venezolanische Bevölkerung in ihrer prekären Lage, oftmals ohne Dach über dem Kopf, ebenfalls ein großer Risikofaktor in den kolumbianischen Städten. Neben den offiziellen Transporten finden trotz der Unterbrechung des interregionalen Verkehrs und Straßenkontrollen auch illegale Transporte statt. Die lokalen Behörden in den Grenzregionen berichten, dass die Zahl der ankommenden Venezolaner die Zahl der offiziell registrierten Transporte weit übersteigt. Noch gravierender ist die Situation für die Gruppe von Migranten, die durch die Pandemie ihren Lebensunterhalt verloren haben und die weder einen Platz in einem offiziellen Rücktransport bekommen noch eine illegale Transportmöglichkeit finanzieren können. Hunderte von Migranten, darunter Familien mit kleinen Kindern, wandern zu Fuß entlang der Straßen Richtung Venezuela und sind von der Solidarität der örtlichen Behörden und Bevölkerung abhängig.
Einmal an der Grenze angekommen, ist die Rückkehr nach Venezuela keineswegs gesichert. Denn die Stigmatisierung der Migranten als Gesundheitsrisiko findet auf beiden Seiten der Grenze statt. Ende Mai beschuldigte der venezolanische Diktator Nicolás Maduro die kolumbianische Regierung, bewusst mit Covid-19 infizierte Venezolaner zurückzuschicken, um die Epidemie in Venezuela zu verbreiten. Rückkehrer müssen sich in Venezuela in eine zweiwöchige Quarantäne begeben; die Bedingungen sind häufig prekär. Es fehlt nach Augenzeugenberichten an ärztlicher Versorgung, Nahrungsmitteln und fließendem Wasser. Hinzu kommen Drangsalierungen durch die venezolanischen Sicherheitskräfte, welche in den Rückkehrern wahlweise ein Gesundheitsrisiko, Vaterlandsverräter oder kolumbianische Spione sehen. Venezuela ist in keiner Weise auf die Rückkehr tausender Landleute vorbereitet. Das Gesundheitssystem im Land ist schon lange vor Beginn der Corona-Pandemie zusammengebrochen und die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten ist weder für die Rückkehrer noch für die heimische Bevölkerung gewährleistet. Vor diesem Hintergrund beschränkt das Regime Maduro die Rücknahme venezolanischer Rückkehrer massiv, was zu einem Stau von Ausreisewilligen auf kolumbianischer Seite führt. Die jüngste Ankündigung, nur noch an drei Tagen in der Woche jeweils 400 Rückkehrer ins Land zu lassen, könnte zu einem Kollaps in den kolumbianischen Grenzstädten führen.
In der kolumbianischen Grenzregion Norte de Santander mit der Hauptstadt Cúcuta, von jeher ein Epizentrum der venezolanisch-kolumbianischen Migration, warten bereits Tausende von rückkehrwilligen Venezolanern auf die Erlaubnis zum Grenzübertritt. Lokale Behörden, nationale Regierung und internationale Hilfsorganisationen bemühen sich um den Aufbau einer Notversorgung, um Unterkunft, Nahrung und gesundheitliche Betreuung der Gestrandeten sicherzustellen. Die entbehrungsreiche Reise zu Fuß oder im Bus aus allen Teilen Kolumbiens oder sogar aus Chile, Peru und Ecuador endet für Tausende Venezolaner vorerst in Notunterkünften auf kolumbianischer Seite. Hier stehen sie vor der Wahl, entweder auf einen Platz in einem Kontingent für einen offiziellen Grenzübertritt zu warten, oder die Reise über einen der illegalen, von kriminellen Gruppen kontrollierten, Grenzübergänge zu wagen.
Krisenmanagement und internationale Kooperation
Die Pandemie führt zu einer drastischen Zuspitzung der Migrationskrise in Kolumbien. Ein rascher Anstieg der Infektionszahlen im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet könnte verheerende Auswirkungen auf beide Länder haben. Die kolumbianische Regierung ist daher weiterhin dringend auf internationale Unterstützung zur Bewältigung der doppelten Krise von Migration und Pandemie angewiesen. Die Ende Mai von UN, EU und Spanien ausgerichtete Geberkonferenz zur Unterstützung der venezolanischen Flüchtlinge und Migranten war daher ein wichtiger Schritt. Trotz umfangreicher Zusagen in Höhe von insgesamt 2,5 Milliarden Euro sind die notwendigen Maßnahmen jedoch nicht auseichend finanziert. Nach Angaben der kolumbianischen Regierung hat Kolumbien in den letzten drei Jahren 3 Milliarden US-Dollar für die Bewältigung der Migrationskrise ausgegeben. Für 2020 wurden 1,4 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Aus internationalen Hilfszahlungen hat Kolumbien jedoch erst 4 Prozent dieser Summe erhalten. Die jetzt gemachten Zusagen beziehen sich nicht nur auf 2020, sondern auch auf die Folgejahre, d.h. nur ein Teil der Hilfen fließt noch in diesem Jahr. Nur 595 Millionen Euros sind Spenden; der Großteil der Unterstützung sind Sonderkredite und andere Finanzierungsmechanismen. Das Gesamtpaket kommt zudem nicht nur Kolumbien, sondern auch anderen Ländern der Region zu Gute, so dass die Regierung Duque davon ausgeht, lediglich 45 Prozent der 2020 notwendigen Summe aus internationalen Töpfen decken zu können. Die Herausforderung, im Kontext der Covid-19-Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise zusätzliche Ausgaben für die Bekämpfung der Migrations- und Flüchtlingskrise zu schultern, ist gewaltig. Zumal Kolumbien sich nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den FARC noch mitten in einem langwierigen und mit vielen Rückschlägen verbundenen Friedensprozess befindet, der ebenfalls mit Ressourcen unterfüttert werden muss.
Der Exodus aus Venezuela mit inzwischen über 5 Millionen Migranten, davon 1,8 Millionen in Kolumbien, ist nach Syrien die weltweit größte Flüchtlingskrise und bedrohte schon vor der Pandemie die Stabilität einer ganzen Region. Die Anstrengungen der internationalen Partner, Kolumbien bei der Bewältigung der Doppelkrise zu unterstützen sind erheblich, aber nicht ausreichend. Noch ist die Pandemie in Kolumbien nicht in vollem Umfang angekommen; doch trotz Quarantäne und umfangreicher Maßnahmen steigen die Infektionszahlen inzwischen schneller an. Die venezolanischen Migranten im Land bilden aufgrund der prekären Lebensverhältnisse eine Hochrisikogruppe, die besondere Schutz- und Betreuungsmaßnahmen benötigt. Ob die aktuellen Vorkehrungen, welche die kolumbianische Regierung mit internationaler Unterstützung trifft, ausreichend sind, ist fraglich. Der Kampf gegen die Pandemie gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit, der sich auch daran entscheidet, wie gut es gelingt, die Migrationsbewegungen in beide Richtungen – aus Venezuela und nach Venezuela – zu kontrollieren und die Migranten bestmöglich zu betreuen und zu schützen. Für diesen Wettlauf ist Kolumbien auf die Unterstützung seiner internationalen Partner und Freunde angewiesen.
Dringend notwendig wären zudem Kommunikationskanäle mit dem Regime von Nicolás Maduro, um trotz der scharfen politischen Gegensätze zumindest in Ansätzen ein grenzübergreifendes Krisenmanagement zu entwickeln. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen herrscht jedoch offiziell Funkstille und Misstrauen auf beiden Seiten der Grenze. Die Zukunft beider Länder ist durch die Migrations- und Covid-19-Krise eng miteinander verknüpft. Der politische Preis einer Kooperation mit einer Diktatur, deren Machthaber von Kolumbien nicht anerkannt wird, erscheint der Regierung Duque noch zu hoch. Auch das venezolanische Regime scheint bislang die Konfrontation der Kooperation vorzuziehen, wie die öffentlichen Anschuldigungen Maduros deutlich machen. Der Preis für die Verweigerung einer minimalen Zusammenarbeit in der Pandemie könnte jedoch am Ende für beide Seiten höher sein. Leidtragende wären einmal mehr die venezolanischen Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze.
Aufgrund der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise in Venezuela hat sich Kolumbien in wenigen Jahren von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland gewandelt. Waren 2015 lediglich 150.000 Migranten gemeldet, gibt die kolumbianische Migrationsbehörde aktuell eine Zahl von etwas über 1,8 Millionen venezolanischen Einwandern an. Das entspricht fast 4 Prozent der kolumbianischen Gesamtbevölkerung (ca. 50 Millionen). Hinzukommen über 500.000 Rückkehrer mit kolumbianischem Pass, die in früheren Jahren auf der Flucht vor dem Konflikt in Kolumbien oder auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten in das Nachbarland ausgewandert waren. Die Belastung durch die Einwanderung von 2,3 Millionen Menschen in wenigen Jahren hatte das kolumbianische Gesundheits- Sozial- und Bildungssystem schon vor der Covid-19-Krise an den Rand seiner Belastungsgrenze gebracht. Felipe Muñoz Gomez, präsidentieller Beauftragter für die Einwanderung aus Venezuela, wies kürzlich auf die beachtlichen Kraftanstrengungen hin, die Kolumbien mit internationaler Unterstützung unternommen hat, um die Notversorgung der Migranten sicherzustellen, die Einwanderung zu regulieren und den Venezolanern in Kolumbien eine wirtschaftliche und soziale Integration zu ermöglichen: 1,8 Millionen Impfungen wurden vorgenommen, 142.000 schwangere Venezolanerinnen medizinisch betreut, 310.000 venezolanische Kinder eingeschult und 44.000 Neugeborenen mit venezolanischen Eltern die kolumbianische Staatsbürgerschaft verliehen. Ca. 800.000 Venezolaner verfügen inzwischen über einen regulären Aufenthaltsstatus. Die großzügige und solidarische Politik der kolumbianischen Regierung und die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung wurden international gewürdigt. Und doch lebte ein Großteil der venezolanischen Migranten schon vor dem Ausbruch der Pandemie in äußerst prekären Umständen. Über 1 Million Venezolaner sind irregulär im Land und haben ohne die notwendigen Dokumente keinen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und den Sozial- und Bildungssystemen. Der Großteil arbeitet im informellen Sektor, der ohnehin schon als eines der größten Entwicklungshemmnisse Kolumbiens gilt. Nach offiziellen Angaben der Statistikbehörde DANE ist aktuell fast die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung informell tätig.
Ähnlich wie es in Deutschland im Rahmen der Flüchtlingswelle aus Syrien zu beobachten war, stoßen auch in Kolumbien die Solidarität der Bevölkerung mit den venezolanischen Migranten und die lange Zeit praktizierte Willkommenskultur inzwischen an ihre Grenzen. Gerade in den Grenzgebieten zu Venezuela, die ohnehin zu den wirtschaftlich wenig entwickelten Regionen Kolumbiens zählen, waren Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme bereits überlastet. Im Niedriglohnsektor bzw. im informellen Arbeitsmarkt fand ein harter Konkurrenzkampf und Verdrängungswettbewerb statt. Medienberichte über ausländerfeindliche Vorfälle gegen Venezolaner nahmen genauso zu wie Berichte über die Ausbeutung und den Missbrauch von Migranten. Die Ankunft der Covid-19-Pandemie hat die ohnehin schon prekäre Situation noch einmal drastisch verschärft.
Migration und Covid-19 – eine tickende Zeitbombe
Eine der ersten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie war die Schließung der 2219 Kilometer langen Grenze zu Venezuela. Präsident Duque begründete die Grenzschließung mit dem Risiko einer Infektionswelle, die aus Venezuela nach Kolumbien schwappen könnte. Aufgrund der humanitären Notlage und der katastrophalen Situation im venezolanischen Gesundheitssystem geht die kolumbianische Regierung davon aus, dass die Ausbreitung der Epidemie im Nachbarland ein großes Risiko darstellt, zumal die offiziellen Statistiken und Berichte des Maduro-Regimes zur Entwicklung der Gesundheitskrise wenig glaubhaft sind. Im Rahmen der internationalen Geberkonferenz für Leidtragende der humanitären Katastrophe in Venezuela Ende Mai 2020 bezeichnete Staatspräsident Duque Venezuela daher als eine tickende Zeitbombe. Die Pandemie könnte angesichts des katastrophalen Zustands des venezolanischen Gesundheitssystems zu neuen Flüchtlingsströmen führen und gravierende Auswirkungen auf die Grenzregion haben, so die Befürchtungen. Neben den sieben offiziellen Grenzübergängen verstärkte die Regierung Duque auch den Grenzschutz, um die zahlreichen illegalen Grenzübergänge so gut wie möglich abzuriegeln. Unmittelbar betroffen waren zehntausende Pendler in den Grenzregionen, die sich nun nicht mehr mit Lebensmitteln und Medikamenten auf der kolumbianischen Seite versorgen können. Seit dem 24. März gilt in Kolumbien zudem eine nationale Quarantäne, die das öffentliche Leben und die Wirtschaft massiv einschränkt. Besonders betroffen davon sind venezolanische Einwanderer, die zum größten Teil im informellen Arbeitsmarkt, z.B. als Straßenhändler, Tagelöhner oder Haushaltshilfe tätig sind. Viele dieser Personen verfügen über keinerlei soziale Absicherung und keinen festen Wohnsitz. Das tägliche Einkommen muss für die Zimmermiete und Lebensmittelversorgung aufgebracht werden.
Schon die Ankündigung der Quarantäne führte am 23. Mai zu Protesten venezolanischer Migranten in Bogotá. Die Teilnehmer forderten staatliche Unterstützung und machten auf ihren Plakaten deutlich, dass sie den Hunger mehr als das Virus fürchteten. Claudia López, die Bürgermeisterin Bogotás und politische Gegenspielerin von Präsident Duque, erklärte in diesem Zusammenhang, dass ihre Administration sich nur um kolumbianische Bürger kümmern könne, und für die venezolanischen Migranten die nationale Migrationsbehörde zuständig sei. Die nationale Regierung versuchte den Ball zurückzuspielen und nahm ihrerseits die Bürgermeister in die Pflicht. Nachdem bei Plünderungen von Supermärkten einige Venezolaner festgenommen worden waren, verurteilte die Bürgermeisterin diese Ereignisse öffentlich und erklärte, dass die festgenommenen Venezolaner ausgewiesen würden. Zudem warnte sie, dass solche Delikte während der Quarantäne scharf verfolgt würden. Präsident Duque erklärte seinerseits öffentlich, dass man die venezolanischen Einwanderer solidarisch unterstützen wolle, warnte aber ebenfalls, dass Delikte strafrechtlich verfolgt würden. Diese und weitere Äußerungen politischer Repräsentanten verstärkten Tendenzen und Meinungen in der Öffentlichkeit, die venezolanische Migranten unter einen Generalverdacht stellen. Hinzu kamen Falschmeldungen im Internet, die von weiteren Straftaten und Plünderungen durch Einwanderer berichteten. Hasskommentare bezeichneten die Migranten als faul, kriminell und ein Gesundheitsrisiko für Kolumbien. Migranten, die weiterhin versuchen, als fliegende Händler oder Bettler auf der Straße ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schlägt vielerorts Unverständnis, Skepsis und offene Ablehnung entgegen. Die Autofenster bleiben an den Ampeln aus Angst vor Ansteckung geschlossen. Stattdessen erfolgen Zurechtweisungen und Anzeigen, weil die Migranten sich nicht an die Quarantänevorschriften halten. Dass diese Personen häufig kein festes Dach über dem Kopf haben und sich nicht einmal einen Mundschutz leisten können, wird dabei übersehen. Der Wegfall des täglichen Einkommens infolge der Quarantäne hat für die Migranten dramatische Konsequenzen und ist oft mit dem sofortigen Verlust der eigenen Unterkunft verbunden. Zwar hatte die Regierung per Dekret verfügt, dass in der Pandemie Mieter wegen Mietrückstands nicht ihre Wohnung verlieren dürfen. Doch die Realität sieht anders aus. Viele Migranten, die häufig in tageweise zu zahlenden Unterkünften leben, fanden sich umgehend auf der Straße wieder.
Im Mai ließ die Regierung des venezolanischen Interimspräsidenten Guaidó über soziale Netzwerke im Internet eine Befragung venezolanischer Migranten durchführen, die das Ausmaß der Krise verdeutlicht: Demnach haben über zwei Drittel der in Kolumbien lebenden Venezolaner ihren Job verloren. 13 Prozent hatten bereits vor der Krise keine Beschäftigung. 84 Prozent geben an, aktuell ohne jegliche Einkünfte zu sein. Über zwei Drittel haben nach eigenen Angaben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Vier von zehn Venezolanern ziehen angesichts der ausweglosen Situation und der fehlenden Perspektive in Kolumbien eine Rückkehr nach Venezuela in Betracht. Tatsächlich hat in gewissem Umfang bereits eine gegenläufige Migrationsbewegung eingesetzt, die beträchtliche Risiken für Leben und Gesundheit der Migranten sowie der örtlichen Bevölkerung mit sich bringt. Nach offiziellen Angaben der Migrationsbehörde sind von Mitte März bis Ende Mai 2020 über 68.000 Venezolaner zurückgekehrt. Erstmals seit Jahren wurde eine leichte Abnahme der in Kolumbien lebenden Venezolaner (Februar 2020: 1.825.687, März 1.809.872) verzeichnet. Zwar machen die Rückkehrer bislang wenig mehr als drei Prozent der venezolanischen Migranten in Kolumbien aus, doch stellt diese gegenläufige Migration mitten in der Pandemie und Quarantäne die Behörden vor große Herausforderungen.
Um unkontrollierte Wanderungsbewegungen zu vermeiden, eröffnete die Migrationsbehörde einen humanitären Korridor, um rückkehrwilligen Venezolanern einen sicheren Transport zur Grenze zu ermöglichen. Demnach müssen sich die Migranten bei den Bürgermeistern und Gouverneuren melden, welche den Bustransport mit der Migrationsbehörde abstimmen und organisieren sollen. Allerdings fehlen den lokalen Behörden die finanziellen Mittel, um die Transporte durchzuführen. Neben der ungeklärten Kostenfrage erweist es sich als nahezu unmöglich, die gesundheitlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen. Teilweise sind die Busse überfüllt; die Insassen verfügen über keine Schutzmasken und können Sicherheitsabstände nicht einhalten. Die kolumbianische Regierung sieht sich mit einem Dilemma konfrontiert. Einerseits möchte man keine Anreize für eine größere Migrationsbewegung Richtung Grenze setzen, weil damit höchstgefährdete Personengruppen auf ihrer Reise das Virus potentiell weiterverbreiten könnten. Andererseits ist die venezolanische Bevölkerung in ihrer prekären Lage, oftmals ohne Dach über dem Kopf, ebenfalls ein großer Risikofaktor in den kolumbianischen Städten. Neben den offiziellen Transporten finden trotz der Unterbrechung des interregionalen Verkehrs und Straßenkontrollen auch illegale Transporte statt. Die lokalen Behörden in den Grenzregionen berichten, dass die Zahl der ankommenden Venezolaner die Zahl der offiziell registrierten Transporte weit übersteigt. Noch gravierender ist die Situation für die Gruppe von Migranten, die durch die Pandemie ihren Lebensunterhalt verloren haben und die weder einen Platz in einem offiziellen Rücktransport bekommen noch eine illegale Transportmöglichkeit finanzieren können. Hunderte von Migranten, darunter Familien mit kleinen Kindern, wandern zu Fuß entlang der Straßen Richtung Venezuela und sind von der Solidarität der örtlichen Behörden und Bevölkerung abhängig.
Einmal an der Grenze angekommen, ist die Rückkehr nach Venezuela keineswegs gesichert. Denn die Stigmatisierung der Migranten als Gesundheitsrisiko findet auf beiden Seiten der Grenze statt. Ende Mai beschuldigte der venezolanische Diktator Nicolás Maduro die kolumbianische Regierung, bewusst mit Covid-19 infizierte Venezolaner zurückzuschicken, um die Epidemie in Venezuela zu verbreiten. Rückkehrer müssen sich in Venezuela in eine zweiwöchige Quarantäne begeben; die Bedingungen sind häufig prekär. Es fehlt nach Augenzeugenberichten an ärztlicher Versorgung, Nahrungsmitteln und fließendem Wasser. Hinzu kommen Drangsalierungen durch die venezolanischen Sicherheitskräfte, welche in den Rückkehrern wahlweise ein Gesundheitsrisiko, Vaterlandsverräter oder kolumbianische Spione sehen. Venezuela ist in keiner Weise auf die Rückkehr tausender Landleute vorbereitet. Das Gesundheitssystem im Land ist schon lange vor Beginn der Corona-Pandemie zusammengebrochen und die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten ist weder für die Rückkehrer noch für die heimische Bevölkerung gewährleistet. Vor diesem Hintergrund beschränkt das Regime Maduro die Rücknahme venezolanischer Rückkehrer massiv, was zu einem Stau von Ausreisewilligen auf kolumbianischer Seite führt. Die jüngste Ankündigung, nur noch an drei Tagen in der Woche jeweils 400 Rückkehrer ins Land zu lassen, könnte zu einem Kollaps in den kolumbianischen Grenzstädten führen.
In der kolumbianischen Grenzregion Norte de Santander mit der Hauptstadt Cúcuta, von jeher ein Epizentrum der venezolanisch-kolumbianischen Migration, warten bereits Tausende von rückkehrwilligen Venezolanern auf die Erlaubnis zum Grenzübertritt. Lokale Behörden, nationale Regierung und internationale Hilfsorganisationen bemühen sich um den Aufbau einer Notversorgung, um Unterkunft, Nahrung und gesundheitliche Betreuung der Gestrandeten sicherzustellen. Die entbehrungsreiche Reise zu Fuß oder im Bus aus allen Teilen Kolumbiens oder sogar aus Chile, Peru und Ecuador endet für Tausende Venezolaner vorerst in Notunterkünften auf kolumbianischer Seite. Hier stehen sie vor der Wahl, entweder auf einen Platz in einem Kontingent für einen offiziellen Grenzübertritt zu warten, oder die Reise über einen der illegalen, von kriminellen Gruppen kontrollierten, Grenzübergänge zu wagen.
Krisenmanagement und internationale Kooperation
Die Pandemie führt zu einer drastischen Zuspitzung der Migrationskrise in Kolumbien. Ein rascher Anstieg der Infektionszahlen im kolumbianisch-venezolanischen Grenzgebiet könnte verheerende Auswirkungen auf beide Länder haben. Die kolumbianische Regierung ist daher weiterhin dringend auf internationale Unterstützung zur Bewältigung der doppelten Krise von Migration und Pandemie angewiesen. Die Ende Mai von UN, EU und Spanien ausgerichtete Geberkonferenz zur Unterstützung der venezolanischen Flüchtlinge und Migranten war daher ein wichtiger Schritt. Trotz umfangreicher Zusagen in Höhe von insgesamt 2,5 Milliarden Euro sind die notwendigen Maßnahmen jedoch nicht auseichend finanziert. Nach Angaben der kolumbianischen Regierung hat Kolumbien in den letzten drei Jahren 3 Milliarden US-Dollar für die Bewältigung der Migrationskrise ausgegeben. Für 2020 wurden 1,4 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Aus internationalen Hilfszahlungen hat Kolumbien jedoch erst 4 Prozent dieser Summe erhalten. Die jetzt gemachten Zusagen beziehen sich nicht nur auf 2020, sondern auch auf die Folgejahre, d.h. nur ein Teil der Hilfen fließt noch in diesem Jahr. Nur 595 Millionen Euros sind Spenden; der Großteil der Unterstützung sind Sonderkredite und andere Finanzierungsmechanismen. Das Gesamtpaket kommt zudem nicht nur Kolumbien, sondern auch anderen Ländern der Region zu Gute, so dass die Regierung Duque davon ausgeht, lediglich 45 Prozent der 2020 notwendigen Summe aus internationalen Töpfen decken zu können. Die Herausforderung, im Kontext der Covid-19-Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise zusätzliche Ausgaben für die Bekämpfung der Migrations- und Flüchtlingskrise zu schultern, ist gewaltig. Zumal Kolumbien sich nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den FARC noch mitten in einem langwierigen und mit vielen Rückschlägen verbundenen Friedensprozess befindet, der ebenfalls mit Ressourcen unterfüttert werden muss.
Der Exodus aus Venezuela mit inzwischen über 5 Millionen Migranten, davon 1,8 Millionen in Kolumbien, ist nach Syrien die weltweit größte Flüchtlingskrise und bedrohte schon vor der Pandemie die Stabilität einer ganzen Region. Die Anstrengungen der internationalen Partner, Kolumbien bei der Bewältigung der Doppelkrise zu unterstützen sind erheblich, aber nicht ausreichend. Noch ist die Pandemie in Kolumbien nicht in vollem Umfang angekommen; doch trotz Quarantäne und umfangreicher Maßnahmen steigen die Infektionszahlen inzwischen schneller an. Die venezolanischen Migranten im Land bilden aufgrund der prekären Lebensverhältnisse eine Hochrisikogruppe, die besondere Schutz- und Betreuungsmaßnahmen benötigt. Ob die aktuellen Vorkehrungen, welche die kolumbianische Regierung mit internationaler Unterstützung trifft, ausreichend sind, ist fraglich. Der Kampf gegen die Pandemie gleicht einem Wettlauf gegen die Zeit, der sich auch daran entscheidet, wie gut es gelingt, die Migrationsbewegungen in beide Richtungen – aus Venezuela und nach Venezuela – zu kontrollieren und die Migranten bestmöglich zu betreuen und zu schützen. Für diesen Wettlauf ist Kolumbien auf die Unterstützung seiner internationalen Partner und Freunde angewiesen.
Dringend notwendig wären zudem Kommunikationskanäle mit dem Regime von Nicolás Maduro, um trotz der scharfen politischen Gegensätze zumindest in Ansätzen ein grenzübergreifendes Krisenmanagement zu entwickeln. Seit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen herrscht jedoch offiziell Funkstille und Misstrauen auf beiden Seiten der Grenze. Die Zukunft beider Länder ist durch die Migrations- und Covid-19-Krise eng miteinander verknüpft. Der politische Preis einer Kooperation mit einer Diktatur, deren Machthaber von Kolumbien nicht anerkannt wird, erscheint der Regierung Duque noch zu hoch. Auch das venezolanische Regime scheint bislang die Konfrontation der Kooperation vorzuziehen, wie die öffentlichen Anschuldigungen Maduros deutlich machen. Der Preis für die Verweigerung einer minimalen Zusammenarbeit in der Pandemie könnte jedoch am Ende für beide Seiten höher sein. Leidtragende wären einmal mehr die venezolanischen Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze.
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