Länderberichte
Reaktionen auf die Rede des Bundeskanzlers vor den Vertriebenen
Aber nicht nur der Kanzler sorgte für Schlagzeilen in der tschechischen Presse. Der Vorschlag von EU-Kommissar Günter Verheugen, in Deutschland ein Referendum über die EU-Osterweiterung durchzuführen, fand ebenso die ungeteilte Aufmerksamkeit der großen tschechischen Tageszeitungen. Seine Äußerungen wurden, im Unterschied zu Schröders Auftritt, nicht nur berichtend reflektiert, sondern auch kommentiert.
Mit Genugtuung vermerkten die tschechischen Medien, dass der Kanzler keine Abstriche von seinen bekannten Aussagen gegenüber den Nachbarn im Osten machte. Gerhard Schröder ließ keinen Zweifel, dass es für die rot-grüne Koalitionsregierung in Deutschland keine Ansprüche aus der Vergangenheit gegenüber Tschechien geben werde.
Der bekannte Politologe Bohumil Dolezal kritisierte in einem Kommentar für die tschechische Tageszeitung "Lidove noviny" und die deutschsprachige Wochenzeitung "Prager Zeitung" die einseitige Interpretation der Rede Schröders durch die tschechischen Medien. Schröder habe in seiner Rede die Vertreibung nach dem Krieg unzweideutig verurteilt und diese als Verbrechen und Unrecht bezeichnet und stellte zugleich eine Parallele zu der Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo und den Vertreibungen in Ruanda her.
Dolezal weiter: "In diesem Zusammenhang merkte der Kanzler auch an (was von der tschechischen Presse freudig zitiert wurde), dass die Vertriebenen Opfer der verbrecherischen Politik des Nationalsozialismus waren. Der Kanzler fügte allerdings noch hinzu, dass sie dies ohne eigene Schuld wurden." Diese Ergänzung, so merkte Dolezal kritisch an, sei von der tschechischen Presse nicht registriert worden.
Dolezal wirft jedoch dem deutschen Kanzler vor, den Erklärungen von Ministerpräsident Zeman über die erloschenen Dekrete mehr Gewicht beizumessen, als damit tatsächlich gemeint sei. "Für Zeman bedeutet erloschen keine Distanz, keine Ablehnung, sondern die Dekrete waren in Ordnung, heute werden wir sie jedoch nicht mehr anwenden".
Die ungeteilte Zustimmung Dolezals findet die Verurteilung der Vertreibung durch Schröder.
Dolezal merkt dazu an, dass die deutsche Regierung gleichzeitig deutlich gemacht habe, in dieser Frage die schwächeren Nachbarn nicht unter Druck zu setzen. "Zu Anstand und Gerechtigkeit kann niemand gezwungen werden", schließt der Politologe ab.
Referendum zur EU-Erweiterung: Verheugens Vorschlag stößt auf Kritik
Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen hat mit seinem Vorschlag, durch ein Referendum über die geplante Osterweiterung der EU zu entscheiden, europaweit eine heftige Diskussion losgetreten. Viele der osteuropäischen Beitrittskandidaten kommentierten Verheugens Aussagen zurückhaltend. "Es ist kein Bestandteil der deutschen Politik, ich habe das Gefühl, dass die Idee aus unterschiedlichen Gründen jeglicher inneren Logik entbehrt", sagte Tschechiens Staatspräsident Vaclav Havel. Regierungssprecher Libor Roucek formulierte es vorsichtiger: "Der Tschechischen Republik stünde es nicht zu, Deutschland in dieser Frage Ratschläge zu erteilen".
Die größte tschechische Tageszeitung "Mlada fronta dnes" vermutet, dass die Meinung der Öffentlichkeit, auf die sich Verheugen beruft, eines der größten Hindernisse sei, an denen eine EU-Mitgliedschaft Tschechiens scheitern könnte. Zumal bald in den Schlüsselländern der EU Parlamentswahlen anstünden und niemand garantieren könne, dass sich bei dem Kampf um Wählerstimmen nicht doch noch jemand des Themas der EU-Erweiterung annimmt und die Armut der Beitrittskandidaten thematisiert.
In der Tageszeitung "Pravo" konstatiert der Kommentator, dass man in Tschechien nun endlich wüsste, wie es um einen EU-Beitritt bestellt sei. Erst habe Günter Verheugen mit seinem Vorschlag eines Referendums in Deutschland schockiert, dann habe der deutsche Außenminister Joschka Fischer klar gestellt, dass ein Beitritt erst 2005 möglich sein werde. Und weil in der Europäischen Union jede Entscheidung von der Zustimmung Deutschlands abhängig sei, dürfe man sich in Tschechien keinen Illusionen über einen früheren Beitritt hingeben.
Die Tageszeitung wirft insbesondere Verheugen vor, den Nationalisten, die sich gern als Euroskeptiker bezeichnen, neue Argumente geliefert zu haben. Bei den schlecht informierten Bürgern der EU-Beitrittskandidaten würden Verheugens Äußerungen Misstrauen und Ablehnung zu einem EU-Beitritt bestärken.
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