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Regierung wider die nationale Einheit

von Marc Frings

Vor welchen Herausforderungen steht das neue Kabinett der Palästinensischen Autonomiebehörde?

Die Palästinensische Autonomiebehörde hat eine neue Regierung: nach dem Rücktritt des bisherigen Premierministers Rami Hamdallah (29.01.2019) und der Ernennung von Mohammad Shtayyeh (10.03.2019) wurde am 13. April eine neue Regierung vorgestellt und vereidigt. Demokratische Wahlen sind der Regierungsbildung nicht vorausgegangen. Auch die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas macht keine Fortschritte. So ist es wenig verwunderlich, dass die Palästinenser der Autonomiebehörde mehrheitlich nicht zutrauen, die zentralen nationalen Herausforderungen zu meistern.

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​​​​​​​​​​​​​​Das Mandat des neuen Premierministers Mohammad Shtayyeh

Die Ernennung Mohammad Shtayyehs zum Premierminister verknüpfte Präsident Mahmud Abbas im März mit einer sieben Punkte umfassenden Prioritätenliste:

  1. Wiederherstellung der nationalen Einheit und Reintegration des Gazastreifens in einen legitimen Regierungsrahmen;
  2. Vorbereitung von Wahlen (da Bezug zum PA-Grundgesetz genommen wird, sind damit Wahlen für den Legislativrat und das Präsidentenamt gemeint);
  3. Unterstützung für Opfer und Opferangehörige der Besatzung. Genannt werden u.a. Verletzte, „Märtyrer“ und die Palästinenser in israelischen Gefängnissen;[1]
  4. Förderung der Resilienz im Angesicht von Besatzung und Siedlungen;
  5. Verteidigung Jerusalems mit den für Christen und Muslimen heiligen Stätten und Förderung der Resilienz der palästinensischen Bevölkerung Ost-Jerusalems;
  6. Staats- und Institutionenaufbau, Wirtschaftsinvestitionen, Förderung von Frauen und Jugend, Stärkung einer Kultur des Friedens und der Rechtsstaatlichkeit mit einer unabhängigen Justiz (inklusive Rechtsschutz und v.a. Meinungsfreiheit);
  7. Förderung der Zusammenarbeit zwischen der Autonomiebehörde und privater sowie zivilgesellschaftlicher Gruppen auf der Grundlage kollektiver Verantwortung, um die Unabhängigkeit und die Errichtung staatlicher Institutionen zu erreichen.

Diese Vorgaben zeigen die zentralen Herausforderungen der Palästinenser auf und belegen zugleich, dass in den vergangenen Jahren die Probleme deutlich größer, komplexer und unüberwindbarer geworden sind:

Priorität 1: Versöhnung

Die palästinensischen Bewegungen Fatah und Hamas sind weit von einer Versöhnung entfernt; das letzte Abkommen wurde im Oktober 2017 unterzeichnet. Doch mit einem fehlgeschlagenen Attentatsversuch auf den damaligen Premier und dessen Sicherheitschef im Gazastreifen scheiterte die Annäherung. Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass unter Präsident Abbas eine Versöhnung beabsichtigt und vorangetrieben wird: zu folgenschwer wäre es für seine PA, die Kontrolle über den Gazastreifen zurückzuerlangen, zumal auch der Rückhalt innerhalb seiner Fatah-Bewegung entlang der Küste gering ausfällt.

Priorität 2: Wahlen

Schon die Regierungsumbildung geschah nicht auf der Grundlage demokratischer Wahlen. Die politische Führung weigert sich, Wahlen abzuhalten, solange nicht klar ist, ob auch die Palästinenser in Gaza und Ost-Jerusalem teilnehmen könnten. Zudem ist eine Wahlniederlage der Fatah derzeit naheliegend. Im Augenblick liegen zwei konkurrierende Optionen vor: entweder man wählt zunächst die PA-Institutionen neu (die Amtszeit von Präsident Abbas endete 2009, während der Legislativrat, dessen Legislaturperiode 2010 endete, im Dezember 2018 per Präsidentendekret aufgelöst wurde) und setzt ein Zeichen in den Staatsaufbau oder man bemüht sich um eine Einbindung von Hamas und Islamischen Jihad in die bislang säkulare PLO, um so der nationalen Befreiung Vorrang einzuräumen. Beide Institutionen – PA und PLO – werden von einer gealterten Machtelite geführt und bedürfen dringend einer demokratischen, personellen und ideologischen Erneuerung.

Priorität 3: Unterstützung der Märtyrer

Der Forderung, die finanzielle und ideelle Unterstützung des Märtyrerfonds und der Gefangenenunterstützung fortzusetzen, hat strategische Bedeutung: Die israelische Knesset hatte mit einem Gesetz im Juli 2018 entschieden, künftig die monatlichen Transfers der für die Autonomiebehörde erhobenen Importzölle um die Summe zu reduzieren, die die palästinensische Führung an Personengruppen weiterleitet, die aus israelischer Sicht Terroristen sind.[2] Präsident Abbas entschied daraufhin, die Überweisungen – Geld also, das den Palästinensern zusteht – komplett abzulehnen, um seine Ablehnung gegen die israelische Entscheidung zu untermauern. Dabei bewies er machtpolitisches Kalkül, weil die Solidarität mit den 5.450 Häftlingen extrem groß ist und diese Gruppe einen Einfluss auf die gesellschaftliche Stimmung ausübt, die jenen mancher der politischen Bewegung übersteigt.[3] Weil auch die USA in den vergangenen Monaten ihre Zahlungen an die Palästinenser weitestgehend eingestellt haben, ist die Lage angespannt. PA-Angestellte im Westjordanland erhalten nur noch reduzierte Gehälter. Im Ergebnis hat Abbas kurzfristig politisches Kapital gutmachen können, weil eine Mehrheit von 70 Prozent der Palästinenser den Präsidenten für diese Entscheidung lobt.[4] Allerdings steuert die Autonomiebehörde nun auf einen finanziellen Kollaps zu: schon in der ersten Jahreshälfte 2019, so die Berechnung einer Denkfabrik, könnte die Zahlungsunfähigkeit eintreten.[5] Israel dürfte daran kein Interesse haben, denn ein Gros des Gesamtbudgets fließt in den Sicherheitssektor, der maßgeblich für die israelisch-palästinensische Sicherheitskoordinierung verantwortlich ist.

Priorität 4: Resilienz

Mit dem Verweis auf die Resilienz des palästinensischen Volks spricht der Präsident ein Phänomen an, das insbesondere in Gaza immer offener artikuliert wird: in Ermangelung rationaler Argumente verweisen immer mehr Palästinenser im Gespräch auf ihre physische Präsenz, die aus ihrer Sicht ihrem Anliegen nach Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Staatlichkeit Nachdruck verleihen soll. Dies ist zugleich als Bankrotterklärung des politischen Friedensprozesses und der Performanz der Führung zu bewerten. Man verweist in einer solchen Argumentation nicht mehr auf die völkerrechtlich verbrieften Rechte der Palästinenser und den entsprechenden Verantwortungen der Besatzungsmacht Israel, sondern sieht in dem Umstand, noch nicht Opfer von Flucht oder Vertreibung geworden zu sein, einen strategischen Vorteil.

Priorität 5: Ost-Jerusalem

Der Aufruf zur Verteidigung Ost-Jerusalems wird vor allem (aber nicht nur) aus Sicht der 330.000 palästinensischen Bewohner der Stadt zu spät kommen: zuletzt zeigte der zivile palästinensische Ungehorsam in Folge der Unruhen auf dem und am Haram ash-Sharif/Tempelberg im Sommer 2017, dass die Palästinenser in Jerusalem auf sich allein gestellt sind.[6] Weder politisch noch gesellschaftlich lösen Unruhen, Demonstrationen oder Gewalt, die in der Stadt aufkeimen, Solidaritätsaktionen in anderen Teilen der Palästinensischen Gebiete aus. Gleichzeitig aber gilt Jerusalem als der wichtigste und emotionalste Gegenstand im israelisch-palästinensischen Konflikt. Die meisten Palästinenser fühlen sich dort weitestgehend isoliert, während eine Mehrheit ohnehin der Meinung ist, dass die US-Entscheidungen zur Hauptstadtfrage und Botschaftsverlegung den palästinensischen Verlust Jerusalems nicht begründet, sondern nur bestätigt haben.

Prioritäten 6 und 7: Staat, Staatlichkeit, Freiheiten

Die Hinweise zur Staatlichkeiten und politischen Freiheiten stehen im eklatanten Widerspruch zum schleichenden Autoritarismus der letzten Jahre. Das Parlament ist aufgelöst, der Präsident regiert mit Dekreten; an der Spitze der Judikative stehen mit dem Obersten Verfassungsgericht (Supreme Constitutional Court) und dem Obersten Gerichtshof (High Court) zwei politisierte Organe;[7] zivilgesellschaftliche Organisationen, Journalisten und Privatpersonen ziehen sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück, weil ein Klima der Angst sie davon abhält, PA-kritisch zu agieren.[8] Der explizite Hinweis auf die Meinungsfreiheit kann im Lichte von Verhaftungen in Folge regierungskritischer Statements in den sozialen Medien und der Drangsalierung unbequemer Nichtregierungsorganisationen nur als Farce gelesen werden. Wie auf dieser Grundlage ein neuer Gesellschaftsvertrag entstehen soll, wie er im Regierungsauftrag (Priorität 7) postuliert wird, bleibt deshalb ein Rätsel.

Das neue Kabinett: alte Männer aus dem Westjordanland dominieren

Fünf Kabinettsmitglieder wurden aus der Vorgängerregierung übernommen: die beiden Stellvertreter des Premiers, Abu Amr und Abu Rudeineh, sowie Außenminister Malki, Finanzminister Shukri und Tourismusministerin Ma’ayah setzen ihre Arbeit unter Shtayyeh fort. Damit wurden auch relativ junge Minister, die in ihren Zuständigkeitsfeldern Erfolg und Sichtbarkeit hatten, aussortiert. Zu nennen sind hier insbesondere Kulturminister Ihab Bseiso (geb. 1978) und Bildungsminister Sabri Saidan (geb. 1972);

Es handelt sich um ein Kabinett, das sich mehrheitlich aus Persönlichkeiten aus der FatahBewegung rekrutiert und innerhalb der Partei Positionen in den Führungsgremien innehat. Zudem finden sich im Kabinett politisch unabhängige Minister sowie Vertreter von drei kleinen PLOBewegungen (Palästinensische Demokratische Union, Palästinensische Volkspartei Palästinensische Volkskampffront);

PFLP und DFLP, die nach der Fatah wichtigsten Parteien innerhalb der PLO, fehlen in der neuen Regierung.[9] Zuletzt sind diese auf Abstand zu Präsident Abbas gegangen und fordern weiterhin eine Regierung der nationalen Einheit;

Vier Minister können auf eine Herkunft aus Gaza verweisen – das ist insofern relevant, als dass Hamas, die den Küstenstreifen kontrolliert, weder direkt noch indirekt am Kabinettstisch sitzen wird. Besonders bemerkenswert ist die Ernennung von Atef Abu Saif zum Kulturminister. Erst im März schloss er sich den Demonstrationen gegen die Hamas in Gaza an, um auf die schlechten Lebensbedingungen hinzuweisen. Bei Zusammenstößen wurde er von HamasSicherheitskräften verletzt;

Viele Ministerinnen und Minister weisen explizite Expertise für ihr jeweiliges Portfolio auf: Beispielsweise steht eine Medizinerin an der Spitze des Gesundheitsministeriums, ein Professor für Völkerrecht übernimmt das Justizministerium, der Kulturminister hat als Schriftsteller publiziert, die Minister für Bildung und höhere Bildung haben beide palästinensische Hochschulen geleitet.

Obwohl der Anteil an Frauen in der palästinensischen Gesellschaft bei 48 Prozent liegt, finden sich im Kabinett nur drei Ministerinnen. Das ist nicht die einzige demographische Schieflage: fast 70 Prozent der Bevölkerung in den Palästinensischen Gebieten ist 30 Jahre alt oder jünger. Das Alter der Regierungsmitglieder indes liegt deutlich in jenem Segment, dem nur eine Minderheit angehört, denn lediglich zehn Prozent der Palästinenser sind 50 Jahre oder älter.[10] Während immerhin vier Minister Wurzeln in Gaza haben, stammt nur ein Kabinettsmitglied aus Jerusalem. Obgleich es sich um eine Regierung für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten handelt, wäre es gewiss dennoch ein kluger Schachzug gewesen, der Diaspora und den Flüchtlingen eine größere Mitsprache zu geben. Mit Ausnahme einiger Ministerinnen und Minister mit ausländischen Universitätsabschlüssen und Verwendungen als Botschafterinnen und Botschafter, hat die Mehrheit der Kabinettsmitglieder ihr Leben in Israel und den Palästinensischen Gebieten verbracht. Auf eine Herkunft aus einem Flüchtlingslager kann lediglich der Kulturminister verweisen.

Die neue Regierung im Spiegel aktueller Herausforderungen

Staatlichkeit und Demokratie: schwach

Schon die Ernennungsurkunde, die Mahmud Abbas am 10. März 2019 dem neuern Premierminister aushändigte, hatte politische Sprengkraft: Shtayyeh wurde nicht etwa vom Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde ernannt, sondern vom Präsidenten des Staates Palästina. Obgleich Abbas in Personalunion beide Ämter innehat (neben den Positionen des Fatah-Vorsitzenden und des Chefs der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO), ist dies ein verfassungsrechtlich und politisch bedenkenswerter Schritt, suggeriert er doch eine offenbar gewollte Schwächung der Autonomiebehörde. Damit steht einmal mehr die Frage im Raum, ob die politische Führung in Ramallah noch gewillt ist, Energie in die Erneuerung der PA zu investieren. Das Ansehen der staatlichen Institutionen ist miserabel: 62 Prozent sind mit der Amtsführung von Abbas nicht zufrieden und die Hälfte der Befragten sagt, dass die PA zu einer Belastung des palästinensischen Volks geworden ist.[11] Mit der Ernennung einer PA-Regierung durch den Staatspräsidenten werden die Grenzen der – formal betrachtet – getrennt operierenden Institutionen PLO und PA verwischt. Unklar bleibt, wie aufgrund der anhaltenden Spaltung Wahlen möglich werden sollen. Der politische Arm von Hamas hat derzeit beste Karten, nationale Wahlen erneut zu gewinnen, weil Fatah in einem fragmentierten Zustand verweilt. Eine Wiederholung des Wahldesasters von 2006, als in den Wahlkreisen mehrere Fatah-Kandidaten um dieselben Wähler buhlten und so dem Hamas-Kandidaten den Sieg auf dem Silbertablett präsentierten, wird so sehr wahrscheinlich. Dieses Szenarium muss auch von der internationalen Staatengemeinschaft durchgespielt werden, weil diese nicht müde wird, eine demokratische Erneuerung Palästinas einzufordern.

Sicherheit: offen

Ein zentrales Amt bleibt auf Wunsch des neuen Premierministers vorerst vakant: einen Minister an der Spitze des Innenministeriums wird es, wie unter der Vorgängerregierung, nicht geben. Schon Shtayyehs Vorgänger war zusätzlich für Inneres zuständig. Dies ist das gewiss sensibelste Verantwortungsgebiet in der Hand der Palästinenser. Die umfangreiche Sicherheitssektorreform ist ohne Zweifel die größte – wenn auch aus Sicht der Zivilbevölkerung kontroverseste – Errungenschaft der Präsidentschaft Abbas‘. Nach Beendigung der zweiten Intifada setzte er seine Regierung daran, das Gewaltmonopol der Autonomiebehörde wiederherzustellen und militante Gruppen in den Reihen der politischen Bewegungen zu entwaffnen. Parallel wurde eine Sicherheitskoordinierung mit Israel hergestellt, die Ruhe in der Region garantiert. Diese Stabilität hat einen Preis: Der Sicherheitsapparat mit seinen über 80.000 Angestellten verschlingt 29 Prozent des Gesamtbudgets der PA.[12] Aus Sicht vieler Palästinenser ist diese Zusammenarbeit indes ein Verrat an der eigenen Sache, weil vielfach der Eindruck entsteht, es werde mehr für die Sicherheit der Siedlerinnen und Siedler im Westjordanland unternommen als für die palästinensische Zivilbevölkerung. Sicherheit, die Kontrolle über den Sicherheitsapparat und die Koordinierung mit der israelischen Seite: sämtliche Fäden laufen nicht im Innenministerium, sondern direkt bei Präsident Abbas zusammen. In den letzten Wochen kursierten Gerüchte in Ramallah, dass an den Spitzen der Sicherheitsorgane ebenfalls Personalrochaden anstünden. Von einer maßgeblich veränderten Sicherheitsarchitektur wird der Bewegungsradius von Premier Shtayyeh und dessen Wahrnehmung – sowohl in der palästinensischen Gesellschaft als auch in der israelischen Führung – abhängen. Spekuliert wird, dass Shtayyeh die Personalveränderungen noch abwartet, um im Anschluss einen separaten Innenminister zu ernennen. In dem Zusammenhang fällt auch auf, dass Hussein al-Sheikh nicht länger der Regierung angehört: als Minister für zivile Angelegenheiten (das komplette Ressort fehlt auf der neuen Kabinettsliste) war er der erste Ansprechpartner für die Israelis hinsichtlich der Lage in den besetzten Gebieten. Auch war er an der Wiederaufbaustrategie für Gaza durch Ägypter, Israelis und Palästinenser beteiligt. Dass al-Sheik, ein enger Vertrauter des Präsidenten, keine Rolle mehr in der Politik spielt, ist indes äußert unwahrscheinlich und deutet darauf hin, dass er an anderer Stelle, beispielsweise im Beraterstab von Abbas, eine neue Verantwortung übernehmen wird.

Fazit: Hamas wird es leicht gemacht

Die Regierung beansprucht nicht mehr, im Dienst der „nationalen Einheit“ zu stehen. Im Gegenteil wird die islamistische Hamas dezidiert von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen. Das unterscheidet sie von der Vorgängerregierung: deren Leistungen wurden zwar stets kritisch bewertet, indes wurde ihr zugutegehalten, dass sie als Garantin der nationalen Versöhnung angetreten war (obgleich auch ihr zuletzt weder Hamas-, noch Hamas-nahestehende Politiker angehörten). Mit einem Personaltableau, das weitestgehend West Bank-lastig und Fatah-loyal erscheint, wird deutlich, dass der Weg der politischen Entfremdung vertieft wird und das Projekt der Versöhnung kaum Aussicht auf Erfolg hat. So wurde es Hamas besonders leicht gemacht, die Regierungsumbildung zu kritisieren: als „Vertiefung der Spaltung zwischen Westjordanland und Gaza“ kanzelte man die Vereidigung der neuen Minister ab. So werde es der US-Regierung noch leichter gemacht, beide Territorien im Rahmen eines Friedensplans zu teilen.[13]

In der Tat fehlt der Regierung die verfassungsrechtliche Legitimation: Artikel 66 des Palästinensischen Grundgesetzes sieht eine Anhörung vor dem Legislativrat und in der Folge eine Vertrauensabstimmung vor. Dies ist aber nicht mehr möglich, weil das ohnehin nicht mehr tagende Parlament im Dezember von Präsident Abbas – entgegen dem Grundgesetz und mit Verweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs – aufgelöst wurde.[14] Auf diesem Weg hat das palästinensische Volk am vergangenen Wochenende seine 18. Regierung erhalten, obwohl seit 1996 nur zwei Parlamentswahlen stattfanden. Damit entsteht der Eindruck, dass hier vor allem machtpolitische Konsolidierung vorangetrieben wurde, während in der zweiten Reihe – wie auch in der Öffentlichkeit – die Vorbereitungen und Gedankenspiele für die Zeit nach Mahmud Abbas auf Hochtouren laufen. Der Blick in die ungewisse Zukunft indes lenkt von der Realität ab, in der die demokratische Erneuerung im Innern dringend benötigt wird, um der internationalen Staatengemeinschaft zu signalisieren, dass eine politische Führung bereitsteht, um über einen Frieden mit Israel zu verhandeln. Inwieweit in West-Jerusalem indes überhaupt noch jemand darauf wartet, um zu Friedensverhandlungen eingeladen zu werden, sollten die nun laufenden Koalitionsverhandlungen Israel zeigen.[15]

Die 18. Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde

Premierminister Mohammad Shtayyeh Fatah
Erster Stellvertreter Ziad Abu Amr ​​​​​​ Unabhängig
Zweiter Stellvertreter/Information Nabil Abu Rudeineh Fatah
Jerusalem-Angelegenheiten Fadi al Hidmi Unabhängig
Arbeit Nasri Abu Jish Volkspartei
Gesundheit May Kaileh Fatah
Kultur Atef Abu Saif Fatah
Wirtschaft Khaled Al-Osaily Unabhängig
Öffentliches Arbeiten und Wohnen Muhammad Ziyara Unabhängig
Bildung Marwan Awartani Unabhängig
Höhere Bildung Mahmud Abu Mouis Unabhängig
Frauen Amal Hamad Fatah
Kommunale Regierungsführung Majdi al-Salah Unabhängig
Telekommunikation Ishaq Sidr Unabhängig
Transport Asem Salem Unabhängig
Landwirtschaft Riad al-Atari Demokratische Union
Justiz Muhammed Shalaldah Unabhängig
Tourismus Rula Ma’yah Fatah
Soziale Ordnung Ahmad Majdalani Volkskampffront
Führung und Stärkung (Staatsminister) Osama al-Sadawi Unabhängig
Äußeres und Auslandspalästinenser Riad al-Malki Unabhängig
Finanzen Shukri Bishara ​​​​​​​ Unabhängig
Regierungssprecher Ibrahim Milhem ​​​​​​​
Kabinettssekretär Amjad Ghanem

[1] Als „Märtyrer“ werden von Palästinensern jene Personengruppen bezeichnet, die aus palästinensischer Sicht beim Kampf gegen die israelische Besatzung zu Tode gekommen sind. Dazu gehören auch Attentäter, die Gewalt gegen Israelis ausüben. Zum sozialpolitischen Kontext der „Märtyrerrenten“ siehe: Jochen Stahnke, Terroristen mit Anspruch auf Rente (23.08.2017), FAZ.net, https://bit.ly/2Zdvx5e.

[2] „Law for the withholding of funds paid to the Palestinian Authority in relation to terrorism from funds transferred to it by the Israeli Government” (Gesetz 5778-2018). Die Summe wurde am 17.02.2019 auf 140 Millionen USD p.a. beziffert, sodass auf der Gesetzesgrundlage monatliche Abzüge in Höhe von 11,67Mio. USD erfolgen sollten. Vgl. Tony Blair Institute for global change, The Impact of Recent Israeli and US Counter-Terrorism Measures on PA Fiscal Stability (18.02.2019), S. 1.

[3] Weitere Informationen zu den inhaftierten Palästinensern (darunter 205 Kinder) bereitet die Nichtregierungsorganisation Addameer auf (Vgl. http://www.addameer.org/statistics).

[4] Vgl. Meinungsumfrage der palästinensischen Denkfabrik PCPSR im Auftrag der KAS-Ramallah, März 2019, https://bit.ly/2v3lnXd.

[5] Vgl. Tony Blair Institute for global change (Fn 3), S. 2.

[6] Marc Frings und Bastian Schroeder, Eskalation am Tempelberg, KAS-Länderbericht, 27.07.2017, https://bit.ly/2GoNEy1.

[7] Samar Anabtawi und Nathan J. Brown, Why Mahmoud Abbas dissolved the Palestinian parliament – and what it means for the future, The Washington Post (18.01.2019), https://wapo.st/2PejxMw.

[8] 60 Prozent der Palästinenser im Westjordanland sagen, dass man nicht ohne Angst die PA kritisieren kann, vgl. PCPSR (Fn. 5).

[9] Die „Volksfront zur Befreiung Palästina“ (PFLP) ist die zweitstärkste Kraft innerhalb der PLO und wird von der EU und anderen Akteuren als Terrororganisation geführt; die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (DFLP) hat sich früh von der PFLP abgespalten und ist in der Vergangenheit auch durch Attentate aufgefallen.

[10] Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs, PASSIA Diary 2019, S. 384.

[11] PCPSR (Fn. 5).

[12] Von den 80.000 Sicherheitskräften wurden 17.813 seit der politischen Spaltung 2007 von der Hamas in Gaza eingestellt. Vgl. Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs, PASSIA Diary 2019, S. 459.

[13] Khaled Abu Toameh, New Palestinian Government Sown In, The Jerusalem Post (13.04.2019, https://bit.ly/2Z7FAJj.

[14] Artikel 47b des palästinensischen Grundgesetzes (Ergänzung von 2005) sieht vor, dass die Legislaturperiode des Legislativrats endet, wenn ein neues Parlament den Eid geleistet hat. Das Oberste Verfassungsgericht entschied aber, dass dieser Artikel nur Gültigkeit hat, wenn Wahlen für ein neues Parlament im zeitlichen Rahmen (d.h. nach vier Jahren) abgehalten werden.

[15] Alexander Brakel, Israel hat gewählt, KAS-Länderbericht, 12.04.2019, https://bit.ly/2Gh79Hz.

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