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Saudi-Arabien: Nach Iran nun Israel?

Neue Rahmenbedingungen für eine saudisch-israelische Annäherung

Es wäre ein Jahrhundertdeal – der bislang aber noch in weiter Ferne liegt. Ein Abkommen zwischen Israel, Saudi-Arabien und den USA über die Anerkennung des jüdischen Staates durch den Hüter der heiligsten Stätten des Islam käme einem politischen Erdbeben gleich. Es könnte nicht nur die bereits bestehende, inoffizielle Kooperation zwischen Israel und Saudi-Arabien in eine neue regionalpolitische Allianz überführen und die jüngste Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran verkomplizieren. Auch würde das jahrzehntelange Bündnis zwischen Riad und Washington zementiert und gegenwärtigen Trends der internationalen Geopolitik, insbesondere der strategischen Orientierung der Golf-Staaten in Richtung China, entgegengesteuert. Doch während US-Politiker schon von einem außenpolitischen Coup träumen, bleiben große Hürden für eine Annäherung: Riad will von den USA fortschrittliche Waffen, ein ziviles Nuklearprogramm sowie Sicherheitsgarantien. Und nicht zuletzt Zugeständnisse Israels im Konflikt mit den Palästinensern.

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Seitdem Israel mit zunächst zwei, später vier, arabischen Staaten die Abraham Abkommen abgeschlossen hat, wurde immer wieder spekuliert, ob Saudi-Arabien bald den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain, Marokko und dem Sudan folgen würde. Schritte hin zu einer Annäherung zwischen dem Königreich und Israel wurden aber auch zuvor immer wieder kolportiert – hinter den Kulissen hatte sich die Zusammenarbeit schon seit Jahren intensiviert.

Besonders der diplomatische und geheimdienstliche Austausch zwischen Israel und Saudi-Arabien ist angesichts ähnlicher Bedrohungswahrnehmungen, insbesondere hinsichtlich der nuklearen Bedrohung durch den Iran, seit Jahren viel enger als dies öffentlich anerkannt wird. Im vergangenen Jahr nahmen Saudi-Arabien und Oman zum ersten Mal gemeinsam mit Israel an einer US-geführten Marineübung teil. Im Herbst 2022 verkündete Saudi-Arabien im Zuge des Besuchs von US-Präsident Joe Biden die Öffnung seines Luftraums für zivile Flüge von und nach Israel. Zuletzt unterzeichnete das Königreich eine Vereinbarung, israelische Regierungsvertreter für eine UNESCO-Konferenz im Herbst 2023 nach Saudi-Arabien einreisen zu lassen.

Trotz der vermeintlichen Annäherungszeichen dämpft die Zusammenstellung der aktuellen Regierungskoalition unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Spekulationen um eine israelisch-saudische Normalisierung. Im Frühjahr häufte sich öffentlich geäußerte Kritik der saudischen Führung an Israels Vorgehen in Jerusalem und den besetzten Palästinensischen Gebieten. Als im März 2023 auch noch Riad und Teheran überraschend die Wiederaufnahme ihrer ausgesetzten diplomatischen Beziehungen verkündeten, schien eine Normalisierung zwischen Saudi-Arabien und Israel wieder in weite Ferne gerückt.

 

Neuer Optimismus in den Verhandlungen

Inmitten dieser Umstände überrascht nun eine unvermindert hastige „Shuttlediplomatie“, insbesondere zwei Besuche von US-Sicherheitsberater Jake Sullivan innerhalb weniger Wochen in Saudi-Arabien, gepaart mit offiziellen Äußerungen, man arbeite an einer Vereinbarung über eine Normalisierung. Dies sorgt nun für zaghafte Spekulationen über eine neue Dynamik in den Verhandlungen um eine Anerkennung und diplomatische Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien.

Verhandelt wird bisher ausschließlich zwischen Saudi-Arabien und den USA, die wiederum in Gesprächen mit Israel stehen. Nach ersten vielversprechenden Treffen saudi-arabischer Vertreter mit Sullivan im Mai hatte US-Präsident Biden entschieden, die Konditionen für ein Abkommen umfassend prüfen zu lassen, weshalb im Juli erneut Gespräche zwischen Washington und Riad stattfanden. Ziel der Gespräche ist scheinbar, bis Ende 2023 und damit vor Beginn des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes, einen Deal zu erzielen. Aus Kreisen amerikanischer Diplomaten wird von vorsichtigem Optimismus berichtet. Dennoch stehen gleich eine ganze Reihe von umfassenden Forderungen Saudi-Arabiens an die USA im Raum, die Riad als Bedingung für eine Normalisierung gestellt haben soll.

 

Die Diskussionspunkte: vom Atomprogramm bis zur Friedensinitiative

Für eine Anerkennung Israels und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen stellt Riad drei Kernforderungen an Washington: (1) US-amerikanische Unterstützung beim zivilen Nuklearprogramm des Königreichs, (2) Sicherheitsgarantien von den USA sowie (3) umfassende amerikanische Rüstungsexporte. Von Israel fordert man zudem deutliche Zugeständnisse an die Palästinenser.

Letztgenannter Punkt ist seit der vom damaligen saudischen Kronprinzen Abdullah bin Abdulaziz al Saud entworfenen Arabischen Friedensinitiative von 2002 die Kernforderung des Königreichs an Israel für eine Normalisierung der Beziehungen. Bislang war Riads Fahrplan, dass zuerst eine Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt auf Grundlage einer Zweistaatenlösung gefunden werden müsse, bevor diplomatische Beziehungen aufgenommen würden. Die saudische Position scheint sich jedoch in Teilen geändert zu haben: Jüngste Äußerungen des Außenministers Saudi-Arabiens Prinz Faisal bin Farhan ließen darauf schließen, dass für eine Normalisierung möglicherweise auch bereits die Aufstellung eines Fahrplans für eine Friedenslösung ausreichen könnte.

Eine weitere Forderung betrifft die Unterstützung der USA für das seit 2010 im Aufbau befindliche zivile Nuklearprogramm Saudi-Arabiens. Anders als seine Nachbarn, wie etwa die VAE, will Riad dafür selbst Uran anreichern, statt dieses im bereits angereicherten Zustand aus dem Ausland zu importieren. Dies hatten sowohl die USA als auch Israel bislang abgelehnt – in Washington, weil man die eigenen Bemühungen, Iran von dessen fortlaufender Urananreicherung abzubringen, nicht untergraben wollte, und in Tel Aviv, weil man um den strategischen Vorsprung Israels in der Region bangte.

Auch fordert Saudi-Arabien formale Sicherheitsgarantien von den USA. Das Königreich pflegt zwar eine enge militärische Zusammenarbeit mit den USA und beherbergt zudem eine US-Luftwaffenbasis. Darüber hinaus möchte Riad aber eine Verteidigungsallianz mit den Vereinigten Staaten schmieden. Ähnlich bilateraler Verträge mit Australien, Japan oder Südkorea sollen sich Saudi-Arabien und die USA zum gegenseitigen militärischen Beistand verpflichten. Ein solches Verteidigungsabkommen ist Washington seit den 1950ern mit keinem Staat mehr eingegangen und es wäre für ein Land im Nahen Osten, neben den bereits bestehenden engeren Partnerschaften für Rüstungskooperation mit Staaten wie Ägypten, Israel und Katar, einmalig.

Zuletzt verlangt Saudi-Arabien umfangreichere Rüstungsexporte von den USA. Das Königreich ist bereits größter Exportmarkt für amerikanische Rüstungsgüter. Seit 2021 liefern die USA den Saudis jedoch infolge einer Direktive Bidens keine offensiven Waffensysteme mehr. Riad will daher den Zugang zu fortschrittlichen Rüstungsimporten zurückerlangen und im Zuge seiner wirtschaftlichen Transformation außerdem einen größeren Teil der Produktion moderner Waffensysteme ins eigene Land holen, statt diese wie bisher ausschließlich aus dem Ausland zu importieren.

 

Bewertung: Eine Einigung ist noch fern

Dass die Gespräche über eine israelisch-saudische Normalisierung trotz weitereichender – und teils seit Jahren unerfüllter – Forderungen Saudi-Arabiens an die USA und mangelnder Aussichten auf Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt nun wieder in Fahrt gekommen sind, liegt vor allem am strategischen Kalkül Washingtons: Die Administration von Präsident Biden will China nicht das außenpolitische Feld in der Region überlassen und den Druck auf den Iran erhöhen.

Nachdem Riad und Teheran unter chinesischer Vermittlung zuletzt ihre diplomatischen Beziehungen wiederaufgenommen hatten, könnte ein Deal Saudi-Arabiens mit Israel auch die saudische Position als pragmatische Regionalmacht stärken und China wieder von der regionalpolitischen Bühne verdrängen. In diesem Zusammenhang ist auch die jüngst in der saudischen Küstenstadt Dschidda ausgerichtete Konferenz zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu sehen, an der mehr als 40 Länder, darunter China, die USA und große Teile des „Globalen Südens“, wenn auch nicht Russland, teilnahmen. Sie unterstreicht den politischen Willen eines aufstrebenden Saudi-Arabiens, seine Machtposition und seinen Einfluss als Vermittler über die eigene Region hinaus zu erweitern.

Zudem würde ein Deal das strategische Bündnis zwischen Riad und Washington stärken, welches im Zuge der saudischen Enttäuschung über die ausgebliebene US-Reaktion auf die iranischen Angriffe gegen die saudischen Ölanlagen Abqaiq und Churais 2019 Risse bekommen hatte. Biden selbst könnte einen außenpolitischen Erfolgsmoment vor den Präsidentschaftswahlen gebrauchen. Außerdem versprechen sich gerade liberale Kreise in den USA, mit dem Angebot einer Normalisierung zu Saudi-Arabien den gegenwärtigen Kurs der israelischen Regierung im Inneren und insbesondere die Hardline-Politik gegenüber den Palästinensern, umkehren zu können und Anreize für die Bildung einer gemäßigteren Regierung zu schaffen.

Dennoch passt das politische Timing des amerikanischen Vorstoßes mehr schlecht als recht. Zu einer Zeit, in der Unterzeichner der Abraham Abkommen wie die VAE oder Bahrain aufgrund der politischen Umstände in Israel und den Palästinensischen Gebieten eher zurückhaltend auftreten, wäre ein Normalisierungsabkommen für Saudi-Arabien schwierig zu vertreten. Zwar hat die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts für die junge Garde saudischer Entscheidungsträger eine andere Priorität als noch für ihre Elterngeneration. So spielte die Palästinenserfrage in ersten Verhandlungen mit den USA wohl auch keine große Rolle bis König Salman, der die meisten Amtsgeschäfte bereits an seinen Sohn und Kronprinzen übergeben hat, selbst intervenierte. Es bleibt daher schwer vollstellbar, dass eine Normalisierung ohne Zugeständnisse an die Palästinenser unter seiner Herrschaft akzeptabel wäre.

Auch in Washington hätte Präsident Biden größte Schwierigkeiten, für die geforderten Zugeständnisse an Riad politische Unterstützung zu gewinnen. Ein Verteidigungsabkommen mit Saudi-Arabien bräuchte die Zustimmung des demokratisch kontrollierten und eher saudi-kritischen Senats. Selbst wenn Biden das Abkommen allein als exekutive Vereinbarung ohne Senatsunterstützung schließen würde, ist fraglich, wie er eine Abkehr von seiner bisherigen Rüstungsexportpolitik gegenüber Saudi-Arabien und eine Unterstützung für Urananreicherung im Königreich der demokratischen Wählerbasis, die bei Waffenexporten und Nuklearproliferation eher restriktiv eingestellt sind, erklären würde. Insbesondere mit Blick auf die Ölpreisgestaltung, den Konflikt im Jemen und Menschenrechtsfragen hat sich der amerikanische Präsident in der Vergangenheit so kritisch gegenüber Saudi-Arabien positioniert, dass ein Eingehen auf die oben genannten Forderungen Riads einer 180°-Umkehr gleichkäme.

 

Ausblick: (K)Ein geopolitischer Antrieb

Spätestens seit dem Besuch des US-Präsidenten in Saudi-Arabien Mitte 2022 ist zu beobachten, dass größere geostrategische Kalkulationen einen graduellen Wandel von Bidens Golf-Politik beeinflussen: Im Kontext globaler Großmachtkonflikte will Washington seine Partnerschaft zu Ländern wie den Golf-Staaten wieder stärken, um diese als Verbündete gegen Russland auf die eigene Seite zu bringen und deren schrittweise Annäherung an China abzuschwächen.

Auch wenn die USA sich nicht aus dem Nahen Osten und der Golf-Region zurückziehen werden, so müssen sie ihr regionales Engagement doch mit der gestiegenen Relevanz anderer Weltregionen ausbalancieren – und gleichzeitig die Durchsetzung der gesteigerten chinesischen Interessen in der Golf-Region konterkarieren. Eine Normalisierung zwischen den wichtigsten US-Verbündeten im Nahen Osten wäre eine Chance für Washington, um trotz außenpolitischer Verschiebungen nicht an regionalem Gewicht zu verlieren.

Saudi-Arabien auf der anderen Seite würde bei Erfüllung seiner Forderungen nach einer Verteidigungsallianz, einem Atomprogramm und zusätzlichen Waffenexporten immens an politischer Schlagkraft gewinnen und sich strategisch als primus inter pares in seiner Nachbarschaft und darüber hinaus etablieren. Gerade im Zuge seiner wirtschaftlichen Transformation im Rahmen der Vision 2030 könnten Handels- und Investitionsbeziehungen zu Israel zudem ein Motor für Innovationen, Diversifizierung und Konnektivität werden.

In Israel wiederum wäre ein solches Abkommen ein außenpolitischer Coup für Premierminister Netanyahu, der von den Hardlinern in seiner Regierung eher ausgebremst wird. Doch selbst wenn die USA und Saudi-Arabien sich einigen sollten, stünde eine Annäherung immer noch den Unwägbarkeiten in der israelischen Politik gegenüber.

Anders als in Washington hat man in Riad jedoch keine Eile, einen Deal abzuschließen – und schon längst geopolitische Alternativen. Durch seine Annäherung an Iran, das engere Verhältnis zu China und eine regionale Entspannungspolitik kann das Königreich deutlich gelassener in die Verhandlungen mit den USA gehen und geduldig auf den richtigen politischen Moment warten.

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Philipp Dienstbier

Philipp Dienstbier

Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten

philipp.dienstbier@kas.de +962 6 59 24 150
Länderberichte
Reuters / China Daily CDIC
21. März 2023
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