Veranstaltungsberichte
Auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ist der 27. Januar – der Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz – seit 1996 in Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Konrad-Adenauer-Stiftung nimmt dies seit einigen Jahren zum Anlass für eine Reihe von bundesweiten Projekten im Umfeld des 27. Januars. In zahlreichen Bundesländern werden Zeitzeugengespräche und Vortragsveranstaltungen, Lesungen und Ausstellungen durchgeführt.
Der diesjährige Schwerpunkt liegt dabei auf dem Thema Euthanasie. Von 1940 bis 1945 wurden während der Zeit des Nationalsozialismus systematisch mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland ermordet. Insgesamt starben bei Krankenmorden in dieser Zeit über 200.000 Menschen.
Podiumsdiskussion zu Beginn
Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe fand ein Podiumsgespräch vor Schülern mit Hubert Hüppe, ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Uwe Neumärker, Direktor Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Sigrid Falkenstein, Arbeitsgruppe „Tiergartenstraße 4“ und Nichte des „Euthanasie-“ Opfers Anna Lehnkering, statt.
Anna war ein liebes und sanftmütiges Mädchen und doch schon immer ein wenig zittrig und ängstlich. In der Schule tat sie sich schwer, hatte Probleme beim Lesen lernen. Später arbeitete sie in der Gastwirtschaft ihrer Eltern; war ihnen eine große Hilfe. Und dennoch galt sie laut Rassenideologie als „unbrauchbar“. Sie wurde auf Druck in eine Heil- und Pflegeanstalt verbracht. Hier begann ihr Martyrium. Vor Heimweh wund, zwangssterilisiert, zerbrach ihr junges Leben innerhalb von vier Jahren. Die Nazis deportierten sie 1940 ins KZ Grafeneck, wo sie elendich ermordet wurde.
Opfer beim Namen nennen!
Über 60 Jahre später erfährt die Nichte eher zufällig bei einer Google-Suche vom Schicksal ihrer Tante. Sigrid Falkenstein begann zu recherchieren und konnte so nach und nach sich ein Bild davon machen, was damals passiert sein muss. Dabei stößt sie immer wieder auf Zurückhaltung und unsichtbare Hürden. So ist es laut Gesetz verboten, die Opfer mit vollem Namen zu nennen. Begründung: Hinterbliebene könnten es nicht gutheißen, wenn bekannt wird, dass einer ihrer Vorfahren geistig oder körperlich behindert war. Für Sigrid Falkenstein bewirkt diese vorauseilende Anti-Diskriminierungsmaßnahme genau das Gegenteil, werden die Opfer so noch nachträglich stigmatisiert. Sie hofft, dass eine Petition Erfolg hat und der Bundestag vielleicht schon in diesem Jahr dieses Gesetz ändert. Denn: „Anna war ein Familienmitglied“, für das man sich nicht schämen müsse. Leider, so Neumärker, habe es für viele jedoch immer noch etwas vermeidlich Anrüchiges, so ein Opfer in der Familie zu wissen.“
Parallele Bioethik?
Doch nicht nur falsch verstandener Scham, sondern auch Schuldgefühle der Angehörigen ihren Familienmitgliedern nicht geholfen zu haben, ist es, der einer Aufarbeitung des Unrechts im Wege stand und leider oftmals immer noch steht. Der Denkt@g nimmt sich also eines wichtigen Themas an. Auch, wie Hüppe anmerkte, sich in der modernen Bioethik mit ihren neuen Möglichkeiten „eine Selektion von Leben“ droht zu wiederholen. „Schon deswegen ist es wichtig, dass wir an die Geschehnisse von früher erinnern. Sonst laufen wir Gefahr, dieselben Fehler noch einmal zu machen“, so Hüppe.
Bereitgestellt von
Politisches Bildungsforum Berlin
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung, ihre Bildungsforen und Auslandsbüros bieten jährlich mehrere tausend Veranstaltungen zu wechselnden Themen an. Über ausgewählte Konferenzen, Events, Symposien etc. berichten wir aktuell und exklusiv für Sie unter www.kas.de. Hier finden Sie neben einer inhaltlichen Zusammenfassung auch Zusatzmaterialien wie Bilder, Redemanuskripte, Videos oder Audiomitschnitte.