Bilder vom Mittelmeer sind uns seit Jahren aus Presse und Medien bekannt. Von Migranten, die an den europäischen Küsten ankommen und in provisorischen Aufnahmelagern untergebracht werden müssen. Besonders die griechische Insel Lesbos, einst ein touristischer Hotspot, stand zuletzt durch den Aufenthalt und die Ankunft von einer Vielzahl an Migranten weltweit in der Öffentlichkeit. Wie sieht die Situation vor Ort während der Corona-Pandemie aus? Welche neuen Herausforderungen haben sich ergeben? Für einen persönlichen Eindruck haben wir uns am 29. Mai in unserem Podcast-Expertengespräch mit Gernot Krauß ausgetauscht. Der Länderreferent der Caritas International für Griechenland befasst sich bereits seit 2015 mit den Migrationsströmen auf der Balkanroute und ist seit zwei Jahren regelmäßig vor Ort in Griechenland.
Eindrucksvoll und ausführlich schilderte Herr Krauß zuerst die aktuelle Lage. Durch die Überbelegung in den Aufnahmecamps fehle es an einigen Orten an Hygieneeinrichtungen und Platz zur Unterbringung. Die örtlichen Strukturen seien nicht für die Anzahl der dort unterzubringenden Menschen geeignet. Die Kerncamps seien mit passabler Infrastruktur ausgestattet. Wilde Zelte, als Folge der Überbelegung, sorgen mancherorts allerdings für einen „Slumcharakter“. Dort leben die Migranten unter freiem Himmel ohne essentielle Infrastruktur und ausreichende Hygieneanlagen. Dies betrifft alle Inseln, die dank ihrer geographischen Lage ohnehin nur spärlich ausgestattet sind. Der Referent verwies auch auf die geringe Anzahl an medizinischen Versorgungseinrichtungen auf den griechischen Inseln.
Aus Sicht von Gernot Krauß wird der Aspekt der Betroffenheit der lokalen einheimischen Bevölkerung auf den Inseln zu häufig vernachlässigt. Die Inseln, Heimat für eine ursprünglich kleine Bevölkerung, haben durch die öffentliche Berichterstattung und den nun durchaus dauerhaften Bestand der Aufnahmecamps mit einem deutlich reduzierten touristischen Aufkommen zu kämpfen. Der daraus resultierende negative Ruf der Inseln bedroht zunehmend die Existenz vieler Einheimischer. Es gebe zudem auch keine klare Perspektive, aus dem bestehenden Dauerzustand zu entkommen. Trotz verständlicher Spannungen und einzelner Proteste ist eine weit verbreitete Gastfreundschaft weiterhin da. Dennoch gilt: Auch die einheimische Bevölkerung braucht Unterstützung, um mit den Problemen besser umgehen zu können.
Der Referent zog ein durchwachsenes Fazit. Fluchtursachen müssen verstärkt angegangen werden, während offizielle Standards in den Camps umgesetzt werden. Es sei der richtige Weg, die Camps zu vergrößern. Die Verbesserung der Lage in den Flüchtlingscamps ist dennoch nur eine Symptombewältigung. Die Verlegung von einzelnen Migranten auf das Festland sei eher ein symbolischer Akt gewesen, da sich keine merkbare Entlastung für Verbliebende und die Einrichtungen ergeben hat. Das Camp Moria auf Lesbos, welches für ca. zwei bis dreitausend Migranten ausgerichtet ist, beheimatet aktuell etwa 18.500 Bewohner. Eine alarmierende Zahl.
Die weltweite Verbreitung von Covid-19 habe zu einer Abriegelung der Aufnahmecamps zum Schutz der Migranten geführt. In den letzten Tagen finden jedoch vermehrt Treffen in speziell eingerichteten „Social Spaces“ statt. Der Kontakt zu den Menschen konnte während der Pandemie digital aufrechterhalten werden. Grundsätzlich habe jeder ein Smartphone. Während der Krise sei die Zahl der Neuankömmlinge zudem spürbar zurückgegangen.
Das war ein Expertengespräch, welches aus Erfahrung von Herrn Krauß einzelne Probleme im Detail aufzeigen konnte und vielfältige Blickwinkel auf die Lebensverhältnisse und Herausforderungen der Migranten vor Ort in den griechischen Flüchtlingscamps ermöglichte. Zwar muss auf Makroebene gehandelt werden, um die Symptome der Situation nachhaltig zu bekämpfen. Dennoch verzweifeln die Akteure der Hilfsorganisationen bei ihrer Arbeit nicht an den Ursachen, sondern managen in einer den Menschen zugewandten Art die Folgen und leisten damit einen wichtigen Dienst für uns alle.
Text verfasst von: Tom Lotz
Text veröffentlicht von: Dr. Karolina Vöge
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