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Veranstaltungsberichte

"Gott hat zu viel von mir erwartet."

Veranstaltungsbericht zu "Unorthodox"

Online-Veranstaltung im Rahmen der Jüdischen Musik- und Theaterwoche Dresden

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„Gott hat zu viel von mir erwartet“, – sagt Esty auf die Frage hin, warum sie aus ihrer ultra-orthodoxen jüdischen Religionsgemeinschaft der chassidischen Satmarer in New York nach Berlin geflohen ist. Sie ist die Hauptfigur in der im März diesen Jahres erschienenen deutschen Serie „Unorthodox“ auf Netflix. Deborah Feldman erzählt in dem dieser Serie zugrunde liegenden Buch ihre eigene Geschichte und wie sie aus dieser strengen Gemeinschaft ausgestiegen ist.


Anlässlich dieses Serien-Hits sowie der diesjährigen Jüdischen Musik- und Theaterwoche in Dresden, hat sich die KAS am 2. November 2020 im Rahmen der Veranstaltung „Unorthodox – Was uns Halt und Orientierung gibt“ mit Themen wie dem Stellenwert der jüdischen Religion und Tradition in unserer modernen und säkularen Gesellschaft und der Bedeutung von Kunst und Musik für die Identitätsstiftung auseinandergesetzt. Aufgrund der aktuellen Corona-Schutzbestimmungen fand die Veranstaltung online statt.


Zu Beginn stand die Bedeutung der Kunst im Mittelpunkt. Die italienisch-stämmige und selbst jüdische Kulturmanagerin und Literaturwissenschaftlerin Valentina Marcenaro sprach darüber mit den Künstlern Yeva Lapsker, Christian Dawid und Daniel Kahn. Als Choreographin bzw. Musiker waren alle drei direkt an der Serie beteiligt. Mit Blick auf die im Drehbuch der Serie hergestellte Analogie zur traditionellen Musikwelt kann für sie insbesondere die Kunst ebenso wie Religion Halt im Leben geben und gleichzeitig als offener Raum der Begegnung und Auseinandersetzung mit der modernen jüdischen Kultur dienen. Für sie ist die Kunst - ähnlich wie für Esty, die in Berlin als Frau Klavier spielen lernen darf - vor allem identitätsstiftend. Marcenaro fühlte sich bei all dem auch an ihre Diplomarbeit erinnert, in der sie sich innerhalb der jüdisch-amerikanischen Literatur auch mit dem Thema der Ultraorthodoxie auseinandersetzte.


Im Anschluss übernahm die Moderatorin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Johanna Hohaus das Wort. Als Gesprächspartner war der Rabbiner Akiva Weingarten zugeschaltet. Damals selbst bei den Satmarern in New York geboren, ist auch er aus der ultraorthodoxen Gemeinschaft ausgestiegen und leitet jetzt unter anderem die jüdischen Gemeinden in Dresden und Basel. Da das Thema der Ultraorthodoxie den meisten doch eher unbekannt ist und in Deutschland kaum ultraorthodoxe Juden leben, bot der Rabbiner den Teilnehmenden einen kurzen Einblick in einige Facetten dieser Lebenskultur. Nach außen hin mögen ultraorthodoxe Gemeinden modern wirken: sie haben Handys, fahren Autos und gehen in den gleichen Supermärkten einkaufen wie andere. Doch erzählte er unter anderem von koscheren Medien, die keinen oder einen nur sehr begrenzten Zugang zu aktuellen Nachrichten bieten. Ebenso geprägt ist die ultraorthodoxe Literatur und Berichterstattung, die nicht weltliche, sondern ausschließlich religiöse und zwischenmenschliche Themen bedienen, die innerhalb der Gemeinde produziert werden und lediglich eben diesen einen sehr abgegrenzten Teil der Bevölkerung erreichen möchten.


Insgesamt werden heute mehr Filme gedreht (u.a. die Serie Shtisel), die einen emphatischen Zugang, aber auch genauso eine kritische Auseinandersetzung mit der Religion bieten wollen. So berichtete er von einer Veränderung in der Wahrnehmung ultraorthodoxer Gemeinschaften durch die „Außenwelt“. Einige ehemalige Orthodoxe sind mittlerweile selbst Schauspieler geworden oder schreiben heute Drehbücher. Abgesehen von der Berliner und New Yorker Szene – die etwas überspitzt dargestellt wird – sowie einigen Aspekten des jüdischen Alltagslebens, stellt die Serie „Unorthodox“ die eigentlichen Fakten beziehungsweise die Lage, mit der sich Esty als Aussteigerin konfrontiert sieht, seiner Meinung nach, sehr authentisch dar.


Im Hinblick auf jüdische Gemeinden sprach er von den verschieden Glaubensströmungen, die von konservativ bis liberal unterschiedlichen stark ausgeprägt sind. Bedeutsamer als das tatsächliche Befolgen von traditionellen Regeln, ist oft die Verkörperung dieser nach außen, da beispielsweise der Kleidung oder dem Haarschnitt innerhalb mancher Gemeinden teilweise ein höherer Stellenwert zugerechnet wird.
Auf die Frage hin, was es bedeutet, aus einer ultraorthodoxen religiösen Gemeinde auszusteigen, sprach er auch über seine persönlichen Erfahrungen. „Du riskierst alles!“, antwortete er sofort. Er beschrieb, was es bedeutet ein großes Risiko auf sich zu nehmen – wenn man den Kontakt zur Familie und zu Freunden abbricht, die eigene Wohnung und Arbeit, die es nur innerhalb der Gemeinde gab, verliert und man auf sich alleine gestellt, ohne Fremdsprachenkenntnisse und Ausbildung sich dazu entschließt, ein völlig neues Leben zu beginnen. In dem Fall von Esty - entwurzelt, ohne eine Vergangenheit, an die man sich klammern kann. Verbunden mit der Herausforderung eine eigene Identität, Werte und Ziele, für sich neu zu definieren, bleibt die Religion häufig für viele im Alltag stets im Hintergrund. Dabei sind es vor allem die liberaleren Strömungen des Judentums, die den Ausgestiegenen meist unbekannt sind. In ihrer Erziehung spielen sie keine Rolle, denn es zählt nur das ultraorthodoxe Leben. Nicht zuletzt deshalb, gründete Akiva Weingarten im April 2020 die Thoraschule „Besht Yeshiva“ in Dresden, die Aussteigern aus der Ultraorthodoxie wie beispielsweise jüdischen Studenten aus Israel, die Möglichkeit bieten möchte auch ein anderes Judentum kennenzulernen. Mit dem Ziel liberale Denkmuster und Lebensstile mit der chassidischen Spiritualität zu vereinen, möchte die Jeschiwa ihre eigene, liberalere Auslegung der Thora entwickeln.


Abschließend wurde die Veranstaltung nach einer aktiven Diskussion, in der auch die Fragen der Teilnehmenden beantwortet wurden, von den Musikern der Serie - Christian Dawid und Daniel Kahn – musikalisch von jiddischem Gesang umrahmt, wobei auch Christian Dawid aus künstlerischer Sicht hervorhob, dass das Judentum unterschiedlich gelebt werden kann.

 


von Anna Luntovska

 

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Kontakt

Johanna Hohaus

johanna.hohaus@kas.de

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