Eine Premiere für die Politische Bildung der KAS – die 1. Internationale Konferenz zur Politischen Bildung führte erstmals Menschen aus dem europäischen Ausland und Deutschland in Präsenz zusammen, die sich mit beruflichem und privatem Engagement politischer Bildung verschrieben haben. Dabei entstand ein intensiver Austausch über Themen und Herausforderungen, die alle gemeinsam bewegen. Die Bedrohung der Sicherheit durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zog sich wie ein roter Faden durch die Tagung, doch auch die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung, die Spaltung und Fragmentierung von Gesellschaften, die veränderten Diskussionskulturen und der Vertrauensverlust vieler Menschen gegenüber Politikern und demokratischen Institutionen waren Themen der Gespräche.
In ihrer Begrüßung stellte Dr. Melanie Piepenschneider, Leiterin der Hauptabteilung Politische Bildung die Konferenz in den Kontext der dramatisch veränderten neuen internationalen Lage und skizzierte die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit. Darüber hinaus verband sie vier zentrale Ziele mit der IKPB: die engere Vernetzung von In- und Auslandsarbeit, das gegenseitige Kennenlernen und das gemeinsame Lernen voneinander, den Diskurs über das gemeinsame Projekt Europa und den Aufbau eines Netzwerkes.
Anschließend kamen aktuelle Herausforderungen für Politik und Politische Kultur in Europa zur Sprache, wobei Expertinnen und Experten aus acht europäischen Ländern, moderiert von der Journalistin und KAS- Altstipendiatin Maria Grunwald, Schlaglichter aus ihren Heimatländern vortrugen:
Einen tieferen Eindruck aus Albanien verschaffte z. B. Dr. Jonila Godole vom Institut für Democracy, Media & Culture in Tirana den Anwesenden. Die fehlende historische Aufarbeitung von 45 Jahren Kommunismus habe fatale Folgen für die heutige Gesellschaft und Politische Kultur ihres Landes. Verantwortung habe kaum Stellenwert im politischen Leben und es herrsche die Überzeugung vor, man könne sich viel erlauben, solange man nur die Macht dazu habe. Um die Geschichte Albaniens und die heutige Situation des Landes zu verstehen bedürfe es dringend Politischer Bildung.
Im Impulsbeitrag aus Polen sprach sich anschließend Prof. Dr. Krzystof Miszczak, Head of International Security Unit an der Warsaw School of Economics, vehement für ein starkes und kämpferisches Europa aus. Vor dem Hintergrund des entfachten internationalen Systemwettbewerbs dürfe sich die Demokratie in Europa und damit auch die EU sich selbst nicht in Frage stellen. Demokratie müsse auch Stärke zeigen und verteidigt werden, wozu Politische Bildung ihren Teil beizutragen habe.
Einige weitere Beispiele von Schlaglichtern Politischer Bildung in Europa:
Iveta Kažoka, politische Analystin aus Lettland, kam auf die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft zu sprechen und illustrierte anhand von praktischen Beispielen die Politische Kultur in Lettland. Auch zeigte sie auf, dass sich die Regierung vor allem nach den Wünschen der Mehrheitsbevölkerung richte, was Fragen aufwerfe mit Blick auf den Umgang mit der (vor allem russischsprachigen) Minderheit.
Illinca Iordache, langjährige Projektkoordinatorin für Politische Bildung im Auslandsbüro Rumänien und der Republik Moldau der KAS, sprach von der Diskrepanz zwischen Stadt und Land mit Blick auf politische Bildung, nahm die Zusammenarbeit zwischen NGOs und staatlichen Stellen in den Blick und stellte gute Beispiele politischer Bildung vor.
Prof. Dr Lars Trägårdh, Autor, Historiker und Professor am Ersta Sköndal University College Stockholm, fokussierte die Historie politischer Bildung in Schweden und zeichnete das Bild einer Krisensituation für die heutige politische Bildung. Als einen Grund dafür nannte er die finanzielle Abhängigkeit von NGOs und Stiftungen von staatlichen Zuwendungen, wodurch der bildungspolitische Diskurs Schaden nehme. Er plädierte stattdessen für einen Ressourcenpluralismus zur Stärkung der Unabhängigkeit politischer Bildungsarbeit, damit die politischen Bildner wieder auf ihren eigenen Beinen stehen könnten.
Prof. Dr. Andrea De Petris, wiss. Direktor am Centro Politiche Europee in Rom, beschrieb das Fehlen gesetzlicher Regelungen zur Finanzierung von politischen Parteien als das Urproblem politischer Bildung in Italien und skizzierte eine extrem differenzierte politische Bildungslandschaft in seinem Land. Als weitere Charakteristika beschrieb er Intransparenz bei Strukturen und Finanzierungen politischer Bildung, das Fehlen von parteinahen Stiftungen und die oft unklaren Zweckbestimmungen politischer Stiftungsorganisationen, die oftmals eher persönlichen Netzwerken glichen, als dass sie systematische politische Bildung betrieben.
Marko Prusina, wiss. Mitarbeiter in der KAS Zagreb, stellte die Meinungs- und Diskussionsfreiheit und die Vermittlung von Medienkompetenz an den Beginn seines Schlaglichtes aus Kroatien, skizzierte das Modell der „School for Life“ und nahm die Zielgruppe „junge Erwachsene“ sowie deren Schutz vor „fake news“ in den Blick. Als praktisches Beispiel politischer Bildungsarbeit stellte er die Politische Akademie der KAS Zagreb mit einer kroatischen Partnerorganisation vor.
Benjamin Kurc, Leiter des Deutsch-Französischen Bürgerfonds vermittelte einen kritischen Bericht zur Lage der politischen Bildung in Frankreich. Diese sei kaum bis gar nicht vorhanden. Stattdessen gebe es eine sogenannte „Volkskunde“ in der schulischen Bildung, welche aber keine praktisch nützlichen Inhalten liefere. Kurc beschrieb die dafür verantwortlichen historischen Gründe und setzte sich für einen stärkeren Dialog mit anderen Ländern und Deutschland ein, um eine gemeinsame, europäische politische Kultur und Bildung zu entwickeln.
Winfried Weck, Leiter des Regionalbüros ADELA und des Auslandsbüros Panama sowie kommissarischer Leiter des Auslandsbüros Costa Rica, gab schließlich einen Exkurs zur Lage der politischen Bildung in Lateinamerika und zum Regionalprogramm ADELA. So erklärte er die drei Hauptziele des Programms (Sicherheit, Wirtschaft und die Erfüllung der Agenda 2030) und formulierte sieben Thesen zur Charakteristik politischer Bildung in Lateinamerika.
Zusammenfassend vermittelten die Schlaglichter politischer Bildung in Europa folgenden Eindruck:
Politische Bildung und politische Kultur in Europa sind von enormer Heterogenität geprägt. Sie haben jeweils unterschiedliche historische Voraussetzungen und oft spezifische aktuelle Herausforderungen. Dem entsprechend unterscheiden sich auch die Themen und Methoden, die erfolgreich zum Einsatz kommen können.
Der zweite Konferenztag startete mit einer Reflexion zur Frage „Welche Bildung braucht der (politische) Mensch?“ – Einer Antwort hierauf näherte sich in seinem Eingangsstatement Thomas Kerstan, bildungspolitischer Korrespondent der ZEIT und Herausgeber ZEIT Campus. Er kritisierte das Fehlen einer inhaltlichen Bildungsdebatte in Deutschland, die man aber dringend benötige, weil sich die Welt derzeit neu sortiere und Deutschland mit ihr. Die Globalisierungsfolgen, das Migrationsthema, die Bedrohung
durch einen Atomkrieg, die digitale Transformation und die Individualisierung des Medienkonsums verändere und fragmentiere die Gesellschaften. Umso wichtiger sei für den Zusammenhalt von Gesellschaft die Verständigung auf einen Bildungskanon, in dem auch das Wissen selbst zentrale Bedeutung genieße. Thomas Kerstan präsentierte in seinem Beitrag schließlich auch einen konkreten Vorschlag „100 Werke als Kerstans Kanon“, den er nicht als Dogma, sondern als spielerische Debatte verstanden haben wollte, und der mit Blick in die Welt flexibel und anpassungsfähig sein soll.
In der anschließenden Diskussion und den darauffolgenden Arbeitsgruppen warfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer u. a. folgende Fragestellungen auf:
Wie können Werte vermittelt werden?
(Wie) kann sichergestellt werden, dass ein gebildeter Mensch auch gut handelt?
Wie können Bildung, Charakterbildung und politische Bildung miteinander verschränkt werden?
Wie kann die Situation vieler junger Menschen verbessert werden, die mit 14 bis 16 Jahren nicht richtig lesen, schreiben und rechnen können?
Welche praktischen Möglichkeiten bestehen, gezielter Desinformation entgegen zu wirken?
Wie können Persönlichkeitsbildung und politisches Engagement junger Menschen mit welchen konkreten Maßnahmen gefördert werden?
Welche guten Beispiele gibt es für die Förderung und Weiterbildung von politischem Personal?
Das “Gemeinsame Projekt Europa als Zukunftsaufgabe politischer Bildungsarbeit“ stand am Nachmittag des zweiten Konferenztages auf der Tagesordnung, der mit einer Videobotschaft von Dr. Hans-Gert Pöttering eingeleitet wurde. Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments und vormalige KAS-Vorsitzende brachte „auf den Punkt, was wir an Europa haben“ und stellte dabei angesichts aktueller Bedrohungen die Revitalisierung der Friedens- und Wertegemeinschaft in den Vordergrund. Darüber hinaus forderte Pöttering eine Aktionsgemeinschaft gegen den Klimawandel, die Stärkung der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und setzte sich mit Blick auf junge Leute für mehr europapolitische Bildungsarbeit ein.
Wie „Politische Bildung das Projekt Europa stärken“ kann, war das Thema der sich anschließenden Podiumsdiskussion, der sich stellten:
Susanne Zels, Gründerin und Geschäftsführerin VALUES UNITE,
Marek Prawda, ehem. Botschafter Polens in Deutschland und Vertreter der EU-Kommission in Polen,
Ruben Schuster, Leiter des Büros für Auswärtige Beziehungen der CDU.
Die von dem Journalisten Stefan Robiné moderierte Runde stellte am Ende ihres Gesprächs fest, dass „vernünftige Politische Bildung Augen öffnen“ könne, wenn sie zeige,
dass Europa „Einheit in Vielfalt“ von Traditionen und Identitäten sei;
dass Europa „östlicher“ werden müsse, indem man vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs verstärkt die Vielfalt und die besonderen Belange des östlichen Europas in den Blick zu nehmen habe;
dass Europa sich verändern, reformieren müsse, um gegen das Erstarken totalitärer Systeme gefeit zu sein.
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion stellte Stefan Robiné vier rotierende ad-hoc-Arbeitsgruppen zusammen, so dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgende Fragen miteinander diskutieren und Empfehlungen aussprechen konnten:
Wie wird der russische Krieg gegen die Ukraine die politische Bildung (der KAS) verändern?
Welche Themen und Formate rücken durch den Krieg in den Fokus politischer Bildungsarbeit?
Was sollte eine gemeinsame Organisation/Plattform für politische Bildung leisten?
Du hast einen Wunsch frei: was wünschst Du Dir, um die europapolitische Bildungsarbeit noch besser zu machen?
Auf diese Fragen gab es so viele Antworten, dass sie an dieser Stelle nicht dokumentiert werden können, doch genau ausgewertet werden sie eine Fülle von Anregungen und Empfehlungen für die praktische Arbeit bieten, die demnächst allen Interessierten zur Verfügung stehen werden.
Vor dem Ende des zweiten Konferenztages stand schließlich noch ein Highlight der Konferenz an – das Gespräch zwischen Bundestagspräsident a.D. und Vorsitzendem der KAS, Prof. Dr. Norbert Lammert, und Ralf Fücks, geschäftsführender Gesellschafter des Zentrums Liberale Moderne und ehemaliger Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung.
„Politische Bildung in Zeiten von Globalisierung und sicherheitspolitischer Zeitenwende“ war das Thema des wieder von Maria Grunwald moderierten Gesprächs. Auch hier war der Ukraine-Krieg das dominierende Thema, eingeleitet von Ralf Fücks, der eindrucksvoll von seinen letzten, nur kurz zurückliegenden Besuchen in der Ukraine berichtete. Vielen Menschen gehe es derzeit um ihr Leben und um ihre bloße Existenz, es sei ein Wettlauf mit der Zeit, bevor die Ukraine ausblute, so sein vorläufiges Fazit.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde der Begriff “Zeitenwende“ hinterfragt, welcher in den Medien gerne zur Charakterisierung der aktuellen Situation gebräuchlich ist. Verhalten werde mehr durch Ereignisse als durch Entwicklungen verändert, meinte dazu Norbert Lammert, und mit dem Begriff „Zeitenwende“ stelle sich vielmehr eine Wahrnehmungsfrage. Denn lange habe man Realitäten verdrängt und schon 2008 gegenüber Georgien und mit der Annexion der Krim 2014 sei die Brutalität russischer Politik offensichtlich geworden. Dieses Verhalten Russlands, so Ralf Fücks, sei im Ergebnis ein Völkervernichtungskrieg gegen die Ukraine, und die sich daraus ergebenden Fragen würden in Deutschland bisher nicht richtig diskutiert. Politische Bildung müsse dem entgegenhalten und die Welt mit historischen Erfahrungstatsachen erklären: „so wie sie ist und nicht, wie man sie sich wünscht“. Ferner wünschte er sich von politischer Bildung, dass sie den Ernst der Lage bewusst macht, den Menschen im Informations- und Desinformationswirrwarr Orientierung vermittelt und kritikfähig bleibt. Mit Blick auf die sicherheitspolitische Wende der Bundesregierung konstatierte dann Norbert Lammert Handlungsbedarf. Die Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Scholz sei zwar eine historische Kurskorrektur, der Versuch, diese nun um- und durchzusetzen sei aber ausbaufähig.
Abschließend gingen die beiden Diskutanten auf Reichweite und Wirkung von politischer Bildung in einer veränderten Öffentlichkeitsstruktur ein. Nur eine Vielfalt an Formaten könne in einer veränderten Medienwelt die Blasen auflösen, innerhalb derer nur die Bestätigung eigener Meinungen und Haltungen zählt.
Am Vormittag des dritten Konferenztages ließen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Eindrücke Revue passieren und gaben, moderiert von Dr. Christian Schmitz, Internationale Themen in der Politischen Bildung, Empfehlungen ab und ließen Wünsche erkennen. Die Gelegenheit zu einem derartigen Austausch sei bisher einzigartig, solle nachhaltig gemacht und unbedingt fortgeführt werden. Gerade die Unterschiedlichkeit von politischer Bildung und politischer Kultur mache den Dialog wertvoll und für die eigene Arbeit hilfreich. Das Bedürfnis, sich dabei zu vernetzen und praktische Erfahrungen auszutauschen wurde von allen geteilt. Kritisch äußerten sich Teilnehmende aus nicht EU-Ländern gegenüber offizieller EU-Politik. Man nehme, etwa mit Bezug auf den Westbalkan, die Befürchtung vieler Menschen dort nicht ernst, in der aktuellen Krisensituation durch den russischen Ukraine-Angriff „unter die Räder zu geraten“ und nicht genügend Beachtung zu finden angesichts tatsächlicher und empfundener Bedrohung.
Ein praktischer Vorschlag zur künftigen Vernetzung, zur Kommunikation und Dokumentation in der Politischen Bildung stand schließlich am Ende der Konferenz: Das auf Linked In angelegte „Network Civic Education KAS“ fand allgemeinen Beifall. Das von Christian Schmitz als „step by step project“ vorgestellte Vorhaben soll alsbald an Fahrt aufnehmen.
Darüber hinaus soll diese Plattform inhaltlich getragen werden von einem „memorandum of common understanding“, das in Anlehnung an den kurz vorgestellten „Beutelsbacher Konsens“ Ziele, Aufgaben und Wertebasis der gemeinsamen künftigen Zusammenarbeit in einigen wenigen Punkten festhält.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Internationalen Konferenz zur Politischen Bildung gingen schließlich auseinander in dem Bewusstsein, zu einer neuen Form gewinnbringender Zusammenarbeit gefunden zu haben und mit einem guten Gefühl, diese zukünftig weiterführen zu können.
Dank an alle, die im In- und Ausland in der KAS-Familie am erfolgreichen Zustandekommen der 1. Internationalen Konferenz zur Politischen Bildung beteiligt waren!
Themen
Bereitgestellt von
Political Academy in Sidirokastro, Serres
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung, ihre Bildungsforen und Auslandsbüros bieten jährlich mehrere tausend Veranstaltungen zu wechselnden Themen an. Über ausgewählte Konferenzen, Events, Symposien etc. berichten wir aktuell und exklusiv für Sie unter www.kas.de. Hier finden Sie neben einer inhaltlichen Zusammenfassung auch Zusatzmaterialien wie Bilder, Redemanuskripte, Videos oder Audiomitschnitte.