Veranstaltungsberichte
Verstärkt gingen in den letzten Monaten ehemalige Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gegen die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Ausstellungen vor. Dies traf etwa auf die Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale) zu, wo sich einstige MfS-Mitarbeiter in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlten. Zur Debatte über den Unrechtscharakter des SED-Staates und der Staatssicherheit, die als „Schild und Schwert“ der regierenden SED agierte, sowie über Geheimdienste in der Demokratie führte das Bildungszentrum Schloss Wendgräben der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der BStU-Außenstelle Halle und der Gedenkstätte ROTER OCHSE eine Podiumsdiskussion im Stadthaus Halle (Saale) durch. Fast 60 Besucher nahmen an dieser Veranstaltung teil, die von Dr. Steffen Reichert (freier Journalist) moderiert wurde.
André Gursky, Leiter der Gedenkstätte, referierte die Haltung der einstigen MfS-Mitarbeiter. Diese sehen sich nicht als „Täter“, da gegen sie nach dem Untergang der DDR keine Anklage erhoben wurde und sie somit auch niemals verurteilt worden seien. Auch fühlen sie sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, weil ihre Namen in einer Ausstellung genannt würden, die auch die Geschichte des berüchtigten Gefängnisses „Roter Ochse“ im Nationalsozialismus dokumentiert. Von den einstigen Systemträgern der DDR wird heute die Wesensverwandtschaft der SED-Diktatur mit dem Dritten Reich stets negiert, dabei erfolgt allerdings keine Gleichsetzung, sondern lediglich ein Vergleich bzw. eine Darstellung historischer Entwicklungen. Gerade der „Rote Ochse“ sei Beispiel für einen mangelhaften Antifaschismus der DDR, denn hier gab es vor 1989/90 keinerlei Gedenken an die Opfer des NS-Regimes.
Welche Unterschiede es zwischen der Staatssicherheit, die als verlängerter Arm einer Diktatur wirkte, und Geheimdiensten in einer Demokratie wie der Bundesrepublik gibt, zeigte der langjährige Diplomat und frühere BND-Präsident Dr. Hans-Georg Wieck auf: Im Gegensatz zum MfS wird die Arbeit des BND, der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie des MAD von demokratisch gewählten Parlamenten kontrolliert. Es gibt das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestages, deren Mitglieder als Vertrauenspersonen gewählt werden. Auf Länderebene bestehen ähnliche Institutionen. Wieck referierte des weiteren über den Schutz des Bürgers bei einem Eingriff in seine Grundrechte, etwa durch Abhörung in einem Verdachtsfall - der Betroffene muss anschließend unterrichtet werden, zudem bleibt ihm der Weg durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. In einer Diktatur wie der DDR war dies undenkbar, denn hier unterstand das MfS lediglich der SED-Führung und nur wenige Kader hatten Einblick in dessen weithin autonome Arbeit.
Oberstaatsanwalt Dr. Hans-Jürgen Grasemann (Braunschweig) referierte angesichts des Datums der Veranstaltung in Halle (17. Juni 2008 – 55. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR) eine Äußerung des Staatssicherheits-Ministers Erich Mielke vom Spätsommer 1989, ob im Zuge der Ausreisewelle „morgen ein neuer 17. Juni“ ausbreche. Doch die MfS-Mitarbeiter verneinten dies mit den Worten „(ein neuerlicher Volksaufstand wird nicht mehr kommen) dafür sind wir ja da“. An mehreren Beispielen verdeutlichte Grasemann den Unrechtscharakter der SED-Strafjustiz und der Staatssicherheit, die vor allem nach dem blutig niedergeschlagenen Volksaufstand vom 17.06.53 kontinuierlich ausgebaut wurde und zum Ende der DDR ihren Höchststand erreichte (1989: 91.000 hauptamtliche Mitarbeiter). Der Referent berichtete über Entführungen, Schauprozesse, Urteile wegen versuchter Republikflucht, auch über Strafmaßnahmen gegen Sympathisanten der als „großen Bruders“ bezeichneten Sowjetunion nach deren Wandel unter Gorbatschow. Das MfS war eine politische Polizei mit immenser Machtfülle, unterlag keinerlei rechtlicher Grenzen und Kontrollen. Auch griffen SED-Obere wie Walter Ulbricht direkt in die Justiz ein, wandelte etwa (vor der Verhandlung ohnehin fest stehende) Zuchthausstrafen in Todesurteile um. Überdies bilanzierte Grasemann die juristische Aufarbeitung des SED-Regimes nach der deutschen Einheit, die sich ausschließlich auf Delikte bezog, die auch in der DDR strafbar waren (z.B. Tötungsdelikte, Körperverletzung, Wahlfälschung), wobei stets das mildere Recht galt, also das bundesdeutsche.
Dr. Jochen Staadt begann sein Statement mit einer Analyse einer Studie über das DDR-Bild von Schülern, die der Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin erstellt hatte. Der Referent hatte selbst an dieser Studie mitgewirkt, die sich auf vier Bundesländer bezog und erschreckende Ergebnisse zutage brachte: Die meisten Jugendlichen wissen nur wenig über die DDR und ihre wichtigsten Personen, zumal das Thema in den Schulen nur knapp oder gar nicht behandelt würde und oft nur in den Familien darüber erzählt wird – dies dann meist aus persönlicher Perspektive und unter Ausblendung unangenehmer Erinnerungen. Der Wissenschaftler appellierte, mehr öffentliche Veranstaltungen zur DDR-Geschichte durchzuführen, Lehrerfortbildung zu forcieren sowie für Jugendliche verstärkt Exkursionen in Gedenkstätten durchzuführen. Hinsichtlich der DDR-Forschung hob Staadt hervor, dass es noch nie eine solch glückliche Lage für einen Historiker gegeben habe, dass unmittelbar nach Untergang eines Staates dessen ganzes Quellenmaterial zur Verfügung stünde. Doch gleichzeitig gebe es nach wie vor ungeklärte Ereignisse, etwa die Ermordung von 10 Studenten der FU Berlin in den 1950er Jahren in der Sowjetunion.
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