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Die albanische Reifeprüfung

von Walter Glos, Afrim Krasniqi

Albanien und das Wahljahr 2017

Das Jahr 2017 stellt für Albanien ein Jahr potentieller politischer Veränderungen dar. Denn nicht nur das Amt des Präsidenten der Republik, auch das Parlament steht zur Wahl. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Rahmens und der zeitlichen Nähe der beiden Urnengänge birgt dies bedeutende politische Spannkraft. Eine neue politische bzw. institutionelle Krise kann auf die Wahlen folgen - Albanien steht 2017 vor seiner politischen „Reifeprüfung“.

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Wahltermine und verfassungsrechtliche Grundlagen

Der Wahltermin für die Präsidentenwahl wird voraussichtlich Ende April/Anfang Mai stattfinden, während die Parlamentswahlen bereits per Dekret für den 18.06.2017 festgelegt wurden.

Das Staatsoberhaupt Albaniens ist der Präsident, er übernimmt repräsentative Aufgaben, hat aber auch Befugnisse dem Parlament und der Justiz gegenüber und ergänzt den Ministerpräsidenten bei der Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten. Der Präsident ernennt den Ministerpräsidenten auf Vorschlag der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament und ist mit diesem zusammen Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Außerdem kann der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ausschreiben, wenn dieses sich nicht auf einen Ministerpräsidenten einigen kann. Im Justizwesen hat der Präsident gleichzeitig auch die Funktion des Präsidenten des Hohen Justizrates inne. Die Amtszeit des Präsidenten beläuft sich gemäß albanischer Verfassung (Artikel 88) auf 5 Jahre, die Wahl erfolgt mit einer Mehrheit von 3/5 der Mitglieder des Parlaments, eine Wiederwahl ist nur ein Mal möglich. Die Amtszeit endet am selben Tag desselben Monats fünf Jahre nach dem der Präsident seinen Eid geleistet hat. Die Amtszeit des derzeitigen albanischen Präsidenten Bujar Nishani endet somit am 24.07.2017 (24.07.2012 - 24.07.2017). Die rechtlichen Bestimmungen für die Wahl des Präsidenten sind in den Artikeln 87 und 88 der albanischen Verfassung geregelt, Artikel 88 legt den zeitlichen Rahmen fest: läuft die Amtszeit des Präsidenten in den 6 Monaten vor Ablauf der Legislaturperiode des Parlaments ab, so findet die Präsidentenwahl nicht später als 60 Tage vor Ablauf der Legislaturperiode des Parlaments statt.

Die Legislaturperiode des derzeitigen gewählten albanischen Parlaments unter der Führung der „Allianz für ein europäisches Albanien“ (83 Sitze, bestehend aus PS, LSI, PBDNJ, PKD; Parlamentspräsident Ilir Meta, LSI) endet per 09.09.2017, somit muss die Präsidentenwahl nicht später als bis zum 09.07.2017 erfolgt sein. Gemäß Artikel 88 muss das Wahlverfahren für die Wahl des Präsidenten nicht später als bis zum 24.05.2017 eingeleitet werden.

Um das Amt als Präsident antreten zu können, muss der neu gewählte Präsidentschaftskandidat einen Eid vor dem Parlament leisten. Die Vereidigung kann allerdings erst erfolgen, wenn der vorherige Präsident aus seinem Amt ausgeschieden ist.

Die Kompetenzen des albanischen Parlamentes liegen in der Gesetzgebung, der Wahl des Präsidenten und der Mitglieder des Verfassungsgerichts sowie der Entscheidung über Krieg und Frieden. Bezüglich der Wahl des Präsidenten hat das Parlament durch eine in der Verfassung vorgeschriebene Anzahl an Wahlgängen (3) eine Entscheidung zu treffen, ansonsten ist es automatisch aufgelöst und Neuwahlen finden statt.

Die Wahl des Parlaments ist im albanischen Wahlgesetz, Artikel 8 und 9, geregelt. Artikel 8 des Wahlgesetzes regelt den Wahltermin für die Parlamentswahlen und schreibt vor, dass diese im ganzen Land an einem Sonntag zwischen dem 15.03. und 30.06. oder zwischen 15.09. oder 30.11. stattzufinden haben. Der Wahltag für das Parlament wird per präsidentiellem Erlass festgelegt. Dieser hat nicht später als 9 Monate vor Ablauf der parlamentarischen Legislaturperiode zu erfolgen, deren Abschluss bzw. die Auflösung des Parlaments vom Parlament beschlossen wird und nicht früher als 45 Tage bzw. nicht später als 30 Tage vor dem Wahltag für das Parlament zu erfolgen hat.

Übersicht über das albanische Wahlrecht und Wahlsystem

Vor den Wahlen am 28.06.2009 erfolgte eine Änderung des albanischen Wahlsystems, die von der SP (Sozialistische Partei) und DP (Demokratische Partei) gemeinsam (!) erarbeitet wurde. Das alte System, das mit einer Kombination aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht operierte, wurde durch ein reines Verhältniswahlrecht ersetzt. Die Wahl ist eine Listenwahl, die Wähler stimmen daher für eine der von den kandidierenden Parteien aufgestellten Liste; personalisierte Komponenten gibt es nicht. Im albanischen Verhältniswahlsystem gibt es eine Mindestbedingung, die erreicht werden muss, um einen Sitz zu erhalten. Diese Sperrklausel beträgt 3% für Parteien und 5% für Koalitionen. Nach dem DʹHondt-Verfahren werden die Sitze innerhalb der Wahlkreise auf die Listen verteilt, zwischen den Wahlkreisen erfolgt keine Verrechnung der Stimmen. Stimmen, die in einem Wahlkreis abgegeben werden und keinen Sitz erzielen, gehen verloren.

Das albanische Parlament besteht aus einer Kammer mit 140 Sitzen. Diese werden durch Entsendungen einer bestimmten Anzahl an Abgeordneten, gestaffelt nach Bevölkerungsanzahl, aus den 12 Wahlkreisen besetzt. Nach einer Aufforderung der Zentralen Wahlkommission (KQZ) an das Innenministerium wurden die Abgeordnetenzahlen, basierend auf den neuesten demographischen Daten für die Regionen, geändert.

Mögliche Szenarien für Albanien nach den Wahlen

Die 2017 stattfindenden Präsidenten- und Parlamentswahlen sind aufgrund des knappen Zeitfensters, innerhalb dessen sie stattzufinden haben und der verfassungsrechtlich festgelegten Fristen problematisch.

Der Wahltermin für das neue Parlament wurde per präsidentiellem Dekret für den 18.06.2017 festgelegt. Die Legislaturperiode des gegenwärtigen Parlaments würde mit 09.09.2017 enden, doch nach Festlegung des Wahltermins hat der Abschluss der Legislaturperiode bzw. die Auflösung des gegenwärtigen Parlaments nicht später als am 18.05.2017 zu erfolgen. Die Vereidigung des neuen Präsidenten vor dem Parlament hat am 24.07.2017 stattzufinden.

Der Knackpunkt obiger Zahlenspiele ist der zu leistende Eid des Präsidenten vor dem Parlament, der Voraussetzung für die Aufnahme der Amtsgeschäfte ist – denn vor welchem Parlament soll der Präsident vereidigt werden?

Das aufgelöste Parlament hätte am 24.07.2017 zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenzutreten und der Vereidigung des Präsidenten beizuwohnen. Eine solche außerordentliche Sitzung kann auf die Forderung des Präsidenten der Republik, des Premierministers oder 1/5 der Abgeordneten hin zusammentreten.

Von den vom IPS (Institute for Political Studies) entworfenen sechs möglichen Szenarien, die nach der Wahl eintreten können, ist nur eines positiv zu bewerten, während die übrigen fünf das Abrutschen in eine politische Krise in Erwägung ziehen. Folgende Szenarien sind möglich:

  1. Die Wahlen werden abgehalten, das Parlament tritt am 24.07.2017 zusammen, der neue Präsident leistet den Eid und die Institutionen funktionieren weiter.
  2. Die Parlamentswahlen führen zu einer politischen Machtverschiebung. Die neue Mehrheit im Parlament kann es nicht akzeptieren, dass die alte Mehrheit im Parlament am 24.07.2017 zusammentritt, um dem Präsidenten die Eidesleistung abzunehmen. Der Präsident leistet den Eid vor der abtretenden Regierung, die neue regierende Mehrheit verweigert die Teilnahme, der Eid wird nicht geleistet und es entsteht eine politische Krise.
  3. Nach den Parlamentswahlen bleibt die regierende Mehrheit im Parlament bestehen, aber es entstehen politische Unstimmigkeiten unter den Mitgliedern der Koalition. Eine der koalierenden Parteien könnte die parlamentarische Sitzung für die Vereidigung des Präsidenten boykottieren, um Druck auf die Gegner auszuüben. Dadurch wird verhindert, dass das nötige Quorum zur Vereidigung des Präsidenten erreicht wird. Die Eidesleistung entfällt, es entsteht eine politische Krise.
  4. Die Parlamentswahlen werden trotz Problemen abgehalten und das Berufungsprozedere zieht sich in den Juli hinein. In diesem Falle ist es schwierig für das neue Parlament, die gegnerischen Parteien zu überzeugen, an der Sitzung zur Leistung des präsidentiellen Eides teilzunehmen. Die Vereidigung findet nicht statt, es entsteht eine politische Krise
  5. Derzeitige Parlamentsmitglieder werden von den Listen der antretenden Parteien gestrichen. Eine bedeutende Anzahl an Abgeordneten fühlt sich vom politischen Prozess ausgeschlossen, es herrscht Unzufriedenheit. Die Parlamentsmitglieder verweigern die Teilnahme an der Sitzung zur Vereidigung des Präsidenten. Die Vereidigung findet nicht statt, eine politische Krise entsteht
  6. Die derzeit regierende parlamentarische Mehrheit hat keine internen Querelen in Bezug auf die Wahl des Präsidenten. Die Abstimmung über den Präsidenten wird von „last-minute“ Allianzen zwischen Parlamentsmitgliedern beeinflusst. In diesem Fall fühlt sich die kleinere Fraktion durch die aufgezwungene Abstimmung der regierenden Mehrheit im Parlament geschädigt. Sie übt Druck auf die größere Fraktion aus, die Vereidigung findet nicht statt und eine politische Krise entsteht.

Aktuelle Entwicklungen

Die Wahlen 2017 sind innen- wie außenpolitisch relevant, denn die Umsetzung der Wahlrechtsreform und die Durchführung der Wahlen gemäß OSZE/ODIHR-Standards sind neben den fünf Schlüsselkriterien auch Voraussetzung für die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien. Politische Vertreter betonten dies wiederholt; so erläuterte der Abgeordnete im deutschen Bundestag MdB Gunther Krichbaum bei seinem Besuch in Tirana (24.11.2016) ein 7-Punkte-Papier für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, das auch die Forderung nach Umsetzung der Wahlrechtsreform und Beachtung der Standards für die Wahlen 2017 beinhaltete. Bundeskanzlerin Angela Merkel wies Premierminister Edi Rama bei Gesprächen in Berlin (28.11.2016) ebenso auf die Erfüllung dieser Vorgaben hin. Der Rat der Außenminister hatte am 13.12.2016 entschieden, noch keine Gespräche mit Albanien über den EU-Beitritt zu eröffnen, sondern den nächsten Fortschrittsbericht (März 2018) abzuwarten.

Im Dezember 2015 wurde vom albanischen Parlament ein Komitee für die Wahlrechtsreform ins Leben gerufen und mit einem 6-monatigen Mandat ausgestattet. Dieses Mandat wurde seither immer wieder verlängert, jedoch mangelt es bisher an Entscheidungen bzw. Ergebnissen.

Kritische Stimmen wurden im Land laut, betreffend die Haltung der Politik in Bezug auf die Wahlrechtsreform und die OSZE/ODIHR-Empfehlungen. SP, DP und LSI würden den Prozess aus Eigeninteresse blockieren. Eine Volksbefragung (wie sie in Bulgarien kürzlich stattgefunden hat zur Wahlrechtsreform wäre ein probates Mittel, um die Reform zu beschleunigen.

Die DP hat kürzlich eine Plattform für die Umsetzung der Wahlrechtsreform ins Leben gerufen. Vizevorsitzender ist Oerd Bylykbashi. In einer Presserklärung (10.12.2016) forderte er die Kenntnisnahme der Plattform ein und gab zu bedenken, dass freie und faire Wahlen auch 2017 nicht garantiert werden können. Forderungen umfassen die Kriminalisierung von Stimmenkauf und die Implementierung elektronischer Stimmabgabe. Zudem warf er der Regierung unter Edi Rama vor, den Reformprozess zu blockieren bzw. zu sabotieren.

Hier werden typische Mechanismen der albanischen Politik sichtbar. Die Parteienlandschaft ist polarisiert und die Kooperationsbereitschaft über Parteigrenzen hinweg wenig ausgeprägt, worunter die Umsetzung der Reformvorsätze und der Fortschritt im Land leiden.

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Walter Glos

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22. September 2016
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